aus bma 7/00

von Klaus Herder

Die meisten Techniker, das größte Budget und das umfangreichste Know-how halfen gar nichts: In der prestigeträchtigen Superbike-WM räumte in den letzten Jahren mit schöner Regelmäßigkeit ein gewisser Herr Fogarty ab. Und der fuhr ausgerechnet Ducati, nichtHonda VTR 1000 SP1 Honda. Dabei hatte sich die Honda Racing Corporation (HRC) mit der RC 45 so viel Mühe gegeben. Doch mit Ausnahme des etwas glücklich errungenen WM-Titels 1997 und Achtungserfolgen auf der Isle of Man konnte der 750er-V-Vierzylinder die in ihn gesteckten Erwartungen nicht erfüllen. Der Glaubenskrieg zwischen japanischer Vierzylinder-Präzision und italienischer V2-Kunst war schon lange zugunsten der Zweizylinder ent- schieden. Ende 1999 lief die Homologation (Rennzulassung) der RC 45 für die Superbike-WM aus. Zeit für einen Neuanfang, und genau den wagte Honda mit dem bekannten Hang zum Perfektionismus: mit der SP-1.
Die Japaner versuchten erst gar nicht, das urjapanische Vierzylinder-Konzept weiter zu entwickeln: „Der V-Zwo hat gewonnen. Okay – dann bauen wir eben auch einen. Und zwar einen noch Besseren.” So die Kampfansage aus Fernost. Nun begab es sich, dass seit 1997 mit der VTR 1000 F eine in Sachen Hubraum und Zylinderzahl durchaus passende Serienmaschine im Honda-Programm angeboten wird. Doch die war eigentlich nie als Rennerle gedacht, sondern eher als braver Allround-Sportler für den verschärften Landstraßeneinsatz. Die durch HRC- Ingenieure verstärkte Entwicklungsmannschaft konnte aber immerhin ein paar Konstruktionsmerkmale (90-Grad-V-Motor, Vierventil-Zylinderköpfe), rund zehn Prozent der Motor-Innereien und den größten Teil der Typenbezeichnung gebrauchen. Den Rest gab’s neu. Wo bei der F Ketten für den Nockenwellenantrieb verantwortlich sind, sorgen bei der SP-1 Zahnräder für Rotation. Mehr Bohrung, weniger Hub, erhöhte Verdichtung, eine Einspritzanlage anstelle von zwei Vergasern – das sind nur ein paar der wesentlichen Änderungen. Der Kat blieb auf der Strecke, immerhin bekam die SP-1 ein Sekundärluft-System spendiert. Mehr Drehzahl, mehr Drehmoment und mehr Leistung waren die Entwicklungsziele. Wo sich die F mit 110 PS bei 9000 U/min und 96 Nm bei 7000 U/min bescheidet, leistet die SP-1 132 PS bei 9500 U/min und stemmt satte 102 Nm bei 8500 Touren auf die Kurbelwelle.

 

Honda VTR 1000 SP1Der F-Rahmen landete in der Altmetallsammlung, der SP-1-Brückenrahmen aus Leichtmetall-Profilen ist eine komplette Neukonstruktion. Und was für eine: Da, wo fast alle anderen Motorräder einen Lenkkopf haben, herrscht bei der SP-1 gähnende Leere. Genauer gesagt versteckt sich dort der Einlasskanal des zwischen den Scheinwerfern beginnenden Lufteinlasses – Ram-Air, Sie verstehen. So ganz ohne Lenkkopf geht’s dann natürlich doch nicht, doch das Ding stört nicht weiter. Im Wege steht da schon eher eine elektrisch betätigte Steuerklappe, die bei niedrigen und mittleren Drehzahlen dicht macht, obenrum die Klappe aber ziemlich aufreißt. Doch das muss so sein und soll in allen Bereichen für schön viel Durchzug sorgen. Die mit 20 Prozent mehr Volumen gesegneten Kühler sind wie bei der F seitlich montiert, ihr Wirkungsgrad legte um beeindruckende 125 Prozent zu. Die Leichtmetall-Hinterradschwinge ist zur Abwechslung mal wieder im Rahmen gelagert, das voll einstellbare Showa-Federbein ist am Motorgehäuse und am Rahmenquerträger angelenkt. Honda verbaute an Serienmaschinen bislang nur sehr selten Upside-down-Gabeln, doch die SP-1 bekam eine spendiert – voll einstellbar, ist ja klar. An dieser Gabel gibt’s eine echte Besonderheit: die Bremszangen-Halter. Die serienmäßigen Nissin-Vierkolbensättel sitzen nämlich nicht an unverrückbaren Aufnahmen, sondern an verschraubten Adaptern. Das macht die Umrüstung auf Rennbremsen einfach und deutlich günstiger, als wenn komplette Gabelteile getauscht werden müssten.
Die Sitzprobe auf der SP-1: Es ist ziemlich spektakulär, wie unspektakulär der Pilot auf dem vermeintlichen Supersportler untergebracht ist. Die Lenkerstummel sitzen nichtHonda VTR 1000 SP1 extrem tief, und die in moderaten 78 Zentimetern Höhe untergebrachte Sitzgelegenheit ist straff, aber nicht unbequem gepolstert und fast schon tourenmäßig breit. Der 18-Liter-Tank baut nicht zu lang und ist dort, wo die Knie hingehören auch nicht zu breit geformt. Die Fahrer-Fußrasten sind zwar verhältnismäßig hoch und einen Tick zu weit vorn montiert, bereiten Menschen bis 1,90 Meter Körperlänge aber keine Probleme. Über den Soziussitz sollte man lieber schweigen. Der ist zwar theoretisch in Form eines anstelle der Bürzelabdeckung zu montierenden Sitzbrötchens vorhanden, in der Praxis aber nur von Freunden der Sado/Maso-Szene zu nutzen. Der Fahrer sitzt mehr auf als in der Maschine und gefühlsmäßig irgendwo über dem Vorderrad, doch das ist durchaus bequem und länger als eine Renndistanz auszuhalten.
Die Handhebel lassen sich ans persönliche Pranken-Format anpassen, die Kupplung benötigt nur wenig Handkraft, nur das Cockpit irritiert anfangs etwas. Die digitale Geschwindigkeitsanzeige kennen zumindest Renault-Fahrer schon, und die Ablesbarkeit ist gar nicht so übel. Das Balkendiagramm des digitalen Drehzahlmessers ist dafür einfach nur ärgerlich, weil dauerhaft unübersichtlich. Honda ist aber sehr stolz darauf, dass das komplette Cockpit gerade mal 360 Gramm wiegt. Schuld am satten Kampfgewicht von fahrfertig 223 Kilogramm sind die Instrumente jedenfalls nicht. Eine CBR 900 RR wiegt satte 25 Kilo weniger, doch die hat auch keinen für den Renneinsatz tauglichen und damit besonders üppig dimensionierten Rahmen.
Das Startverhalten ist kalt wie warm tadellos. Allerdings benötigt der V-Zwo eine ausgeprägte Warmlaufphase mit sensibler Gasunterstützung. Der erste Gang des Honda VTR 1000 SP1spielend leicht zu schaltenden Sechsganggetriebes ist recht lang, theoretisch bis deutlich über 100 km/h übersetzt. Zusammen mit der bis 2000 U/min etwas ruppigen Gasannahme ist innerstädtischer Feierabendverkehr nicht unbedingt das reine Vergnügen, doch hinterm Ortsausgangsschild kommt motormäßig nur noch Freude auf. Bis etwa 5500 Touren schiebt der Twin ungemein kraftvoll und kultiviert vorwärts. Darüber packt die SP-1 den Hammer aus und katapultiert die Fuhre heftigst in Richtung Führerscheinverlust. 100 km/h liegen nach gut drei Sekunden an, sechs Sekunden später stehen 200 km/h auf der Uhr, und bei 270 km/h rennt die SP-1 in den bei 10500/min einsetzenden Begrenzer. Wir erinnern uns: Die SP-1 ist ein Zweizylinder. Das eigentlich Überraschende ist, dass sich selbst SP-1-Neulinge bei solchen Fahrleistungen nie unsicher fühlen. Hondas neue Superbike-Basis ist kein kapriziös zu bedienendes Sensibelchen, sondern ein voll alltagstauglicher Sportler, der es seinem Fahrer so einfach wie möglich macht, sauschnell zu sein. Motor, Fahrwerk und Bremsen sind jederzeit gut berechenbar. Keine Launen, keine Macken – einfach nichts. Doch, eine Macke hat der Bock: er säuft. Unter sieben Liter sind kaum machbar und neun Liter bei verschärfter Gangart völlig normal. Nein, Super – der Motor verlangt nach Hochoktanigem.
Gabel und Federbein sind keine Hardliner. Ganz im Gegenteil: Wenn die vorderen Nissins mal wieder kräftig und dabei brillant dosierbar zubeißen, geht die Front ziemlich stark auf Tauchstation, etwas mehr Progression täte den Gabelfedern ganz gut. Aus flott gefahrenen Kurvenkombinationen heraus geht’s umgekehrt. Die SP-1 packt alle Last aufs fette 190er-Hinterrad und wird an der Vorderhand ziemlich leicht. Messerscharfe Lenkpräzision ist dann nicht mehr ihr Ding, der Fahrer muss schon etwas arbeiten, um auf Kurs zu bleiben, Körpereinsatz ist gefragt. Doch wie gesagt: Die SP-1 bleibt dabei immer gut berechenbar.
Wenn man nicht wüsste, dass das Ding als Rennmaschinen-Basis gedacht ist, würde die hervorragend verarbeitete VTR 1000 SP-1 glatt als gelungener Allround-Sportler durchgehen. Womit wir beim eigentlichen Problem wären: Das Teil kostet nämlich 26.480 Mark. Das ist für eine Rennmaschine konkurrenzlos günstig, für einen japanischen Alltagssportler aber ziemlich heftig. Eine Ducati 996 SPS kostet zwar 44.340 Mark, doch dafür gibt’s etwas fürs Herz, fürs Ohr, fürs Image und überhaupt. Eine VTR 1000 F ist über 8000 Mark günstiger als die SP-1 und zumindest auf bundesdeutschen Landstraßen nicht wesentlich schlechter. Ihr Entwicklungsziel haben die Honda-Techniker teilweise schon erreicht und die Ehre wieder hergestellt, denn in der Superbike-WM fährt die SP-1 mit Colin Edwards den Ducatis zur Zeit auf und davon. Doch um aus der serienmäßigen SP-1 einen echten Renner zu machen, darf erst einmal in jede Menge Kit-Teile investiert werden. Das kostet dann über 100.000 Mark extra, und außer dem Rahmen bleibt kaum etwas, wie es war.
Die VTR 1000 SP-1 ist ein toller Straßensportler, eine verkappte Rennmaschine ist sie im serienmäßigen Zustand nicht. Das ist gut für die Alltagstauglichkeit und schlecht für die Faszination. So bleibt die Honda VTR 1000 SP-1 wohl ein Exot, für den man entweder Rennfahrer mit gut gefüllter Brieftasche oder Honda-Hardcore-Fan sein muss. Oder beides.