aus bma 04/04 von Helmut Grigull

Honda VFR 800Da hatte der Spar- und Pumpverein doch tatsächlich 2,80 von meinen eisern gehorteten Euros an das Finanzamt abgeführt. Zuviel Zaster auf der hohen Kante, Freistellungsauftrag falsch kalkuliert, ergo Kapitalertragssteuer. Damit das kein zweites Mal passiert, musste die Kaufkraft ihrer Bestimmung, also einem neuen Moped zugeführt werden. Darum also die Abgabe der alten und Bestellung der neuen Pan European im November 2002. Lieferung gewünscht für März 2003.
Nach Ostern die frohe Botschaft: „Kommen, Moped abholen.” Aber nicht die georderte ST 1300, sondern ein Leihkrad. Liefertermin der Pan: „Ohne Angabe, muss wohl länger dauern.” Damit beim gefrusteten Käufer kein Gesinnungswandel in Form eines Rücktritts vom Kaufvertrag stattfindet, bot Honda eine nagelneue VFR zur Überbrückung an. Prinzipiell hätte ich die VFR ja nicht bestellt, aber die Neugierde war auch nicht zu vernachlässigen. Obendrein übernahm Honda Steuer, Versicherung, abgewetzte Reifen und die Inspektion. Also, nicht lange überlegen, sondern her damit!
Ganz zwangsläufig drängt sich der Vergleich der alten ST 1100 mit der neuen VFR 800 auf. Optisch und nominell ist schon klar, dass man mit der VFR flotter unterwegs ist. Im Schein stehen fast 90 Kilo weniger, dafür 10 PS mehr als gewohnt. Das sind klare Belege. Einige Kleinigkeiten wie Windschutz, Stauraum oder aufrechte Haltung waren unter anderem in den 90 Kilo enthalten, nun musste es eben mit wesentlich weniger gehen.

Honda VFR 800 HeckWer Zeit zum Frieren hat, fährt nicht schnell genug alte Binsenweisheit. Und wer meint krumm zu hocken, sollte zur Abschreckung mal Tschin(quetsch)ento fahren. Alles relativ, also aufsitzen und nicht lamentieren.
Starten, ob kalt oder warm – immer sofort. Die Einspritzanlage weiß allzeit, nach welcher Dosis der Ansaugtrakt dürstet. Automatisch wird stets für Zufriedenheit des Kats und super Rundlauf gesorgt. Bei wenig mehr als 1000 U/min, wohlgemerkt. Keine endlose Warmlaufphase mit Kaltlaufjubbeln, sondern, wie schon von der Pan gewohnt, saubere Gasannahme nach ein paar Sekunden. Die Gänge flutschen sicher auf kurzen Schaltwegen. Sechs an der Zahl, knackig, sicher, und allesamt ohne Krachen. Leider gibt es dafür keine Anzeige. Wer vorher nur fünf Gänge zählen brauchte, kommt da schon mal durcheinander.
Kupplungs- und Handbremshebel lassen sich einstellen. Rechts und links vom Tank, der im Gegensatz zur Pan auch tatsächlich Kraftstoff enthält, laufen Röhrchen die zum Festzurren eines Tankrucksacks einladen. Davon ist jedoch abzuraten, denn es handelt es sich hier um Bremsleitungen. Kombibremse, you know. Schönes Ding!
Einen Extrablick verdient das Hinterrad. An einem Arm geführt, sind Kette und Bremse gediegen in das Rad getüftelt.
Soziustauglich ist die VFR allemal. Nachdem man den modischen Plastikdeckel von der Sitzbank gepellt hat, darf auch der Mitfahrer sein Gesäß&Mac223;eisch platzieren. Für ängstlich klammernde Pfoten gibt es schicke und stabile Griffe, für die Treter filigrane Fußrasten. Die Sitzhaltung ist noch recht menschenwürdig. Platz auf der flachen Bank gibt’s reichlich, Polsterung dagegen weniger.
Zwei Scheinwerfer sind obligatorisch, dazu kommen dann nochmal zwei für das Fernlicht. Was für eine Lightshow! Wie traurig schauen die meist zweizylindrigen Kradmelder, die auf ihren Museumsstücken mit Standlicht umherjuckeln, weil kein Saft im Bordnetz fließt. Nachteil: im Zweipersonenbetrieb steigen die Beamer dem Gegenverkehr auf die Netzhaut.
CockpitDie Spiegel zeigen außer den Ellenbogen auch noch allerhand Straße. Weil der Motor oberhalb 4000 U/min auch unter Last keine Vibrationen entwickelt, zittert auch der Rückblick nicht.
Untenrum werkeln die 782 Kubik im Zweiventilmodus. Das soll dem Durchzug gut bekommen, heißt es. Im Standgas klingt das Ding wie ein satt gemästeter Zweizylinder. Man glaubt weniger Zylinder, dafür mehr Hubraum zu hören. Akustische Täuschung. Ab 2000 U/min wird stramm an der Kette gezogen, aber 3500 sollte man sich schon gönnen. Im Stadtbetrieb, also um die 50 km/h herum, wird es etwas nervös. Ein Kanaldeckel reicht, um die Hand einen zehntel Millimeter zucken zu lassen. Dann meint der Motor „Aufi geht’s!” Tut’s aber nicht. Also Gas weg – zuviel – wieder etwas zucken – auch zuviel, und so fort. Die marschierenden Zahlenkolonnen auf dem digitalen Tacho im gewollten Bereich zu fixieren, erfordert Gefühl. Konstantfahren fällt ein wenig schwer.
Tief unter dem Piloten schlängelt sich das Abgasgekröse und lässt Wärme satt aufsteigen. Kommt dazu eine ausgeklügelte Ampelschaltung, wie z.B. die in der Hannoverschen Innenstadt, wird’s schwül in der Kutte. Dann kommt der Auftritt des Lüfters. Zum Beistand des kleinen Ölkühlers haben die Konstrukteure einen vollformatigen Wasserkühler geteilt und jeder Mopedseite einen halben verpasst. Während der Rechte auf eine Brise warten muss, wird der Linke ab 103 Grad Celsius von einem Elektropüster betreut. Man kann dessen Einsatz links auf der digitalen Temperaturanzeige verfolgen. Sollte man zwischendurch auch mal fahren dürfen, reicht der Fahrtwind bei Ortsgeschwindigkeit aus, um die Werte wieder zu senken.
Zum Bummeln ist die VFR also nicht gebaut, das hat auch niemand erwartet. Bei Tempo 100 stehen knapp 5000 U/min an. Wer will, kann noch einen Gang nachlegen und absenken, läuft dabei allerdings Gefahr, dass ihn ein Vorortlümmel mit einem vom Opi geerbten Tilux im Überraschungsangriff verbläst. Der V4 faucht bis dahin verhalten, vielversprechend, kurios zweistimmig. Als Fahrer hört man davon wenig.
Wenn mal die Drehzahl richtig steigen darf, wird ab 7000 U/min im Maschinenraum ein schönes Fass auf- gemacht. Den vier Zylindern werden jeweils zwei weitere Ventile spendiert. Die Stimmung steigt rapide. Gespaltene Persönlichkeit, das Triebwerk mutiert zum Triebtäter. Besser man weiß, wann der Hulk grün anläuft. Eventuell möchte man gerade schalten, wenn es heftig wird. Oder kommt just noch in Schräglage aus der Kurve, oder ist noch im zweiten Gang? Dabei entlässt die Maschine Gebrüll, wie es einem halbverhungerten Brontosaurier gut anstünde.
KofferproblemHohe Dauergeschwindigkeiten sind für die Maschine vielleicht machbar, nur für den Piloten wenig witzig. Zuviel Wind, zu wenig Verkleidung. Die Motorleistung verleitet immer wieder zu kurzen Sprints, was Autobahnmitbenutzern wie eine Amokfahrt erscheinen muss. Innerhalb von zwei Stunden sollte man auch angekommen sein, oder zumindest ein Päuschen machen. Die Gashand wird schlapp, die Waden tendieren zum Krampf und der Sozia kocht das beheizte Achterdeck. Nach 250 km darf sowieso getankt werden.
Ein Hauptständer gehört zur Regelausstattung. Die Betrachtung von Zeituhr, zweier Tageskilometerzähler und des umschaltbaren Thermometers (Kühlwasser/Luft) bieten zusammen mit der segmentierten Tankanzeige einen schönen Zeitvertreib an der roten Ampel. Im Blickpunkt steht der analoge Drehzahlmesser, fett wie eine Küchenuhr. Roter Bereich ab 11.800, viel wichtiger die giftige 7000er Schwelle.
Mitsamt dem potenten Motor und griffigen Bremsen erhält man ebenso ein prima handliches Fahrwerk. Der Schwerpunkt liegt tief, sodass die Angst vorm Umkippen auch im Stand vergessen ist. 244 kg sowie 244 km/h gibt Honda an. Supersportler können sicherlich mehr, doch der Normalfahrer dürfte damit vorläufig bedient sein.
Stabiler Geradeauslauf, Kurven ohne Korrigieren, keine Faxen beim Brutalbremsen, immer berechenbar ohne Allüren. Sogar Längsrillen im Asphalt oder hohe Fahrbahnmarkierungen werden gut weggesteckt.
Nach so viel Freude kommen wir zu einem traurigen Kapitel, die Schlüsselorgie. Damit so ein schöner Hocken nicht sofort gezerrt wird, steckt im Zündschlüssel ein Bonbon, sprich Wegfahrdingens. Ohne Anwesenheit dieses Chips verweigert sich die Zündung. Leider hat der Zündschlüssel das Format eines Spargelstechers.
Der Schlüssel für die Packtaschen ist wesentlich kleiner, aber was für ein Gefummel! Ohne Schlüssel kriegt man die Taschen nicht vom Moped, das ist schon ok, aber ohne ihn bekommt man sie auch nicht auf.
Man hält kurz an, zwecks Blick auf die Straßenkarte und muss das komplette Schlüsselprogramm absolvieren? Dann steckt die Karte nicht links, sondern rechts im anderen Koffer. Wieder prökeln, stochern und fummeln. Der Tragegriff muss angehoben werden, sonst geht der Schnappo nicht auf. Dabei verklemmt sich aber der Griff mit dem hochstehenden Schlüssel, den man ja nicht abziehen kann. Hat man den Kofferschlüssel zusammen mit dem Spargelstecher an einem Ring, läuft man obendrein Gefahr, den langen Stichel beim Zudrücken des Koffers zu verbiegen, gar abzubrechen. Ich mag gar nicht daran denken!
Der Hit traf mich Anfang Mai. Da war es so warm, dass sich das Tankschloss verzogen hatte. Dann an einer proppenvollen Tankstelle in der Hitze das Gefriemel, um an einen Schraubendreher zum Aufhebeln zu kommen.
Abgesehen von den üblen Schlüsselerlebnissen stellen Koffer wie an den meisten Mopeds, so auch an der VFR, keine optische Bereicherung dar. Hochgezogene Auspufftüten und Koffer machen das Moped breiter, als es hoch ist. Natürlich geht es noch schlimmer: Mit Topcase ist der nackt so fesche Look endgültig dahin.
Die VFR ist unterm Strich ein wahrhaft agiles Krad, auch für zwei Personen mit normalen Körperdimensionen. Allerdings ohne viel Krimskrams und für nicht allzu lange Strecken.