aus bma 08/07 von Helmut Grigull

Honda ST 1300Wenn ein Kradler sich zwischen einem brandneuen Moped und einem Gebrauchtwagen zu entscheiden hat, kann dabei leicht herauskommen, dass ein vierzehnjähriger Scorpio noch ein fünfzehntes Jahr halten muss. So geschehen im Sommer 2003 in Niedersachsen. Eigentlich fiel die Entscheidung zu Gunsten der neuen ST 1300 schon sechs Monate früher, doch weder schießen die Preußen, noch liefern die Japaner so schnell. Ursache für die Verzögerung war ein Problem mit dem Geradeauslauf. Die ersten Exemplare der neuen Pan European waren durch unerfreuliches Hochgeschwindigkeitspendeln ins Gerede gekommen. Bevor sich Honda den Ruf hat vollends ruinieren lassen, wurde doch besser die Serie gestoppt, und das Fahrverhalten verbessert. Gut so. Besser etwas warten, als mit einem sündhaft teuren Moped durch Europa zu taumeln. Immerhin hatte Honda die Wartezeit mit einem absolut kostenlosen, dazu nagelneuen Übergangsmoped kompensiert. (VFR 800, siehe Ausgabe 4/04). Ab August 03 brauchte ich dann nicht mehr humpeln: Bei Erhalt der neuen Pan durfte ich endlich jene 16 Kracher aus dem Sparstrumpf reißen, die schon fast schmerzhaft drückten. Tausche buntes Papier gegen rotes Kraftrad. Das Rot ist zwar anders ausgefallen, als es der Prospekt suggerierte, aber da es mir gar nicht rot genug sein kann…
Inzwischen sind vier Jahre vergangen, so dass ich ungefähr beurteilen mag, wofür ich mir damals den Gebrauchtwagen verkniffen habe.

Im Vergleich zur alten Pan fällt sofort die günstigere Gewichtsverteilung auf. Ein wenig leichter geworden ist die Neue auch, aber nicht entscheidend. Viel wichtiger ist der nach vorn und unten verlegte Schwerpunkt. Die Tendenz, sich mal eben auf die Seite zu legen, ist nicht mehr vorhanden. Unterstützt wird die bessere Standsicherheit durch die verstellbare Sitzbank, die auch Piloten mit einem Zentimeter zu wenig Beinlänge eine Chance gibt, das Teil (das Moped natürlich!) sicher zwischen den Beinen zu halten. Wie die ersten Maschinen dieses Typs gependelt haben, weiß ich nicht, aber das Modell 1300A ist immer noch für ein Tänzchen auf der Autostrada gut. Der Geradeauslauf der 1100er war ganz klar besser. Vor allem bei Wind hat der Pilot sein Tun, um das Dirty-Dancing in Grenzen zu halten. Auch bei Schleichfahrt im Stau möchte das Krad jeder Asphaltwelle folgen und bedarf ständiger Aufmerksamkeit. Das gab es vorher nicht.
Honda ST 1300 Im Gegenzug gibt es vom Fahrwerk auch gutes zu vermelden. Die mangelnde Sturheit hat in Kurven, besonders in engen, eindeutige Vorteile. Das wird erstens mit dem gewanderten Schwerpunkt zu tun haben, zweitens mit den Reifen, die auf der Stelle Vertrauen vermitteln. Man kann auf den Dunlop Sportmax derart zügig durch Kehren wedeln, dass man die immer noch strammen 315 kg glatt vergisst. Passend auch der überarbeitete Motor, der die sportlichen Ambitionen mit über 20 Mehr-PS unterstützt. Die 200 Zusatz-Kubik, die das ermöglichen, machen sich als Masse nicht bemerkbar. Wie in der 1100er immer freudig drehend, nun aber mit mehr Schmackes von unten. Ungeniert darf man im dritten Gang um Ecken tuckern, ohne den Motor zu würgen. Anschließend ohne Schalten bis über die 150 km/h zu peitschen, ist immer noch im legalen Bereich, zumindest auf dem Drehzahlmesser. Solche Bandbreite gibt’s nicht kostenlos.
Leider machte die Pan auch beim Konsumverhalten Fortschritte. War die Alte mit 5-6 Liter Normalbenzin zu begnügen, sind es nun 7 Liter Super und mehr, die da aus dem Keller gepumpt werden. Einspritzanlage und Katalysatoren fordern beim Kaltstart einen tüchtigen Schluck aus der Pulle. Daraus macht die Maschine kein Geheimnis. Eine Verbrauchsanzeige zeigt wahlweise den Durchschnittsverbrauch oder einen halbwegs aktuellen Verbrauch an. Leider eher kameralistisch, mit Verzögerung, denn was man da als aktuell abliest, ist keinesfalls der augenblickliche, sondern jener Verbrauch, wie er irgendwann vor einem Kilometer oder vor 30 Sekunden mal war.
Die Tankanzeige ist durchaus zuverlässig. Dort erscheinen maximal acht Segmente, aber nur wenn der Sprit wirklich bis zum Stehkragen steht. Schon kurz nach der Tankstelle ist das erste Segment bereits weg. Geht nach 350 oder mehr Kilometern der Treibstoff zur Neige, schaltet die Verbrauchsanzeige um und meldet die noch verbleibenden Kilometer. Etwas gediegen: Beim Abstellen werden z.B. 80 verbleibende km angezeigt, nach einem Kaltstart deren nur noch 24. Klar, die Einspritzanlage spendiert anfangs reichlich Sprit, wodurch der Bordrechner zum Pessimisten wird. Etwas verwirrend, aber logisch. Während der Warmlaufphase werden dann zusehends wieder mehr verbleibende km angezeigt.
Ein Teil des Tankes ist wie gehabt tief unten, aber mittlerweile enthält auch jenes Oberteil, das nach Tank aussieht, tatsächlich Kraftstoff. Und ist obendrein aus Metall, was nun das Anbringen eines magnetischen Rucksacks möglich macht.
Den braucht man selten, denn die Koffer sind schön geräumig, dabei gefällig integriert, und sie lassen sich besser an- und abfummeln als zuvor. Damit sich der Kradler nicht zu früh freut, kriegt er die Koffer nur noch mit dem Schlüssel auf. Das ist äußerst lästig, zumal Honda die Kradler mit monströsen Schlüsseln im Format von Stichwaffen stochern lässt. Wer im Dunkeln das endlos tiefe Zündschloss damit zerschrammt, wird sich fragen, warum im Cockpit beknackterweise der Schriftzug „Pan European” beleuchtet ist, aber keines jener Elemente, die er wirklich bedienen muss. Auch die zur Abschreckung vor sich hin blinkende Funzel der Wegfahrsperre könnte an einer anderen Stelle mehr Freude spenden.
Honda ST 1300 Der Abblendschalter ist ungünstig zu erreichen, die Lichthupe auch nur mit spastischen Einlagen. Den Seitenständer klappt man am Besten mit Balletschuhen aus, mit einem bestiefelten Hacken kommt man nur schwer zwischen Fußraste und Hauptständer. Bagatellen, aber eben unnötige Rückschritte. Ebenfalls ein neues Ärgernis ist die Gepäckbrücke. Früher durchbrochen mit zahllosen Befestigungsmöglichkeiten für Gummistrapse, ist sie nun geschlossen und mit kurzen, obendrein konischen Nippeln ausgestattet. Auf der Suche nach einem Haltepunkt zerkratzt man mit den Haken einer Gepäckspinne garantiert die schicke, aber empfindliche Lackierung.
Auch die Putzfreude hat ein wenig gelitten. Die neue Verkleidung ist nicht mehr so schön aus Ganzkörperplaste, sondern mit etlichen Öffnungen durchbrochen. Jene dienen leider nicht der Wartung, sondern sollen wohl einfach nur Wärme abführen. Nichts ist ohne Demontage zu erreichen, selbst zum Kühlmittelcheck muss man einen Tupperdeckel abpellen, zum Ölnachfüllen ebenso (ist ehrlich gesagt aber nie wirklich nötig).
Apropos Putz- und Pflegestunde: Die Investition in einen Dampfreiniger hat sich als lohnend gezeigt. Mit Dampfunterstützung geht viel Schmutz ohne chemische Keule oder Hochdruck ganz easy in den feuchten Putzfeudel.
Doch wo ich gerade beim Meckern war: Die Batterie ist kleiner geworden, obwohl mehr Verbraucher an Bord sind. In der alten Maschine konnte die Batterie getrost überwintern; auch im Alter von zehn Jahren startete der Motor noch nach vielen Wochen. Nun muss nachgeladen werden. Nach vier Wochen Stand ist der Akku schlapp.
Wenn ein Händler die Maschine zulässt, befestigt er auch zwangsläufig das Nummernschild. Das geschieht selbstverständlich mit billigsten Plastikschrauben. Beim Austausch gegen anständige Schrauben ist mir eine Mutter in den Untergrund der Sitzbank entfleucht. Alle Versuche, die Mutter aus dem Verbau zu fischen, sind gescheitert. Nach unten fällt nichts raus, zu sehen ist nichts, und alles Abbauen etlicher Verkleidungsteile war zwecklos. Ich hätte die Maschine auf den Kopf stellen und schütteln müssen. Dann schon lieber eine neue Mutter spendieren und hoffen, dass das verschollene Teil kein Unheil anrichtet. Also bitte nichts fallen lassen, es ist und bleibt weg.
Honda ST 1300 In Bezug auf die Bremse gab es schon früher nichts zu maulen, und das ist immer noch so. Jumpt der hektische Biker aufs rechte Pedal, wird auch vorne mitgebremst. Mit der Handbremse ähnlich: Ein Kolben macht hinten mit. Das hat mir schon einmal einen Auffahrknaller erspart, als ein Autofahrer vor mir sich nach dem Anfahren nicht für den zweiten Gang, sondern für eine Vollbremsung entschied.
ABS gab’s vorher auch schon, und das ist in einem Straßenverkehr, im dem selbst 6-Zentner-Mopeds mit voller Festbeleuchtung übersehen werden, absolut sinnvoll.
Da sind wir gleich beim Thema Beleuchtung. Die alte Pan hatte gutes Licht, die neue hat besseres. Gleich zwei Scheinwerfer übernehmen die Ausleuchtung, wobei sich die Reichweite mittels Motörchen elektrisch regeln lässt. Das tat nicht Not, war doch der frühere Handknebel eigentlich ausreichend. Dafür erfolgt die Regelung nicht mehr gleitend, sondern in Stufen, was in meinen Augen wiederum Unfug ist, denn wie sollte es auch anders sein, liegt die optimale Einstellung stets zwischen zwei Stufen.
Stufenlos, aber ebenfalls mittels Motörchen schnurrt die Scheibe auf und ab. Der nutzbare Bereich ist gut, man kann sie bis zur totalen Windstille hochfahren. Die Fahreigenschaften werden dadurch nicht beeinträchtigt, aber ab einer gewissen Geschwindigkeit wird es sowieso ungemütlich. Die volle Geschwindigkeit von über 220 km/h ist seitens des Motors sehr wohl auf Dauer machbar, nur besonders sicher fühlt man sich dann nicht mehr.
Uneingeschränkt soziustauglich war schon die Alte, und die Neue ist es auch. Wer sich einer bessere Hälfte mit moderaten Proportionen erfreut, wird sie gern mitnehmen, da er ihre Anwesenheit keinesfalls als Gewicht, sondern nur am Rückenkraulen bemerkt. Pannen oder Ausfälle sind in den vier Jahren nicht vorgekommen. Einzig ein Gummiring am Thermostaten wurde während der Garantiezeit getauscht, da dort minimale Sabberspuren von Wasser zu sehen waren. Damit der Fahrer nicht versäumt, hinter dem guten Windschutz gelegentlich zu frieren, gibt es im Cockpit der ST ein Thermometer. Ein Kühlwasserthermometer gab und gibt es sowieso.
Zusammenfassend bringt die neue Pan nicht auf endlosen Hochgeschwindigkeitstouren, sondern hauptsächlich unterhalb von 180 km/h die größere Freude. Was mir persönlich entgegen kommt, denn ein Motorrad ist ohnehin keine Konkurrenz zum ICE. Zwar wird die gestiegene Alltagsfreunde durch ärgerliche Rückschritte in Details ein wenig gedämpft, aber zurückwechseln möchte ich trotzdem nicht.