aus bma 08/04

von Klaus Herder

Honda CBR 1000 RR FirebladeWissen Sie eigentlich, was Sie in ziemlich genau zwei Jahren machen werden? Nein? Also ich schon. Ich werde 2006 vor meinem PC sitzen und warme Worte zur neuen Honda CBR 1100 RR Fireblade finden und die Wirkung der 195 PS beschreiben, die es mit nur 170 Kilogramm Kampfgewicht zu tun haben. Aber noch ist es nicht so weit. Wir haben 2004, doch auch jetzt gilt es, eine neue Feuerklinge („Fireblade”) zu würdigen. Wenn man sich neben den regelmäßigen Pleiten der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf etwas im Leben verlassen kann, dann ist es die alle zwei Jahre stattfindende Fireblade-Modellpflege.
Seit 1992 geht das nun schon so. Mit der 125 PS starken, 893 ccm großen und 206 Kilogramm leichten Ur-Fireblade fing alles an. Der Hubraum wuchs über die Jahre von 918 und 929 auf zuletzt 954 ccm. Die Leistungs-Entwicklung ging über 128 und 148 auf 150 PS beim 2002er-Modell. Bei dieser letzten als 900er durchgehenden Fireblade hatte Honda erstmals die 200-Kilo geknackt: 199 Kilogramm vollgetankt. Das war die gute Nachricht. Doch die vermeintliche Fireblade-Krönung sorgte erstmals in der Geschichte des Honda-Supersport-Flaggschiffs für Kratzer am bislang tadellosen Image. Der Leichtbau und die ultrahandliche Auslegung hatten nämlich auch eine Schattenseite: Schwächen in der Lenkstabilität. Bei hohen Geschwindigkeiten auf welligem Belag und beim vollen Beschleunigen neigte die 2002er-Blade nämlich zum Lenkerschlagen. Honda verzichtete mit einer fast schon an Sturheit grenzenden Konsequenz auf einen Lenkungsdämpfer, verstärkte aber immerhin das Lenkrohr und verbaute andere Lenkkopflager. Bereits ausgelieferte Maschinen wurden umgerüstet. Der Image-Schaden hielt sich so in Grenzen, doch offensichtlich nahm man in Japan die Ereignisse zum Anlass, vom „noch leichter, noch kompakter, noch handlicher” als unbedingte Entwicklungsziele abzurücken. Gegen ein „noch stärker” hatte allerdings niemand etwas einzuwenden. Ganz im Gegenteil, Honda hatte viele gute Gründe, die Fireblade noch stärker zu machen: Die Suzuki GSX-R 1000 gab ab 2001 mit 160 PS, zwei Jahre später sogar mit 164 PS den Klassenprimus, und es war abzusehen, dass die fürs Modelljahr 2004 angekündigten Yamaha R1 und Kawasaki ZX-10R noch ein paar Pferdestärken drauflegen würden.

 

Honda CBR 1000 RR FirebladeDer legendäre Fireblade-Vater Tadeo Baba (Motto „Total control”) war an der Entwicklung der nunmehr siebten Fireblade-Auflage nicht mehr beteiligt. Der verantwortliche Entwicklungs-Ingenieur heißt Kunitaka Hara, und sein Wahlspruch ist im Honda-Pressetext zu finden: „Ready to race”. Rennmäßig lief das letzte Jahr für Honda ja auch durchaus sehr erfolgreich: MotoGP-Titel durch Valentino Rossi mit der RC211V, Supersport-Weltmeister mit Chris Vermeulen und der CBR 600 RR. Und genau deren Arbeitsgeräte standen bei der Entwicklung der Honda CBR 1000 RR Fireblade Pate. Doch bevor Sie jetzt nachzählen: Nein, die neue Fireblade hat keinen V-Fünfzylinder, es bleibt beim Reihenvierer. 2,5 Millimeter mehr Kolbenhub bei unveränderter Bohrung machten aus 954 ccm den knappen Liter (exakt 998 ccm), womit das Hubraumlimit der Superbike-Klasse ausgereizt ist. Vom alten Fireblade-Motor blieb außer dem grundsätzlichen Konstruktionsprinzip kaum etwas übrig: Ram-Air-System, Airbox, Ansaugtrakt, Ventilwinkel – alles kam neu. Die verstärkte Kupplung wird nun hydraulisch betätigt, die Getriebewellen sind jetzt platzsparend übereinander drapiert, die Schaltbox ist als Kassettengetriebe ausgelegt, kann also nach Demontage der Kupplung und ohne Ausbau des Motors schnell gewechselt werden. Das interessiert Otto Normalheizer vielleicht nicht ganz so brennend, ist für Rennfahrer in Zeitnot aber äußerst reizvoll.
Durchaus renntauglich ist auch der neue riesige Kühler. Die sequenzielle Kraftstoffeinspritzung wurde bereits bei der CBR 600 RR eingeführt und versorgt nun auch die Fireblade-Zylinder über jeweils zwei Einspritzdüsen. Eine für den Teillastbetrieb sitzt im Drosselklappengehäuse, die zweite für Volllast im Luftfilter direkt über dem Ansaugtrichter. Abhängig von Drehzahl und Drosselklappenstellung steuert ein Rechner die Menge und den Zeitpunkt der Kraftstoffversorgung und kümmert sich nebenbei auch noch um die Servomotoren für die Klappen im Lufteinlass und im Auslasssystem. Bei der in Deutschland ausgelieferten Fireblade sorgt ein geregelter Katalysator für korrekte Abgaswerte. Unterm Strich kamen nette 171 PS heraus. Die liegen bei 11.250 U/min an, bereits bei 8500 Touren stemmt die Honda ihr maximales Drehmoment von üppigen 115 Nm.
Das sind Werte, die ganz automatisch dafür sorgen, dass man mit einer gehörigen Portion Respekt aufsteigt. Dass die Sitzposition deutlich aggressiver als beim Vorgängermodell ausfällt, macht die Sache nicht eben leichter. Die Lenkerhälften sitzen vier Zentimeter tiefer, die Fußrasten sind dafür höher und weiter hinten montiert. Das ist alles gewaltig vorderradorientiert, doch die Fireblade wäre keine Honda, wenn sich nicht im gleichen Moment das typische „Passt-wie-angegossen-Gefühl” einstellen würde. Die Ausbuchtungen der recht kurzen Tankabdeckung bieten nämlich viel Platz für die Knie, das überarbeitete Cockpit liegt goldrichtig im Blickfeld, und auch die Rückspiegel tun genau das, was sie sollen. Handbrems- und Kupplungshebel lassen sich erfreulicherweise verstellen. Der Fireblade-Arbeitsplatz ist sehr sportlich, aber alles andere als unbequem.
Kurzer Druck aufs Knöpfen – sofort und ohne irgendeine Choke-Fummelei nimmt der im Rahmen sehr weit vorn montierte Vierzylinder die Arbeit auf. Für einen kurzen Moment hebt das Motormanagement die Drehzahl auf 2000 Touren an, dann grummelt die stärkste Serien-Honda zufrieden im Leerlauf. Zarte Spielerei am Gasgriff wird mit dezentem, aber doch hörbar bösem Grollen beantwortet. Die Kupplungsbetätigung klappt extrem leicht und ist perfekt dosierbar. Die sechs Gänge lassen sich mit einer leichten Bewegung der Stiefelspitze einlegen, besser geht’s eigentlich nicht.
CockpitWas dann kommt, hat allerdings nichts mehr von feinfühliger Leichtigkeit. Ziemlich direkt und recht kernig nimmt die Fireblade im unteren Drehzahlbereich Gas an. Mit dem Schalten kann man sich etwas Zeit lassen, der erste Gang kann nicht nur theoretisch bis 130 km/h drin bleiben. In der Landstraßen-Praxis wird man die Fireblade allerdings kaum bis an den bei 11.500 U/min beginnenden roten Bereich drehen. Bereits bei 6000 U/min stehen über 80 PS zur Verfügung, 1000 Umdrehungen später sind es dann schon 100 PS. Unbeherrschte Gasgriffwürger bestraft die Honda mit teilweise recht derben Lastwechselschlägen. Wer aber schön smooth an der Kordel zieht, wird dafür mit einer herrlich linearen Leis-tungsabgabe belohnt und ist auch nicht langsamer unterwegs. Mit zunehmender Drehzahl nimmt die Gefahr des etwas zu kernigen Leistungseinsatzes aber ohnehin ab. Die Fireblade erlaubt sich nicht die Spur eines Durchhängers, sie drückt auf eine unglaublich lockere, fast schon unspektakuläre Art. Wäre da nicht dieses permanente Zeitraffer-Gefühl, man könnte kaum glauben, dass da ein reinrassiger Rennmotor werkelt. Ein Zeitungs-Kollege fand für den Fireblade-Charakter eine wunderbare Umschreibung: „Muskelprotz in Nadelstreifen” – genau das ist sie. Wer es darauf anlegt, kann natürlich auch auf der Fireblade den ganz großen Adrenalinschub bekommen – einmaliges Runterschalten und digitales Gasgeben reichen dafür vollauf. Wer aber nicht permanent mit dem Messer zwischen den Zähnen unterwegs sein möchte, findet hier sensationell leicht beherrschbare 171 PS vor. Die Fireblade hat zwar einen einstellbaren Schaltblitz (schnell oder langsames Blinken, wahlweise Dauerlicht), doch den braucht abseits der Rennstrecke niemand. Die Honda schüttelt ihre Leistung mit einer herrlichen Lässigkeit aus dem Ärmel. Wer will, ist mit ihr sauschnell und trotzdem absolut entspannt unterwegs.
Dafür sorgt auch das komplett neue Fahrwerk. Der kürzere Motor schaffte Platz für eine vier Zentimeter längere, für mehr Fahrstabilität sorgende Schwinge. Deren Konstruktion („Unit-Pro-Link-System”) mit dem integrierten Federbein stammt direkt von der RC211V und bewährte sich bereits in der CBR 600 RR. Die Upside-down-Gabel und das praktisch an sich selbst abstützende Federbein sind natürlich voll einstellbar. Die Grundabstimmung ist für den Landstraßeneinsatz goldrichtig, fürs Renntraining erlaubt der weite Einstellbereich eine deutlich straffere Auslegung. Beim Radstand und Nachlauf legte die neue Fireblade im Vergleich zur Vorgängerin etwas zu.
Entgegen der Tradition stieg auch das Gewicht wieder an. Die 1000er wiegt vollgetankt 211 Kilogramm und damit satte zwölf Kilo mehr als die letzte 900er. Doch kein Grund zur Panik, der neue Alu-Brückenrahmen und auch der tief liegende, bis hinter den Motor reichende 18-Liter-Tank sorgen für eine so gelungene Massenzentralisierung, dass das Mehrgewicht nicht negativ auffällt.
Heckauspuff Die neue Fireblade lenkt zwar nicht ganz so spielerisch leicht ein wie das Vorgängermodell, bei ihr ist beim schnellen Umlegen durchaus Körpereinsatz gefragt, doch dafür geht ihr auch die manchmal arg störende Nervosität des alten Modells völlig ab. Die CBR 1000 RR mag einen kleinen Tick unhandlicher sein, doch dafür ist sie viel berechenbarer und fahrstabiler als die alte Blade. Böse Überraschungen aus dem Lenkerbereich sind bei ihr auch nicht zu erwarten, denn Honda konnte sich endlich dazu durchringen, einen Lenkungsdämpfer zu verbauen. Und was für einen: Das HESD („Honda Electronic Steering Damper”) genannte System ist nicht einfach ein x-beliebiger Hydraulikheimer. Das in Zusammenarbeit mit dem Fahrwerksspezialisten Kayaba entwickelte Teil ist ein „elektronisch geregelter Drehflügeldämpfer”. Das Ganze sitzt in einem kleinen Kästchen auf der oberen Gabelbrücke. In der mit Öl gefüllten Kammer dreht sich beim Lenken ein kleiner Flügel, der über Hebel und Gelenke mit der Gabelbrücke verbunden ist. Das Öl wird dadurch über einen Kanal von der einen zur anderen Kammerseite gedrückt. Im Kanal sitzt ein Magnetventil, dass den Bohrungsquerschnitt und damit den Strömungswiderstand (und so die Dämpferwirkung) stufenlos verändern kann. Das Magnetventil bekommt seine Kommandos von einem Rechner, der Geschwindigkeits- und Beschleunigungswerte verarbeitet. Das klingt möglicherweise kompliziert, funktioniert in der Praxis aber genial einfach. Beim Rangieren oder bei niedrigem Tempo ist der Lenkungsdämpfer praktisch nicht zu spüren, doch wenn es darauf ankommt, dämpft das System perfekt. Lenkerschlagen ist für die neue Fireblade ein Fremdwort. Soziustauglichkeit übrigens auch.
Bei den Bremsen gab es einen Lieferanten-Wechsel. Jetzt verzögert Tokico an Stelle von Nissin. Der Bremsscheibendurchmesser schrumpfte von 330 auf 310 Millimeter. Am bereits 2002 gefällten bma-Urteil hat sich dadurch nichts geändert: „Dosierbarkeit vom Feinsten, besser geht’s zur Zeit nicht – die Stopper sind referenzverdächtig”. Auch beim Verbrauch gibt’s nichts Neues: 5 bis 6,5 Liter – klassenüblich. Bei der Höchstgeschwindigkeit legte die Fireblade von 277 auf 285 km/h zu, der 0-auf-100-Sprint lässt sich rein physikalisch in nicht deutlich weniger als drei Sekunden erledigen (wer’s partout wissen will: 3,2 Sekunden); um aus dem Stand auf Tempo 200 zu kommen, braucht die neue Fireblade 7,6 Sekunden. Diese Werte sind genauso klassenüblich wie der Preis von 12.990 Euro (zzgl. Nebenkosten).
Was also unterscheidet die hervorragend verarbeitete Honda CBR 1000 RR von der Kawasaki ZX-10R, der Suzuki GSX-R 1000 und der Yamaha YZF-R1? Einfache wie arrogante Antwort: Sie ist eine Honda! Oder anders gesagt: Sie ist immer noch eine typische Fireblade, mit der man (ein paar kleine Veränderungen vorausgesetzt…) zur Abwechslung aber kräftig in der Superbike-WM mitmischen kann. Ich bin gespannt, was es in zwei Jahren zu schreiben gibt.