aus bma 12/02

von Klaus Herder

FirebladeDie Sache mit dem Lob kann manchmal voll nach hinten losgehen. Was würde zum Beispiel Claudia Schiffer sagen, wenn man als ihre herausragendste Eigenschaft brilliante Kochkünste nennen würde? Oder wie würde Michael Schumacher reagieren, wenn der Nation zu seiner Person nur einfallen würde, dass er prima Blockflöte spielt? Eben. Das, was Honda nun mit der aktuellen Fireblade (formerly known as CBR 900 RR) angestellt hat, sollte also unser Verständnis finden.
Doch schön der Reihe nach: Mit 893 ccm Hubraum, 125 PS und vollgetankt 206 Kilogramm fing’s 1992 an. Damit war Honda der Chef im Ring und fühlte sich wohl auch geschmeichelt, wenn der Begriff „Supersportler” von Presse und Kundschaft gern mit dem Zusatz „alltagstauglich” versehen wurde. Was dann folgte, entsprach bester Honda-Tradition. Alle zwei Jahre stand eine Modellpflege an, nach jeweils vier Jahren gab es ein praktisch komplett neues Motorrad. 1996 stieg die Leistung auf 128 PS, der Hubraum wuchs auf 918 ccm. Das 2000er-Modell bot 929 ccm und 147 PS sowie an bemerkenswerten Neuheiten unter anderem eine Einspritzanlage, einen geregelten Katalysator und die unvermeidliche Upside-down-Gabel. Die Fireblade wog damit nur noch 202 Kilogramm.

 

FirebladeEs hätte also alles sehr schön sein können, wenn in der Zwischenzeit nicht zwei Probleme aufgetaucht wären. Die hießen Yamaha YZF-R1 und Suzuki GSX-R 1000 und nahmen der Fireblade die Butter vom Brot. Erschwerend kam hinzu, dass hinter vorgehaltener Hand in Zusammenhang mit der CBR das hässliche Wort vom „Sporttourer” die Runde machte. Um es auf den Punkt zu bringen: Die „Feuerklinge” (das heißt Fireblade übersetzt) war über die Jahre etwas zu nett und harmlos geworden und musste nach Einschätzung der japanischen Marketing-Strategen nachgeschärft werden. Es ging also darum, ein prinzipiell sehr gutes Motorrad wieder etwas stärker in Richtung Supersportler zu trimmen. Die brutale Nummer wäre nun gewesen, dem guten Stück eine ordentliche Portion Zusatz-Leistung zu verpassen und so direkt im Revier der immerhin 160 PS starken GSX-R 1000 zu wildern. Doch Honda entschied sich für einen deutlich eleganteren Weg, fiel also nicht mit der Tür ins Supersport-Haus, sondern kam praktisch von hinten durch die Küche. Als regelmäßiger Weltmeister der GP-Königsklasse wissen die Honda-Verantwortlichen nämlich, dass Rennen nur selten auf der Geraden mit Vollgas, sondern meist in den Kurven und auf der Bremse gewonnen werden. Es konnte also nicht darum gehen, mit noch mehr Leistung zu klotzen. Das Entwicklungsziel musste lauten, die handlichste Fireblade aller Zeiten zu bauen.
Da sich so ein paar Zusatz-Pferdestärken aber zumindest im Prospekt ganz nett machen, gab’s beim jüngsten Update aber dann doch einen Leistungs-Nachschlag. Ein Millimeter mehr Bohrung und damit 954 anstelle von 929 Kubik, eine etwas höhere Verdichtung sowie um zwei auf 42 Millimeter vergrößerte Drosselklappen machten es möglich. Drei mehr und damit 150 PS liegen nun bei 11.250 U/min an. Das maximale Drehmoment beträgt klassenübliche 104 Nm, die bei 9500 Touren gestemmt werden.
Nun waren 202 Kilo Kampfgewicht ja wirklich nicht übertrieben viel, aber unter der Vier-Zentner-Marke zu bleiben ist mittlerweile wohl eine Frage der japanischen Ingenieurs-Ehre. Leichtere Kolben, eine schlankere Lichtmaschine, leichtere Gussräder und eine komplett aus Titan gefertigte Auspuffanlage sorgten unter anderem für drei Kilo Diät-Erfolg. Macht vollgetankt 199 Kilogramm – Glückwunsch. Die nun unglaublich wichtig nach GP-Renner aussehende Alu-Schwinge speckte dank dünnerer Wandstärke ebenfalls ab, soll aber steifer als das zuvor verbaute Exemplar sein. An anderer Stelle kamen ein in Form von Verstärkungen ein paar Gramm drauf. Die im Motorgehäuse gelagerten Schwingenaufnahmen und der aus einem Alu-Gussteil bestehende Lenkkopf profitierten von dieser Aktion.
DiodenrücklichtNeben der besagten Schwinge fällt an der neuen Fireblade aber sicher zuerst die wesentlich körperbetontere Verschalung auf. Die ganze Maschine wirkt deutlich schlanker und zierlicher als die Vorgängermodelle. Der breitmäulige Multireflektor-Scheinwerfer sorgt für einen mittelschwer bösen Blick, und das Dioden-Rücklicht ist ein netter Modegag, der einen gewissen Hightech-Charme versprüht. Ans Eingemachte ging es bei der Sitzposition. Der in den Vorjahren ziemlich breit und lang bauende Tank ist nun deutlich kürzer, schmaler und niedriger – und fasst trotzdem unverändert 18 Liter. Der neue Spritbehälter hat handfeste Vorteile, denn nun sitzt der Fahrer näher am Lenker und kann das Vorderrad besser belasten, was beim Beschleunigen ein unschätzbarer Vorteil ist. Zudem ist der Knieschluss jetzt perfekt. Die beiden Lenkerhälften sind für Supersportler-Verhältnisse immer noch relativ hoch und eine durchaus bequeme Sitzposition zulassend montiert. Glücklicherweise klammerte Honda auch die Fahrerfußtrasten vom Verschärfungs-Programm aus. Ihr Abstand zur Sitzfläche ist immer noch ausreichend groß und gibt Durchblutungsstörungen keine Chance. Insgesamt wurde die Sitzposition aggressiver, aber nicht unbequemer. Es fällt dem Fireblade-Fahrer nun noch etwas leichter, das Messer zwischen die Zähne zu nehmen. Die neue Fireblade wirkt wie eine gelungene 600er – wie eine supersportliche 600er. Und das ist durchaus als Kompliment gemeint.
Angelassen wird ohne irgendeine Choke-Fummelei, ums Kaltstart-Procedere kümmert sich eine Automatik mit dem Ergebnis einer kurzfristig ungesund hohen Leerlaufdrehzahl. Das Sechsganggetriebe bietet nichts wesentlich Neues. Wer mit dem linken Fuß eindeutig klar macht, was er will, wird keine Probleme mit der kernigen, aber durchaus präzisen Schaltbox haben. Am Gasgriff ist schon ein etwas sensiblerer Charakter gefragt. Wer unnötig wild am Quirl dreht, wird mit derben Lastwechseln bestraft, die Gasannahme ist in solchen Fällen ziemlich ruppig. Für Grobmotoriker ist die Fireblade nichts, alle anderen dürfen sich über ehrlichen Druck ab 3000 U/min freuen. Darunter ist nicht viel bis gar nichts los, der Reihenvierzylinder liebt Drehzahlen und fühlt sich oberhalb von 6000 Touren richtig wohl. Ohne irgendeinen Hänger stürmt die Drehzahlmessernadel in Richtung roter Bereich jenseits der 11000er-Marke. Die Fireblade kennt keine Leistungseinbrüche, aber auch keine ausgeprägten Spitzen. Die absoluten Fahrleistungen sind dabei überaus herzhaft: 0 auf 100 in drei Sekunden, in knapp unter acht Sekunden auf Tempo 200 und Feierabend ist bei eigentlich ausreichenden 277 km/h. In Sachen Durchzug leistet sich die Honda ebenfalls keine Schwäche und erledigt den Job eine Kleinigkeit schneller als die auch nicht gerade untermotorisierte GSX-R 1000.
In Sachen Lebensäußerungen ist der flüssigkeitsgekühlte 16-Ventiler kein Schmuseheimer. Dass da eine Kurbelwelle recht heftig rotiert, ist jederzeit spürbar. Störend ist der kernige Motorlauf aber ganz und gar nicht. Soundmäßig bietet die Serienanlage leider nur ein sehr gedämpftes Durchschnittsprogramm, das die Mittagsschläfchen vom Kevin und der Hanna-Marie nicht weiter stören wird.
CockpitDoch bei aller Freude über den rundherum gelungenen Motor sorgt eher eine andere Fireblade-Eigenschaft fürs ganz breite Fahrergrinsen: das sensationelle Handling. So leicht und locker ließ sich eigentlich noch kein Supersport-Bigbike um Kurven jedweder Art schmeißen. Zielgenau und bestens berechenbar sind mit der Fireblade unglaubliche Kurvengeschwindigkeiten möglich. Die extra für die Honda entwickelten Bridgestone BT 012 benehmen sich tadellos und vermitteln ein ungemein sicheres Gefühl. Bereits die Grundabstimmung der voll einstellbaren Federelemente ist für den flotten Straßenbetrieb bestens gelungen. Da wurden keine Billigteile verbaut, Upside-down-Gabel und Zentralfederbein sprechen sensibel an und bleiben auch bei verschärfter Gangart standfest. Das gilt auch für die geniale Bremsanlage. Die Nissin-Vierkolbensättel im Vorderrad verbeißen sich brutal in der 330-Millimeter-Doppelscheibebremse, wenn’s drauf ankommt. Dabei ist ihre Dosierbarkeit vom Feinsten, und selbst bei harten Bremsmanövern werden nie mehr als zwei Finger am sechsfach verstellbaren Handbremshebel benötigt. Besser geht’s zur Zeit nicht – die Stopper sind referenzverdächtig.
Wer partout am Fahrwerk herumspielen möchte, kann sich bei der neuen Fireblade ausführlich dem Heck widmen. Über eine Gewindespindel an der Federbeinaufnahme lässt sich nämlich das Hinterteil anheben. Da das Heck bei harten Bremsmanövern aber ohnehin schon sehr leicht wird und das Hinterrad zu stempeln anfängt, ist eine solche Aktion aber eher kontraproduktiv. Die Sache mit der zeitweise sehr ungleichmäßigen Gewichtsverteilung ist ohnehin ein Thema, das bei kräftig motorisierten, relativ leichten und mit einem recht kurzen Radstand versehenen Supersportlern zum Problem werden kann – wir erinnern uns an die erste R1. Die neue Fireblade ist da keine Ausnahme. Wenn voller Leistungseinsatz, leichte Schräglage und welliger Bodenbelag zusammen kommen, wird die Frontpartie zu leicht und Lenkerschlagen kann die Folge sein. Aber auch wenn es mit sehr hoher Geschwindigkeit geradeaus geht und eine unglückliche Querfugen-Kombination den Asphalt kreuzt, kann das Fahrwerk ein ungewünschtes Eigenleben führen. Gaswegnehmen macht dem Spuk meist ein sofortiges Ende, ändert aber nichts am grundsätzlichen Problem der potenten Leichtgewichte. Honda hat das Problem (nach recht deutlichen Worten der MOTORRAD-Tester) wohl auch erkannt und änderte bereits in der laufenden Produktion Bauteile im Bereich des Lenkkopfs. Ein handelsüblicher Lenkungsdämpfer wäre vielleicht die etwas bessere (und billigere) Lösung gewesen, doch da haben wir es wohl erneut mit dem Thema Ingenieurs-Ehre zu tun.
Die Fireblade ist nicht mehr das „Jeder-kommt-sofort-damit-zurecht-Motorrad”, das sie früher vielleicht einmal war. Die Modellpflege hat sie konsequenter, spezialisierter und vielleicht auch etwas radikaler gemacht. Das mag für Gelegenheits-Heizer schade sein, macht sie für die Gruppe der erfahrenen und engagierten Sportfahrer aber wieder sehr reizvoll. Die Fireblade ist zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Was nichts daran ändert, dass sie immer noch mit im Alltagsbetrieb recht praktischen Details aufwartet. Abblend- und Fernlicht sind zum Beispiel hervorragend, die Verarbeitung ist sehr gut. Und selbst so „unsportliche” Dinge wie ein Staufach unterm gar nicht mal so unbequemen Soziussitz sowie Gepäckhaken gehören zur kompletten Ausstattung. Der Verbrauch von 5 bis 6,6 Litern Normalbenzin hält sich ebenfalls im Rahmen.
Nur der Kaufpreis von 12.590 Euro plus Überführung ist kein Sonderangebot. Fürs praktisch gleiche Geld gibt’s auch die R1 und die GSX-R 1000. Die sind auch schön scharf, doch in der Kurve und auf der Bremse ist die Fireblade schärfer. Und dank geregeltem Kat samt Sekundärluftsystem auch noch sauberer.