aus bma 8/09

von Klaus Herder

Honda Hornet 600 Modell 2009Der durchschnittliche japanische Test- und Entwicklungsfahrer wiegt um die 70 Kilogramm. Eher weniger. Das hat er mit dem durchschnittlichen italienischen Naked-Bike-Kunden gemein, der ja allein schon aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit in der gleichen Gewichtsklasse spielt. Zum nervösen Am-Gasgriff-Drehen neigen beide Typen gleichermaßen.

Schluss damit: Klischee-Modus aus, Tatsachen-Modus an. Tatsache ist, dass Honda die seit 1998 angebotene Hornet 600 weltweit über 170.000 mal verkauft hat. Tatsache ist ebenfalls, dass die Hornisse besonders in Europa recht erfolgreich schwärmt. Für den 2001 bis 2003 errungenen Titel „Bestverkauftes Motorrad Europas” sorgten aber vornehmlich die Italiener.

In Deutschland spielt die Hornet 600 eher in der dritten Liga. Konkret: 2008 reichte es mit 955 hierzulande neu in den Verkehr gebrachten Exemplaren nur für Rang 31 der Zulassungs-Hitparade. Zum Vergleich: Die Honda CBF 600 belegte mit 3760 Exemplaren den zweiten Platz; und selbst die Hornet-Organspenderin CBR 600 RR war mit 1153 Stück und Rang 23 deutlich besser platziert.

Bei der Ursachenforschung kommen wir zu den einleitenden Worten zurück, denn oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die den ganz großen Erfolg verhindern. Zum Beispiel ein Fahrwerk, bei dem sich nur die Federbasis des Zentralfederbeins und sonst gar nichts verstellen lässt. Ein Fahrwerk also, dass dem deutschen Kunden gefälligst so zu gefallen hat, wie es dem japanischen Testfahrer (oder dem italienischen Kunden…) beliebt. Das klappt mit sportlich ausgelegten und nicht gerade zum Discounttarif angebotenen Motorrädern in Deutschland nur bedingt, weil der durchschnittliche Naked-Bike-Teutone nun mal deutlich über 70 Kilo auf die Waage bringt und gelegentlich auch seine Teutonen-Braut durch die Gegend kutschieren möchte. Und weil das Herumspielen an Gabel und Federbein nun mal zum Image eines echten Bikers gehört.

 

Honda Hornet 600 Modell 2009Honda hat verstanden und genehmigte der zum Modelljahr 2007 praktisch komplett neu entwickelten Hornet 600 für 2009 eine kleine, aber feine Portion Modellpflege. Konkret: Das Monoshock-Federbein der Hinterhand hat neben der siebenfachen Verstellmöglichkeit der Federbasis nun auch eine verstellbare Zugstufendämpfung. Zur Erinnerung: Das ist die Dämpfung der Ausfederbewegung (beim Einfedern heißt es Druckstufendämpfung). Die bislang völlig unantastbare Gabel lässt sich nun ebenfalls in der Dämpfung der Zugstufe variieren. Das Ergebnis lässt sich fühlen, denn die straffere Grundabstimmung und die bessere Abstimmungsmöglichkeit sorgen besonders bei sportlicherer Fahrweise für noch sattere Straßenlage, Neutralität und Lenkpräzision. Kein Durchpumpen beim Beschleunigen, kein Aufschaukeln in Wechselkurven, die Honda liegt wie das sprichwörtliche Brett – und das alles bei immer noch ordentlichem Komfort. Dafür, dass die Verstellmöglichkeiten in der Praxis auch tatsächlich genutzt werden können, sorgt die gute Zugänglichkeit aller Bauteile. Für die Verstellung der Federbasis liegt dem gar nicht so üblen Bordwerkzeug ein Hakenschlüssel bei, den Rest erledigt ein Schraubendreher. Die fahrwerksmäßig aufgefrischte Hornet lässt sich an einigen Details erkennen: Die sichtbaren Teile des Alurahmens, die Schwinge und die Sitzbank-Unterverkleidung tragen neuerdings Schwarz. Die Standrohre der Upside-down-Gabel waren bislang gold eloxiert, jetzt glänzen sie in Silber. Neben Schwarz und Rot ist die Hornet 600 nun auch in Gelb und Weiß zu bekommen.

Honda Hornet 600 Modell 2009Der ohnehin schon sehr gelungene Arbeitsplatz erfuhr nur minimale Änderungen. Das beinahe schon Armaturenbrett-Format aufweisende, recht übersichtliche und sogar etwas Winddruck nehmende Cockpit wurde etwas aufgehübscht, der Kupplungshebel lässt sich aber auch beim aktuellen Modell nicht verstellen. In Sachen Ergonomie gibt es ansonsten nichts zu meckern. Die relativ weiche und bequeme Sitzbank ist im vorderen Bereich schmal geschnitten und ermöglicht auch kurzbeinigen Fahrern sicheren Bodenkontakt. Die 800mm Sitzhöhe fühlen sich eher niedriger an, ab rund 1,65 m Körperlänge ist man beidfüssig dabei. Lenkergriffe und Fußrasten sind optimal platziert und sorgen für eine dezent sportliche Sitzposition. Der Soziuskomfort ist für ein Naked Bike völlig in Ordnung.

Für Vortrieb sorgt unverändert der aus der 2007er-Version des Supersportlers CBR 600 RR stammende Motor. Änderungen an Airbox, Motormanagement, Nockenwellen und Einspritzanlage bescherten dem Reihenvierzylinder ein fülligeres Drehmoment im unteren und mittleren Drehzahlbereich, kappten dafür aber die Spitzenleistung von 120 auf 102 PS, die bei üppigen 12000 U/min anliegen. Das maximale Drehmoment von 64 Nm stemmt der extrem drehfreudige Motor bei auch nicht gerade bescheidenen 10500 Touren.

Doch bereits aus den Tiefen des Drehzahlkellers heraus benimmt sich der sehr kompakte Viererpack überaus kultiviert. Kommt der Motor nach einer etwas längeren Warmlaufphase von seiner hohen Leerlaufdrehzahl von 2000 Touren runter, geht er seidig weich ans Gas und erfordert beim Anfahren keinerlei Kupplungszauberei. Absolut unauffällig schnurrt der Motor beim Durch-die-Stadt-Wuseln vor sich hin, nervt weder durch Konstantfahrruckeln noch durch irgendwelche herben Lastwechselreaktionen.

Honda Hornet 600 Modell 2009Das eigentliche Revier der Hornet 600 ist natürlich die möglichst kurvige Landstraße, und dort kann die vollgetankt (und mit aufpreispflichtigem ABS bestückte) 205 Kilogramm leichte Honda ihre ganzen Stärken ausspielen. Ab 5000 U/min ist Dampf unterm Deckel, ab 7000 U/min brennt die Luft. Bis 10000 Touren spielt die 600er völlig unangestrengt mit ihrer Leistung, und bereits eines gutes Stück vor dieser Marke ist der Hornet-Pilot in einem Bereich unterwegs, der dem Konto in Flensburg nicht gut tut. Den Drehzahlmesser muss man dabei gar nicht ständig im Blick behalten, denn im Unterschied zu manch anderem hochgezüchteten 600er-Motor ist der nutzbare Drehzahlbereich der Hornet erfreulich weit gesteckt. Wer keine Lust auf übermäßige Aktivität am Schalthebel hat, kann auch mit dem Gasgriff allein beeindruckende Durchzugswerte erzielen – vorausgesetzt, die Drehzahl sackt nicht unter die besagten 5000 U/min ab. Im oberen Drehzahlbereich, also oberhalb von 10000 U/min, gibt sich der Motor nicht mehr ganz so kultiviert. Dort reagiert er sehr direkt und fast ruppig auf Gasbefehle und geht aus dem Schiebebetrieb etwas hart ans Gas. Was einen nicht weiter belasten muss, denn diese Regionen erreicht man ohnehin nur auf der Autobahn und jenseits eines Tempos, das für eine unverkleidete Maschine als Dauergeschwindigkeit taugt. Als Vmax verspricht Honda 230 km/h. Für die Technik kein Problem, für den ab spätestens 180 km/h willenlos im Sturm hängenden Fahrer schon eher.

Sehr flotte Autobahn-Etappen kosten nicht nur Kondition, sie kosten auch richtig Sprit, denn wer heftigst an der Kordel zieht, fackelt locker über sieben Liter auf 100 Kilometern ab. Flotter Landstraßenbetrieb zieht auf 100 Kilometern dafür selten mehr als gute fünf Liter aus dem 19-Liter-Tank. Neben den überschaubaren Spritkosten sollte der Hornet-Pilot rechtzeitig noch eine stille Reserve für Reifen- und Bremsbelagersatz einplanen. Nicht etwa, weil die Honda übermäßig Gummi und Beläge frisst, sondern weil ihr dynamisches Wesen selbst ruhigere Charaktere zu einer flotten Fahrweise verführt. Und dazu gehört bei ihr auch Spaß am (Spät-)Bremsen, denn die Stopper sind in bester Honda-Manier vom Feinsten. Besonders dann, wenn für 700 Euro Aufpreis das famose „Combined ABS” geordert wurde. Statt Doppelkolben-Schwimmsätteln verzögern bei der ABS-Kombibremse Dreikolben-Sättel im Vorderrad. Einer dieser Kolben wird auch dann betätigt, wenn der Fahrer die Hinterradbremse tritt. Beim Zug am Handbremshebel wird dafür ausschließlich vorn verzögert. Mit tollem Biss, sauber dosierbar und feinfühlig regelnd überzeugt das System auf ganzer Linie und sollte für Hornet-Käufer ein Muss sein. Kleiner Unterscheidungs-Tipp für Insider: Die Sättel der ABS-Bremse sind nun schwarz statt gold. Ohne ABS wiegt die Hornet übrigens 198 Kilo.

Honda Hornet 600 Modell 20097690 Euro plus 700 Euro fürs ABS plus Nebenkosten plus ein, zwei Extras (z. B. der dringend zu empfehlende und unverständlicher Weise nicht serienmäßige Hinterradkotflügel) – das macht dann irgendetwas so zwischen 8500 und 9000  Euro. Kein Sonderangebot – die direkten Wettbewerber Kawasaki Z 750 und Suzuki GSR 600 sind deutlich günstiger – aber zum Beispiel im Vergleich zur technisch eng verwandten CBR 600 RR (11600 Euro ohne ABS) immer noch ein Preis, bei dem scharf kalkuliert werden musste. Und diesen Preisdruck merkt man der Honda in einigen Details durchaus an: Stahlrohr-Lenker, Einfach-Kettenspanner, keine gekröpften Reifenventile, kein verstellbarer Kupplungshebel, fehlender Hauptständer, besagter Kotflügel nur gegen Aufpreis – die Sparmaßnahmen-Liste ist gar nicht mal so klein. Ein Sparmodell ist die Hornet 600 deswegen noch lange nicht, denn das, was Honda serienmäßig liefert, ist sehr gut verarbeitet und auch bei vermeintlichen Kleinigkeiten gut durchdacht. Sehr gutes Licht und eine Ölstandkontrolle per Schauglas sind nur zwei Beispiele.

Unterm Strich ist die Honda Hornet 600 nun ein Motorrad, das in Deutschland deutlich mehr Kunden verdient hat. Die jüngsten Modellpflegemaßnahmen sorgten dafür, dass die Hornisse jetzt noch besser stechen kann. Zum famosen Motor, der mit toller Laufkultur und ausgeprägter Drehfreude glänzt, gibt es nun auch ein klasse Fahrwerk. Da haben die leichtgewichtigen japanischen Test- und Entwicklungsfahrer einen tollen Job gemacht, und die kleinwüchsigen Südeuropäer wird’s nicht weiter stören, denn die Hornet wird auch weiterhin bei ihnen montiert, nämlich im Honda-Werk in Atessa (Mittelitalien).