aus bma 4/99

von Jens Rother

Schon 1982 als 16jähriger MTX 80-Fahrer träumte ich von den XR 500 und später 600 R-Modellen mit ihren ellenlangen Federwegen, dem klassischen, luftgekühlten Einzylinder-Viertakter und einem spitzenmäßigen Aussehen. Ich bestellte zwar immer fleißig Prospekte von diversen Grauhändlern, las sämtliche erhältlichen Tests und saß auf den wenigen greifbaren Maschinen Probe, entschied mich bedingt durch die damals recht knappen finanziellen Mittel aber immer für alltagstauglichere Enduros.
Honda XR 600Anfang 1996 wollte ich mir dann endlich eine XR 650 L kaufen. Auch diese wird nur von Grauhändlern aus Amerika importiert und ist durch die werksmäßige Ausstattung mit kombiniertem Zünd-/Lenkschloß, gutem Licht und Blinkanlage sowie Sekundärluftsystem und E-Starter etwas stärker auf Straßenbetrieb ausgelegt. Als Verfechter des zumindest zusätzlichen Kickstarters hätte ich diesen eben noch nachgerüstet. Die Bestellung war auch schon aufgegeben, als mich der Händler anrief und die XRL plötzlich von einem Tag auf den anderen 500 DM teurer sein sollte. Da ich mich in diesem Moment verschaukelt fühlte, wurde die Bestellung natürlich annuliert. Nun bestand also wieder das Beschaffungsproblem. Eine Neue sollte es aufgrund des Preises erstmal nicht sein, bei gebrauchten Einzylindern ist die Fahrweise und Behandlungsmethode der Vorbesitzer schon sehr entscheidend für die Lebensdauer des Motors.
Auf eine Zeitungsannonce hin schaute ich mir dann interessehalber eine 600er vom Baujahr 93 bei einem, wie sich später herausstellte, begeisterten XR-Fahrer und Tester der ersten Stunde an. Diese Kiste hatte aber bereits die Baja California und noch einiges andere an Gelände gesehen. Glücklicherweise lebte besagter Mann einige Zeit in den USA und importierte mehrere XR’s in verschiedenen Hubraumgrößen. Unter anderem auch eine in Deutschland sehr seltene erste Version der 600er in Honda „Kampf-Orange”. Diese ’85er XR 600 RG befand sich in einem hervorragenden Zustand und lief in den Staaten nur als Campingmobil. Es war immer noch der erste Vorderrad-Crossreifen montiert und die Stollen kaum abgenutzt. Meine Einschätzung der Gesamtlaufleistung des Motorrades lag bei höchstens 3000 Kilometern. Nachdem ich beide Modelle probegefahren hatte, stellte sich heraus, daß die ältere Doppel- im Gegensatz zur neueren Einvergaser Version viel mehr Leistung besaß. Und dieses, obwohl beide Enduros offen und bei der ’93er sogar noch der Endschalldämpfer demontiert war.

 

Da stand nun mein früherer XR-Traum im Bestzustand und wartete nur darauf gekauft zu werden. Das tat ich dann auch zu einem recht hohen, aber angemessenen Preis und harrte der Dinge, die nun kommen mochten.
Als erstes stellte ich fest, daß meine mit zwei Keihin-Vergasern in Registeranordnung (2 x 30 mm Durchmesser) versehene XR laut Vollgutachten auf 26 PS gedrosselt sein sollte. Natürlich mit den Utensilien der Einvergaserversion – sehr lustig. Weiterhin war hinten die neuere 18 Zoll-Felge mit schmaler Bereifung eingetragen, was so gar nicht zu der serienmäßigen 17 Zoll-Felge mit aufgezogener 5.30er Bereifung paßte. Diese ganzen Verwechslungen können zustande kommen, da das Herstellerkürzel die 600er während sämtlicher Baujahre als PE 04 bezeichnet.
Honda XR 600Nun denn, ein über den Verkäufer kennengelernter XR-Fahrer mit wirklich allen nur denkbaren Eintragungen in seinem Brief wollte sich dieser Probleme annehmen. Ihm habe ich dann auch die Erweiterung des Gutachtens auf sechs Reifengrößen zu verdanken (80/100-21 51M, 3.00-21, 4.50-17, 110/100-17 64M, 120/90-17 und 130/80-17). Nur leider war der 5.30er nicht dabei, da er für die Felge zu breit sein sollte. Auch die Leistungsänderung auf 44 PS segnete der TÜV nicht ab, weil der Prüfer aufgrund des guten Zustands angeblich nicht glauben wollte, daß es sich um eine ’85er Version handelt. Das Typenschild mit dem Baujahr klebt zwar am Lenkkopf, aber das kann da ja schließlich jeder hinkleben – natürlich nur, wenn man eins besitzt! Dummerweise hatte ich auch, außer dem Gutachten, meine Original-Unterlagen nicht mitgegeben, was mich dann fürs erste meine offene Leistungseintragung gekostet hat. Erklärend muß ich hinzufügen, daß die Aktion über eine recht große Entfernung stattfand und somit aus Zeitgründen nicht sofort wiederholt werden konnte. Leider stellte mir dieser flüchtige Bekannte auch nie eine Briefkopie zur Verfügung, was wohl hinsichtlich seiner mehr oder weniger unmöglichen Eintragungen verständlich ist. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die XR noch im fast original amerikanischen Outfit, d.h. ohne Blinkanlage, Spiegel, Armaturen, mit Sportmaske vorn und 3,4 Watt Funzel hinten. Eine Batterie, Zünd- und Lenkschloß besitzen die US-Typen sowieso nicht (EU zumindest Lenkschloß).
Honda XR 600Ich begann als erstes damit, das Öl und den -filter zu wechseln sowie die Ventile einzustellen. Selbstverständlich mußte dabei auch die alte Zündkerze (NGK DPR 8 EA-9) dran glauben. Weiterhin beklebte ich die Startnummerntafeln mit neuer gelber Folie und lochte den Frontkotflügel zur besseren Motorkühlung. Dieses halte ich aufgrund der hohen thermischen Belastung und des normalen Ölinhalts des Motors von 2,3 Litern für dringend erforderlich. Der Kotflügel stammt ebenso vom Zubehörhersteller UFO wie die geprüfte H4-Lampenmaske und beide Komponenten tragen erstklassig zur martialischen XR-Optik bei. Mit selbstgebauten zwei mm starken Aluhalterungen und einem Paar Standrohrklemmen montierte ich schließlich den Scheinwerfer. Zuvor komplettierte ich aber anhand eines alten XL-Schaltplans den Kabelbaum und montierte XL 500 R-Armaturen, den Tacho mit Beleuchtung, den Notausschalter und die Hupe. Einen original Digital-Meilentripmaster ohne Beleuchtung besitze ich allerdings auch noch. Da bei der XR einige Kabel an den installierten Schaltern überflüssig sind und auch die Farben nicht immer übereinstimmen, mußte ich schon einige Versuche durchführen, bis endlich alle Funktionen ihren Zweck erfüllten. Weiterhin verbaute ich das geprüfte Rücklicht mit Kennzeichenhalter der Euroversion und den hinteren Bremslichtschalter einer MTX. Die Mini-Blinker stammen von Polo und sind vorn ebenfalls mit selbstgebauten Aluminium-, hinten jedoch mit Transalphaltern befestigt. Ein mechanischer Blinkgeber sorgt für die wechselweise Erhellung, was aufgrund der 10 W- Birnen aber eine längere Helligkeits- als Dunkelphase ergibt. Sämtliche Strippen und die Hauptsicherung entnahm ich einem VT 500 E-Kabelbaum und es kamen dabei doch ein paar Meter zusammen. Die 150 W-Lichtmaschine liefert natürlich nur bei laufendem Motor Strom. Allerdings reicht die Leistung selbst bei Standgas aus, um das Fahr-, Bremslicht und die Blinker gleichzeitig betätigen zu können. Als nächstes wechselte ich noch die Hebelhalter gegen welche mit Spiegelhalterungen, montierte MTX-Spiegel, baute eine zweite Seitenständerfeder ein und tauschte den Hinterradreifen gegen den Metzeler Enduro II in 130er Größe von meiner Unfall-Transalp.
Nun hatte ich die XR also weitestgehend gesetzeskonform umgerüstet und wollte endlich die 44 PS Eintragung erreichen. Zwar laufen im Prinzip alle Maschinen offen, aber die meisten dürften wohl nur 17-34 PS im Brief stehen haben. Aufgrund der verschärften Lärmvorschriften ist es sowieso unmöglich, diese Baureihe nach dem ’95er Baujahr aufzumachen. Nach unzähligen Telefonaten hatte ich dann schließlich zwei Händler gefunden, welche angeblich Gutachten für 32 kW besaßen. Bedingt durch die kürzere Entfernung entschied ich mich für einen Hannoveraner Grauhändler. Nachdem dann endlich im Frühjahr ’98 ein Termin zustande kam, stellte sich das Gutachten als Briefkopie heraus, Erfolgsgarantien wollte der Händler auch nicht geben und die am Telefon genannten Kosten von 195 DM erwiesen sich dann ohne eine saisonbedingte Erhöhung und Mehrwertsteuer. Der Spaß kostete letztendlich 250 DM plus TÜV-Gebühren. Allerdings war ich überglücklich, daß endlich sämtliche Widrigkeiten bezwungen waren und eine legale XR vor mir stand.
Der 591 ccm-Trockensumpfmotor (Bohrung x Hub, 97 x 80 mm) leistet 44 PS bei 6500 U/min und hat ein Drehmoment von 54 Nm bei 5000 Umdrehungen. Aufgrund der kurzen Geländeübersetzung von 14 zu 48 Zähnen läuft die XR trotz des geringen Gewichts von 135 kg vollgetankt laut Fahrzeugschein nur 125 km/h. Um den Motor nicht zu verheizen, fahre ich auf längeren Strecken höchstens 90 km/h, was nach Gehör auch schon eine recht hohe Drehzahl bedeutet. Ab dieser Geschwindigkeit fängt dann auch langsam die teilweise nicht ungefährliche Pendelei an. Diese wird durch die ganz auf Handlichkeit ausgelegte Fahrwerksgeometrie verursacht und ist u.a. von den verschiedenen Reifenprofilen abhängig.
Durch die Einpersonen-Zulassung wurde das Gesamtgewicht auf 234 kg begrenzt, anderenfalls müßte das Heck verstärkt und eine härtere Feder eingebaut werden. Mir ist die softe Auslegung von Gabel und Federbein mit ihren jeweils 280 mm Federweg lieber. Die insgesamt sehr weiche Abstimmung prädestiniert die gesamte XR-Baureihe für Hobbyzwecke. Wer Wettbewerbsambitionen hegt, sollte trotz der stark verbesserten Federelemente ab ’91 schon eine komplette Fahrwerksrenovierung in Betracht ziehen. Serienmäßig hat die Showagabel mit 43 mm Standrohrdurchmesser eine Luftdruckunterstützung und das über eine Aluschwinge mit ProLink-System angelenkte Federbein mit externem Ausgleichsbehälter vom selben Hersteller kann in Zug- und Druckstufe sowie der Federvorspannung verstellt werden.
Die Sitzhaltung ist leicht vornübergebeugt und der Abstand zwischen Sitzbank und Fußrasten sowie Lenker gewährleistet eine recht entspannte Position. Nach einiger Fahrzeit können Entspannungsübungen aufgrund der harten und schmalen Sitzbank aber nicht schaden.
XR-fahren macht eindeutig süchtig. Durch die extreme Handlichkeit kann schön durch enge Kurven gestochen werden, das Fahrwerk steckt zumindest auf schlechten Straßen alles weg und für schweres Gelände ist mir mein Oldie sowieso zu schade. Durch den metallisch harten Einzylindersound und die hohe Leistung bei gleichzeitig niedrigem Gewicht und kurzer Ubersetzung werde ich auch immer wieder zum starken Beschleunigen verführt. Den aufgrund eines Härtefehlers bei allen ’85er-Modellen schnell defekten zweiten Gang versuche ich dabei möglichst wenig zu belasten.
Bisher verbrauchte der Motor noch kein Öl und die Reichweite beim vorhandenen 10,5 l Benzintank liegt bei ungefähr 240 km (damit niemand rechnen muß: ca. 4,4 l auf 100 km). Bedingt durch die geringe Verdichtung von 9:1 und der gehärteten Ventilsitze verträgt der Motor anstandslos Normal bleifrei. Der Luftfilter besteht aus ölgetränktem Schaumstoff und ist über den mit Schnellverschlüssen versehenen Seitendeckel leicht zu erreichen. Der Leichtmetall-Kickstarter betätigt über einen Bowdenzug den Dekompressionsmechanismus. Bei kaltem Motor springt die XR spätestens auf den dritten Tritt an (Chokehebel am Vergaser je nach Außentemperatur auf die erste oder zweite Stufe). Bei wärmeren Ölverhältnissen läuft sie eigentlich immer auf den ersten Tritt, es sei denn, der Motor ist regelrecht abgesoffen. Dann muß zuerst der Brennraum bei ausgeschalteter Zündung, geschlossenem Benzinhahn und gezogenem Handdekohebel leergepumpt werden, um dann bei leicht geöffnetem Gasgriff den Motor durch einen beherzten Tritt wieder zum Laufen zu bringen. Dieses wird auch nicht durch die enorme Sitzhöhe von 940 mm behindert.
Der durch die langen Federwege und die große Bodenfreiheit hervorgerufene Hochsitz wird zumindest teilweise vom geringen Gewicht wieder ausgeglichen. Insofern ist ein absolut sicherer Stand immer gewährleistet. Die Leistung und Dosierbarkeit der Bremsen kann ich nur als gut bezeichnen. Vorn arbeitet eine Scheibenbremse mit 240 mm Durchmesser und hinten eine Trommelbremse mit recht bescheidenen 110 mm.
Bisher bin ich mit meiner XR sehr zufrieden – wie kann es, wenn auch mit Schwierigkeiten verbunden, bei der Erfüllung eines Traums anders sein.