aus bma 5/99

von Günter Lengen

Es war mein 43. Geburtstag, ich weiß es noch ganz genau. Die letzten Gäste hatten sich verabschiedet und ich saß allein mit einem Bier im Wohnzimmer und bekam das große Grübeln. „Du wirst alt, Du mußt irgend etwas tun.” Und mit einem Schlag kam die Erkenntnis: „Du mußt wieder Motorrad fahren.” Gedacht, gesagt, versucht.
Honda GL 1200 Gold WingBereits am nächsten Tag stand ich bei einem Motorradhändler aus Fernost auf der Matte. Als ich diese Plastikgranaten vor mir sah, wurde mir ganz anders. Sollte ich nicht doch lieber dem Wanderverein beitreten? Oder Golf spielen? Nein!
Der Verkäufer sah mich fragend an, und ich hörte mich sagen, daß ich gerne mal eine Maschine probefahren würde. „Klar, kein Problem”, meinte er mit einem Lächeln auf den Lippen. „Haben Sie Erfahrung?” Ich dachte einen kurzen Moment nach. „Klar, ich habe eine 1100er Katana gehabt und später eine Kawa Z 1300 mit Sechszylindermotor. Überhaupt habe ich fast alles gefahren, was zwei Räder hat.” „Wie lange ist das her?”, kam prompt die Reaktion des Verkäufers. Jetzt reichte es mir. „Ich möche die da fahren.” Ausgerechnet auf so einen Supersportler zeigte ein Finger meiner rechten Hand. Ich erschrak vor mir selbst, doch jetzt hieß es Augen zu und durch. „Ok, kein Problem. Ein geiles Teil, 180 kg Trockengewicht, 120 PS.” Dem jungen Mann war anzusehen, daß er sich einige Gedanken machte über mich und das Bike, das ich fahren wollte (Telefonnummer des Rettungsdienstes, Höhe der Selbstbeteiligung etc.). Als erstes versuchte ich mich in meine alte Lederkombi einzuschweißen – aber es gelang nicht. Sie war wohl im Laufe der Zeit etwas eingelaufen! „Ok, Jeans tun es auch, ich fahre ja nur ein paar Kilometer.” Mein alter Helm paßte noch.
Nachdem ich dem jungen Mann versichert hatte, daß er mir nicht zu zeigen brauchte, wo Gas und Kupplung sitzen, fuhr ich endlich wieder Motorrad, nach über zehn Jahren – für fast zehn Minuten. Wieso hat mir das damals Spaß gemacht?? Ganz langsam bewegte ich die Maschine wieder zurück zum Händler. Ok, das war eine Nummer zu groß. „Wie wär’s mit einer Enduro?”, fragte mich der Verkäufer sehr geduldig. „Klar,” entgegnete ich, „das hat seinerzeit auch viel Spaß gemacht, ich hatte eine Suzuki DR 250 und war mit ihr häufig im Gelände.” Ich bestieg also eines von diesen neuen Funbikes, das heißt, ich wollte es, doch der Höhenunterschied zwischen meinen Füssen und der Erde war so gewaltig, daß mir schwindelig wurde.
Honda GL 1200 Gold WingWeitere zahlreiche Versuche, Probefahrten und Selbsteinsichten vergingen, aber ich kam mehr und mehr zu der Überzeugung, daß ich vielleicht doch lieber etwas anderes machen sollte. Ich beschloß, dem sehr geduldigen Verkäufer 20 Mark Trinkgeld zu geben, um seine zwischenzeitlich etwas angeschlagene gute Laune wieder herzustellen.
Die Zeit verging, und ich hatte den Gedanken an ein Motorrad schon fast wieder aufgegeben, als ich auf einer Tankstelle (m)ein Motorrad sah. Eine Honda Gold Wing 1200 Interstate. Und was für eine! Jede Menge Chrom, Lampen und Schnickschnack. Und dabei wirkte sie urgemütlich. Als der Fahrer aus dem Tankstellengebäude kam, hörte ich mich sagen: „Verkaufst Du sie mir?” Die Antwort kam postwendend: „Du hast wohl einen Clown gefrühstückt!” Aber dann, mit einem kleinen Zögern, fragte mich der sympathische junge Biker, was ich denn raustun würde und wie meine Telefonnummer denn sei. Ich nannte ihm spontan die Summe, für die ich wahrscheinlich einen großen Chopper hätte kaufen können und gab ihm meine Nummer. Einige Tage später, ich hatte die Begegnung schon fast wieder vergessen, bekam ich einen gewaltigen Schreck. Meine Frau rief mich ganz aufgebracht in der Firma an und fragte mich, was ich denn von moderner Sklaverei hielte, und warum ich eine Geliebte kaufen wolle und überhaupt… Nachdem ich sie einigermaßen beruhigt hatte, ließ ich mir erklären, was passiert war. Es stellte sich ganz schnell heraus, daß mein Gold Wing-Fahrer angerufen hatte und mir ausrichten ließ, daß ich seine Geliebte (Gold Wing) für den abgemachten Betrag kaufen könne. Whow!
Es dauerte fast noch eine ganze Woche, bis es endlich soweit war. Ein Freund fuhr mich nach Aurich in Ostfriesland, wo ich die Wing übernehmen wollte. Bereits eine halbe Stunde vor dem abgemachten Termin waren wir da. Ungeduldig wartete ich auf mein Traummotorrad. Dann endlich bog sie um die Ecke. Erneut glänzten meine Augen und ein Glücksgefühl breitete sich in mir aus. Eine Stunde später saß ich auf der bequemen Sitzbank und fuhr Richtung Heimat. Es regnete wie aus Kübeln, aber davon bekam ich nichts mit. Es hat soviel Spaß gemacht, daß ich auch noch zu Hause jede Menge Kilometer abgerissen habe.
Jetzt sitze ich wieder in meinem Wohnzimmer und grübel über das Alter und den Sinn des Lebens, denn heute ist wieder ein Jahr um. Ich habe mal wieder Geburtstag und bin ein Jahr älter geworden – und doch einige Jahre jünger. Denn mit der Wing war ich auf vielen Treffen und Veranstaltungen, in sieben Monaten habe ich fast zehntausend Kilometer zurückgelegt und viele begeisterte Motorradfahrer kennengelernt.