Eine unterschätzte Koreanerin gibt sich die Ehre.
aus bma 12/09
von Klaus Herder
Wie blasiert wir Westeuropäer, meine Vorurteile liebende Wenigkeit ausdrücklich eingeschlossen, manchmal in unserer Meinung über fremde Länder sind, wurde mir vor ein paar Jahren anlässlich einer Industrie-Reportage in Südkorea bewusst. Korea? Eine Halbinsel in Ostasien, nach dem Zweiten Weltkrieg (genauer gesagt seit 1948) in Nord- und Südkorea geteilt, der Norden eine stalinistische Diktatur, der Süden ein von den USA massiv unterstützter Staat kapitalistischer Prägung – sehr viel mehr wusste ich nicht über Korea. China und Japan sind nicht weit entfernt, also müsste das Land auch kulturell und industriell irgendwo dazwischen anzusiedeln sein – so mein etwas übersichtliches Korea-Bild. Technisch weiter als die Chinesen, aber noch nicht auf dem Niveau der Japaner. Irgendwie vermutlich noch eine Art Entwicklungsland mit einer Menge Nachholbedarf. Kennst du einen Schlitzi, kennst du alle.
Der Kultur-Schock folgte unmittelbar nach der Ankunft in Seoul, der Elf-Millionen-Hauptstadt des offiziell „Republik Korea“ genannten Südteils: chinesische Schriftzeichen? Fehlanzeige, in Korea wird „Hangeul“ geschrieben, einer aus nur 51 Buchstaben bestehenden Schrift, die für uns Europäer auf den ersten Blick wie Chinesisch aussehen mag, damit aber gar nichts zu tun hat – und sich erstaunlich schnell lernen lässt. Chinesische oder japanische Sprache? Für Koreaner meist genauso fremd wie für uns, man benötigt untereinander Dolmetscher oder zumindest ein Lexikon. Entwicklungsland? Das war Korea noch vor 40, 50 Jahren, doch mittlerweile gehört Südkorea zu den bedeutendsten Volkswirtschaften der Welt und ist zum Beispiel bei der Produktion von Halbleitern, Flachbildschirmen und Schiffen weltweit führend. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt des 49 Millionen Einwohner zählenden Landes entspricht mittlerweile dem eines durchschnittlichen EU-Staates wie zum Beispiel Spanien.
Ich hatte das Vergnügen, die Firma HJC, den weltgrößten Helmhersteller, besuchen zu dürfen. Ein Facharbeiter bei HJC verdiente bereits vor vier Jahren umgerechnet rund 2000 US-Dollar im Monat – sein nur eine Flugstunde entfernt arbeitender Kollege in China brachte es auf ein Zehntel davon. Auf dem HJC-Firmenparkplatz standen durchweg gestandene Mittelklasse-Limousinen, nicht etwa nur koreanische Kleinstwagen. Handys und Mini-Computer sind im koreanischen Alltagsleben deutlich mehr verbreitet als bei uns.
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Soweit der kleine Exkurs zum Thema „Mögliche Fehleinschätzung von Korea“. Womit wir auch schon beim Objekt des heutigen Fahrberichts wären: Hyosung (sprich: Josung) – dazu fällt dem deutschen Durchschnitts-Motorradfahrer meist gar nichts ein, der vermeintliche Durchblicker tippt auf „China-Schrott“ und kann sich ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen. Okay, da benötigen wir wohl auch noch etwas Nachhilfe: „Hyosung Motors & Machinery“ wurde 1978 als Teil des bereits 1957 entstandenen Hyosung-Mischkonzerns (eine typisch koreanische Unternehmensstruktur namens „Jaebeol“) gegründet. Ab 1979 gab es eine technische Kooperation zwischen Hyosung und Suzuki, seit 1986 hat Hyosung eine eigene Entwicklungsabteilung. 1994 begann der Export nach Europa, im Boomjahr 1996 produzierte Hyosung 150000 motorisierte Zweiräder. 2003 trennte sich der Roller- und Motorradproduzent vom Mutterkonzern und gehört nun zum Automotive-Spezialisten S&T. „Hyosung S&T Motors“ (so die aktuelle Firmierung) baut 50er-Roller, ATVs und Motorräder mit 125, 250 und 650 ccm. Die Hauptkomponenten wie Motoren, Getriebe, Rahmen, Tanks und Verkleidungsteile entwickelt und fertigt Hyosung selbst; Teile wie Armaturen, Räder und Gabeln stammen von Zulieferern.
Bei den 125er-Neuzulassungen liegt Hyosung hierzulande hinter Honda und Yamaha auf dem dritten Platz. Bei den Motorrädern herrscht mehr Nachholbedarf: 2008 wurden in Deutschland exakt 735 neue Hyosungs zugelassen (0,7% Marktanteil), darunter 398 Stück der GT 650.
Das soll besser werden, und damit das auch klappt, hat Hyosung seinen 2003 präsentierten Vierventil-Twin kräftig überarbeitet und modellgepflegt. Seit 2007 befeuert eine Einspritzanlage anstelle der beiden Mikuni-Vergaser den flüssigkeitsgekühlten Zweizylinder, doch deren Abstimmung schien anfangs nichts recht geglückt. Auf dem Papier gab’s jetzt zwar 82 statt 78 PS, doch in der Praxis wirkte die alte Vergaser-Version kräftiger, das Einspritzer-Modell nervte zudem mit Konstantfahrruckeln. Obendrauf gab’s immer wieder Kritik an den eher stumpfen Bremsen, an der nicht ganz geglückten Fahrwerksabstimmung und an Details wie zum Beispiel der benötigten hohen Kupplungshandkraft.
Doch der Koreaner an sich – eine an dieser Stelle zulässige und ausdrücklich gewünschte Verallgemeinerung – lernt sehr schnell und bessert rasch nach. Womit wir nun endgültig bei der Hyosung GT 650i Naked II wären. Den Hyosung-Neuling überraschen zuerst einmal die ziemlich erwachsenen Abmessungen der Koreanerin. Während bei (japanischen) Konkurrenzmodellen oft genug die kurzbeinige Fahranfängerin das Maß der Dinge zu sein schein, ist die GT 650i wie gemacht für ausgewachsene Männer. 830 Millimeter Sitzhöhe sind ein Wort, der üppige 17-Liter-Tank und der gar nicht so schmale, eine eher aufrechte und entspannte Sitzposition ermöglichende Lenker tragen ebenso zum XL-Arbeitsplatz bei. Der Soziusplatz auf der geänderten Sitzbank ist ein vollwertiger, der Abstand zu den Fußrasten stimmt, die Beifahrer-Haltegriffe sind absolut praxisgerecht – in dieser Klasse auch nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Das Cockpit gewinnt keinen Designpreis, ist aber übersichtlich und komplett bestückt. Die Spiegel zeigen genau das, was sie sollen
Der 90-Grad-V-Zweizylinder sieht zwar schwer nach Suzuki SV 650 aus, ist aber eine Eigenkonstruktion. Die etwas abweichenden Daten für Hub, Bohrung und Verdichtung machen glaubhaft, dass nicht einfach nur kopiert wurde. Nennen wir es mal „von der SV 650 inspiriert“. Der nominell 82 PS bei 9250/min leistende und maximal 67 Nm bei 7250/min stemmende V2 macht sehr schnell klar, dass er Drehzahlen benötigt, um die vollgetankt 212 kg schwere Fuhre samt Fahrer artgerecht in Wallung zu bringen. Auf schaltfaules Bummeln mit niedrigen Drehzahlen reagiert der Twin eher störrisch. Doch oberhalb von 5000 Touren zieht der kernig bollernde Motor sauber durch und spricht spontan auf die Befehle der Gashand an. Mit durchschnittlich 4,7 Litern Landstraßenverbrauch liegt die Hyosung noch so gerade eben im grünen Bereich.
Von der Fahrwerksfront gibt’s nur bedingt Erfolgsmeldungen. Die gute Nachricht: Im Vergleich zur ersten GT-Generation wuselt die GT 650i Naked II spürbar souveräner durchs Winkelwerk. Die schlechte Nachricht: Guter Japan-Standard ist das noch nicht, dafür arbeitet die in Zug- und Druckstufendämpfung verstellbare Upside-down-Gabel nicht feinfühlig genug. Und dafür ist das in nur der Federbasis zu variierende Federbein immer noch in der Zugstufe (also bei der Ausfederbewegung) gnadenlos überdämpft. Das sorgt dann in der buckligen Praxis dafür, dass das Heck gern mal ins Pumpen gerät und die Sache zu einer echten Herausforderung für die Bandscheiben wird. Doch die Angelegenheit lässt sich relativ einfach abmildern: durch massiven Soziusbetrieb! Richtig gelesen, je mehr Menschen gleichzeitig mit der GT unterwegs sind, desto besser benimmt sie sich. Das ist für überzeugte Solisten natürlich nur ein sehr schwacher Trost, aber für sie gibt es ja den einschlägigen Zubehörmarkt – früher haben wir ja auch erst mit nachgerüsteten Konis richtig Spaß gehabt. Für 1,90-Meter-Männer mit 70-Kilo-Sozia ist die Hyosung aber auch schon im Serienzustand eine gute Wahl. Platz ist wie gesagt vorhanden.
Absolut nichts mehr zu meckern gibt’s über die Vierkolben-Festsattelbremsen. Mit den neuen Stoppern verzögert die Koreanerin hervorragend. Fein dosierbar, vehement in der Wirkung und dabei jederzeit standfest – genau so soll das sein. Die bewährten Bridgestone BT 56 (120/60 ZR 17 vorn, 160/60 ZR 17 hinten) pfeifen ein munteres Liedchen, wenn es mal darauf ankommt, und zeigen ansonsten, dass sie noch lange nicht zum alten Eisen gehören.
Neben der Bremsanlage widmete sich Hyosung bei der Modellpflege auch der Lackqualität und dem Korrosionsschutz, die Verarbeitung ist durchweg recht ordentlich. Das neue Heck bekam ein LED-Rücklicht spendiert, ein ABS gibt’s aber leider immer noch nicht. Und genau das kann zum Knackpunkt beim Verkauf werden. Mit 5570 Euro inklusive Nebenkosten (als Sparmodell GT 650i Naked SE 5170 Euro) ist die Hyosung als Neumaschine zwar mindestens 900 Euro günstiger als vergleichbare japanische Konkurrenzmodelle, aber der Blockierverhinderer ist in der (Wieder-) Einsteigerklasse mittlerweile fast schon ein Muss. Erschwerend kommt hinzu, dass der Markt mit sehr guten jungen Gebrauchten aus genau dieser Kategorie gut bestückt ist.
Doch neben dem sehr günstigen Neupreis gibt es noch ein weiteres Argument, das die Hyosung dann doch noch zu einer überlegenswerten Alternative macht: Sie steht nicht an jeder zweiten Ecke, ihr Exoten-Bonus kann für Motorrad fahrende Freigeister durchaus attraktiv sein. Daran wird sich vermutlich so schnell auch nichts ändern, die im Grunde ihres Wesens recht konservative deutsche Motorradfahrer-Gemeinde wird vermutlich auch in näherer Zukunft ihre Korea-Vorurteile pflegen. Darauf wetten, dass das auch noch in ein paar Jahren der Fall sein wird, würde ich aber lieber nicht. Die Japaner haben wir auch mal ganz fürchterlich unterschätzt…
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