aus Kradblatt 9/23 von Gregor Schinner, www.zweirad-online.de
Fotos: Schinner, Honda
Der Alpen-Express ist zurück!
Nach rund zehnjähriger Abstinenz schickt Honda einen prominenten Namen zurück in den Ring. Die Transalp, welche erstmals 1987 das Licht der Welt erblickte, wurde zuletzt 2012 als NT700V (RD15) noch mit V-Motor angeboten, ehe Honda sich der großen V4 Offensive verschrieb und der deutlich potentere Crossrunner die abenteuerlustige Kundschaft unterhalb von Crosstourer und Varadero abholen sollte.
Doch der Erfolg des kleineren V4 wollte sich im Adventure-Segment nie so recht einstellen. Stattdessen schossen bei der Konkurrenz leistungsstarke Parallel-Twins im mittleren Hubraumsegment wie Pilze aus dem Boden und zwangen so auch Honda zu einer Reaktion: Herausgekommen ist dabei neben der neuen CB750 Hornet auch die wiederbelebte XL750 Transalp, welche sich beide den neuen 755 cm³-Parallel-Zweizylindermotor mit 8 Ventilen teilen, der bei 9.500 U/min stramme 92 PS ans Hinterrad schickt.
Mit der Transalp will man bei Honda die Lücke füllen, die sich zwischen der ebenfalls relativ leichten, aber dennoch wuchtigeren Africa Twin und der deutlich mehr der Straße verpflichteten NC750X auftut. Ein Motorrad für alle Tage, mit dem man trotzdem mal einen Schotterweg oder eine Motorradreise angehen kann, ohne gleich das große Offroad-Besteck aufzufahren.
Dass die XL750 auch mal abseits befestigter Straßen bewegt werden darf, macht schon die Kombination aus großen 21/18 Zoll Vorder- und Hinterrad mit Aluminium-Speichenfelgen und Dunlop Trailmax Mixtour Bereifung deutlich. Dazu gesellt sich mit der 43 mm Showa Upside-down-Gabel (Federweg 200 mm) und der Hinterradschwinge mit Pro-Link-Umlenkung und Mono-Stoßdämpfer (Federweg 190 mm) ein durchaus potentes Fahrwerk. Die Bodenfreiheit gibt Honda mit 210 mm an.
Ebenfalls neu an der Transalp ist der sogenannte „Diamant“-Stahlrahmen, der gerade einmal 18,3 kg auf die Waage bringt und erheblich zum erfreulich niedrigen Gesamtgewicht von 208 kg (fahrfertig) beiträgt. Die Sitzhöhe von 850 mm ist für eine Mittelklasse-Reiseenduro so weit normal, für kleinere Fahrer bietet Honda gegen 180 € Aufpreis eine um 20 mm niedrigere Sitzbank an.
Doch genug der drögen Daten, es wird Zeit für eine Ausfahrt, auch wenn es für die Alpenüberquerung heute nicht reicht.
Lautstark und kernig teilt der Reihentwin mit 270° Hubzapfenversatz nach dem Druck auf den Starterknopf seine Arbeitsbereitschaft mit. Zwar hackt er auch bei milden 2.000 U/min nicht auf der Kette herum, echten Schub gibt es aber erst ab rund 3.000 Touren. Im normalen, touristischen Fahrbetrieb kommt man flott voran, wenn man zwischen 4.000 und 5.000 U/min den nächsten Gang einlegt. Für Überholmanöver ist dann immer noch reichlich Reserve vorhanden, die allerdings mit einer – für meinen Geschmack – durchaus als aufdringlich zu bezeichnenden Soundkulisse einhergeht. Über 6.000 U/min gibt es satten Vortrieb, aber auch ordentlich was auf die Ohren – in dem Bereich passt der Antrieb besser zur giftigen Hornet als zur (gedanklich gemütlichen) Transalp. Wer das Drehzahlband komplett ausnutzt, fühlt sich dann auch eher wie auf einem Sportmotorrad als auf einer Reiseenduro. Ach ja, die unsägliche 95 dB Tirol Standgeräusch-Hürde überspringt – bzw. unterbietet – die Transalp trotzdem mit eingetragenen 94 dB noch gerade eben so.
Der Motor wurde von mir überwiegend im sogenannten „Sport“-Modus betrieben, eines von insgesamt vier vorprogrammierten Motor-Mappings. In den anderen Modi (Standard, Rain, Gravel) geht es entspannter zu. Ein fünfter Modus kann individuell vom Fahrer gemixt werden, hier lassen sich neben dem Leistungseinsatz auch die Traktions- und Wheelie-Kontrolle sowie das ABS anpassen.
Alles lässt sich intuitiv über die Kontroll-Wippe an der linken Lenkerarmatur bewerkstelligen. Das von einigen Kontrollleuchten flankierte 5 Zoll TFT-Cockpit ist gut ablesbar und bietet verschiedene Darstellungsmöglichkeiten von Tacho und Drehzahlmesser inklusive einer Fülle von Anzeigen, deren Position vom Fahrer nach seinen Wünschen konfiguriert werden kann. Dazu beherrscht es eine einfache Navigation über die Honda RoadSync-App, die dazu auf dem eigenen Android- oder iOS-Smartphone installiert sein muss. Via Bluetooth kommuniziert die App mit dem Fahrzeug und gibt die Sprachansagen der Navigation dann auf gleichem Wege an einen Helm mit entsprechender Bluetooth-Konnektivität weiter.
Tatsächlich fühlt sich die Transalp im Fahrbetrieb ein wenig nach Reiseenduro light an, wenn man den potenten Motor mal ausklammert. Die Handlichkeit am nicht zu breiten Lenker weiß durchaus zu gefallen, auch wenn die aktuelle „Transe“ (wie sie unter Transalp-Fans liebevoll genannt wird) kein Handling-Wunder ist, denn hier fordert vor allem das große 21 Zoll Vorderrad seinen Tribut: die entsprechenden Kreiselkräfte stemmen sich stärker gegen zackige Richtungswechsel, als ein 17 Zoll Guss-Rad. Dennoch bleibt ein gewisser Abstand zu den Big Enduros à la Africa Twin & Co. Die Transalp ist kompakter, auf das Wesentliche reduziert und kommt nicht so wuchtig daher. Mehr Motorrad braucht man zumindest für transeuropäische Reisen – und wohl auch darüber hinaus – eigentlich nicht.
Der Bordcomputer ermittelte für unsere Ausfahrt einen Verbrauch von ca. 4,2 Liter Superbenzin auf 100 km, im Langzeitspeicher fand sich ein Wert von 4,7 Liter, das wären mit dem knapp 17 Liter fassenden Tank immer noch entspannte 350 km Reichweite. Als Werksangabe nach WMTC nennt Honda 4,4 Ltr/100km.
Die Abstimmung der Federelemente ist für den Alltag gut gelungen, vor allem an der Vorderradgabel. Beide schlucken kleinere Unebenheiten sehr kommod weg; wird es jedoch etwas gröber, kommt die Hinterhand nicht mehr ganz mit und schwingt ein wenig nach. Die engagierte Hatz im Winkelwerk verwässert das eher weiche Fahrwerk, das korrekte Einstellen der Federbasis bringt eine Verbesserung. Doch ein engagierter Knieschleifer wird wohl ohnehin nicht zum anvisierten Kundenkreis der Transalp zählen und schwere Fahrer greifen zu einem Federbein aus dem Zubehör.
Stabil und überzeugend präsentiert sich dagegen die 310 mm Doppelscheiben-Vorderradbremse im Verbund mit der 256 mm Einscheiben-Hinterradbremse. Klarer Druckpunkt, gute Dosierung und mehr als ausreichende Verzögerung – hier gibt es nichts zu meckern. Ebenfalls ohne Kritik kommt das verbaute Sechsganggetriebe davon. Die Schaltwege sind zwar eher lang, die Schaltvorgänge gelingen aber jederzeit leicht und präzise; dazu braucht es wenig Handkraft am Kupplungshebel. Der optional lieferbare Quickshifter war an der Probefahrtmaschine nicht verbaut. Er würde den sportlichen Charakter des Motors wohl noch mehr hervorheben, wenn der Fahrer darauf Wert legt.
Der Windschutz mit der ab Werk verbauten, nicht verstellbaren kleinen Scheibe geht so weit in Ordnung. Die Scheibe nimmt gut Druck vom Oberkörper und sorgt zumindest bei Fahrern um die 1,80 m Körpergröße für eine gleichmäßige Anströmung des Helms. Optional gibt es von Honda eine hohe Scheibe und ein Windabweiser-Set, aber auch der Zubehörmarkt wird hier sicher bald aktiv werden. Honda selbst bietet 25 Anbauteile für die Transalp an, die es entweder einzeln oder in fünf verschiedenen Paketen mit entsprechendem Preisvorteil zu kaufen gibt. Das Zubehör dreht sich hier vor allem um die Themen Gepäck und Komfort und bietet so die Möglichkeit, die Basis-Transalp zur persönlichen Tourenkönigin aufzurüsten.
Die von uns gefahrene Maschine im Farbton „Matt Ballistic Black Metallic“ wirkt sehr edel, für den eingefleischten Honda Fan wird es trotz 300 € Aufpreis aber wohl eher „Ross White Tricolor“ inkl. goldfarbener Felgen werden, schon wegen der optischen Nähe zur Ur-Transalp. Alternativ steht mit „Matt Iridium Gray Metallic“ ein etwas helleres Grau zur Verfügung.
Bei 10.590 € (inkl. Überführung) beginnt der Einstieg in die neue Transalp-Welt. Wer im Konfigurator Tricolor als Farbe wählt und bei allen Zubehöroptionen ein Häkchen setzt, landet schließlich bei rund 16.000 €. Spätestens dann dürften aber auch anspruchsvolle Tourenfahrer kaum noch etwas an der neuen Transalp vermissen. In der Praxis wird man irgendwo dazwischen landen und bekommt dafür – wie von Honda gewohnt – ein praktisches, funktionsorientiertes und hochwertig verarbeitetes Motorrad mit einem breitem Einsatzgebiet.
Alle Infos und Probefahrten gibt es bei den Honda Vertragshändlern.
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