aus bma 07/08

von Klaus Herder

Honda CBF 600 S Modell 2008 Alle zwei Jahre das gleiche Spielchen: Der Telekommunikations-Anbieter meines Vertrauens nötigt mich, eine seiner Filialen aufzusuchen und mir dort ein neues Handy auszusuchen. Mein vor vielen Jahren abgeschlossener, aus reiner Bequemlichkeit nie geänderter und zwischenzeitlich vermutlich gnadenlos überteuerter Mobilfunk-Vertrag macht es möglich. Im besagter Filiale erklärt mir dann eine Gelfrisur, die mit Vornamen Sascha oder Mustafa heißt, was sich in der schönen bunten Mobilfunkwelt zwischenzeitlich so alles getan hat. Das will ich aber eigentlich gar nicht wissen und versuche Sascha oder Mustafa zu erklären, daß ich an ein Telefon genau zwei Ansprüche habe: Man muß damit telefonieren können. Und es darf nicht von Nokia sein. Mehr nicht. Ich habe noch nie eine SMS geschrieben und werde das auch in Zukunft nicht tun. Für Fotos habe ich eine hervorragende Kamera und fürs Internet den Computer im Büro. Nach durchschnittlich fünfzehn Minuten hat mir die Gelfrisur dann irgendein Einfach-Gerät ans Ohr gekaut, das aber immer noch deutlich mehr kann, als ich eigentlich möchte. Zuhause spiele ich dann eine halbe Stunde eher lustlos mit meiner Neuanschaffung herum und versenke sie anschließend irgendwo in der hintersten Ecke eines Aktenschrankes. Dort hat sich mitlerweile eine stattliche Zahl neuwertiger Geräte angesammelt, und ich telefoniere auch weiterhin mit meinem Uralt-Gerät von Siemens. Das hat keine Kamera, kein Bluetooth, kein Farb-Display, keine polyphonen Klingeltöne, und Kaffee kochen kann es auch nicht. Man kann damit eigentlich nur telefonieren, aber das ganz hervorragend und vor allem spielend einfach. Ich liebe mein Siemens ME45! Meine Technik-Geilheit konzentriert sich auf Motorräder, nicht auf etwas so Schnödes wie ein Telefon.
Tja, und dann kommt der Anruf der Kollegen vom bma: „Kannst du uns was über die Honda CBF 600 machen?” Eine rhetorische Frage. Natürlich kann ich. Zum Beispiel eine herrlich hämische Abhandlung über die vermeintlichen Langweiler, die sich etwas so Schnödes wie eine Honda CBF 600 kaufen. Ein dankbares Thema, ein gefundenes Fressen für einen selbsternannten Motorrad-Gourmet wie mich.

Doch dann läuft die ganze Sache komplett anders. Je mehr ich mich mit der CBF beschäftige, desto mehr wird mir klar, wie dämlich und völlig falsch ein Verriß wäre. Mal angenommen, Siemens (bauen die eigentlich noch Handys?) würde einen Nachfolger für mein geliebtes ME45 präsentieren – will ich dann lesen, was für ein technikfeindlicher und beschränkter Idiot ich als ME45-Fan eigentlich bin? Will ich mich belehren und bekehren lassen? Natürlich nicht, ich will wissen, ob das Gerät immer noch so einfach funktioniert wie zuvor. Genauso, wie es vermutlich gar nicht so wenige Ich-will-einfach-nur-telefonieren-Menschen wie mich gibt, gibt es auch Ich-will-einfach-nur-Motorrad-fahren-Menschen. Und genauso, wie man Fan eines Einfachst-Handys werden kann, kann man sich für die vermeintlich biedere Honda CBF 600 begeistern.
Honda CBF 600 S Modell 2008 In Europa taten das seit 2004 immerhin rund 55000 Menschen. Die CBF ist in Deutschland seit jeher eine feste Größe in der Zulassungs-Hitparade, hierzulande fanden gut 17000 Exemplare einen Käufer. Nackt oder halbverschalt, mit oder ohne ABS – das ist zumindest für die deutschen CBF-Fans eine einfach zu beantwortende Frage. Die Kombination Kunststoffschale plus Blockierverhinderer wird am liebsten genommen, also geht es hier auch um die CBF 600 mit dem S in der Modellbezeichnung.
Während japanische Supersportler aus Image- und Konkurrenzdruck-Gründen prinzipiell alle zwei Jahre modellgepflegt werden, sind die Zyklen bei Motorrädern vom Schlage einer CBF deutlich länger. Die CBF 600 bekam 2006 Klarglasblinker und längere Rückspiegel-Ausleger spendiert, das war es schon. Und vielleicht hätte es auch noch länger so weitergehen können, wenn nicht die Sache mit den Abgasgrenzwerten gewesen wäre. Der in seinen Grundzügen aus der CBR 600 F von 1995 stammende Motor der Ur-CBF wurde von Vergasern befeuert, und mit denen war die Euro-3-Norm nicht zu schaffen. Das Verkaufsjahr 2007 überstand die CBF 600 nur mit Hilfe einer Ausnahmegenehmigung, doch für dieses Jahr mußte zumindest motormäßig etwas Neues her. Doch Honda beschränkte sich nicht auf eine Renovierung des flüssigkeitsgekühlten Vierzylinders, das Entwicklungsteam unter Leitung des 45-jährigen Teishiro Goto entschied sich praktisch für eine Neukonstruktion. Besser gesagt für eine Neu-Kombination, denn in der Preis-Liga, in der die CBF spielt, ist die Luft für Entwicklungs- und Produktionskosten ziemlich dünn und der Griff in den Baukasten eine legitime Kostensenkungs-Methode.
Die Honda-Techniker wurden schnell fündig: Der kompaktere, leichtere und noch kurzhubigere Motor der 2007er-Hornet sollte es sein. Der von einer Einspritzanlage versorgte und mit geregeltem Kat bestückte DOHC-Sechzehnventiler wiederum ist ebenfalls eine Leihgabe und stammt ursprünglich aus dem Supersportler CBR 600 RR. Auf dem Weg von der CBR zur CBF machte der Motor eine interessante Leistungsentwicklung durch. Aus den ursprünglichen 120 PS der CBR wurden für die Hornet 102 PS. Und der Hornet-Motor mutierte mit Hilfe zahmerer Nockenwellen, kleineren Drosselklappen, geringerer Verdichtung, geänderter Software, neuer Airbox und eines anderen Auspuffs zum CBF-Motor, der versicherungsgünstige 78 PS bei 10500 U/min leistet. Das ist exakt der Wert, den auch das Vorgängermodell lieferte. Das maximale Drehmoment stieg minimal von 58 Nm bei 8000 U/min auf 59 Nm bei 8250 U/min.
Neben dem nicht ganz freiwilligen Euro-Norm-Ansatz hatten die Honda-Verantwortlichen noch ein paar andere Entwicklungsziele. Zum Beispiel etwas weniger Masse, denn mit fahrfertig knapp 230 Kilogramm war die alte CBF etwas zu gut im Futter. Also machten Teishiro Goto Nägel mit Köpfen. Oder besser: Rahmen mit Alu, denn der neue Zentralrohrrahmen („Mono-Backbone-Rahmen”) besteht aus Leichtmetall statt Stahl. Das neue und nicht nur leichtere, sondern auch robustere und verwindungssteifere Rückgrat lag erfreulicherweise ebenfalls im Teileregal, die Hornet vertraut nämlich bereits seit 2007 auf dieses Teil.
Neuer Motor, neuer Rahmen – da ist eine neue Verpackung doch eigentlich auch fällig. Jein, denn die bisherige CBF-Verschalung kam mit ihrer dezenten Unaufgeregtheit durchweg sehr gut an, und es gab eigentlich keine Veranlassung, den Besitzern (und potenziellen Werbe-Botschaftern) der alten CBF durch ein radikal neues Design vors Schienbein zu treten. Also beschränkte sich Honda auf ein sehr, sehr dezentes Make-up und verpaßte der CBF-Halbschale nur ein paar mehr Kanten, Sicken und neue Lufteinlässe, was der ganzen Sache eine „schlankere und leichtere Linienführung” und ein „etwas aggressiveres Profil” (O-Ton Honda) verleiht. In der Praxis sind die Unterschiede kaum zu sehen. Nur wer ganz genau hinschaut, erkennt, daß es sich um die neue CBF handelt. Das ist so gewollt. Und das ist auch ganz gut so.
Honda CBF 600 S Modell 2008 Never change a winning Arbeitsplatz – diese alte Konstrukteurs-Weisheit machten sich auch die Honda-Ergonomiker zu eigen, doch so ganz konnten sie die Finger dann doch nicht still halten. Hinter der weiterhin um 50 mm verstellbaren Windschutzscheibe steckt nun also ein neu gestaltetes Cockpit. Statt Kühlmittel-Temperaturanzeige ist dort nun eine (mäßig genaue) Tankanzeige zu finden. Der ursprünglich in Horizontalrichtung verstellbare Lenker bleibt nun dauerhaft in einer Position, was kein wirklicher Verlust ist. Erstens nutzte ohnehin kaum jemand die Verstellmöglichkeit, weil nämlich zweitens die Grundposition perfekt ist. Nicht zu breit, nicht zu hoch – der Honda-Lenker liegt bestens zu Hand. Wer im Frontbereich unbedingt etwas verstellen möchte, kann sich nun an der Gabel austoben. Dort läßt sich jetzt die Federvorspannung variieren – eine überaus sinnvolle Modellpflege.
Wo wir gerade so schön bei den Verstellmöglichkeiten sind: Der im vorderen Bereich nun etwas schlanker (und damit Kurzbeiner-freundlicher) geschnittene und insgesamt besser gepolsterte Fahrersitz bietet weiterhin drei Sitzhöhen: 770, 785 und 800 mm. Für die Verstellung müssen nun aber nur noch vier statt sechs Schrauben gelöst und wieder angezogen werden. Neue Gummidämpfer mindern zudem die Übertragung von Vibrationen. Der Leser ahnt es an dieser Stelle bereits: Bei der neuen CBF 600 kümmerte sich Honda um eine ganze Reihe netter Detail-Verbesserungen. Dazu gehört unter anderem auch, daß der Tank von 19 auf 20 Litern Fassungsvermögen zulegte. Das ergibt bei 4,5 bis 5 Litern Verbrauch eine ordentliche Reichweite
Erste Sitzprobe? Wie immer. Also perfekt, ausgesprochen menschenfreundlich, für Fahrer zwischen 1,65 und 1,90 Gesamtlänge wie gemacht. Spiegel, Handhebel, Blick auf die Instrumente, Knieschluß – paßt alles wie ein gut eingelatschter Turnschuh. Doch spätestens beim Druck aufs Knöpfchen ist alles anders als bisher: Der Motor springt einfach an. Einfach so. Ohne Choke-Gefummel in Kniescheibenhöhe, ohne feinfühlige Spielerei am Gasgriff, ganz ohne Streß. Und das immer: kalt, warm, heiß – gelobt seien Einspritzanlage und elektronisches Motormanagement. In Sachen Bedienungsfreundlichkeit geht es ebenso weiter. Der lausigste Grobmotoriker wird es kaum schaffen, die CBF beim Anfahren abzuwürgen. Was im Umkehrschluß bedeutet, daß normalbegabte Fahrer auch ohne Kupplungszauberei sehr schnell sehr zügig unterwegs sein können. Das Steppen im Sechsganggetriebe geht Honda-typisch ebenfalls spielerisch leicht vom Fuß, die Gasannahme ist vom ersten Moment an tadellos.
Honda CBF 600 Modell 2008 Was die CBF 600 S vom ersten Meter an vermittelt wie kaum ein anderes Motorrad, ist absolutes Vertrauen. Alles wirkt hervorragend ausbalanciert, die – zumindest auf dem Papier – immer noch etwas üppigen 226 Kilo Kampfgewicht (also drei weniger als beim Vorgängermodell) verstecken sich sehr gut. Das grundsätzliche Fahrwerkslayout blieb nahezu gleich. Die Schwinge ist nun zwar stabilitätsfördernde 46 mm länger, der Radstand legte aber nur um 10 mm zu, am guten Durchwusel-Talent der CBF änderte sich damit praktisch nichts. Die Federelemente waren bislang schon angenehm straff und dabei noch ausreichend komfortabel, die neue CBF kommt noch einen Tick sportlicher daher, was die Sache nicht unangenehmer, für fortgeschrittene Fahrer aber sicher noch etwas reizvoller machen dürfte. Bei der Bereifung blieb alles unverändert: vorn 120/70 ZR 17, hinten 160/60 ZR 17 – eine Kombination, die das Fahren handlich und den Ersatz bezahlbar macht.
Ab 2000 U/min ist die CBF ruckfrei fahrbar, doch insgesamt tut sich bis 4000 U/min nicht übermäßig viel. Der Ultrakurzhuber braucht Drehzahlen. Keine ganz hohen Supersportler-Drehzahlen, aber 6000 Touren sollten es mindestens sein, damit die CBF motorradgemäß abgeht. Für Fortgeschrittene fängt der Spaß bei 8000 U/min richtig an, darüber dreht der Vierzylinder munter bis weit in den fünfstelligen Bereich und zeigt schon, daß nicht zu knapp Sportler-Gene in ihm stecken. Die absoluten Fahrleistungen sind durchaus ordentlich. Die Papiere versprechen 213 km/h als Höchstgeschwindigkeit, die Stopuhr vermeldet vier Sekunden für den Sprint von 0 auf 100.
Der große Unterschied zwischen alter und neuer CBF ist im unteren und mittleren Drehzahlbereich aber nicht zu spüren, da hat die Honda-Werbetruppe den Mund etwas zu voll genommen. Wenn überhaupt, nimmt die Neue der Alten erst über besagten 8000 Touren ein paar Meter ab. Was die aktuelle CBF der Erstauflage aber voraus hat, ist neben der unkomplizierteren Startprozedur der deutlich kultiviertere Motorlauf. Wo es früher kribbelte und vibrierte, ist nun Ruhe angesagt. Das gilt allerdings nicht für den Kopfbereich normalgewachsener Fahrer hinter der in der hohen Stufe montierten Scheibe. Während der Windschutz durchaus gut ist, können Turbulenzen für ziemlichen Krach sorgen. CBF-Fahrer machen dann das, was sie immer schon gemacht haben: Sie montieren die Scheibe einfach in der unteren Stellung. Dann gibt es etwas mehr Winddruck, doch dafür hat der Lärm ein Ende.
Verbesserte Ergonomie, verbesserte Motorcharakteristik, verbesserte Federelemente – was gibt es sonst noch an Verbesserungen? Zum Beispiel verbesserte Bremsen. Für 600 Euro Aufpreis liefert Honda ein „Combined ABS” plus Hauptständer. Warum ausgerechnet in dieser Kombination, wird ein ewiges Geheimnis der Honda-Marketingstrategen bleiben. Wie auch immer: Der neu angelenkte und mit einem längeren Ausleger bestückte Hauptständer funktioniert besser als zuvor. Richtig gut ist aber anders, es gibt durchaus bedienungsfreundlichere Teile auf dem Markt. Das an den Dreikolben-Bremszangen (ohne ABS nur Zweikolben-Zangen) und den Impulsringen sofort zu erkennende ABS funktioniert dagegen perfekt. Die Kombinationsbremse arbeitet folgendermaßen: Wer aufs Pedal tritt aktiviert den hinteren Stopper und den mittleren Kolben des rechten vorderen Bremssattels. Ein Verzögerungsventil sorgt aber dafür, daß beim leichten Antippen des Pedals (z. B. als Korrekturbremsung beim Durchfahren einer Kurve) vorn nur wenig oder gar nicht mitgebremst wird. Der Handhebel kümmert sich dagegen wie gewohnt ausschließlich um die vorderen Anker. Die ganze Sache ist ausgesprochen bedienungsfreundlich, sehr fein zu dosieren, standfest und mächtig zupackend, wenn es darauf ankommt.
Die CBF 600 kostet als Nacktdarstellerin 6440 Euro. Die Verkleidung der S gibt es für 300 Euro extra, das in Deutschland von 90 Prozent der CBF-Käufer gewählte ABS-Paket wird mit weiteren 600 Euro berechnet. Die Nebenkosten liegen bei rund 170 Euro. Macht unterm Strich faire 7510 Euro für ein in Schwarz, Rot, Silber- sowie Graumetallic lieferbares Motorrad, mit dem sich ganz viele Dinge nicht anstellen lassen: Vor der Eisdiele den Dicken machen, beim Renntraining rumstrunzen, den Nachbarn vor Neid erblassen lassen. Die mit einem in Japan komplett montierten Motor bestückte und im italienischen Atessa zusammengebaute CBF 600 S hat da einen deutlich reduzierten Einsatzbereich. Mit ihr kann man eigentlich nur eine Sache richtig gut machen: Motorrad fahren.