aus Kradblatt 2/21 von Marcus Lacroix
Und ewig lockt der Lader – Ikone der 1980er Jahre …
In jeder Generation gibt es Motorräder, die ein ganz besonderer Nimbus umweht, deren Namen man mit einem Raunen in der Stimme ausspricht, von denen jeder gehört, die aber kaum jemand gesehen oder gar gefahren hat. Ikonen ihrer Zeit, die heute zum Teil für viel Geld gehandelt werden.
Nun bin ich, als 1967 Geborener, ein Motorrad-Kind der 1980er Jahre. Mit grünen Elefanten, fliegenden Eichhörnchen oder übergewichtigen Mammuts kann ich nicht viel anfangen, das war alles vor „meiner“ Zeit – zum Teil hübsches aber eben doch altes Eisen, Ikonen ihrer Zeit. In den 1980ern sorgte etwas anderes für Aufsehen, das bei mir bis heute nachhallt: Motorräder mit Turboladern!
Wohl jeder, der damals Erstkontakt zu Motorrädern hatte, denkt mit andächtigem Nicken an „den Turbo“ (mit mysteriösem Unterton aussprechen). Geschichten von brachial einsetzender Leistung hat wohl jeder damals gehört und verinnerlicht. Turbo-Motorräder, die einen bei maximalen Ladedruck quasi unkontrolliert in die Erdumlaufbahn schießen, die nicht nach einem Fahrer sondern nach einem Bändiger verlangten. Hinterräder, die gnadenlos wimmernd in Schräglage den Grip verlieren, sobald der Kompressor für Schub sorgt. Was den Geschichten zufolge meistens plötzlich und unerwartet passierte. Und der Nimbus lebt bis heute – TURBO, das hat was. Das schafft Legenden!
In der freien Wildbahn habe ich im Alltag praktisch nie ein Turbo-Motorrad gesehen, allenfalls mal bei einem Motorrad-Treffen. So ganz viele gab es davon ja auch nicht und noch weniger haben die Zeit überlebt. Dabei schien die Technik durchaus verlockend: viel Leistung aus wenig Hubraum. Honda machte mit der CX 500 Turbo 1980 den Anfang.
Wie es bei den Japanern damals üblich war, setzte direkt ein Wettrüsten ein. 1982 brachte Yamaha die XJ 650 Turbo auf den Markt und Kawasaki zog mit der Z 750 Turbo nach. Honda bohrte 1983 die CX 500 zur CX 650 Turbo auf und schließlich brachte auch Suzuki mit der auf der GS 650 Katana basierenden XN85 Turbo noch eine aufgeladene Maschine an den Start. Die Suzuki schaffte es offiziell aber schon nicht mehr nach Deutschland und ist hierzulande noch seltener als die anderen vier. Die Turbos erfüllten nicht die Hoffnungen, die an sie geknüpft waren – weder technisch noch in der Ladenkasse.
Seit den ersten Kilometern auf meiner 400er Honda sind nun über 34 Jahre ins Land gezogen und in all der Zeit habe ich den Turbo nicht vergessen. Speziell die Honda CX 500 Turbo – seit Brösels Werner auch liebevoll Turbo-Gülle genannt. Besessen habe ich in den Jahren so einige Motorräder, gefahren noch etliche mehr – der Job bringt das mit sich. Ein Turbo-Motorrad war aber nie dabei. Entsprechend freute ich mich, als mir im letzten November Honda Vertragshändler Sebastian Behrends von der Bikerdiele Ocholt anbot, eine Honda CX 500 Turbo zu fahren. Er hatte gleich zwei davon an Land ziehen können – eine für den Weiterverkauf und eine für die Ausstellung.
Die Ausstellungsmaschine in elegantem weiß sticht die nachträglich in einem seltsamen rostbraun lackierte Turbo-Gülle, die ich fahren durfte, optisch natürlich um Längen aus. Das tat meiner Vorfreude aber keinen Abbruch, als ich sie bei schönstem Herbstwetter abholte.
Sebastian übergab mir den Schlüssel, wünschte mir viel Spaß und warnte mich mit einem Augenzwinkern vor der brutalen Turbo-Leistung. Wie jetzt? Sollte der Nimbus bröckeln? Während ich vom Hof rollte grübelte ich darüber nach, ob man Rockstars, die man total toll findet, wirklich im richtigen Leben treffen möchte. Egal, ich durfte Turbo fahren …
Die Honda CX 500 Turbo versetzte einen direkt in die Zeit der 1980er Jahre zurück – was jetzt keinesfalls negativ gemeint ist. Gutmütig rollt sie über die Landstraße, das Fahrwerk sowie die Sitzposition und die Verkleidung passen zu einem Tourer. Hondas 650er Deauville wäre das modernere Äquivalent.
Der Blick ins Cockpit, mit der leicht vergilbten Plexiglas-Abdeckung, erinnert mich an unsere 80er Jahre Familienkutschen. Die Digitaluhr war damals sicher etwas Besonderes.
Die Schaltereinheiten sind echtes Antiquariat, den Blinker schiebt man mit den Daumen zurück. Aber außer Anlasser und Blinker braucht man ja auch heute eigentlich kaum etwas zum Motorradfahren.
Die Bremsen bremsen auf damaligem Niveau – 245er Bremsscheiben fährt man heutzutage eher hinten als vorne. Keine Zweifingerstopper und ABS am Motorrad war damals auch noch Science Fiction – das gab’s erstmals 1988 bei der BMW K 100 als aufpreispflichtige Option. Für den Alltag reichen aber selbst die CX-Bremsen, auch wenn sie nach mehr Handkraft verlangen, eigentlich auch heute noch.
Auf dem aktuellen Stand sind zum Glück die Reifen. Sebastian hat moderne Bridgestone Battlax BT46 aufgezogen, die Weiterentwicklung des Topsellers BT45, den ich immer sehr gerne gefahren habe. Entsprechendes Vertrauen ist da als ich beschließe, die Gangart zu forcieren.
Ehrlich gesagt ist der CX 500 Motor ja eh schon kein Brenner, in der Turbo ist er untenrum aber eine echte Schlappwurst. Honda hat aufgrund des Laders die Verdichtung etwas zurückgenommen und so quält sich der kleine Motor spürbar mit dem immerhin 260 kg schweren Motorrad. Gemütliches Cruisen ist angesagt und auf kleinen Sträßchen vermisst man die Leistung nicht wirklich. Der Charakter des Motors ändert sich allerdings deutlich, wenn der Turbolader Druck aufbaut. Im Cockpit wird dies durch eine (damals) futuristische Balkenanzeige untermalt, die man in ähnlicher Form wohl auch in HiFi-Anlagen fand. Bei 4.500 U/min fängt der Motor spürbar an zu ziehen, bei rund 5.000 U/min legt die Turbo-Gülle richtig los! Maximal 82 PS leistet der Motor, das sind immerhin fette 32 PS mehr als die normale CX 500 mit ihren 50 PS!
Es ist jetzt nicht so, dass einem erfahrenen Motorradfahrer in den 2020er Jahren die Turbokeule den Schädel weghaut, nichtsdestotrotz ist die Leistungsentwicklung beachtlich. In den 1980er Jahren muss sich das noch ganz anders angefühlt haben – so entstanden wohl die Legenden. Das „Turboloch“ beim Übergang vom Saugbetrieb zur Aufladung empfand ich dann auch nicht als so schlimm, wie legendengemäß befürchtet.
Das Fahrerlebnis mit der CX 500 Turbo lässt sich schwer beschreiben. Es ist nicht dieser krasse Schub beim Durchladen aus dem Stand, bei dem man meint, das Gehirn klopft innen an die Helmschale, wie ihn elektronisch gesteuerte 200 PS Boliden mit unter 200 kg Lebendgewicht oder schaltungslose E-Motorräder heutzutage bieten. Es ist mehr so ein „Nachbrenner“, der während der Fahrt zugeschaltet wird. Ab 5.000 U/min strebt die Drehzahlmessernadel der CX „dank“ Turbolader erstaunlich schnell dem Begrenzer entgegen. Das Ganze ist umso beeindruckender, wenn man sich vor Augen hält, dass es eben „nur“ eine 500er Güllepumpe und kein Hightech-Sportler ist. Zügig schaltet man die Gänge durch und ist dabei leider viel zu schnell jenseits des Landstraßenlimits. Das Spiel mit der Ladedruckanzeige (und der Blick darauf) macht richtig viel Spaß und als unterwegs ein rotes Licht anging war ich froh, dass der Automat nur von vorne geknipst hat. Jaja, ich weiß: selbst Schuld. Hätte ich auch sportlich genommen, kam aber nichts und die drei Monate sind jetzt rum …
Geht man im letzten Gang vom Gas, ist man schnell wieder im Schlappwurstbereich unterwegs – fährt man hingegen ein paar Gänge niedriger im Bereich ab 5.000 U/min, ist die CX 500 Turbo auf Strecke nervtötend nervös. Kein Wunder, dass das Konzept floppte. Für ein Sportmotorrad passen weder Fahrwerk, Bremsen noch Sitzposition, für ein Tourenmotorrad passt die Motorcharakteristik nicht. Dazu kommt ein Spritverbrauch, der auch damals schon nicht mehr zeitgemäß war – zumindest dann, wenn man mit der CX 500 Turbo im Spaßbereich unterwegs war. Heute wäre mir der Verbrauch bei gelegentlichen Ausfahrten egal, Spaß kostet!
Bei der CX 650 Turbo soll die Motorabstimmung besser passen, ein Erfolg wurde aber auch sie nicht mehr.
Inzwischen ist die Turbo-Gülle ein echter Exot und wenn ich Platz und Geld hätte, würde ich mir eine in die Garage stellen. Nicht weil sie mit ihren Fahrleistungen überzeugt, sondern weil sie etwas ganz Besonderes ist. Turbo-Motorräder der 1980er Jahre werden aber nur selten angeboten, der Liebhaberkreis hält sie fest, wie auch das Angebot bei mobile.de beweist: ganze fünf Turbos aller Marken sind in Deutschland gelistet, während ich diesen Text hier schreibe. Echte Raritäten also.
Die Probefahrt habe ich jedenfalls sehr genossen und somit ist eine weitere Erfahrungslücke geschlossen. Danke, Sebastian.
Die von mir gefahrene CX 500 Turbo, EZ 4/1983, steht aktuell (2/2021) für 5.499 € zum Verkauf. Will man sie in den Originalzustand versetzen, braucht es neben Platz und Geld aber auch noch Zeit. Noch etwas, dass mir leider zu oft fehlt. Interessenten finden die Biker Diele Ocholt in Burnhörn 16, 26655 Westerstede/Ocholt. Telefon 04409-9723800, www.bikerdiele-ocholt.de.
Der Turbolader wurde im Automobilbau weiter kultiviert, mein Ford-Transporter hat z.B. einen (1.0 Liter EcoBoost), auch wenn man den im Alltag nicht spürt. Und eine Variante des Turbos (abgasgetrieben) ist mit dem Kompressor (motorgetrieben) auch im Motorradbau nicht tot: Kawasaki hat mit der Z H2 und der Ninja H2R aktuell gleich zwei richtig heiße Eisen im Feuer. Dort funktioniert die Aufladung dann auch so, wie es sich die Motorradfahrenden der 1980er Jahre gewünscht hatten. Die Kawa muss ich auch noch mal (er)fahren …
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Kommentare
Ein Kommentar zu “Honda CX 500 Turbo, Bj. 1982”
hallo Merkus ist super zu sehen dass sie Dir auch gefällt. Ich hatte eine in den USA. als ich in colorado gearbeitet habe hatte sie aber schon gekauft 1990 als ich dort herum gereist bin hatte dann eine stelle bekommen und so fuhr ich sie über 2 jahre. und ds witzige ist meine wR auch so Rot zwar noch mit schwwarzen seiten abdeckungen. ich hatte sie mit 8000 milen gekauft und verkauft mit 62000 milen