aus bma 2/01

von Klaus Herder

Motorradfahrer an sich, bma -Schreiberlinge eingeschlossen, sind schon etwas merkwürdig. Da freuen sich die Chopperfreaks einen Ast, wenn sie stundenlang sündhaft teuren und völlig nutzlosenHonda CBR 900 RR Fireblade Chrombehang polieren dürfen. Die Enduroknechte sind nur dann glücklich, wenn sie ihre einzylindrigen Spielgeräte in möglichst kurzer Zeit möglichst spektakulär schlachten können. Für die Tourenhansel ist es das höchste Glücksgefühl, den halben Hausstand plus Mutti durch ganz Europa zu kutschieren und dabei möglichst viele Schlechtwettergebiete zu durchfahren, um die Qualität ihres Gore-Tex-Fummels zu erleben. Die kaputtesten unter den Kaputten sind aber mit Abstand die Sportfahrer. Da hauen Zwei-Zentner-Kerle ohne Ende Kohle für 50 Gramm leichtere Kohlefaserteile raus. Und da debattieren Jüngelchen mit 10.000 Kilometern Leichtkraftrad-Fahrpraxis todernst über Kickback und Shimmy sowie Zug- und Druckstufendämpfung. Aber egal: Die Biker-Leitkultur wird nun mal am Stammtisch gemacht und dafür sind 128 PS eindeutig zu wenig.
Mit dieser bescheidenen Nennleistung musste bis einschließlich 1999 die Honda CBR 900 RR Fireblade leben. Für erfahrene Biker genügt ausschließlich die Nennung des Nachnamens „Fireblade” um zu wissen, dass es sich dabei um Hondas 1992 präsentiertes Sportler-Flaggschiff handelt. Echten Insidern reicht die Kurzform „Blade”, um sich der Modellpflegemaßnahmen 1994 (neue Verkleidung), 1996 (mehr Hubraum, 128 statt 125 PS) und 1998 (Motor und Fahrwerk stark überarbeitet) zu erinnern.

 

Honda CBR 900 RR FirebladeAufmerksamen Lesern fällt sofort auf, dass die Mutter aller Leichtbau-Supersportler regelmäßig alle zwei Jahre unters Messer kam. Fürs Jahr 2000 stand also sowieso eine Kur an. Doch mit leichter Kosmetik war es nicht mehr getan, denn seit 1998 bestimmten die Kawasaki ZX-9R und natürlich die Yamaha YZF-R1, wo bei den Supersportlern der Hammer hängt. 142 beziehungsweise 150 PS taugten zum Rumstrunzen nun mal deutlich besser als die bescheidenen 128 PS der Fireblade. Dass die Honda im Alltagsbetrieb trotzdem immer das bessere Motorrad war, interessierte die Knieschleifer-Fraktion nicht die Bohne. Das Bikerleben besteht nun mal in erster Linie aus Renntrainings. Oder zumindest aus Gesprächen darüber. Honda geriet gewaltig unter Druck.
Der weltgrößte Motorradhersteller ging das Thema mit der ihm eigenen Radikalität an. Es gab keine Modellpflege. Es gab eine Neukonstruktion. Stärker, schneller, leichter – so lauteten die bescheiden Vorgaben. Mit der Entwicklung wurde Tadao Baba beauftragt. Und das ist nicht irgendein Junghahn mit Ingenieurstitel, sondern der Vater aller Fireblades, quasi „Mister Blade” persönlich.
Am flüssigkeitsgekühlten Vierzylinder-Reihenmotor kam Baba natürlich nicht vorbei. Zwei obenliegende Nockenwellen, je vier Ventile pro Zylinder – alles guter Sportmotoren-Standard. Doch bereits beim Hubraum tat sich etwas: vier Millimeter weniger Hub (54 statt 58), drei Millimeter mehr Bohrung (74 statt 71) – macht unterm Strich 929 anstelle von 918 ccm und bietet ganz nebenbei Platz für größere Ventile. Und wo man gerade so schön am Zylinderkopf herumkonstruierte, reduzierten die Techniker die Winkel zwischen den Ein- und Auslassventilen. Das sorgte für einen flacheren Brennraum, und die Verdichtung stieg von 11,1:1 auf 11,3:1. Mehr Hubraum, mehr Drehzahlfestigkeit, mehr Gasdurchsatz, effektivere Kraftstoffverwertung – damit war es noch lange nicht getan. Wo beim 99er-Modell noch vier Keihin-Gleichdruckvergaser für die Gemischbildung verantwortlich waren, sorgt beim 2000er-Jahrgang eine elektronisch gesteuerte Saugrohreinspritzung für die Lebensmittelversorgung. Doch damit nicht genug. Im Honda-Entwicklungszentrum muss es wie auf dem Fischmarkt zugegangen sein: „Einen habe ich noch!”
Honda CBR 900 RR FirebladeUnd der heißt H-VIX. Das klingt gesprochen zwar etwas unanständig, ist aber nur die Abkürzung von „Honda Variable Intake/Exhaust-Control-System”, ein ziemlich pfiffiges Ein- und Auslass-Steuerungssystem. Abhängig von Drehzahl und Geschwindigkeit sorgt ein über eine Blackbox gesteuerter Stellmotor dafür, dass eine Klappe am Luftfiltergehäuse mehr oder weniger Luft einlässt. Das Airbox-Volumen wird also ständig dem aktuellen Luftbedarf angepasst, was laut Honda für mehr Drehmoment im unteren und mittleren Drehzahlbereich sorgen soll. Auf der Auslass-Seite geht’s noch cleverer zu. Zwischen den vier gleich langen Titan-Krümmern und dem Rohr zum Alu-Endschalldämpfer sitzt ein ebenfalls von einem Motor gesteuertes Auspuffventil. Bei niedrigen und mittleren Drehzahlen sorgt eine den Querschnitt verengende Walze dafür, dass der Auspuff als 4-in-1-Anlage funktioniert. Wird höher gedreht, funktioniert das ganze als 4-in-2-in-1-Anlage. Sinn der Aktion: siehe Einlass-Steuerung.
Da ohnehin schon überall gesteuert und geregelt wird, fällt ein geregelter Dreiwege-Katalysator nicht weiter auf. Dachte sich zumindest Tadao Baba und spendierte der Fireblade den Saubermann. Der kostet zwar brutal ein PS Leistung und bringt mindestens ein Kilogramm Mehrgewicht, doch das war zu verschmerzen. Allein der 2000er-Motor wiegt nämlich 4,3 Kilo weniger als der Vorgänger-Treibsatz. Noch hohler hohlgebohrte Nockenwellen und ein 20 Millimeter kürzeres Gehäuse sind unter anderem verantwortlich dafür. Die Spitzenleistung sollte laut Hondas ersten Informationen 151 PS betragen. Das war etwas optimistisch. Im Laufe des Jahres 2000 einigte man sich dann auf 148 PS bei 11.000 U/min.
Honda CBR 900 RR FirebladeDer Motor ist leichter und kompakter und wanderte im Rahmen noch etwas nach vorn. Das ließ die Hinterradschwinge nicht unberührt. Sie legte die besagten 20 Millimeter an Länge zu und genehmigte sich gleich noch eine Verstärkung des linken Oberzugs. Von einer Lagerung im Rahmen wollte die Schwinge nichts mehr wissen. Das Schwingenlager ist nunmehr am Motorgehäuse untergebracht. Das soll dem Fahrwerk eine gewünschte Flexibilität bringen, denn zu steif ist entgegen landläufiger Meinung gar nicht gut. Der Alu-Brückenrahmen endet damit schon etwas früher und bekam zum Trost ein paar Verstärkungen. Dem Zentralfederbein spendierten die Techniker eine neue Abstimmung und zehn Millimeter mehr Federweg (135 mm) und dem Hinterradreifen einen Zentimeter mehr Breite. An der Vorderhand erfolgte für Honda-Verhältnisse eine Revolution: Upside-down- statt herkömmlicher Telegabel und 17-Zoll-Vorderrad anstelle des seit 1992 verbauten 16-Zöllers. Die neue Reifenkombination lautet 120/70 ZR 17 und 190/50 ZR 17. Das ist klassenüblich und dürfte die Reifenbeschaffung in Zukunft vereinfachen. Der vordere Federweg beträgt unverändert 120 Millimeter.
Die neue Fireblade wiegt mit 18 Litern Normalbenzin vollgetankt ziemlich genau 200 Kilogramm. Das sind sechs Kilo weniger als bisher. Doch der Diät-Erfolg lässt sich nicht nur auf der Waage ausmachen. Ihre ganze Erscheinung wirkt deutlich schlanker und zierlicher. Das kommt auch dem Arbeitsplatz zugute. Der ehemals sehr breite und lange Tank hat nunmehr normale Abmessungen und erlaubt eine recht entspannte, dank etwas tiefer montierter Lenkerstummel aber auch sportlichere Sitzposition. Der etwas höhere Fahrersitz bietet mehr Platz zum Turnen. Das Cockpit ist ebenfalls völlig neu. Wo beim Vorgängermodell noch klassische Analog-Rundinstrumente informierten, teilen sich bei der neuen Fireblade ein Digitaltacho und ein Analog-Tourenzähler den Job. Das sieht nicht unbedingt besser aus und ist ebensowenig übersichtlicher, erinnert aber verdächtig an Yamahas R1 und ist damit sportlich und wichtig.
Bei den Rückspiegeln besann sich Honda seiner Stärke, einfach nur gut funktionierende Sachen zu bauen: Die Dinger erlauben ungetrübte Rücksicht. Abblend- und Fernlicht der Fireblade sind sogar hervorragend. Die Gewissheit, den Kumpels nachts um die Ohren fahren zu können, ist doch auch ganz beruhigend und kann einen völlig neuen Aspekt in Stammtischdiskussionen bringen.
Doch nicht nur nachts geht es mit der Fireblade flott voran. Beim Start geht es auch schon hoch her. Zumindest drehzahlmäßig. Einen Choke gibt’s nämlich nicht mehr, die Drehzahlanhebung beim Kaltstart erfolgt automatisch. Das Motormanagement regelt auf lärmende und nervende 2500 U/min. Nach einer halben Minute ist der Spuk vorbei, und die Fireblade brabbelt mit gesunder Leerlaufdrehzahl vor sich hin. Bereits jetzt wird deutlich, dass jedes noch so kurze Zucken der Gashand sofort für eine Reaktion sorgt.
Erst einmal ist die Kupplungshand gefragt, doch hat in der Folge einen ähnlich lockeren Job wie der Schaltfuß. Die Arbeit im Sechsganggetriebe ist ein Vergnügen. Etwas Vorsicht ist dennoch angesagt, denn obwohl sich die Fireblade wie eine 600er anfühlt, ist beim Gasaufreißen 900er-Power angesagt. Und die sorgt dafür, dass beim zügigen Beschleunigen in den unteren drei Gängen das Vorderrad etwas Probleme hat, den Bodenkontakt zu halten. Bereits ab 3000 U/min geht es mächtig voran, ab 8000 U/min brennt die Luft. Der Begrenzer setzt dem lustigen Treiben erst bei 12.500 Touren ein Ende. Für handelsübliche bma -Schreiber und die meisten anderen Biker wird das – zumindest auf öffentlichen Straßen – ein eher theoretischer Wert bleiben. Das maximale Drehmoment von 100 Nm liegt bereits bei 9000 U/min an.
Die Fireblade hat immer und überall Druck im Überfluss. Sie ist brutal stark, aber sie ist beileibe kein Brutalo. Ganz in der Tradition ihrer Vorgängerinnen gibt sie ihre Leistung ungemein gleichmäßig und berechenbar ab und erlaubt ihrem Fahrer jederzeit die volle Kontrolle. Das damit klassenübliche Rennmaschinen-Fahrleistungen zu erzielen sind, ist kein Widerspruch. Den in der Praxis unsinnigen, für Stammtischgespäche aber ungemein wichtigen Sprint von 0 auf 100 km/h erledigt die neue Fireblade in drei Sekunden. Die Vorgängerin brauchte genauso wenig, ZX-9R und R1 sind auch nicht flotter. Als Vmax stehen rund 270 km/h auf der Uhr – zehn mehr als bei der alten Fireblade, in etwas das gleiche wie bei der japanischen Konkurrenz. Etwas ärgerlich sind die Trinkgewohnheiten der neuen Fireblade. Auf der Landstraße zieht sie sich locker über sechs Liter auf 100 Kilometern rein, sehr flotte Gangart wird mit deutlich über acht Litern Verbrauch bestraft. Die von Vergasern befeuerte Vorgängerin brauchte eindeutig weniger.
Was die neue CBR 900 RR dennoch zum Klassenprimus macht, ist der kinderleichte Umgang mit ihr. Sie lässt sich zielgenau um jede noch so wilde Kurvenkombination jagen, ihre Federelemente bügeln so ziemlich alles glatt, was deutsche Landstraßen zu bieten haben und geben trotzdem genaue Rückmeldung über den Fahrbahnzustand. Die Fireblade fällt nicht von allein in die Kurven, es ist durchaus etwas Körpereinsatz gefragt, doch das ist auch gut so und passt zum Leistungsvermögen. Wer ein 600er-Fahrverhalten will, soll sich gefälligst auch eine 600er kaufen. Beim Verzögern macht es einem die Fireblade dafür so einfach wie irgend möglich. Die neuen 330-Millimeter-Scheiben im Vorderrad werden von den Vierkolbensätteln immer und überall perfekt dosierbar in die Zangen genommen, ohne dass unnötig hohe Handkräfte erforderlich wären. An der Fireblade ist nichts link oder fies. Wer auf unebenen Belag das Gas brutal aufreißt, bringt zwar etwas Unruhe in die Vorderhand, von einem gefährlichen Lenkerschlagen ist die Fireblade aber noch ein Stück entfernt. Wer partout häufiger über Rennstrecken blasen will, wird zum Nachrüst-Lenkungsdämpfer greifen.
Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass die neue Fireblade fast alles besser kann als das Vorgängermodell, mit 23.640 Mark aber auch fast zwei Mille mehr kostet. Im Vergleich zur direkten Konkurrenz geht der Preis absolut in Ordnung. Auch und gerade in Anbetracht der tadellosen Verarbeitung. Die Honda CBR 900 RR Fireblade ist auf alle Fälle der zur Zeit fahrbarste Supersportler. Oder anders gesagt: das vernünftigste Unvernunft-Bike. Das reicht vielleicht nicht immer für den Sieg bei Stammtisch-Duellen, für jede Menge alltäglichen Fahrspaß reicht es aber immer.