aus bma 06/03

Text & Fotos: Winni Scheibe

Honda RC 164Als Honda beim Grand Prix in Monza 1964 die neue 250er Sechszylinder-Werksmaschine einsetzte, mussten sich die Konkurrenten warm anziehen. 30 Jahre später wurde genau diese RC 164 wieder an den Start geschoben.
In der 250er Motorrad-Weltmeisterschaft gab 1962 und 1963 Jim Redman auf der Vierzylinder-Werks-Honda den Ton an. Jim Redman holte sich beide Male den Titel. Auch 1964 ließ Honda den amtierenden Weltmeister mit der hochtourigen Rennmaschine um die Wette fahren. Ein Zuckerlecken würde die Saison allerdings nicht. Phil Read auf einer simplen 250er Zweizylinder-Zweitakt-Yamaha trumpfte mächtig auf. Die Titelverteidigung war ernsthaft gefährdet. Das konnte und wollte sich Soichiro Honda aber nicht bieten lassen und gab die Order sofort etwas dagegen zu tun.
Nur zwei Monate benötigte die Honda-Rennabteilung um eine Wunderwaffe zu entwickeln und zu bauen. Beim vorletzten Lauf, am 13. September 1964 in Monza, zog Honda das As aus dem Ärmel: Jim Redman schob die neue 250er Sechszylinder-Werksmaschine RC 164 an den Start. Das luftgekühlte Triebwerk war ein technische Wunderwerk. Den Antrieb zu den beiden obenliegenden Nokkenwellen erledigten Stirnräder, die jeweils vier Ventile pro Zylinder wurden über Tassenstößel betätigt und für die Gemischaufbereitung waren sechs Keihin-Rennvergaser mit „Fünf-Düsen-System” ohne Düsennadel zuständig. Der aus Aluminium und Magnesium gefertigte Motor leistete bei 18.000 U/min knapp 60 PS! Auf Anhieb konnte Jim Redman mit der nur 120 kg schweren und 250 km/h schnellen RC 164 den dritten Platz belegen. Beim Finale in Suzuka/Japan gewann er sogar das Rennen. Doch vergeblich – der Titel ging an Phil Read und Yamaha. Zum ersten Mal in der WM-Geschichte wurde 1964 Zweitaktspezialist Yamaha 250er Weltmeister.

Jim Redman auf RC 164Auch im folgenden Jahr wurde Read mit der Yamaha Weltmeister. Bei Honda war man mittlerweile stocksauer. Für viel Geld verpflichtete das Werk den fünffachen Weltmeister Mike Hailwood und setzt ihn auf die weiterentwickelte, nun über 60 PS starke Sechszylinder-Rennmaschine, die das Kürzel RC 166 trug. Diese Kombination war nun unschlagbar. In der 250er Klasse wurde 1966 und 1967 Mike Hailwood auf der Sechszylinder-Honda Weltmeister.
Jim Redmans handgefertigter Werksrenner RC 164 kam nach dem Sieg in Japan nach Deutschland und wurde 1964 bei der IFMA in Köln ausgestellt. Danach folgte eine wahre Odyssee. Erst wurde sie vergessen, verstaubte, dann zum Schleuderpreis verkauft und landete 1984 letztendlich bei Robert Iannucci in New York. Erst im Herbst 1993 kam wieder Bewegung in die Geschichte. Robert Iannucci, Besitzer vom Team Obsolete, wollte die Honda bei den Vintage-Rennen in den USA und bei internationalen Oldtimer-Rennen im Ausland an den Start bringen. Doch für diese Vorhaben musste die Maschine zunächst komplett überholt werden. Und das konnte nur einer: Nobby Clark, Ex-Honda-Werksmechaniker von Jim Redman.
Für Nobby Clark war diese Aufgabe eine riesige Herausforderung und für gut ein halbes Jahr ein hundertprozentiger Fulltime-Job. Die Zeit drängte. Am 3. März 1994 sollt die RC 164 beim ersten Vintage-Rennen in Savannah/Georgia nämlich erstmalig wieder am Start stehen. Als Pilot war Team Obsolete-Starfahrer Dave Roper vorgesehen. Pünktlich zum Training lief die RC 164!
Wie vor 30 Jahren hielt Nobby Clark das Renntriebwerk mit kurzen Gasstößen am Leben. Blitzartig wanderte die Drehzahlmessernadel zwischen der vierzehn- und achtzehntausender-Marke. Tiefer durfte sie nicht fallen, sonst war der Motor gleich wieder aus.
SixpackOhrenbetäubend war der Racing-Sound. Sechs offene Megaphon-Rohre sorgten für Aufmerksamkeit. Der Racing-Sound ist so betäubend, dass sich im näheren Umkreis alle Schaulustigen die Ohren zuhalten müssen. Keine Rennmaschine ist greller, keine ist lauter. Nach wenigen Minuten war das Triebwerk auf Betriebstemperatur, Clark übergab die Honda an Dave Roper. Doch Roper kam mit der hochtourigen Maschine nicht zurecht, immer wieder würgte er beim Anfahren den kostbaren Renner ab. Verärgert über Rupers Ungeschick nahm Nobby Clark ihm die Maschine aus der Hand und schob sie in die Box zurück. Das Schauspiel war vorbei. Was hätte der ehemalige Honda-Rennmechaniker dafür gegeben, wenn jetzt sein Freund und Ex-Werksfahrer Jim Redman hier gewesen wäre…
Ein Jahr später erfüllte sich sein Wunsch. Teamchef Robert Iannucci hatte Jim Redman 1995 nach Daytona Beach eingeladen. Der sechsfache Honda-Weltmeister sollte die RC 164 beim Oldtimer-Rennen fahren. Jetzt war das Trio komplett. Jim Redman, Nobby Clark und die Honda RC 164. Robert Iannucci konnte sich zufrieden an die Boxenwand lehnen, sein Traum ging in Erfüllung. Mit ohrenbetäubendem Getöse donnerte Haudegen Jim Redman durch die Steilwand vom Speedway-Oval in Daytona Beach. Die Legende lebte!

Technische Daten Honda Werksrennmaschine RC 164

Motor:
Fahrtwind gekühlter Sechszylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei über Stirnräder angetriebene, obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel; sechs Keihin-Flachschieber-Rennvergaser, Ø 17 mm; Hubraum: 247 ccm, Bohrung x Hub 39 x 34,5 mm, Verdichtung. 12:1, Leistung: 60 PS bei 18.000 U/min, Höchstgeschwindigkeit 250 km/h

Kraftübertragung:
Primärantrieb über Zahnräder, Mehrscheiben-Trockenkupplung, Siebenganggetriebe, Sekundärantrieb über Kette

Elektrik:
Kokusan-Magnetzündanlage mit 3 Unterbrecherkontakten und 3 Doppelzündspulen, NGK-Zündkerzen Ø 8 mm Schraubgewinde

Fahrwerk:
Brückenrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragendes Element, Telegabel, Ø 35 mm, Kastenschwinge aus Stahl, zwei Federbeine

Bremsen:
Vorne Doppelduplex-Trommelbremse, Ø 220 mm, hinten Duplex-Trommelbremse, Ø 200 mm

Räder/Bereifung:
Vorne und hinten Drahtspeichen-Räder mit Alu-Hochschulterfelgen, Avon-Rennreifen mit Profil, vorne 2.75 x 18, hinten 3.25 x 18

Maße: Sitzhöhe: 680 mm, Gewicht: 112 kg, Tankinhalt 16 Liter