aus bma 03/97

von Klaus Herder

„Bescheidenheit ist eine Zier, doch es geht auch ohne ihr.” An dieses alte japanische Sprichwort erinnerten sich die Honda-Marketingstrategen beim Schreiben der Pressemitteilung zu ihrem jüngsten DickschiffHonda F 6 C Valkyrie namens F 6 C. Die Einleitung beginnt mit der vorsichtigen Formulierung „Jetzt bringt Honda das wohl unbestritten imposanteste Custom-Bike aller Zeiten” und endet mit der diplomatischen Einschätzung „… die Maßstäbe an der Spitze der Chopper-Klasse sind wieder einmal zurechtgerückt.” Ja, sie haben richtig gelesen. Honda spricht von einem Chopper. Von einem Fahrzeug jener Gattung also, die sich durch das Weglassen überflüssiger Anbauteile und die Beschränkung auf das Wesentliche auszeichnet. Kritiker mögen einwenden, daß 335 Kilogramm Lebendgewicht und ein 98 PS starker Sechszylindermotor nicht gerade Indizien für eine ausgeprägte Selbstbeschränkung sind, doch es kommt wie immer darauf an, von welcher Seite man die Sache betrachtet. Betrachten wir sie also mal von der Produktionsseite: Die F 6 C (was offensichtlich für „Flat Six Custom” steht) wird nicht in Japan auf ihre fetten Reifen im Format 150/80-17 und 180/70-16 gestellt, sondern im Mutterland des Chopperkults, nämlich in den USA. Marysville/Ohio ist die Heimat des in den Staaten „Valkyrie” (Walküre” getauften Dampfers.

 

Honda F 6 C ValkyrieAls es an das Konstruieren des neuen Spitzenmodells ging, stolperten die Honda-Techniker über einen Sechszylinder-Boxermotor der Gold Wing, der noch in Marysville herumlag. Genau diesen Motor erkoren sie zum Herz ihres neuen Choppers. Tja, und in dieser Wahl lag schon eine unheimliche Beschränkung. Es hätte nämlich durchaus dicker kommen können, da der Amerikaner an sich – besonders der japanische – alle Motoren, die weniger als acht Zylinder haben, nicht so richtig ernst nimmt. Ein V8 Big Block im Chopperkleid? Warum nicht, das wäre durchaus drin gewesen. Honda griff nur zum Sixpack – ein grandioser Akt der Selbstbeschränkung. Da die F 6 C aber nicht nur lang und flach, sondern auch ein bißchen „schmutzig” werden sollte, mußte der 1520 ccm-Motor der Gold Wing etwas überarbeitet werden. Dazu O-Ton Honda: „Es fehlte dem für kultiviertes Cruisen konzipierten Sechszylinder-Boxer ein wenig an der nötigen Aggressivität.”
Um dem Softie zur natürlichen Mannschärfe zu verhelfen, widmeten sich die Honda-Aggressoren intensiv den Beatmungsorganen und dem Ventiltrieb. Die beiden 33er Keihin-Vergaser der Gold Wing flogen raus, sechs 28er Gasfabriken des gleichen Zulieferers kamen rein. Schärfere Nockenwellen und eine nett verkleidete Sechs-in-Sechs-Auspuffanlage machten den Boxer zum Fighter. Die Frischzellenkur bescherte dem Sechser eine spürbar höhere Drehfreudigkeit und in der offenen Version 102 PS. Die Aktion ging allerdings zu Lasten eines recht praktischen Ausstattungs-Details: die Hydrostößel flogen raus, das Ventilspiel darf bei der F 6 C über Schraube und Kontermutter von Hand eingestellt werden, was aber selbst mäßig talentierte Schrauber vor keine größeren Probleme stellt.
Honda F 6 C ValkyrieErstaunlich problemlos gestaltet sich das Rangieren. Der in der Gold Wing verbaute Rückwärtsgang flog zwar raus – ein Chopper mit Rangierhilfe wäre wohl dann doch zu peinlich gewesen – doch dank der niedrigen Sitzhöhe von 740 Millimetern können auch kurze Menschen die F 6 C bequem aus Parklücken herausfüßeln. Äußerst bequem ist die Sitzposition auch im Fahrbetrieb. Die Fahrerfußrasten sind relativ weit hinten montiert. Was in Anbetracht des breit bauenden Boxermotors anfangs nur eine Notwendigkeit war, stellte sich in der Praxis als Ideallösung heraus. Die Beine müssen nicht choppermäßig und pseudo-bequem gestreckt werden, sondern sind in einer auch auf Langstrecken ermüdungsfreien Position angewinkelt. Zwischen Gabel und Sitzbank liegen Welten, doch der Lenker kommt dem Fahrer weit entgegen. Keine Rückenlage, nicht nach vorne übergebeugt – die Sitzposition paßt einfach. Die zarten Hände des Schreiberlings empfinden die wurstigen Lenkergriffe als etwas dick aufgetragen, doch für Bierkutscherpranken sind die Dinger okay.
Das eigentliche Erlebnis F 6 C beginnt bereits beim Anlassen. Ein Druck aufs Knöpfchen und schon säuseln sechs Pötte verhalten im Leerlauf. Ein leichter Dreh am Gasgriff läßt die Drehzahl auf 2000 Touren steigen und den Sound in ein baßbetontes Big-Block-Brabbeln verfallen. Mit wachsender Drehzahl werden die Lebensäußerungen schaurig-schön. Sie kennen das Geräusch, wenn auf der Autobahn ein 911er Porsche locker an Ihnen vorbeizieht? Genauso hört sich die Honda in höheren Tonlagen an.
Honda F 6 C ValkyrieZum Gesamtkunstwerk F 6 C gehört aber natürlich nicht nur die Akustik. Die Kraftentfaltung des Motors ist es, was den besonderen Reiz des Dino-Choppers ausmacht. Der Sechszylinder ist voll anfängertauglich, denn egal wie man ihn bedient, man kann nichts falsch machen. Wer Drehzahlen mag und hektisch am Gasgriff dreht, kann den Boxer problemlos bis zum 7500 U/min-Limit ausreizen und darf den Ritt auf der Kanonenkugel genießen. Wer dagegen den Durchzug über alles liebt, haut bei 40 km/h geräuschvoll den fünften und letzten Gang ins eng gestufte Getriebe und gibt einfach Gas. Nein, das, was im nächsten Moment die Arme langzieht, ist kein Gummiband, es ist das Drehmoment von satten 130 Nm, das bei 5000 U/min anliegt und auch im übrigen Drehzahlbereich fast nie unter 100 Nm absinkt. Die Leistungsabgabe ist dermaßen gleichmäßig und geschieht mit einer solch lockeren Selbstverständlichkeit, daß gerade dieser unspektakuläre Auftritt so ungemein eindrucksvoll wirkt. Entsprechend souverän fährt es sich mit der F 6 C. Die Gewißheit, jederzeit locker auf über 200 km/h beschleunigen zu können, genügt vollauf, um es in der Praxis bei einer Reisegeschwindigkeit von 130 km/h bewenden zu lassen. Für alle, die es trotzdem wissen wollen: Höchstgeschwindigkeit 207 km/h, von 0 auf 100 in 3,6 Sekunden. Das dürfte reichen. Wer es sinnig angehen läßt, kommt mit sechs bis sieben Litern Sprit auf 100 Kilometer aus. Doch selbst heftigstes Gasgeben läßt den Verbrauch kaum über neun Liter ansteigen. In den breiten Tank passen 20 Liter, und es darf das günstige Normalbenzin sein.
So leicht und angenehm der Umgang mit der Honda auch sein mag – spätestens beim Bremsen merkt der Fahrer, welche Masse tatsächlich verzögert werden muß. Mit Besatzung kommen locker acht Zentner und mehr zusammen und das ist beim Verzögern durchaus zu spüren. Die Doppelscheibenbremse im Vorderrad ist wirksam, doch sie verlangt nach ziemlich hohen Handkräften. Wer nicht ordentlich zupackt, schiebt mitsamt dem Dampfer einfach weiter.
Dem Fahrwerk merkt man ebenfalls an, daß es für den Heavy-Metal-Einsatz gebaut wurde. Die Upside-down-Gabel am Vorderrad und die beiden hinteren Federbeine gehören zur Sorte hart aber ehrlich. Übermäßig sensible Bauteile wären bei der F 6 C auch völlig fehl am Platze gewesen. Man stelle sich nur vor, die Fuhre gerät in Kurvenkombinationen auf Landstraßen dritter Ordnung ins Schaukeln. Dann doch lieber einigermaßen ungefiltert über den Asphalt prügeln.
Von der Kardanwelle sind übrigens keine unangenehmen Reaktionen zu erwarten. Straffe Federelemente haben eben auch ihr gutes. Lange Geraden und weite, gut ausgebaute Kurven liebt die F 6 C. Wenn es eng wird, darf schon mal kräftig am Lenker gearbeitet werden. Wer bei einem Nachlauf von 152 und einem Radstand von 1690 Millimetern aber auch ausgeprägte Handlichkeit erwartet, ist im falschen Film.
Für die Einsatzbereiche lässiges Landstraßenbummeln, flotter Ampelstart und streßfreie Urlaubstour ist die Honda jedenfalls hervorragend geeignet. Der Show-Wert bei öffentlichen Auftritten ist gigantisch, und der Preis von 26.360 Mark geht für die sehr gut verarbeitete Maschine in Ordnung.
Die Honda-Presseinformation bedarf aber in aller Bescheidenheit einer kleinen Korrektur: Die F 6 C ist vielleicht nicht das imposanteste Custom-Bike aller Zeiten, aber immerhin das imposanteste, das es momentan zu kaufen gibt.