aus bma 4/09

Text: Klaus Herder
Fotos: Honda

Honda CBR 1000 RR ABS Mod. 2009Es ist gute Tradition, daß ich an dieser Stelle im Zweijahres-Rhythmus über eine neue Honda Fireblade schreiben darf. Das geht nun schon seit 1992 so. Alle zwei Jahre gab es eine kräftige Überarbeitung, nach jeweils vier Jahren war ein neues Modell fällig. Leichte Abweichungen davon waren möglich, denn die bekanntlich auch nicht schlafende Konkurrenz musste im Auge behalten werden. Aus der 900er wurde über die Jahre eine 1000er; von ursprünglich 124 PS erstarkte die Fireblade auf zuletzt 172 PS. Stärker, schneller, leichter und dabei immer noch die am einfachsten zu fahrende und menschenfreundlichste Vertreterin ihrer Klasse – so lautete immer das Fazit. Mit einer Ausnahme: Die letzte CBR 900 RR (die SC 50 von 2002) übertrieb es etwas: Das sensationelle Kampfgewicht von volkgetankt nur 199 Kilogramm wurde mit Schwächen in der Lenkstabilität erkauft, aber bereits die erste CBR 1000 (die SC 57 von 2004) sorgte mit etwas mehr Speck auf den Rippen und einem serienmäßigen Lenkungsdämpfer dafür, daß die Fireblade wieder zum freundlichsten Superbike wurde.

 

So hätte es ewig weitergehen können, aber irgendwann in den letzten Jahren hatten die japanischen Produktentwickler die Nase wohl voll vom netten Supersportler. „Unsere Blade muss böser werden!” lautete das so nie offiziell ausgesprochene Motto, und heraus kam Ende 2007 die schärfste Feuerklinge aller Zeiten, in der traditionell sehr techniklastigen Presse-Info taucht nun sogar der Begriff „aggressiv” auf. Mehr Bohrung und weniger Hub sowie jede Menge kräftig überarbeiteter bzw. komplett neuer Motor-Innereien sorgen jetzt für noch mehr Drehvermögen und für noch mehr Leistung. 178 PS bei 12000 U/min statt 172 PS bei 11250 U/min. Das sind Werte, die für den gepflegten Landstraßenbetrieb nicht wirklich wichtig sind, aber dass jetzt das maximale Drehmoment von 112 Nm bereits bei 8500 U/min und damit 1500 Touren früher als bisher gestemmt wird, dürfte auch Otto Normalheizer interessieren. Und der sieht und spürt auch sofort, was Honda mit „schärferer Optik” und „kompakteren Proportionen” meint: Die neue Fireblade sieht wie eine 600er aus, und wie auf einer 600er sitzt man auch auf ihr: Nämlich sehr, sehr vorderradorientiert. Schmalerer und kürzerer Tank, engerer Knieschluss, etwas geringerer Abstand zwischen dem sehr straff gepolsterten Fahrersitz und den immer noch relativ weit vorn montierten Fußrasten – diese Fireblade muss sich wirklich nicht als Sporttourer beschimpfen lassen.

Honda CBR 1000 RR ABS Mod. 2009Neuer Rahmen, leichtere Räder, leichteres Cockpit, leichterer Kühler, kleinere und damit leichtere Batterie – unterm Strich hat es Honda mal wieder geschafft und die Vier-Zentner-Schallmauer geknackt: 199 Kilogramm inklusive 17,7 Litern Sprit (und ohne den leicht übergewichtigen Fahrer…), das ist das aktuelle Maß aller Vierzylinder-Superbike-Dinge. Wenn da nicht gleich wieder zehn Kilo draufkommen würden. Wie bitte? Richtig gelesen, an dieser Stelle weichen wir von der traditionellen Fireblade-Berichterstattung ab, denn ab jetzt geht nur noch am Rande ums Gas geben, jetzt geht’s hauptsächlich ums Bremsen.

Die besagten zehn Kilogramm sind nämlich ein 1000 Euro teures Extra, das die Fireblade im Kreis der Supersportler einzigartig macht. Honda bricht ein letztes Tabu und rüstet das Sport-Flaggschiff auf Wunsch mit ABS aus. Nicht mit irgendeinem Allerwelts-Blockierverhinderer, sondern mit einer ABS-Verbundbremse, die speziell für den Sporteinsatz entwickelt wurde. Außer den von Sensoren überwachten Radkränzen an Vorder- und Hinterrad deutet auf den ersten Blick nur die Bremssattelfarbe („Sherry Topaz Brown Metallic” statt Schwarz bei der ABS-losen Fireblade) auf die Sonderausstattung hin. Wer der Fireblade unter das noch schlanker geschnittene Kunststoffkleid schaut, entdeckt aber noch zwei Servopumpen und ein üppig verkabeltes Steuergerät. Die zehn Kilo müssen ja irgendwo herkommen.

Ein serientaugliches ABS für Motorräder gibt es bereits seit über 20 Jahren (ab 1988 als Extra für die BMW K-Modelle), doch das in der CBR 600 RR und der Fireblade verbaute System unterscheidet sich grundlegend von bisherigen Antiblockiersystemen. Der Fahrer betätigt die ABS-Bremse nicht direkt mit Hand- oder Fußhebel, er gibt nur noch den Druck vor, der von den beiden elektrischen Pumpen aufgebaut und an Vorder- und Hinterrad weitergeleitet wird. Dieses „Brake-by-wire-System” erlaubt ein sehr wohldosiertes Bremsen und schafft die Möglichkeit, Vorder- und Hinterradbremse über ein sehr cleveres Verbundsystem zu kombinieren. Doch dazu später mehr.

Honda CBR 1000 RR ABS Mod. 2009Bevor nämlich die ewigen Technik-Pessimisten und die Freunde der Doppelduplex-Bremse Zeter und Mordio schreien, kann im Rahmen dieses kleinen Technik-Exkurses Entwarnung gegeben werden: Auch die mit ABS bestückte Fireblade ist mit einer ganz konventionell funktionierenden Bremsanlage bestückt. Und die ist auch ohne ABS vom Feinsten: Radial verschraubte Vierkolben-Festsättel von Tokico vorn und ein Einkolben-Schwimmsattel von Nissin hinten. Was für unsere Zweifler noch viel wichtiger ist: Wenn die ganze Elektronik-Mimik wider Erwarten doch mal ausfallen sollte, steht die ganz normale manuell-hydraulisch betätigte Bremse zur Verfügung. Keine Hilfsbremsfunktion, sondern die komplette famose Bremse der ABS-losen Fireblade. Das sollte doch beruhigend genug sein.

Doch reden wir lieber vom ABS-Normalfall: Der Zentralrechner verarbeitet permanent die Informationen über die Raddrehzahlen. Wenn gebremst wird, kommen Angaben über den Druck im System und den Bremshebelweg vorne und hinten dazu. Der Rechner registriert also, wie stark der Fahrer in die Eisen geht und gibt den Pumpen Befehle, den entsprechenden Druck aufzubauen. Die Reaktionszeit: drei Tausendstelsekunden. Aber es kommt noch besser: Den richtig beherzten Griff zum Handbremshebel beantwortet das System mit einer ganz kurzen Initialbremsung am Hinterrad, um das Maschinenheck in die Feder zu ziehen und damit zu stabilisieren. Droht dann noch das bei extrem frontlastigen Sportlern übliche Abheben des Hinterrads, nimmt der Rechner automatisch die Vorderradbremse ein wenig zurück. Die Folge: Das Hinterrad bleibt am Boden, es wird mit maximaler Verzögerung gebremst und es lassen sich Bremswege realisieren, die auf trockenem Belag ohne ABS bestenfalls von Profis mit sehr, sehr viel Übung erzielt werden können. Auf rutschigem Geläuf und/oder bei plötzlichem Belagwechsel haben auch Könner keine Chance gegen das ABS.

Honda CBR 1000 RR ABS Mod. 2009„Okay, alles schön und gut”, sagen die ABS-Zweifler, „aber ich will immer und überall ein klares Bremsgefühl spüren und ich will keine pulsierenden Hebel haben!” Kein Problem, das wirklich Revolutionäre am Honda-ABS ist, dass man von ihm nichts spürt. Kein Einsetzen der Regelvorgänge, keine pumpende Fahrzeugfront, kein Pulsieren im Hebel – einfach nichts! Gefühlsecht bleibt die Bremse ebenfalls, da wirkt nichts abgekoppelt, da stimmen Dosierbarkeit und Rückmeldung. Wer die Flöhe husten hört, kann im direkten Vergleich mit ABS/ohne ABS möglicherweise einen nicht ganz so knackigen Druckpunkt ausmachen. Klarer als bei den meisten anderen Serien-Bremsanlagen ohne ABS ist er aber immer noch. Vorder- und Hinterradbremse treten übrigens immer gemeinsam in Aktion, egal, ob man nur mit der Hand oder mit dem Fuß bremst. Doch auch davon merkt der Fahrer kaum etwas. Doch was er merkt: Welch unglaubliche Leistungsfähigkeit moderne Bremse haben und welch ein Schisser und Frühbremser er ohne ABS eigentlich ist.

Der Autor dieser Zeilen gehört wahrlich nicht zu den Schreiberlingen, die mit missionarischem Eifer für die ABS-Pflicht kämpfen. Ganz im Gegenteil, Technik, die ich nicht sehen kann, halte ich im Zweifelsfall eher für Teufelswerk, das man nicht wirklich braucht. Doch in Sachen Honda-ABS gibt es für mich keine zwei Meinungen: Die Sache funktioniert genial und ist momentan mit Sicherheit DIE Referenz in Sachen Motorrad-Bremse.

Mit referenzverdächtiger Technik ist die Fireblade auch an anderer Stelle bestückt, denn die zweite Generation des elektronischen Lenkungsdämpfers HESD („Honda Electronic Steering Damper”) ist noch kompakter geraten und funktioniert perfekt. Nämlich völlig unauffällig beim Rangieren und bei langsamer Gangart und herrlich beruhigend, wenn es sehr flott, unter Last und in Schräglage über nicht ganz so ebenen Belag geht. Es hatte lange gedauert, bis sich Honda bei der Fireblade zum Einbau eines Lenkungsdämpfers durchringen konnte (2004), doch wenn der weltgrößte Motorradhersteller ein solches Thema endlich angeht, wird es fast immer richtig gut. So auch beim Thema Anti-Hopping-Kupplung. Erstmalig gibt es ein solches System auch für die Fireblade, und Sie ahnen es vielleicht: Auch dieses Bauteil funktioniert auf Anhieb besser als bei der Konkurrenz. Unglaublich sanft, eher unauffällig und dabei sehr effektiv verhindert das System ein Stempeln des Hinterrades beim scharfen Anbremsen und gleichzeitigem Herunterschalten.

Honda CBR 1000 RR ABS Mod. 2009Und scharfes Anbremsen gehört bei der Fireblade zum Alltagsgeschäft. Zum einen, weil zumindest die ABS-bestückte Blade aus oben genannten Gründen in neue Bremswelten vorstößt. Zum anderen, weil dieser famose Motor noch mehr dazu verführt, die Brause ganz weit aufzudrehen. Ab 5000 U/min gibt es für den Reihenvierer kein Halten mehr, der ohnehin schon sehr muntere Treibsatz noch nochmals spürbar an Drehfreude gewonnen. An Durchzugsvermögen ebenfalls, von 100 bis 180 km/h vergehen im sechsten Gang 5,6 Sekunden, da sieht die Superbike-Konkurrenz mächtig alt aus. Der Sprint von 0 auf 200 km/h wird in 7,5 Sekunden erledigt, als Höchstgeschwindigkeit verspricht Honda 293 km/h. Das sollte reichen. Über die Tatsache, dass da im Erdgeschoss eine ziemlich potente Verbrennungsmaschine werkelt, lässt die Fireblade ihren Fahrer nie im Unklaren. Störende Vibrationen kommen zwar nicht durch, eine raue Grundkernigkeit ist aber immer zu spüren. Und die bricht dann richtig durch, wenn es vom Schiebe- in den Lastbetrieb geht, denn dann sind herzhafte Lastwechselreaktionen durchaus ein Thema. Die Fireblade-Gemeinde wird es nicht weiter stören, das wird als artgerechtes Verhalten verbucht.

Wenn anfangs davon die Rede war, daß die neue Fireblade böser geworden ist, bezieht sich das nicht auf die Bedienungsfreundlichkeit. Okay, der Fahrer sitzt vielleicht etwas „versammelter” als bisher, aber Gas geben, Bremsen (!), Einlenken, Umlegen und Herausbeschleunigen klappen immer noch spielend leicht. Die kompaktere Bauweise (heruntergezogerner Tank, unterm Motor statt unterm Heck positionierter Auspuff etc.) hat das Handling sogar noch etwas verbessert. Was der jüngsten Fireblade allerdings abgeht, ist der bislang gewohnte Komfort. Die Federelemente sind deutlich straffer abgestimmt, die Sitzgelegenheit verwöhnt den Hintern spürbar weniger, Fireblade fahren ist einfach sportlich herausfordernder geworden. Und da Motorradfahren bekanntlich eine Einzelsportart ist, ist es nur konsequent, daß der Soziussitz als solcher ein Witz ist und selbst als Auflagefläche für eine Gepäckrolle nur sehr bedingt zu gebrauchen ist. Deutlich alltagstauglicher ist die Fireblade beim Spritverbrauch. Zwischen 5,5 und 6,5 Litern benötigt sie auf 100 Kilometern, was für die gebotenen Fahrleistungen völlig okay ist. Tolles Licht, erstklassige Verarbeitung, viele liebevoll gemachte Details – die Fireblade ist immer noch eine Honda.

Wer abends mit sehr breitem Grinsen im Gesicht von der deutlich geschärften Feuerklinge steigt, weiß jetzt, was er gemacht hat. Und er wird sich sicher sein, dass jeder der 14790 Euro sehr gut angelegt ist. Halt: Jeder der 15790 Euro, das ABS ist ein Muss. Über weitere 100 Euro extra für die Sonderlackierung „HRC Tricolor“ oder gar 500 Euro extra für das Repsol-Design wird sich vermutlich auch niemand ärgern.