aus bma 07/06

von Klaus Herder

Honda Deauville 700 Mod. 2006 Es gibt Motorräder, die bei ihrem Besitzer für ein unterschwelliges, aber permanent vorhandenes, schlechtes Gewissen sorgen und entsprechend selten bewegt werden. Das Paradoxe daran: Solche Maschinen sind oft bildschön, auch technisch faszinierend und eigentlich der Wunschtraum ihrer Eigner. Und trotzdem sind sie mehr Steh- als Fahrzeuge. Beispiele gefällig? Da wären die chromverzierten Chopper/Cruiser oder auch die edlen Italienerinnen im Carbon-Ornat. Jede Wolke am Himmel läßt ihre Besitzer dreimal überlegen, ob es tatsächlich auf Tour gehen sollte. Eine Stunde Fahren zieht zwangsläufig drei Stunden Putzen nach sich. Das gute Stück mit Wasserflecken, Dreckspritzern oder auch nur Insektenleichen auf Lack und Chrom einfach so in der Garage abstellen? Unverantwortlich, warten wir doch lieber bis zum nächsten echten Sommertag – in unseren Breiten also bis zum Sankt Nimmerleinstag. Noch ein Beispiel: Der Supersportler, fett besohlt, auf Dauer nur leider etwas unbequem. Am Wochenende mal eben kurz in den Harz oder die Eifel düsen, auf dem Rückweg in Holland zum Matjesessen vorbeischauen oder alternativ Meck-Pomm unsicher machen? Ach nö, laß mal. Der 190er-Hinterradschlappen wäre dann schon wieder fällig, der Rücken schmerzt noch von der letzten Tour. Ducati-Besitzer denken zudem mit Grausen an die Kosten der bald anstehenden Inspektion, und mit über 20000 Kilometern auf der Uhr wäre die GSX-R/ZX-R/YZF-R beim demnächst fälligen Modellwechsel (Man will doch schließlich kein Uralt-Modell fahren!) ohnehin unverkäuflich. Und überhaupt: Eine Tour mit Übernachten ist nicht drin, weil die zwangsläufig daheim bleibende Alte maulen würde und fürs Gepäck auch kein Platz ist. Bleiben wir also lieber zu Hause oder beschränken uns auf Kurztrips. Nicht zu vergessen sind die bis unters Dach finanzierten Motorräder, deren Neupreis im fünfstelligen Bereich liegt. Jeder Fahr-Kilometer kostet ihre ohnehin schon am finanziellen Limit agierenden Eigner Geld, das sie eigentlich nicht haben. Also bleibt die Fuhre in der Garage, aber man ja kann beim wochenendlichen Grillen zusammen mit den ebenfalls überschuldeten Kumpels und einer Flasche Lidl-Bier in der Hand drumherum schlappen und zart über den Tank streicheln. Macht doch auch Spaß.

Honda Deauville 700 Mod. 2006 Um eine Honda Deauville schleicht niemand beseelt lächelnd herum. Ob ihr Motorrad blitzblank oder mittelschwer versuddelt ist, interessiert ihre Besitzer herzlich wenig. Alle 10000 oder gar 12000 Kilometer den 150er-Hinterradreifen zu ersetzen, kostet wirklich nicht die Welt. Der Verbrauch von fünf Litern Normalbenzin tut ebenfalls nicht weh. Ob der praktisch unkaputtbare V-Zweizylindermotor 30000, 50000 oder 70000 Kilometer gelaufen hat, spielt beim Wiederverkauf keine Rolle, denn erstens ist die Gebraucht-Deauville-Nachfrage immer größer als das Angebot. Und zweitens verkaufen die meist rundherum zufriedenen Deauville-Besitzer ihr Schätzchen sowieso nicht.
Oder vielleicht doch, denn seit diesem Jahr gibts für die allein in Deutschland gut 9000 Besitzer der seit 1998 angebotenen Ur-Deauville einen guten Grund zum Wechseln: Die neue Deauville. Mit ihr ist ein ohnehin schon ziemlich gutes Konzept noch viel besser geworden. Dabei waren es doch eigentlich nur Kleinigkeiten, die (potenzielle) Deauville-Käufer bislang störten. Als etwas größere Kleinigkeit stand mehr Leistung ganz oben auf ihrer Wunschliste. Bitteschön: Etwas mehr Hub-raum (680 statt 647 ccm) durch zwei Millimeter mehr Bohrung, ein Tick mehr Verdichtung (von 9,2 auf 10:1), Vier- statt Dreiventil-Zylinderköpfe, Einspritzanlage anstelle der Vergaser, begradigte Ansaugwege plus vergrößerte Airbox – und schon drückt der flüssigkeitsgekühlte V-Twin 65 statt 56 PS, stemmt über leichtere Kolben und Pleuel 66 Nm und damit 11 Nm mehr Drehmoment auf die Kurbelwelle und wiegt dank leichterer Anbauteile (und Anlasser) sogar 1,4 Kilo weniger. Nicht ganz unwichtig: Nun ist ein geregelter Katalysator an Bord, die Deauville unterschreitet damit locker die Euro 3-Grenzwerte. So nebenbei spendierte Honda einen leistungsfähigeren Ölkühler, eine stärkere Lichtmaschine sowie einen verstärkten fünften und letzten Gang.
Übers Fahrwerk gab es eigentlich (fast) nichts zu meckern, also blieb es nahezu unverändert. Mit zwei wichtigen Ausnahmen: Die im verschärften (Zweipersonen-) Betrieb bislang zum Durchschlagen neigende Telegabel ist nun straffer abgestimmt und auch bei harter Gangart weit davon entfernt, auf Block zu gehen. Das seit der Modellpflege 2002 serienmäßige Kombi-Bremssystem CBS („Combined Brake System”), bei dem der Tritt auf das Fußbremspedal auch einen Kolben der Vorderradbremse betätigt, kann nun für faire 600 Euro Aufpreis mit ABS aufgerüstet werden. Dem vormals etwas pummeligen Kunststoff-Leibchen ging es heftig ans Plastik. Die Dreiviertel-Schale ist kantiger und etwas dynamischer geworden, die Scheibe baut breiter und schützt noch besser vor Wind und Wetter. Etwas schmalere und nicht so weit nach unten gezogene Seitenverkleidungen machen es kurzbeinigen Fahrern leichter, sicheren Stand zu finden. In der aufgefrischten Schale steckt ein neuer Doppelscheinwerfer. Die Windschutzscheibe läßt sich durch Umsetzen ihrer beiden Halter um 17 Zentimeter höher legen. Das ist die gute Nachricht. Daß dafür etwas fummelig und zeitaufwendig acht Inbusschrauben aus- und wieder eingeschraubt werden müssen und die Verkleidung bei dieser Aktion zumindest mit dem serienmäßigen Bordwerkzeug ziemlich kratzgefährdet ist, ist die schlechte Nachricht. Allerdings ist die flache Grundstellung fast immer die bessere Wahl. Wer die Scheibe höher legt, reduziert zwar spürbar den Winddruck, hat dafür aber als 1,86-Meter-Mensch die Scheibenkante direkt im Sichtfeld und muß sich mit nervigen Turbulenzen herumschlagen. Macht aber nichts, die Honda rennt maximal 185 km/h, und dafür langt die untere Position allemal.
Honda Deauville 700 Mod. 2006Die Deauville-Verpackung ist durchaus gefällig, nur am Heck versagte den Designern das Geschmacksempfinden. Der Honda-Hintern ist eine fiese Plastikorgie und sieht nach hochgelegtem Motorroller aus. Der stilistische Amoklauf wird durch einen Endtopf im K 75-Design noch verschärft. Zum Trost besteht die Auspuffanlage komplett aus Edelstahl, und außerdem betrachtet man sein Motorrad vermutlich nur sehr selten von hinten. Maßgeblichen Anteil am Breitarsch-Look haben die serienmäßigen Koffer, über die sich ansonsten eigentlich nur Gutes schreiben läßt. Die Gepäckfächer legten an Volumen kräftig zu: Links passen nun 27,4 statt 24 Liter hinein, rechts sogar 26,7 statt 19,5 Liter. Hinzu kommen 2,6 Liter der weltweit ersten – man lese und staune – serienmäßigen Motorradkoffer-Durchreiche. Die Verbindung von Backbord und Steuerbord ist eine wirklich pfiffige Idee, die den Transport von Baguettes, Regenschirmen, Kamera-Stativen oder auch Maschinenpistolen gewaltig vereinfacht. Bevor wir es vergessen: Die Spiegelausleger sind nun jeweils 55 Millimeter länger, der Hauptständer immer noch serienmäßig und die Seitenstütze weiterhin wunderbar standfest.
Deauville-Piloten und ihre Mitfahrer waren schon immer äußerst komfortabel und auch auf Dauer sehr bequem untergebracht. Die neue kann es aber noch etwas besser. Der drei Zentimeter höher montierte Lenker liegt noch besser zur Hand, die etwas aufrechtere Sitzposition ist noch einen Tick bequemer, der besser konturierte Soziusplatz macht den Zweipersonenbetrieb noch angenehmer. Der Fahrerblick fällt auf das klar gezeichnete und jetzt noch üppiger bestückte Cockpit. Zeit- und Tankuhr, Kühlmitteltemperatur- und Verbrauchsanzeige, zwei Tageskilometerzähler und eine Warnblinkanlage gibt es serienmäßig. Heizgriffe, Alarmanlage, Verstärker und Lautsprecher, Navigationssystem, Steckdose, Kniepolster, Handprotektoren und gefühlte 65 weitere mehr oder weniger sinnvolle Extras liefert Honda gegen Aufpreis. Absolutes (Achtung, Wortspiel!) Highlight der Zubehörliste ist eine Nebelschlußleuchte. Deauville-Fahrer sind schließlich bei jedem Wetter unterwegs.
Da paßt es doch auch ganz gut, daß der Twin bei jeder Temperatur sofort, immer und überall auf den ersten zarten Daumendruck die Arbeit aufnimmt. Choke- und Gasgefummel gibt es nicht, der perfekt funktionierenden Startautomatik sei Dank. Der Griff zum Kupplungshebel kann auch von Weichgreifern locker bewältigt werden, die Arbeit am verstellbaren Bremshebel hat für Deauville-Neulinge dafür etwas von In-den-Pudding-fassen. Das wirkt, für an knackige Sportler-Stopper gewöhnte Fahrer, anfangs arg ungewohnt, ist für die Zielgruppe dieser Honda aber vermutlich goldrichtig. Deauville-Piloten wollen fahren, nicht bremsen. Das lustvolle Ankern überlassen sie den Gebückten, und so hat ihr Kardan-Tourer nun mal eine Bremsanlage, mit der auch Grobmotoriker bestens klarkommen. Das glücklicherweise recht simpel aufgebaute ABS (BMW-Fahrer wissen, wovon ich schreibe…) greift erst sehr spät und im Normalbetrieb so gut wie nie ein. Fünf nur zart spürbare Regelintervalle pro Sekunde sind guter Standard und machen die 600 Euro Aufpreis zu einer absolut empfehlenswerten Investition. Vom Verbund-Bremssystem darf man dafür keine Wunder erwarten. Wer den Handhebel unangetastet läßt und nur die Fußbremse betätigt, bekommt nur mäßige Verzögerungswerte geboten, am Vorderrad ist kaum eine Wirkung spürbar. Die Abstimmung wählten die Honda-Ingenieure sehr anfängertauglich, um Aus-schließlich-Hinten-Bremser nicht mit ungewolltem Aufstellen in Kurven zu überraschen. Wer allerdings, so wie es sich schließlich gehört, mit Hand und Fuß reinhaut, kann sich über eine wirklich ordentlich wirkende und auch Ungeübte nicht überfordernde Bremse freuen.
Honda Deauville 700 Mod. 2006Den größten Unterschied zwischen alter und neuer Deauville macht neben dem ABS natürlich der – welch Überraschung – erstarkte Motor. Neun Mehr-PS wirken auf dem Papier gar nicht so üppig, machen in der Praxis und erst recht in Verbindung mit dem nun viel besser gestuften Getriebe aber den Unterschied. Ab 2000 U/min nimmt der ein wenig nach Aufsitzrasenmäher klingende Twin sauber Gas an, zwischen 3000 und 5000 Touren und damit bis 120 km/h im letzten Gang fühlt sich der Vierventiler sauwohl, läuft vibrationsarm und sehr kultiviert – wie gemacht fürs entspannte Landstraßen-Cruisen. Über 5000 U/min geht es spürbar rauher zu, der Vauzwo klingt plötzlich richtig kernig und treibt die mit 20 Litern vollgetankt immerhin 257 Kilo schwere Deauville flott voran. Spätestens jetzt merken Deauville-Kenner den Unterschied. Neun Papier-PS entsprechen gefühlten 20 PS Mehrleistung. Die mit üppiger Schräglagenfreiheit und überraschend guter Handlichkeit gesegnete Honda weckt plötzlich den Heizer im Tourer. Man ertappt sich dabei, auf Sportler aufzulaufen und sich in deren Rückspiegeln breit zu machen. Spätestens nach 20 Kilometern Landstraßen-Bolzerei sind deren Fahrer meist so genervt/geschafft, daß sie unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand die Deauville passieren lassen. Deren Fahrer sitzt derweil immer noch recht entspannt und merkt eigentlich gar nicht, daß er ein Wellenreiter ist. Vom Kardan kommen nämlich praktisch keine störenden Lastwechselreaktionen durch, aber das war auch schon bisher so. 65 PS aus knapp 700 Kubik – für Leistungs-Junkies ist die Deauville indiskutabel, was allerdings ein schwerer Fehler ist. Der mit ABS rund 9000 Euro teure Mittelklasse-Tourer wird von Nichtblickern total unterschätzt, bleibt nach Tagesetappen von über 300 Kilometern aber fast immer Sieger. Oder, um es anders zu sagen: Leistung – es kommt darauf an, was man daraus macht.
Wer sich mit der – zugegebenermaßen nicht auf den ersten Blick faszinierenden – Honda anfreunden kann, bekommt ein Motorrad geboten, das einem nie wieder ein schlechtes Gewissen beschert. Mit der Deauville möchte man einfach nur ganz viel fahren. Und was noch viel besser ist: Mit diesem unverschämt praktischen, bequemen, pflegeleichten, handlichen, gut verarbeiteten, ordentlich ausgestatteten und gar nicht mal so teuren Motorrad macht man es auch tatsächlich.