aus bma 03/08

von Klaus Herder

Honda Transalp 2008 Wenn Sie das verschraubte Batteriefach ihres Reiseweckers öffnen möchten, hilft es nur bedingt, wenn Sie zufällig eine Kettensäge zur Hand haben. Eine noch so lausige Feile ist Ihnen vermutlich viel lieber als ein Preßlufthammer, wenn es darum geht, spät nächtens den korrodierten Anschluß der einzig verfügbaren Glühlampe wieder blank zu bekommen. Worauf dieser zugegebenermaßen etwas kryptische Einstieg hinaus will: Ein alles andere als perfektes Universalwerkzeug ist in manchen Situationen viel mehr wert als ein hochspezialisiertes Profigerät. Ein Schweizer Offiziersmesser oder ein Leatherman können eigentlich nichts richtig, aber sie überfordern ihren Nutzer nicht; sie sind dann zur Hand, wenn man sie braucht; sie sind bezahlbar; und – ganz wichtig – der Umgang mit ihnen macht bei aller Unzulänglichkeit einfach Spaß.
Womit wir völlig überraschend bei der Honda Transalp wären. Seit über 20 Jahren ist sie das zweirädrige Universalwerkzeug für Menschen, die keine Lust/keinen Platz/kein Geld haben, sich die Garage mit vier oder fünf verschiedenen Motorrad-Spielzeugen vollzustellen. Für Menschen, die sich noch nie für ein Saisonkennzeichen interessiert haben. Und für Menschen, denen Zuverlässigkeit wichtiger als Image ist und für die Fahrspaß nicht zwangsläufig mit Motorleistung zu tun hat.
Ein Motorrad also für gnadenlos langweilige Gutmenschen, die Benzinverbrauchslisten führen und Motorradgottesdienste für extrem spannende Bikerveranstaltungen halten? Nein, ganz und gar nicht. Die europaweit 173.402, davon allein in Deutschland 34.695 Käufer einer 600er- oder 650er-Transalp sind oftmals Motorradfahrer, die viel mehr von der Welt sehen als der Durchschnittsfahrer. Während andere ihre Zeit mit Putzen, Schrauben oder Schaulaufen verbringen, reißen sie mit der nahezu unkaputtbaren und saubequemen „Transe” jede Menge Kilometer ab. Die ab 1987 verkaufte Transalp war die Erste ihrer Art, und sie blieb sehr lange einzigartig. Honda nennt sie „Europas vielseitigstes Motorrad in der Mittelklasse”, doch seit ein paar Jahren ist dieser Titel nicht mehr unumstritten. Gut gemachte Allrounder wie die Suzuki V-Strom 650 oder die Kawasaki Versys konnten der zwar beständig, doch nur in sehr kleinen Schritten modellgepflegten Transalp viele potenzielle Kunden abspenstig machen. Die letzten größeren Eingriffe gab es 2000 mit einer Runderneuerung und Hubraumerhöhung. In guten Jahren verkaufte Honda Deutschland knapp 3000 Transen pro Jahr, 2006 waren es nur noch 440 Stück, von Januar bis September 2007 sogar nur bescheidene 274. Eine neue Transalp war also dringend überfällig, der bislang verwendete Vergasermotor war ohnehin nicht Euro-3-tauglich.
Honda Transalp 2008Drei größere Baustellen galt es ganz besonders zu bearbeiten: Der 53 PS starke 650er-V-Twin konnte etwas mehr Druck vertragen; das etwas zu schaukelige Fahrwerk hatte eine Straffung verdient; und die arg in die Jahre gekommene, mittlerweile sehr bieder wirkende Verschalung mußte aufgehübscht werden. Am Rundumwohlfühl-Paket zum fairen Preis sollte aber nicht gerührt werden. Wurde auch nicht, obwohl die neue Verpackung tiefgreifende Veränderungen verspricht. Honda nennt das deutlich schlankere Kunststoffkleid eine „aggressive Mischung aus runden und kantigen Formen” und liefert auch gleich den gewünschten Eindruck: „Die Inspiration lieferte das Bild eines galoppierenden Pferdes.” Oha, bei der letzten größeren Modellpflege anno 2000 hieß das noch etwas anders: „Die geschwungene Silhouette soll an einen Vogel im Gleitflug erinnern.”
Damit aus dem flügellahmen Gleiter ein flotter Galoppierer wurde, nahmen sich die Honda-Techniker den in seinen Gründzügen von der 1983er VT 500 abstammen 52-Grad-V-Twin vor. Der trägt nun vier anstelle von drei Ventilen im Zylinderkopf und ist mit Kolben bestückt, die zwei Millimeter mehr Durchmesser haben. Statt 647 stehen nun 680 ccm zur Verfügung, die Verdichtung wurde von 9,2 auf 10,0:1 erhöht. In Zeiten von Euro 3 sind Vergaser natürlich unglaublich böse, also sorgen bei der neuen Transe eine Einspritzanlage sowie ein geregelter Kat für die politisch korrekte Umwandlung fossiler Rohstoffe und ganz allgemein für die Rettung des Weltklimas. Netter Nebeneffekt: Die mit vielen Bauteilen des Schwestermodells Deauville gestemmte Aktion bescherte der Transalp 60 statt 53 PS und ein maximales Drehmoment von 60 statt 55 Nm.
Neue Form, fast neuer Motor – und eine erste Sitzprobe, die eigentlich nichts Neues verrät. Der Draufsetzen-und-Wohlfühlen-Effekt stellt sich sofort ein; das paßt-wie-angegossen-Gefühl ist ebenfalls auf Anhieb da. Okay, das Cockpit macht jetzt auch auf Analog/Digital-Anzeige, die Verkleidungsscheibe ist etwas flacher, doch Griffe, Lenker, Schalter, Spiegel, Fußrasten – alles ist wie immer, nämlich einfach nur praktisch und genau dort zu finden, wo es hingehört. Der Zündschlüssel ist etwas hakeliger als früher einzuführen, die Länge macht es, und die hat laut Honda ihren Grund im „HISS”, dem „Honda Ignition Security System”, der serienmäßigen Wegfahrsperre. Das Déjà-vu-Erlebnis geht dann aber doch noch weiter: Druck aufs Knöpfchen, der Vaumann kommt sofort (jetzt natürlich ohne Choke-Unterstützung) und klingt original so, wie eine Transalp immer schon geklungen hat., nämlich herrlich zweizylindrig pröttelnd, gar nicht mal sooo extrem leise und einfach nur gut.

 

Der unverändert saubequem untergebrachte Fahrer greift zum leider nicht verstellbaren Kupplungshebel, freut sich dann aber über minimale Bedienkräfte und weiß spätestens nach dem leichtfüßigen und exakten Einlegen des ersten von fünf Gängen, daß er zu Hause angekommen ist: „Jau, das ist eine typische Honda. Und es ist vor allem eine Transalp!”
Der Motor nimmt sofort sauber Gas an und gibt sich schon mit 1500 U/min zufrieden, damit es ruckfrei voran geht. Die sieben Mehr-PS sind zumindest im Stadtverkehr nicht auf Anhieb zu merken. Die Transalp legte nämlich nicht nur bei der Leistung zu, sie sattelte auch beim Kampfgewicht auf. 219 Kilo, fünf mehr als zuvor, beträgt der neue Wert. Doch keine Sorge, bereits kurz hinter dem Ortsausgangsschild macht die Alleskönner-Honda sehr schnell klar, daß sie im Fitneß-Studio war. Wo die alte Transe immer etwas sehr bedächtig, fast schon phlegmatisch voran machte, gibt die Neue den jungen, dynamischen Typ und dreht auch über 5000 U/min munter weiter. Wohlgemerkt: für Transalp-Verhältnisse jung und dynamisch. Alt-Transen-Kenner sind ob der Drehfreude und des flotten Antritts sehr angenehm überrascht. Wer allerdings die Vorgänger-Transalp nicht kennt und womöglich kurz zuvor eine Kawasaki Versys Probe gefahren hat, läßt sich allenfalls zu einem „Ja, okay, ganz nett” hinreißen. Die neue Transalp wirkt deutlich lebendiger als ihre Vorgängerinnen, ein Quantensprung ist die Leistungserhöhung aber nicht. Muß ja auch nicht, denn in Sachen Ansprechverhalten, Durchzugsvermögen und Fahrbarkeit hat die Honda ganz eindeutig gewonnen, und nur darum ging es. Wenn es sein muß, rennt die Transalp echte 172 km/h und bietet auch dann noch ordentlichen und vor allem verwirbelungsfreien Windschutz.
Honda Transalp 2008Beim Fahrwerk tat sich im Vergleich zum Motor noch etwas mehr. Das Vorderrad wurde von 21 auf 19 Zoll verkleinert und legte in der Breite zu (100/90-19 statt 90/90-21), was fürs trialmäßige Wuseln im Gelände etwas abträglich sein mag, die Handlichkeit bei flotten Asphaltkurven-Schwenken aber erhöht. Der Federweg der Gabel büßte 23 Millimeter ein und mißt nun 177 Millimeter. Damit einher ging eine deutlich straffere Auslegung. Ergebnis der Aktion: Keine Tauchgänge mehr beim harten Ankern, deutlich bessere Rückmeldung, erhöhte Zielgenauigkeit, gesteigerte Handlichkeit – also rundum gelungen. Verstellen läßt sich vorn nichts. Muß ja auch nicht sein, hier paßt eigentlich alles. Das kann man von der ebenfalls neuen Hinterradfederung nicht unbedingt sagen. Der Federweg blieb praktisch unverändert (173 statt 172 mm), doch wo früher ein zwar nicht perfekter, aber irgendwie ganz manierlicher Weichsitzerplatz zu finden war, ist jetzt eine etwas krude Mischung aus zu weicher Feder und völlig überdämpfter Zugstufe (Dämpfung der Ausfederbewegung) zugange. Harte oder schnell aufeinander folgende Schläge steckt das Federbein nicht so einfach weg. Erschwerend kommt hinzu, daß bereits ein 90-Kilo-Fahrer dafür sorgt, daß die Fuhre schon im Stand zu weit einsackt. Mit zwei Personen besetzt – und die Transe darf ganz offiziell üppige 200 Kilo zuladen – sieht es dann noch finsterer aus. Der Federweg ist dann ganz schnell aufgebraucht. Die Druckstufendämpfung (Einfederbewegung) läßt sich immerhin regulieren, wenn auch nur sehr fummelig per Schraubendreher. Wer die Federbasis variieren möchte, braucht gutes Werkzeug, profunde Schrauberkenntnisse und viel Zeit, denn die Verstellschrauben liegen versteckt zwischen Batterie und ABS-Druckmodulator, ohne (Teil-)Ausbau geht gar nichts. Honda empfiehlt für solche Fälle den Werkstattbesuch. Für das Verstellen der Federbasis! Bevor wir es vergessen: Das Hinterradgummi mißt nun 130/80-17 in Radialbauweise, zuvor war es ein Diagonalreifen in 120/90-17. Effekt? Siehe Vorderradreifen.
Honda Transalp 2008Vom traurigen Zentralfederbein kommen wir nun zu etwas viel Erfreulicherem: Den Bremsen. Ja, Sie haben richtig gelesen. Wer 600 Euro extra zahlt, fährt eine Transalp mit ABS-Druckmodulator, was messerscharf darauf schließen läßt, daß dann ein Blockierverhinderer an Bord ist. Und was für einer! Währens beim ABS-losen Modell Doppelkolbenzangen in die Scheiben beißen, sind beim ABS-Modell Dreikolben-Bremszangen für die Verzögerung verantwortlich, was an sich natürlich nichts über die Bremsleistung aussagt. Aber: Der mittlere Kolben der vorderen rechten Zange wird nämlich bereits aktiv, wenn der Fahrer das Hinterrad-Bremspedal tritt. Für die übrigen fünf vorderen Kolben ist dann der Handbremshebel verantwortlich. Wir haben es also mit einer Kombi-Bremse zu tun, die in Verbindung mit dem erfreulich spät, dann aber überaus fein geregelt eingreifenden ABS eine geniale Sache ist. Vom Anfänger bis zum passionierten Spätbremser hat wirklich jeder seine Freude an diesen famosen Stoppern.
Perfekte Ergonomie, antrittstarker Motor, der auch oben herum nicht so schnell wie früher schlapp macht, handliche Fahrwerksauslegung, tolle Bremsen – diese Kombination paßt hervorragend. Die Sache mit dem Federbein ist entweder Gewöhnungs- sache oder läßt sich auf dem Zubehörweg regeln. Stichwort Zubehör: Davon hat Honda jede Menge im Programm, vom Hauptständer (der unverständlicherweise nicht serienmäßig ist) bis zum Navi-System, vom Kofferset bis zum Nebelscheinwerfer oder der Bordsteckdose – das Honda-Angebot hat mittlerweile BMW-Niveau. Die Basis-Transalp kostet 7090 Euro ohne ABS. Mit (dem unbedingt empfehlenswerten) ABS und Nebenkosten stehen dann 7860 Euro auf dem Zettel, was früher mal knapp 15400 Mark waren. Vor 20 Jahren kostete eine (ABS-lose) Transalp ziemlich genau 7000 Mark weniger und kam komplett aus Japan. Ab 1997 wurde sie in Italien zusammengeschraubt, seit 2002 wird sie im ehemaligen Montesa-Werk in der Nähe von Barcelona/Spanien gebaut. Die Verarbeitungsqualität legte in den 20 Jahren nicht unbedingt um über 80 Prozent zu. Die Schweißnähte am Vorschalldämpfer sind eher grob, der Endschalldämpfer besteht aus simplen Stahlblech, die einfach gemachte Hinterradschwinge gewinnt ebenfalls keinen Schönheitspreis, die Lackierung ist normaler Standard. Kurz gesagt: Was früher einmal als DIE Honda-Qualität legendär war, ist heute nicht mehr so einzigartig. Vielleicht hat die Konkurrenz ja auch nur mächtig aufgeholt…
Und mit der muß sich natürlich auch die neue Transalp herumschlagen. Namentlich die wuselige Kawasaki Versys und die noch tourentauglichere Suzuki V-Strom, bald wohl auch die neue BMW F 650 GS, können ihr das Leben mächtig schwer machen. Ihre menschenfreundliche, sehr sympathische Art, die absolute Berechenbarkeit, dieses Man-kann-mit-ihr-wirklich-alles-machen-Gefühl machen die Transalp aber auch weiterhin zu einem ganz besonderen Motorrad, eben zu DEM Universalgerät der Motorradszene. Die neue Transe ist jedenfalls die beste Transalp, die es je gab.