aus bma 11/12
von Klaus Herder

Eine verständliche Frage, denn die Sportler-Gemeinde war vom weltgrößten Motorradhersteller (und natürlich auch von seinen japanischen Mitbewerbern) seit den 90er Jahren auf einen festen Rhythmus konditioniert worden: Alle zwei Jahre stand eine kräftige Modellpflege an, nach jeweils vier Jahren gab‘s ein komplett neues Modell. So lief das viele Jahre lang, doch die Zeiten, in denen sich ein Supersportler in Deutschland über 3000 Mal pro Jahr verkaufen ließ, sind längst vorbei. Erschwerend kam hinzu, dass sich immer mehr Anbieter um den immer kleiner werdenden Kuchen streiten.
Ausgerechnet BMW läutete mit der S 1000 RR eine neue Supersportler-Zeitrechnung ein und treibt die Konkurrenz seitdem vor sich her. Erschwerend kommt hinzu, dass es von Aprilia, Ducati und MV Agusta mittlerweile auch wirklich ernst zu nehmende italienische Konkurrenzmodelle gibt. Die Zahlen sprechen für sich: BMW verkaufte von der S 1000 RR von Januar bis August 2012 immerhin 1533 Stück; Suzuki brachte es im gleichen Zeitraum auf gerade mal 250 GSX-R 1000; die Yamaha YZF-R1 fand 409 Käufer. Von den japanischen Herstellern hatte sich einzig Kawasaki im ganz großen Stil auf das Wettrüsten in Sachen Leistung und Elektronik eingelassen – 399 von Januar bis August 2012 verkaufte ZX-10R sind die eher magere Ausbeute. Und Honda? Mit 429 in den ersten acht Monaten dieses Jahres verkauften Fireblades ist man der Einäugige unter den Blinden. In der hausinternen Hitparade reicht das gerade mal für den zehnten Platz, noch hinter dem 513 Mal verkauften „Mini-Sportler” CBR 250 R.
Ein komplett neues Geburtstagsmodell blieb also ein frommer Wunsch, aber für eine ordentliche Modellpflege langte es dann doch. Das Jubiläumsmodell 2012 basiert im Grunde genommen auf dem letzten großen Meilenstein in der langjährigen Fireblade-Historie: der SC59 von 2008, mit der Honda eine schärfere, kompaktere, leichtere und deutlich aggressivere Feuerklinge präsentiert hatte. Die siebte Fireblade-Auflage war dann ab 2009 der erste mit ABS lieferbare Supersportler. 2010 gab‘s noch etwas Kosmetik am Heck und für ein paar Anbauteile sowie Feinarbeit an Kurbelwelle und Lichtmaschine – und das war‘s dann auch schon in den letzten Jahren.

Unterm zweischaligen Kunststoffleibchen tat sich motorenmäßig dagegen nicht viel. Der Reihenvierzylinder wurde praktisch unverändert übernommen, es liegen also auch weiterhin 178 PS bei 12000/min und maximal 112 Nm bei bereits 8500/min an. Ein überarbeitetes Kennfeld soll nun allerdings dafür sorgen, dass das Ansprechverhalten etwas sanfter und die Leistungsentfaltung etwas gleichmäßiger als bisher ausfallen – besonders bei kleiner Drosselklappenöffnung. Die Operation ist gelungen, denn tatsächlich geht die 2012er-Blade aus langsamen Ecken spürbar softer und damit viel besser kontrollierbar ans Gas. An der etwas rauen Grundkernigkeit hat sich aber grundsätzlich nichts geändert. Und das ist auch gut so, denn das Gefühl, dass da unter einem keine Turbine sondern ein ehrlich arbeitender Vierzylinder-Verbrennungsmotor werkelt, gehört einfach zum Fireblade-Charakter. Der kleine Hänger zwischen 3000 und 4000/min gehört vermutlich auch dazu – es gibt ihn unverändert, und wie bisher stört er im richtigen Leben nicht wirklich. Ab 4000/min, und damit noch am Anfangsbereich der im Alltag so wichtigen Drehzahlmitte, legt die Fireblade nämlich auch als 2012er-Modell mit einer Vehemenz los, gegen die die Konkurrenz keine Chance hat. Schon gar nicht die PS-Poser BMW S 1000 RR und Kawasaki ZX-10R, von der Ducati Panigale ganz zu schweigen. Natürlich lässt sich die Spitzenleistung der auf dem Papier und wohl auch auf der letzten Rennstrecke-Rille überlegenen Konkurrenzmodelle besser vermarkten, aber auf dem Platz – also im Winkelwerk öffentlich zugänglicher Landstraßen – ist die Fireblade immer noch eine Macht. Gut, dass dem famosen Motor eine „Überarbeitung der Überarbeitung wegen“ erspart geblieben ist. Mehr Leistung wäre wirklich das Letzte gewesen, was die Fireblade benötigt hätte. In 3,1 Sekunden von 0 auf 100 km/h, echte 285 km/h Spitze und vor allem die erstklassigen Durchzugswerte – das sollte immer und überall reichen.
Zu den tollen und vor allem praxisgerechten Fahrleistungen passt, dass Honda der Fireblade in diesem Jahr eine neue Erstbereifung spendiert hat. Nun sind Bridgestone S 20 statt BT 015 montiert, und das macht einen gewaltigen Unterschied: neutraleres Einlenkverhalten, vertrauenerweckendere Rückmeldung auch bei kalten Reifen, besserer Kaltgrip und auch überzeugender auf nasser Straße. Unterschiede zum Vorjahresmodell gibt‘s auch bei den Federelementen. Die neue Showa Big Piston-Upside-down-Gabel (43 mm) und das ebenfalls neue Showa-Federbein (im „Doppelrohr-Design“ – der Dämpferkolben läuft in einem separaten Innenrohr und drückt das Dämpferöl in einen eigenen Kreislauf) sprechen etwas sensibler als die bisher verbauten Teile an und lassen sich über einen weiteren Einstellbereich verstellen. Bei der Gabel werden Druck- und Zugstufe sehr einfach am oberen Gabelholm verändert, die Vorspannung ebenfalls problemlos am Gabelfuß. Die Einstellschrauben des Federbeins sind dagegen nur deutlich fummeliger zu erreichen.
Das ursprünglich aufpreispflichtige „Combined ABS“ ist nun bei der 14990 Euro teuren und in Weiß, Schwarz, Rot sowie „HRC-Tricolor“ lieferbaren CBR 1000 RR Fireblade serienmäßig. Was nur folgerichtig ist, denn die perfekt funktionierende Verbundbremse samt Blockierverhinderer war auch schon zuvor ein Muss. Es gibt derzeit kein zweites System, das feiner regelt und selbst bei voll gezogenem Hebel für eine so begeisternde Bremsstabilität sorgt wie das Honda-System. Das Beste daran: Man spürt es einfach nicht. Kein hartes Einsetzen der Regelvorgänge, keine pumpende Fahrzeugfront, kein Pulsieren im Handhebel – einfach nichts. Das System war bereits 2009 Referenz in Sachen Motorrad-ABS. Und dürfte es heute immer noch sein. Ein zweites bewährtes Elektronik-Helferlein ist auch am 2012er-Modell zu finden: der elektronische Lenkungsdämpfer HESD („Honda Electronic Steering Damper“). Auch dafür gilt das bereits zum ABS gesagte: Es funktioniert einfach perfekt, nämlich wunderbar unauffällig. Beim Rangieren und bei geringem Tempo ist der Dämpfer praktisch nicht zu spüren; wenn es sehr flott, womöglich noch in Schräglage über miesen Belag geht, macht das Teil dafür einen im wahrsten Sinne des Wortes beruhigenden Job.
Honda hat also ein goldenes Händchen, wenn es um die Abstimmung von Fahrer-Assistenzsystemen geht. Um so unverständlicher ist daher, warum auch beim drei Kilo schwereren (mit 17,7 Litern vollgetankt 212 statt 209 kg) 2012er-Modell keine Traktionskontrolle zu finden ist. Zugegeben: Auch ohne einen solchen Helfer ist der Umgang mit der Fireblade spielerisch einfach und purer Genuss. Aber gerade weil Honda nicht den Leistungs-Fetischismus einiger Wettbewerber mitmacht, würde es der Marke gut anstehen, den Umgang mit ihren Fahrzeugen noch etwas einfacher zu machen. Das „Total Control“ war es schließlich immer, was die Fireblade von der Konkurrenz unterschieden hat. Sie war eigentlich nie der stärkste, schnellste oder leichteste Supersportler. Aber dafür immer der menschenfreundlichste und fahrbarste. Und das ist sie als 2012er-Modell immer noch – auch ohne Traktionskontrolle. Es mag vielleicht wirtschaftlichen Zwängen geschuldet sein, dass die ganz große Überraschung – also eine komplett neue Fireblade – zum 20. Geburtstag ausblieb. Andererseits: Warum das Rad immer wieder neu erfinden? Eben. Die 2012er-Modellpflege ist absolut gelungen und hat ein ohnehin schon sehr gutes Motorrad noch etwas besser gemacht. Wer ein 2009er- bis 2011er-Modell (mit ABS!) hat, muss nicht wirklich wechseln; allen anderen Supersport-Fans (auch und gerade den vom BMW-Hype etwas genervten…) sei ein Besuch beim Honda-Dealer empfohlen, um einen echten Top-Twen näher kennen zu lernen.
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