aus bma 2/12 – Fahrbericht

von Marcus Lacroix

Honda NC 700 X – Dicke Hose war gestern…

Honda NC 700 XGerade lief im Fernsehen wieder ein Werbespot: „Das Statussymbol für alle, die keine Status-Symbole brauchen”. Was für ein geiler Spruch, genau mein Ding. Allerdings ging es da um ein Auto und die interessieren mich nicht besonders – schade, denn der Spruch passt bei der neuen Honda NC 700 wie der sprichwörtliche „Arsch auf Eimer”.

Aufmerksame Leser wissen, dass ich ein Freund der kleineren, eher unscheinbaren Motorräder bin. Der ganze „höher, schneller, weiter Hype” geht mittlerweile an mir vorbei. Ich möchte einfach nur noch stressfrei Motorrad fahren und muss weder mir noch anderen dabei etwas beweisen. Dicke Hose ist ja ganz nett, auf Dauer aber unnötig anstrengend und bringt einen im Leben nicht wirklich voran. Offensichtlich denken noch mehr Motorradfahrer/innen wie ich, denn Honda hat für uns ein Motorrad auf die Räder gestellt, das genau das bieten soll: preiswerten, stressfreien Motorradspaß mit einer guten Portion Nutzwert.

Honda NC 700 X Tankdeckel

Um die Produktionskosten von Anfang an im Blick zu behalten, hat Honda dieses Mal nicht nur ein Motorrad, sondern mit der NC – was für „New Concept” = neues Konzept steht – gleich eine ganze Modellreihe auf die Räder gestellt. Neben der hier gezeigten NC 700 X, die stylistisch deutliche Anleihen an den Honda Cross­over-Modellen Crossrunner und Crosstourer nimmt, gibt es noch die eher konventionell gestaltete NC 700 S und den Roller/Motorrad-Hybriden Integra. Der kalkulierte Preis für die Motorrad-Neuheiten ist heiß. Die S gibt es schon für UVP inkl. NK 5755 Euro, die X für 6255 Euro. Wohlgemerkt für ein nagelneues, vollwertiges Motorrad mit ABS und Werks-Garantie. Da dürfte manch ein potentieller Gebrauchtkäufer ins Grübeln kommen. Es stellt sich aber natürlich auch die Frage, ob Honda irgendwo am falschen Ende gespart hat.

Für diesen Fahrbericht wurde uns eine nagelneue NC 700 X trotz der sehr frostigen Witterung Anfang Februar von Mo­tor­rad Huchtig aus Bremen (Telefon 0421 /570041, www.motorrad-huchting.de) für mehrere Tage anvertraut – besten Dank dafür!

Die erste Frage bei der Übernahme einer unbekannten Maschine lautet natürlich immer: „Gibt es irgendwas Ungewöhnliches zu beachten?”. Antwort: „Nö, alles ganz normal. Nur der Tankstutzen sitzt unter dem Soziusplatz. Entriegelt wird der über das Schloss, das auch das Staufach öffnet wo eigentlich der Tank sitzt”. Aha – coole Sache! So ein Staufach, das beim Einkaufen den Helm aufnimmt, fand ich schon bei der leider missverstandenen BMW Scarver sehr praktisch. Honda hat das Ganze auch optisch ansprechend praxisgerecht ins Motorrad integriert. Ein weiterer positiver Nebeneffekt der Tankform ist die Verlagerung des Schwerpunktes nach unten. Die NC lässt sich problemlos im Stand rangieren, was nicht nur für kleine und leichte Fahrer ein Pluspunkt ist. Manch älterer Herr hat ja mittlerweile auch Beschwerden, wenn der sein Statussymbol-Möppi aus der Garage wuppen soll (das gibt nur keiner zu…).

Honda NC 700 X HelmfachAufsitzen, starten, den ersten der sechs Gänge rein und los geht’s, zu­nächst einmal zum Sprit bunkern. Die Tank-Lösung funktioniert einwandfrei, solange man keine Gepäckrolle auf die Sitzbank geschnallt hat. Dank 14,1 Liter Tankinhalt und dem von Honda versprochenen geringen Spritverbrauch, wäre aber auch das nicht tragisch. So oft hat man im Alltag ja nun keinen Packsack aufgeschnallt.

Bleiben wir gleich beim Thema Spritverbrauch. Honda gibt vollmundig einen Schnitt von 3,7 Liter auf 100 km an. Das erreicht man zwar auch mit manch anderem Bike in der 48 PS Klasse, ist dafür dann aber meist eher bummelig unterwegs. Wir ermittelten 3,9 Liter auf 100 km, vorwiegend Landstraße bei 90 bis 120 km/h, Autobahn bis 130 km/h, Dauerfrost bis minus 10 Grad und angeschlossenen Heiz­hand­schuhen. Berücksichtigt man die längere Warmlaufphase, liegt Honda mit seinem Wert ziemlich richtig. Bei Blümchenpflückertempo ist sicher wenger drin, bei Autobahnbolzerei entsprechend mehr. 168 km/h Spitze (Werksangabe) reichen dort bei dem dichten Verkehr heutzutage mehr als aus, um gut mitzuschwimmen. Ausprobiert haben wir’s mit Rücksicht auf den neuen Motor natürlich nicht.

Honda NC 700 X RahmenSchon auf den ersten Kilometern nervte die kleine Verkleidungsscheibe bei meinen 176 cm und dem Nolan X-Lite X-402 GT mit unangenehm lärmenden Turbulenzen. Glücklicherweise lässt sich die Scheibe in zwei Stufen justieren. Dazu müssen nur vier Inbusschrauben gelöst und die Aufnahmen um 180 Grad gedreht werden. Ist schnell gemacht und das Resultat verblüfft. Der Windschutz bleibt ausreichend groß und die Turbulenzen sind verschwunden!

Sehr angenehm ist die Sitzposition auf der NC 700 X: aufrecht, gut in der Hand liegender Lenker, angenehm straff gepolstere Bank – so lassen sich auch lange Strecken stressfrei bewältigen. Der Sozius kommt nicht ganz so gut weg. Ein schmaler, verliebter Hintern wird sich nicht beklagen. Mutti ist allerdings auf anderen Motorrädern besser aufgehoben. Hier sind auch die „nur” 48 PS wieder ein Thema. Wer häufig zu zweit unterwegs ist, wird sich kaum für die NC-X entscheiden. So ein 670 ccm Zweizylinder (Bohrung x Hub = 73 x 80 mm) mit 48 Pferdchen ist nun mal keine hammermäßige Verbrennungsmaschine, die zwei Erwachsene eindrucksvoll beschleunigt. Ansonsten reicht der Motor ei­gentlich in allen normalen Lebenslagen. Seine Tugenden liegen in anderen Gebieten. Neben dem geringen Spritverbrauch gefällt der Motor durch sein V2-Feeling. Schon dem Serientopf entfleucht ein angenehmer Sound, die 270 Grad Hubzapfenversatz auf der Kurbelwelle machens möglich. Das Pulsieren des Motors überträgt sich beruhigend auf den Fahrer. Es macht einfach Spaß, durch die Landschaft zu cruisen und sich nicht bei jedem Zucken des Handgelenks jenseits des Tempolimits zu befinden. Ab 2500 U/min zieht der Motor auch im letzten Gang durch, wobei der sechste recht lang übersetzt ist. Beim eiligen Überholen ist da schon mal Runterschalten angesagt.

Honda NC 700 X VollausstattungDas Fahrwerk der NC 700 X bietet keine technischen Raffinessen oder Einstellmöglichkeiten, funktioniert im Alltagsbetrieb aber gut. Nur die Vorspannung des Federbeins lässt sich justieren, wobei selbst das den meisten Motorradfahrern wohl eher Latte ist. Hand aufs Herz, wer von euch hat sich schon mal ernsthaft mit Fahrwerksabstimmung beschäftigt? Die Schräglagenfreiheit konnten wir witterungsbedingt bei gefrorenen und stark gepökelten Straßen natürlich nicht ausprobieren, doch scheint sie allemal ausreichend zu sein. Auch die Bremsen geben keinen Anlass zur Klage – sie passen super ins alltagstaugliche Konzept. Vorne und hinten eine Scheibe, gut dosierbar ohne den Fahrer zu überfordern und für Schreckbremsungen mit einem ABS als Backup gesichert. Beim harten Ankern taucht die Front etwas stark ein, aber das werden eher sportlichere Fahrer monieren (und sicher bei Wilbers oder Wirth Lösungen finden). Erstaunlich ist übrigens, wieviel Bremsleistung man auch auf eisigem Asphalt auf die Straße bekommt, bevor der Blockierverhinderer regelt. Das würde man sich ohne ABS kaum trauen.

Honda NC 700 X CockpitEinen Spruch muss ich noch zum Cockpit ablassen, denn einige meiner Kollegen hacken nur zu gerne auf dem „modernen Digitalzeug” rum. Es mag daran liegen, dass ich ein paar Jahre jünger bin als diese, daran dass ich gerne Casio G-Shock getragen haben und bei Enterprise Picard & Riker allemal Kirk & Spock vorziehe, aber ich finde das Cockpit passt gut zur NC-X und unserer Zeit. Runde Instrumente mit Zeigern sind an einer Kawasaki W 800 ja ok, aber ich mag auch Digidisplays von Koso & Co. Einen Drehzahlmesser braucht im Alltagsbetrieb doch wirklich keine Sau! Ich schalte jedenfalls seit jeher immer nach Gefühl in den nächsthöheren Gang. Ob da nun ein Balken oder ein Zeiger zappelt ist mir egal. Die Geschwindigkeit kann ich gut im Display ablesen und das einzige was Honda der NC hätte spendieren können, wäre eine Ganganzeige. Die hilft Anfängern jedenfalls mehr als ein Drehzahlmesser!

Honda-NC700X_fahrtUnd? Gibt es denn nichts zu kritisieren? Es sind Kleinigkeiten an denen man merkt, dass Honda mit spitzem Stift rechnen musste. Brems- und Schalthebel sind schnöde Stahlteile, die Handhebel nicht einstellbar. Schwinge samt Kettenspanner haben wir schon hübscher gesehen und einen Hauptständer gibt’s auch nicht serienmäßig. Abhängig von der Außenschale passen nicht alle Helme ins Staufach und der Kettenschutz könnte zur Radinnenseite hin besser abdecken. Alles in allem aber eher Peanuts, an denen ich hier lutsche. Das einzige, dass zumindest in deutschen Landen der Honda NC-Reihe Probleme bereiten könnte, ist die Leistungsangabe von 48 PS. Die dicke Hose lässt grüßen. Wenn es 60 wären, oder 80. Aber „nur” 48?! Die Diskussion daüber habe ich schon 2011 an manchem Bikerteff bei der Kawasaki W 800 führen dürfen. Dabei fühlte ich mich auch mit der nie ernsthaft untermotorisiert…

Die 48 PS sind ab 2013 zwar EU-Führerscheintauglich, erscheinen vielen Motorradfahrern aber als zu gering. Selbst Fahranfänger und Wiedereinsteiger kommen häufig mit echt aberwitzigen Vorstellungen zu den Motorradhändlern. Schuld daran ist mit Sicherheit auch die Presse, denn wie oft haben wir „Leistung = Spaß” propagiert?! Doch mehr Leistung bedeutet nicht gleich mehr Spaß! Also Leute, gebt den einfachen Motorrädern mit weniger Leistung bei einer Probefahrt mal eine Chance. Und DANACH fällt ihr dann eure eigene Entscheidung! Mit dem gesparten Geld und einem geringeren Spritverbrauch lassen sich jedenfalls viele tolle Touren unternehmen. Ab April kommen die NC 700 X und S dann auch mit dem sehr interessanten DTC-Getriebe, bei dem man sich a.W. das Schalten sparen kann. Der Integra hat es serienmäßig.