aus bma 7/01

von Jens Riedel

Honda XL 125 V VaraderoDa werden sich die Werbeleute von Honda in Offenbach mächtig geärgert haben, dass die Marketingstrategen von VW schon auf den Spruch „So groß kann klein sein“ gekommen sind. Denn mehr noch als auf den so beworbenen Polo trifft dieser Charakter auf die neue Varadero 125 zu. Sicher, eine 125er bleibt eine 125er, aber noch nie wirkte ein Leichtkraftrad bislang so erwachsen.
Keine Frage, der 125er-Markt boomt, aber irgendwann ist auch eine Sättigungsgrenze erreicht und die Hersteller müssen sich dann schon ein wenig mehr anstrengen, um die Kunden für sich zu gewinnen. Nach der Chopper-Welle auch bei den Leichtkrafträdern beweist Honda mit der Varadero Mut zur Lücke. Auf der Intermot im September letzten Jahres in München zählte die Maschine zu den Überraschungen und stahl so manchem anderen Neuling die Schau. Kein Wunder, denn die Kleine kopiert das tolle Styling ihrer großen Reise-Enduro-Schwester mit 1000 Kubik nahezu perfekt. Wo Varadero draufsteht ist in diesem Fall auch Varadero drin. Auf den ersten Blick geht die Miniatur-Ausgabe des dicken Vorbildes gut und gerne auch als 350er durch.

 

Honda XL 125 V VaraderoAuf dem Hof von Kindel & Wetzel in Elmshorn, wo wir die Kleine für den Fahrbericht abholten, zeigte sich selbst ein 750er-Fahrer vom klasse Outfit und der nicht gerade zierlichen Erscheinung der 125er beeindruckt. Auch die ansprechende Lackierung der Verkleidung ist genau wie beim großen Vorbild wahlweise in Blau, Schwarz oder Rot bei immer silbernem Tank zu bekommen und ein echter Eye-Catcher. Ungeniert darf unterwegs die Hand zum Bikergruß gehoben werden – der Gegenverkehr auf Zweirädern grüßt in der Regel zurück, weil die kleine Honda deutlich wuchtiger erscheint, als sie tatsächlich ist.
Für knapp 9000 Mark bekommt der Käufer ein kleines, aber feines Motorrad, das Honda-typisch gut ausgestattet und perfekt verarbeitet ist. Weder auf eine Motor-Temperaturanzeige noch auf eine Digitaluhr im Cockpit muss der Fahrer auf der kleinen Varadero verzichten. Selbst die Blinkerkontrolle funktioniert für jede Seite extra, und die helle Leerlaufanzeige ist auch bei Tageslicht gut zu erkennen. Nur die Fernlichtkontrollleuchte kommt ziemlich blass daher und ist auch noch in Lila statt im üblichen Blau gehalten.
Die Spiegel bieten trotz kurzer Ausleger gute Rücksicht. Die tolle Sitzbank passt ergonomisch perfekt und bietet auch dem Sozius üppig Platz. Allerdings ist es fraglich, ob man gerne mit einer 125er im Zwei-Personenbetrieb unterwegs ist, auch wenn sie hinten noch so einladend gepolstert ist. Mit 80 Zentimetern Sitzhöhe für den Piloten hat Honda ein gutes Mittelmaß gefunden, das zur Optik paßt, ohne kleinere Fahrer gleich abzuschrecken. Mittelgroße Menschen müssen beim Anhalten allerdings auch schon ein wenig die Zehen strecken, um sicheren Halt zu bekommen. Die Sitzposition ist aufrecht bequem und man behält beste Übersicht, lediglich der Lenker hätte ruhig ein Stückchen breiter und höher ausfallen können. Die kleine Scheibe erfüllt ihre Aufgabe ganz achtbar, wer noch weniger im Wind sitzen will, bekommt als Originalzubehör ein deutlich größeres Schild, mit dem die Kleine noch ein Stück erwachsener aussehen dürfte.
Honda XL 125 V Varadero Rekordhalter unter den Kleinen ist die Varadero 125 in Sachen Tankvolumen: 17 Liter nimmt die XL 125 V mit an Bord. Honda verspricht Reichweiten bis 400 Kilometer. Da kann die Mannschaft ganz getrost ohne Benzingeld in der Tasche zum Sonntagsausflug starten. Und für den Picknick-Korb ist auf der serienmäßigen Gepäckbrücke auch noch genug Platz. Unter der Sitzbank gibt es außerdem noch ein akzeptables Staufach.
Nicht ganz zum hochwertigen Auftritt passen der etwas wackelige und umständlich zu handhabende Benzinhahn sowie der unten zwischen den beiden Zylindern platzierte Choke. Auch das hervorstehende Tankschloss bedarf in der Bedienung ein wenig Übung. Ärgerlich, aber bei Honda ja nicht ungewöhnlich: Man weiß beim Benzinfassen nicht, wohin mit dem Tankdeckel.
Doch wer erst einmal unterwegs ist, der hat diese zwei, drei kleinen Minuspunkte schnell vergessen. Die Varadero beweist, dass man auch mit 15 PS und maximal 110 km/h Spitzengeschwindigkeit durchaus Spaß haben kann. Vorausgesetzt die „geschrumpfte“ Ausgabe der Varadero bleibt auf kurvigen Landstraßen. Zwar fühlt man sich selbst auf der Autobahn mit dem wassergekühlten V 2 nicht gänzlich verloren, aber ihre Stärken spielt die 125er auf dem Lande zwischen Dörfern, Wiesen und Wäldern aus. Sie folgt in Kurven stoisch der gedachten Linie und steckt holperigen Asphalt klaglos weg. Das Handling ist tadellos. Die Stoßdämpfer haben vorne und hinten jeweils 150 Millimeter Federweg. Sie sind eher straff ausgelegt, aber diese Abstimmung geht nicht zu Lasten des Komforts.
Honda XL 125 V VaraderoAuch beim Bremsen braucht sich das kleine Schmuckstück nicht zu verstecken. 276 Millimeter mißt die von zwei Kolben gepackte Scheibe vorne, hinten sind es 220 Millimeter und ein Kolben. Beide Stopper sprechen sanft an, so dass Neulinge und Wiedereinsteiger problemlos zu Recht kommen. Bei Gefahr sollte allerdings ruhig etwas beherzter zugepackt werden, um das Verzögerungspotenzial auch richtig auszuschöpfen.
Der kleine Motor ist hinlänglich aus der Shadow 125 bekannt und natürlich nix, um Gummi in den Asphalt zu brennen. Er hängt unter einem Zentralrohrrahmen mit doppelten Unterzügen und trägt trotz Wasserkühlung zur Freude des Auges viele feine Zylinderrippen zur Schau. Ist der extrem kurz ausgelegte erste Gang erst einmal überwunden schnurrt die Maschine zwischen 4000 und 7000 Umdrehungen klanglich ganz passabel vor sich hin. In höheren Drehzahlregionen mutiert die XL 125 V dann aber doch unmissverständlich zur „Zwiebacksäge”. Der rote Bereich beginnt bei 12 000 Umdrehungen. Schalten ist bei 125 Kubik verteilt auf zwei Zylinder natürlich angesagt, zumal die Mini-Reise-Enduro mit 167 Kilogramm Leergewicht nicht zu den Leichtgewichten ihrer Klasse zählt. Da macht sich vor allem das üppige Tankvolumen bemerkbar, denn trocken bringt die Honda „nur“ 149 Kilo auf die Waage.
Unter 4000 U/min sollte man tunlichst die Finger von der recht leichtgängigen Kupplung lassen. Wer kommod Gas gibt, tummelt sich beim Hochschalten zwischen 5000 und 7000 Umdrehungen und darf sich gleichzeitig auch noch am passablen Sound erfreuen. Für schnelleren Anschluss im Verkehr dürfen es dann aber gerne noch einmal 1- bis 2000 Touren mehr auf der Uhr sein. Das Fünf-Gang-Getriebe lässt sich auch bei hoher Drehzahl butterweich schalten und gibt kaum einen Mucks von sich. Ein Sekundärluftsystem (Euro 1) sorgt für ein bereinigtes Umweltgewissen.
Keine Frage, mit der kleinen Varadero ist Honda nicht nur optisch ein großer Wurf gelungen. Die XL 125 V dürfte nicht nur das Herz der jungen Leichtkraftradfahrer erobern, sondern auch erste Wahl für die Kunden sein, die in den Genuss der Klasse-3-Regelung kommen. Selbst einer ausgiebigen Wochenendtour oder einer kleinen Urlaubsreise steht dank üppiger Platzverhältnisse und immerhin 180 Kilogramm Zuladung nichts im Wege. Für viele andere Biker bleibt die schmerzliche Erkenntnis, dass zwischen Mini-Varadero und Transalp jetzt bei Honda eine Lücke klafft. Bei einer Varadero mit – sagen wir einmal – 450 Kubikzentimetern Hubraum, 45 Pferdchen in den beiden Zylindern, 155 km/h Spitze und rund 11 500 Mark Anschaffungspreis würde der Autor dieses Berichtes jedenfalls sofort ungesehen einen Kaufvertrag unterschreiben.