aus bma 12/05 von Helmut Grigull

Honda XL 1000 V Varadero Juni 2003. Luft 28°C, Feuchtigkeit satt. Die VFR muß zur Inspektion in der Hobbythek bleiben, und ich möchte irgendwie nach Hause. Um mich vor der demütigenden Erfahrung zu bewahren, in Lederkutte Bus und S-Bahn benutzen zu müssen, gewährt mir mein Dealer ein Leihkrad.
Von Leihmaschinen nicht unbedingt verwöhnt, würde es mir schon genügen, wenn das Gefährt ohne Panne zwei Tage durchhielte. Wir betrachten den umfangreichen Fahrzeugpark: „Willste was Schnelles, was Aufrechtes, was Gechoppertes?” Von der VFR noch etwas bucklig, wünsche ich: „Bitte gerade sitzen.” „Das sollste kriegen!”
Varadero XL 1000 V heißt das Schätzchen, ist so gut wie neu und im Gegensatz zu den gewohnten griechischen Leihmopeds ist alles dran, was drangehört. Dann also aufklettern und zur Tankstelle fahren. Leihmopeds sind immer leer, egal ob in Santorini oder in Hameln. Hinein passen 24,5 Liter. Theoretisch. Soll keiner glauben, daß ich den Kübel vollkippe. Bei meiner Körpergröße von 1,80 m erreichen die Paddelspitzen gerade noch den Boden. Nehme ich die Treter auf die Fußrasten, winkeln die Knie moderat flach, arthrosefreundlich angenehm. Auch der Oberkörper bleibt gerade, aufrechter gehts nimmer. Mehr Stehhilfe als Sitzplatz. Gute Fernsicht, fast wie auf einem Hochsitz. Scheint so, als ließe sich’s in dieser Stellung stundenlang aushalten.
Einen Hauptständer kann ich nicht entdecken, dafür eine Warnblinkanlage. Falls die Länge eines Zündschlüssels den Grad der Sicherheit bestimmt, ist man bei Honda auf der todsicheren Seite. Wie schon bei anderen Modellen wird dem Biker ein scharfkantiger Mörderstichel zugemutet, der mit seinen acht Zentimetern Gesamtlänge jedem Taschenfutteral den Garaus macht.
Zum Starten gibt’s ein Hebelchen, das die Leerlaufdrehzahl anhebt. Bei der vorherrschenden Bullenhitze kann ich das Ding sofort wegschieben. Die Kupplung trennt erfreulich leichtgängig, die Schaltwege erscheinen relativ lang. Der Motor greift aus dem Stand, zieht glatt los, ohne zu humpeln. Die 996 ccm husten gelangweilt in den Katalysator.
Ohne die Pupillen senken zu müssen, erkenne ich auf dem analogen Tacho direkt im Blickfeld eine Zahl oberhalb der Ortsgeschwindigkeit. Habe ich nicht bemerkt. Ebenso wenig habe ich die Gänge mitgezählt. Scheint eh wurscht. Ob der Drehzahlmesser 2000 oder 3300 U/min anzeigt, macht wenig Unterschied. Zwar spüre ich das Pochen der zwei fetten Kolben, aber die Vibrationen zeigen gutmütigen Charakter. Kein untertouriges Klappern oder Schütteln, eher ein anheimelndes Bubbern, kräftig und zuverlässig wie der Herzschlag eines unterforderten Athleten. Jetzt aber nicht einnickern.
Auf der zweispurigen B 217 darfs mal etwas mehr sein. Ich weiß immer noch nicht, in welcher Fahrstufe. Dann irgendwann ist Ende, das war der letzte Gang, vermutlich der sechste. Zieht aber immer noch schön. Der Motor hat noch reichlich im Ei, als ich bei 150 km/h fast gesetzes-treu zudrehe. Dabei ist der Winddruck gar nicht schlimm, das neckische Scheibchen hält doch mehr ab, als ich erwartet hatte.
Im Display sehe ich, wieviel Liter pro 100 km verbraucht werden. Knöpfchen drücken, dann haben wir einen Tageskilometerzähler.
Meistens geht es ja geradeaus, doch falls nicht, ist eine Schwebeübung fällig. In engen, winkligen Kehren möchte die Varadero bitteschön gelenkt werden. Einfach nur Reinkippen reicht nicht. Da man hoch sitzt, kann man auch tief fallen. Das bremst den Enthusiasmus fürs Erste. Anfangs habe ich den Eindruck, das Ding will gar nicht um die Ecke, dann überwinde ich schließlich das eigentliche Hindernis, nämlich meine Höhenangst und schmeiße den Bock mit Nachdruck in die gewünschte Richtung. Die Reifen, 110/80 R19 vorne und 150/70 R17 hinten, tragen gottlob keine Stollen, sondern Straßenprofil. Ein Indiz, daß die Bewegungen am ausladenden Lenker nicht vom Eigenleben rutschender Gummis ausgehen, sondern einfach durch den langen Hebel ungewohnt deutlich übertragen werden.
Wie viele Modelle von Honda verfügt auch die Varadero über das kombinierte Bremssystem Dual-CBS. Es gilt den Schwung von 245 kg Trockengewicht und maximal 201 kg Zuladung zu verbraten, die ich gottlob (noch) nicht ausschöpfe. Gerade vor 20 Minuten von der VFR 800 auf die XL gestiegen, kann mir die Bremse der XL nun keine Steigerung bieten, wird ihrer Aufgabe aber durchaus gerecht.
Am nächsten Tag habe ich mich mit den Eigenheiten der Varadero angefreundet. Was gestern ein schlichtes Fortbewegungsmittel war, beginnt Spaß zu machen. Für einen Ritt abseits des Asphalts fehlt leider die Zeit, so bleiben meine Erfahrungen auf einige Straßenkilometer begrenzt. Das Dahinschiggern in luftiger Höhe, ohne aufs Schalten achten zu müssen, hat seinen Reiz. Schade, bis zur nächsten Inspektion dauert es noch ein wenig.