aus bma 1/00

von Claus Jacobsen

Honda GL 1500 – für die einen ein Alptraum von einem Motorrad – für die anderen eine herausragende Maschine. Mich hat dieses Motorrad schon immer fasziniert. Seit 20 Jahren fahre ich Motorräder, zuletzt eine Pan European.
Am letzten Tag einer Eifeltour im Jahre 1996 fuhr eine GL 1500 an mir vorbei. Der Sound des Sechszylindermotors und die Optik der Maschine ließen mich nun nicht mehr los. Nach kurzer Überlegung wurde die ST 1100 verkauft und eine drei Jahre alte GL 1500 Aspencade mit nur 11.000 Meilen auf dem Tacho erworben. Es kam selbstverständlich nur eine amerikanische Ausführung in Frage, d.h. mit hoher Scheibe und hohem Topcase. Sie hat nun wohl einen Meilentacho, aber um die lästige Umrechnerei zu vermeiden, kann man sich ja einen Fahrradtacho nachrüsten.
Honda GL 1500 GoldwingEs war am Anfang sehr gewöhnungsbedürftig, eine Maschine von solchen Ausmaßen zu fahren. Zuerst kam ich mir wie ein Busfahrer vor und probierte erst mal vorsichtig, ob sich die Maschine auch wie ein Motorrad bewegen ließ. Du bist natürlich arm dran, wenn du annähernd 400 kg Gewicht schieben willst. Und absteigen darfst du erst dann, wenn das Motorrad auf dem Seitenständer abgestellt ist. Der Rückwärtsgang ist auch keine Spielerei, sondern ein notwendiges Zubehör und funktioniert ausgezeichnet. Beim Aufsteigen setzt du dich nicht auf eine Sitzbank, sondern in einen Sessel. Damit lange Touren ohne Rückenschmerzen ablaufen, ist es sinnvoll, eine verstellbare Fahrerrückenlehne nachzurüsten – der Rücken wird dadurch total entlastet. Choke ziehen und Starter drücken, der Sechszylinderboxer springt sofort an. Nach einigen Metern kann der fein dosierbare Choke geschlossen werden. Der Doppelfallstromvergaser ist an den Kreislauf des Kühlwassers angeschlossen, dadurch wird der Kraftstoff sehr schnell vorgewärmt.
Die Verkleidung und die hohe Scheibe trotzen jeder Witterung. Selbst bei starkem Regen wird man hinter der Verkleidung kaum nass. Es gibt auch keine Verwirbelungen; Radio kann man so bis 140 km/h noch gut hören (das Stereocassettenradio passt sich in der Lautstärke automatisch der Geschwindigkeit an). Allerdings ist durch die hohe Scheibe die Sicht bei Regen und Nebel sehr stark eingeschränkt. Im Zubehörhandel gibt es aber glücklicherweise einen elektrischen Scheibenwischer. Hierzu empfiehlt es sich jedoch, eine verglaste Scheibe einzubauen, da die einfache Kunststoffscheibe sonst zu schnell verkratzt.

 

Damit das Fahren auch im Winter erträglich bleibt sind beheizte Griffe heute schon fast ein Muss. Aus dem Zubehörhandel gibt es allerdings nichts passendes für eine GL 1500. Also direkt bei Honda bestellen – Kaufpreis ohne Einbau ca. 450 DM (schluck!). Der Einbau ist sehr genau beschrieben, und die Steckverbindungen sind in der Maschine bereits vorhanden. Die Wärmeregelung erfolgt stufenlos über einen Drehschalter.
Honda GL 1500 GoldwingWie gesagt, die GL ist kein Motorrad zum Schieben. Einmal in Fahrt ist sie durch ihren tiefen Schwerpunkt allerdings außerordentlich handlich. Sie lässt sich, um ein wenig zu übertreiben, fast so leicht wie ein Fahrrad fahren. Schnelle Richtungswechsel sind dank des breiten Lenkers problemlos möglich. Ich habe so auch schon viele Pässe in den Westalpen mit ihr erkundet, Stilfserjoch und Timmelsjoch inklusive. Du kommst mit dieser Maschine überall hin!
Sicher, teilweise ist es echte Arbeit, wenn du in einer schnellen Gruppe unterwegs bist – der Körpereinsatz ist nun mal größer als bei einer leichten Maschine. Aber es macht einen Heidenspaß, den Trumm zu beschleunigen. Der Sechszylinder schafft es in weniger als fünf Sekunden, die annähernd 400 kg von 0 auf 100 km/h zu beschleunigen – eine prima Leistung.
Der Motor ist ein Gedicht: 98 PS bei 5200 U/min und 150 Nm bei 4000 U/min. Schon ab 30 km/h läßt sich das Motorrad im 5. Gang bewegen – vibrationsfrei mit einem tollen Sound. Das Fünfgang-Getriebe läßt sich übrigens gut schalten. Die Gänge flutschen mit einem satten Klack ein. Beim Herunterschalten fallen diese fast von selber in die nächst niedrigere Stufe. Im Sommer 1998 habe ich mir den Spaß gemacht und einen Tag auf einer Rennstrecke gebucht, auf dem Heidbergring in Geesthacht – eine kurvige Strecke mit wenigen kurzen geraden Abschnitten. Einige Leute waren doch erstaunt, als ich mit der GL dort auftauchte. Und etwas unwohl fühlte ich mich zuerst auch beim Anblick der Sportmaschinen. Es stellte sich aber schnell heraus, dass viele Maschinen sportlicher waren als ihre Fahrer. Ich hatte kein Problem, in der Gruppe mitzufahren, ohne oft überholt zu werden.
Die Maschine zieht sauber und flott durch – runterbremsen vor der Kurve, rausbeschleunigen aus der Kurve mit sauberem Strich – ein irrer Spaß. Einige Teile (Verkleidungsunterteil, Fußrasten, Hauptständer und Auspuff ) ließen ihre Spuren auf dem Asphalt. Ich hatte trotzdem den ganzen Tag ein sehr sicheres Fahrgefühl.
Um das Fahrwerk für schnelle Kurven stabiler zu machen und um die Bodenfreiheit der Maschine zu erhöhen, habe ich zwei Dinge verbessert:
1) Der Druck in der luftunterstützten Gabel sollte 0,4 – 0,5 bar betragen Es ist sinnvoll, die Standrohre zu verbinden, um eine gleichmäßige Luftbefüllung zu erreichen. Außerdem machen sich progressiv gewickelte Federn der Fa. Wirth positiv bemerkbar.
2) Das rechte hintere Federbein ist ebenfalls luftunterstützt und wird über den Bordkompressor befüllt. Ich habe das Federbein ausgebaut und das Öl abgelassen; es gehören normalerweise 145 ml Gabelöl hinein. Ich habe dann 160 ml ATF-Öl eingefüllt; der Luftdruck sollte je nach Beladung zwischen 40 und 80 Psi liegen.
Der Geradeauslauf des Motorrades ist gut. Bei der Höchstgeschwindigkeit von ca 185 km/h gibt es leichte Pendelbewegungen, die allerdings nicht gefährlich werden. Auf langen Autobahnetappen erleichtert ein Tempomat das Fahren enorm – allerdings funktioniert er nur bis circa 130 km/h. In schnell gefahrenen Kurven mit Bodenwellen kommt es durch das hohe Gewicht allerdings zu Schlingerbewegungen – da hilft dann nur noch die gute Kombibremse (Fußbremse für die hintere und eine vordere Scheibe, Handbremse für die zweite vordere Scheibe). Sie verzögert die Maschine mehr als ausreichend und ist sehr standfest.
Weniger standfest sind die Dunlop-Reifen, die ich zur Zeit fahre. Bei Nässe rutscht die Maschine mit diesen Reifen bereits bei leichter Schräglage. Demnächst werde ich eine Reifenpaarung von Metzeler ausprobieren.
Das Wechseln des Hinterreifens ist bei der Goldwing zeitaufwendiger als z.B. bei einer ST 1100, zumal, wenn man keinen zweiten Mann zu Hilfe hat. Es sind etliche Schrauben zu lösen, da die beiden Koffer entfernt werden müssen. Es ist sinnvoll, sich in Ruhe mit der Demontage der Verkleidungsteile zu befassen. Das Werkstatthandbuch ist eine lohnende Investition und sehr hilfreich für den Anfang. Doch ansonsten ist eine Gold Wing sehr wartungsfreundlich: Motoröl, Öl- und Luftfilter, Kerzen – alles lässt sich ohne viel Aufwand wechseln. Die Ventile stellen sich selbst nach. Der Vergaser verstellt sich nach meiner Erfahrung nicht, so dass auch hier nicht weiter geprüft werden muß. Der Tank faßt 24 Liter Normal-bleifrei; der Verbrauch liegt im Schnitt bei 6,5 Litern. Es können aber auch schon mal bis zu 10 Liter werden.
Mittlerweile habe ich über 50.000 km mit der Maschine zurückgelegt und habe noch nicht einmal eine Glühlampe auswechseln müssen. Es ist ein echtes Langzeitmotorrad mit einem supertollen Motor in einem ordentlichen Fahrwerk, einer unverwechselbaren Optik und einer ausgereiften Technik sowie einer hervorragenden, hondatypischen Verarbeitung.