aus bma 10/97

von Marcus Lacroix

In den letzten Jahren habe ich schon so einige Motorräder für den bma fahren dürfen. Entsprechend meiner speziellen Vorliebe handelte es sich dabei meist um Tourenmaschinen oder Enduros. Diesmal bekam ich den Auftrag, einen Fahrbericht über einen Cruiser zu schreiben.
Honda VT 750 C2Cruiser (engl., `kru:ze(r) = Kreuzer) – cooles Wort, oder? Früher nannte man solche Motorräder ja Chopper – der Honda-Prospekt macht das heute noch -, obwohl sie den eigentlichen Choppergedanken meist nicht trafen. Die Bezeichnung Cruiser gefällt mir da viel besser. Ist doch ein tolles Wort. Ich bekam zum Cruisen ( = Fahren eines Cruisers) für mehrere Tage die neue Honda VT 750 C2 Shadow ACE vom Honda Vertragshändler Sehn aus Soltau zur Verfügung gestellt. Um es gleich vorweg zu nehmen: Cruisen ist einfach klasse! Easy living pur. Ein paar Voraussetzungen sollte man dafür allerdings mitbringen. Die Grundvorraussetzung schlechthin ist die Freude am langsamen Motorradfahren. Es ist nicht so, daß ein Cruiser nicht schnell fahren könnte. Die Shadow rannte auf der Autobahn sogar schneller, als es die Tachoskala von maximal 160 km/h zulassen wollte – geschätzt waren es etwa 175 km/h -, aber es macht keinen Spaß. Die optimale Geschwindigkeit zum Cruisen liegt nach meinem Geschmack zwischen 70 und 100 km/h. Auf einem Cruiser sollte man auch nicht ständig zu zweit unterwegs sein, denn obwohl die VT einen verhältnismäßig bequemen Soziusplatz aufweist, fährt es sich alleine entspannter. Alternativ kann man ja mit zwei Cruisern zusammen cruisen. Daß der Fahrer unbedingt eine Fransenlederjacke und Cowboystiefel tragen muß, ist allerdings ein Gerücht. Cool kommt dagegen ein Jethelm, der einem die langsam vorbeiziehende Landschaft noch ein wenig näher bringt.

 

Honda VT 750 C2Aber schauen wir uns die Honda doch erst einmal etwas genauer an, bevor ich weiter vom Fahren schwärme. Die VT 750 C2 ist eine imposante Erscheinung. Ein dicker 120er Vorderradreifen, geführt von einer breiten Teleskopgabel, dem mit 1,615 Metern Abstand ein noch dickerer 170er Hinterradreifen folgt. Dazwischen liegt der bekannte, flüssigkeitsgekühlte Honda V2, der in seiner Basis fast alle Hondas mit Zweizylinder V-Motoren antreibt. Von der Transalp, über die Straßenmaschine NTV, dem Chopper VT 600, den Grauen Pacific Coast und Hawk bis zur Africa Twin hat er sich als zuverlässiger und langlebiger Antrieb bewährt. Je nach Einsatzzweck wurden Optik, Hubraum, Leistung und Drehmoment dem Motorradcharakter angepaßt. In der VT 750 C2 leistet das Aggregat 45 PS bei 5.500 Umdrehungen je Minute. Das scheint für ein Motorrad mit immerhin 229 kg Trockengewicht wenig zu sein. Doch in der Realität sieht das anders aus. Das maximale Drehmoment von 63 Newtonmetern liegt bereits bei 3.000 U/min an. Anfahren mit leicht erhöhtem Standgas ist somit kein Problem. Dreht man am Gas, beschleunigt die VT unter Abgabe geringer, angenehmer Vibrationen zügig auf Cruisertempo. Natürlich wird dabei kein superbikemäßiges Leistungsfeuerwerk abgebrannt, aber das erwartet auch keiner. Die gebotene Leistung reicht, vor allem wenn man alleine fährt, zum entspannten Fahren aus, ohne daß die VT schlapp oder lustlos wirkt.
Honda VT 750 C2Zum vollendeten Fahrgenuß tragen ganz andere Dinge maßgeblich bei. Die Sitzhöhe – bzw. Sitztiefe – von 70 Zentimetern, die vorverlegten Fußrasten, der fette Sitz und der unglaublich breite Lenker bringen den Fahrer in die typische Sitzhaltung, die auf den ersten Blick saubequem aussieht. Natürlich hatte auch ich davon gehört, daß die Sitzposition auf Cruisern und Choppern schnell zur Ermüdung führt. Entsprechend überrascht war ich, als sich das Fahren auch auf längeren Strecken als recht komfortabel erwies. Natürlich läßt sich eine lange Anfahrt in den Urlaub auf einem Tourer besser aussitzen, aber im Zeitalter der Autoreisezüge stellt sich eh die Frage, ob man die Cote d’Azur unbedingt auf den eigenen zwei Rädern erreichen muß. Große Freude bereiten die verchromten Teile an der VT 750 C2. Überall entdeckt man Stellen, in denen die Landschaft, oder man selbst sich spiegelt. Der Hammer ist der große Scheinwerfertopf, der in geradezu verkehrsgefährdender Manier die Blicke des Fahrers auf sich zieht. Man wird richtig süchtig danach, die vorbeiziehende Landschaft in dem blitzenden Monstrum zu betrachten. Vervollständigt wird diese Orgie in Chrom noch von der Tachokonsole auf dem Tank und den Blinkergehäusen. Gespart hat Honda mit der Verchromung leider bei der Auspuffblende, die zur Radseite hin offen ist und dadurch etwas billig wirkt.
Auch andere Teile fielen dem Rotstift zum Opfer. So gibt es keine einstellbaren Handhebel, der Choke sitzt (gut erreichbar) zwischen den Zylindern, als Endantrieb werkelt eine Kette und der Vorderradkotflügel besteht, genau wie die billige Lenkkopfabdeckung, aus Kunststoff. Den positiven Gesamteindruck stört das allerdings nur wenig, vor allem wenn man bedenkt, daß die Honda mit 14.090 DM durchaus erschwinglich bleibt. Immerhin ist der Luftfilterkasten – im Gegensatz zu den Kühlrippen – keine Attrappe. Besitzer, die ihre Maschine selbst noch etwas veredeln wollen, kommt dieser Sparkurs bestimmt entgegen. Schließlich gibt es im Zubehörhandel viele Teile, mit denen man sein Fahrzeug einzigartig machen kann. Customizing ab Werk bietet Honda hingegen mit dem abnehmbaren Soziusplatz, der sich durch Lösen nur einer Schraube entfernen läßt. Durch diesen einfachen Handgriff läßt sich die Optik nochmals um Längen verbessern.
Honda VT 750 C2Zurück auf die Straße. Da gibt es eine Sache, die ein Cruiser-Neuling recht schnell lernt – nicht unbedingt wenn er Fahranfänger ist, aber doch, wenn er schon den einen oder anderen flotten Kilometer auf anderen Motorrädern zurückgelegt hat. Die Schräglagenfreiheit eines Cruisers ist eingeschränkt! Dieser Umstand fällt zunächst nicht auf, doch läßt man bei der Shadow auf den bekannten heimatlichen Straßen die Zügel mal etwas locker – sprich: gibt man ordentlich Gas -, dann setzen recht bald die Fußrasten auf. Honda ist sich dieser Tatsache bewußt und so wurden die Rasten an den Aufsetzpunkten von vornherein mit austauschbaren Schleifern ausgestattet, die bei Bodenkontakt zum Einen ein unangenehmes Kratzgeräusch erzeugen, zum Anderen die Fußrasten sanft einklappen lassen und somit vor Schaden schützen. Die Gefahr, sich ruckartig in einer Kurve auszuhebeln, ist also gering.
Über den Fahrwerkskomfort kann man nicht mäkeln. Die niedrige Sitzhöhe verlangt zwar kurze Federwege (90 Millimeter hinten, 130 Millimeter vorne) und somit eine straffe Abstimmung, doch zumindest im Solobetrieb bleibt der Fahrer von harten Schlägen meist verschont. Die Vorderradgabel spricht feinfühlig an und hält die Fuhre sauber auf Kurs. Lediglich bei zügiger Fahrweise auf holprigen Strecken fängt das Fahrwerk in den Kurven an zu rühren. Durch Erhöhen der Federvorspannung, was problemlos ohne (!) Werkzeug möglich ist, kann man diesen Effekt etwas hinauszögern. Gefährlich wird die Schaukelei aber eh nicht, und die alsbald aufsetzenden Fußrasten erinnern einen wieder an den Sinn des Cruisens.
Über den breiten Lenker läßt sich das Motorrad souverän durch Kurvenradien aller Art dirigieren, und auch das Rangieren der Honda geht für eine Maschine dieser Gewichtsklasse sehr leicht von der Hand.
Die Bremsanlage – eine 296 Millimeter große Scheibe mit Doppelkolbenbremszange vorne sowie eine 180 Millimeter Trommelbremse hinten – konnte zunächst nicht überzeugen. Mit steigender Laufleistung verbesserte sich die Bremswirkung jedoch deutlich. Dieses Phänomen tritt bei Fahrzeugen mit wenigen Kilometern Laufleistung häufig auf, da Bremsbeläge und Bremsscheiben bzw. -trommel sich erst aneinander anpassen müssen. Trotzdem wird die Bremsanlage der Honda auch Anfänger nicht überfordern, denn die Kräfte, die die Räder zum Blockieren bringen, fallen recht hoch aus. Unzuverlässig oder unterdimensioniert ist sie bei einem cruisergemäßen Einsatz jedoch nicht.
Die Soundkulisse der VT ist bei Standgas recht enttäuschend, da das Auspuffgeräusch vom Heulen des Primärantriebs fast übertönt wird. Erst einmal in Fahrt, blubbert der Motor dann aber doch ganz nett, wenn auch leise, vor sich hin. Als Anhänger der „Laut ist out”-Kampagne stört mich dieser Umstand allerdings herzlich wenig. Die Abgase werden durch eine Nachverbrennung im Auslaßtrakt auf Euronormwerte gesenkt.
Cruisen vermittelt einem eine etwas andere Sichtweise des Motorradfahrens. Die Gewißheit, niemanden durch irgendwelche Fahrleistungen beeindrucken zu können, erzeugt ein Gefühl der Ruhe. Leben und leben lassen. Hallo Welt! Schön, daß es Dich gibt. Besser kann man das Gefühl nicht beschreiben, das beim Cruisen entsteht. Abgelenkt wird man höchstens durch Schaufensterscheiben, die die eigene Selbstzufriedenheit widerspiegeln.
Die Honda Shadow VT 750 C2 American Classic Edition macht einem das Cruisen leicht. Einfach zu bedienen und zu einem fairen Preis wartet sie bei allen Honda-Vertragshändlern auf Interessenten. Die Möglichkeit zur Probefahrt bietet zum Beispiel Honda Sehn in Soltau.