aus bma 12/03

von Erik Scheffler

NTV 650 RevereDa steht sie nun vor mir: eine Honda NTV „Revere“ Baujahr 92, rot-metallic, Kardanantrieb, weiße Felgen, 60 PS, wie aus dem Ei gepellt und die kurze Tüte dran.
Zu der Maschine kam ich, wie die Jungfrau zum Kind: vor vier Jahren fuhr ich eine XJ 600 N. Schönes Motorrad, bis zum Unfall. Danach hatte mich kurzfristig die „Vernunft” gepackt und ich gab es auf.
Zwei Jahre später erwähnte ein Kumpel, er wolle sich eine größere Maschine kaufen, seine alte (das Motorrad) wäre zu verkaufen. Irgendwie hatte ich ja schon wieder Lust und der Preis stimmte auch.
Gesagt, getan. Im Winter war ja wieder Zweiradmesse in Oldenburg. Da hatte ich mich schon mal günstigst eingekleidet. Da die alten Sachen verkauft waren, mussten sowieso wieder neue her: Lederkombi, Schuhe, Handschuhe, Nierengurt und Helm standen auf meiner Einkaufsliste. Für sage und schreibe 400 Euro war ich dann auch komplett eingekleidet. Dank ebay kam noch eine nagelneue Regenkombi für 10 Euro dazu.
Dann kam der Tag, an dem ich das Motorrad abholen sollte: die Rückfahrt fand witterungsbedingt im Dunkeln statt. Das Motorrad hatte ich bis jetzt nur in der Garage stehen sehen. Da ich den Kumpel sehr gut kenne, weiß ich, dass er mir keinen Schrott verkauft. Die NTV war super gepflegt, ich dachte, sie wäre erst drei Jahre alt. Kilometerstand 30.000. Laut Brief war sie aber schon 10! Hoppla, das sieht man der alten Dame nicht an.

 

Jetzt sollte ich aber langsam zum Mopped selbst kommen: Die Ente (wie sie liebevoll von ihren Fans genannt wird) ist das ideale Drive-and-Forget Motorrad: aufsteigen, losfahren, abstellen und gut. An dem Ding geht einfach nix kaputt! Vor dem Kauf hatte ich einige Honda-Händler abgeklappert und mich danach erkundigt: „NTV? Habe ich in der Werkstatt noch nie gesehen!”Weitere ähnliche Kommentare folgten.
NTV 650 RevereEs stimmt aber wirklich. In den zwei Jahren, die ich das Motorrad besitze, ist wirklich nichts kaputt gegangen. Und das, obwohl sie jetzt schon zwölf Jahre alt ist und mittlerweile ca. 48.000 Kilometer runter hat. Der Vorbesitzer hat auch nur die üblichen Verschleißteile wechseln müssen.
Die Maschine ist wirklich leicht zu fahren, auch für Einsteiger super geeignet. Die Tourereigenschaften überwiegen bei diesem Naked-Bike: gemütliche Sitzbank, niedrige Sitzhöhe, gutes Fahrwerk, Klasse Motor.
Die Sitzposition ist oberhalb der Gürtellinie sehr komfortabel, darunter eher sportlich. Klingt zwar komisch, ist aber so. Eine Sozia erwähnte beiläufig mal, die hintere Reihe sei auch sehr bequem. Eine kleine Tourenscheibe sorgt für nette Optik und gewährt einen kleinen Windschutz für Autobahnetappen. Die sind mit dem Bike aber eher langweilig und man fährt sich die Reifen eckig. Also wieder ab auf die Landstraße: Das Motorrad lenkt willig ein, der Aufstellmoment in den Kurven hält sich in Grenzen. Die Bremsen packen jetzt mit Stahlflexleitungen sehr gut zu und sind leicht zu dosieren. Hätte nicht gedacht, dass die Metallstrippen soviel ausmachen.
Die anfangs erwähnte kurze Tüte liefert einen blubberigen, kernigen Zweizylinder-Sound. Im unteren Drehzahlbereich macht es unter Brücken und in Tunneln richtig Spaß mal am Hahn zu drehen und das Motorrad zu hören und zu spüren. Die Vibrationen sind allgegenwärtig, aber nicht störend. Wer so was nicht mag, kauft sich einen Vierzylinder.
NTV-CockpitIn den späteren Baujahren kamen zwei längere Auspuffvarianten zum Einsatz, die um einiges leiser waren (ein Tribut an deutsche Behörden). Ein wenig Kosmetik wurde am Lenker und am Cockpit gemacht. Gott sei Dank habe ich noch ein „altes“ Exemplar erwischt. Die hat die typischen Alu-Stummellenker und große Armaturen.
Der Kardanantrieb ist für ein Mopped mit weißen Felgen einfach die Wucht: kein lästiges Kettenfett-Geschmiere, kein Scottoiler oder Nachgestelle. Nur manchmal Ölstand kon- trollieren, das war’s auch schon. Der Leistungsverlust hält sich in Grenzen, laut ADAC noch 58,2 PS am Hinterrad, und das nach zwölf Jahren.
Ist die Drehzahl zu niedrig, quittiert das der Antrieb mit leichtem Klackern. Erster Gang runtergeschaltet und gut ist. Der Motor zieht ab circa 3.000 U/min. richtig gut durch und fängt erst ab circa 7.500 Umdrehungen an schlapp zu machen. Ist aber nicht weiter wild, die NTV ist ja schließlich kein Heizermotorrad. Ab 140 km/h wird’s aufgrund der fehlenden Verkleidung eh ein wenig unruhig. Aber nur obendrauf. Bis zur Höchstgeschwindigkeit von ungefähr 185 km/h (laut angebautem Sigma-Fahrradtacho) bleibt die Fuhre recht spurstabil.
Für die sportlichere Optik kamen schwarze Blinker, ein weiß lackierter Griff sowie die weiß lackierte Scheibe zum Einsatz. Das Auge fährt ja schließlich mit.
Kommen wir nun zu den Negativ-Punkten der NTV: bei etwa 3.500 – 4.000 U/min. hat sich ein merkwürdiges Rasseln eingestellt. Komischerweise kommt und geht das wie es lustig ist. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber daran.
NTV 650 RevereDas war’s auch schon mit den Minuspunkten: der Unterhalt ist günstig, der Verbrauch liegt mit Super-Benzin bei ca. vier bis viereinhalb Litern, der Ölverbrauch tendiert gegen Null, die Fahrleistungen sind in Ordnung.
Wer Lust hat, kann sich gerne im Internet bei YAHOO! in die Gruppe „NTV” einloggen und sich Informationen holen. Das ist dort eine echt nette Truppe, die Ahnung von der Materie hat. Auch ich habe mich kurz nach Besitzübernahme dort eingeklinkt und recht viele Tipps erhalten. Dort gibt es sogar Enten mit einer Laufleistung von weit über 100.000 Kilometern!
Leider steht die NTV auf einem verlorenen Posten: gebaut wurde das gute Stück nur bis 1996. Eventuell erwischt man noch ein gut erhaltenes Exemplar beim Händler. Die Ersatzteilversorgung stellt keine weiteren Probleme dar. Die Preise für Originalteile von Honda sind aber leider recht hoch, so dass man sich überlegen sollte, ob man beim berühmten Dreigestirn „Heinpolouis” Austauschteile ordert.
Dadurch, dass die NTV sehr robust und reparaturunanfällig ist, sind die meisten ein wenig heruntergekommen, da sich die Besitzer nicht allzu pfleglich um sie kümmern. Vielleicht bin ich aber auch nur durch den Anblick meiner Ente verwöhnt, die nach jeder Fahrt von Fliegen und ähnlichem Gezuppel befreit wird.