aus bma 05/04

von Klaus Herder

Honda CBF 600 SZur gewissenhaften Vorbereitung eines echten bma-Fahrberichts gehört für mich die intensive Lektüre des meist sehr ausführlichen Pressematerials. Ist doch ganz nett, wenn man schon vorab weiß, in welche Richtung das neue Motorrad zielen soll und was sich technisch so getan hat. Die durchweg blumigen Formulierungen sind oft genug Meisterwerke des Marketing-Geschwafels und sorgen bei mir fast immer für eine gewisse Vorfreude. Manchmal aber auch nicht. Zum Beispiel dann, wenn bereits auf der ersten Seite einer solchen Presse-Info Formulierungen wie „für kleinere und weniger erfahrene Motorradfahrer”, „für die immer größer werdende Zahl von Fahrerinnen”, „für Ein- und Wiedereinsteiger” oder auch „für die Fahrschulausbildung” zu finden sind. Mit Einssechsundachtzig bin ich nicht „kleiner”, ich bin einigermaßen männlich, und meine Klasse-1-Führerscheinprüfung liegt ziemlich genau 24 Jahre zurück. Das kann ja heiter werden. Honda CBF 600 S, ich komme!
Da steht sie nun vor mir und sammelt überraschend bereits die ersten Pluspunkte. Das halbverschalte Teil ist nämlich ein ziemlich ausgewachsenes Motorrad, hat überhaupt nichts Ärmliches oder Anfängermäßiges an sich. Gute 220 Kilo Kampfgewicht und 1480 mm Radstand sind ja auch durchaus erwachsene Werte. Entgegen meiner sonstigen Gepflogenheit gilt der erste dienstliche Griff nicht dem Zündschlüssel. Die erste Amtshandlung erfolgt mit einem (nicht im Bordwerkzeug enthaltenen) Inbusschlüssel. Wollen doch mal sehen, was es mit dem von Honda so viel gelobten „Just Fit”-Konzept („Passt einfach”) auf sich hat. Die CBF 600 S soll möglichst vielen Fahrern passen, und daher lassen sich Sitzhöhe, Windschutzscheiben-Höhe und Lenkerabstand verstellen. Und genau deshalb hantiere ich mit dem Inbus am Fahrer-Arbeitsplatz. Zwei Schrauben halten den Fahrersitz, vier weitere fixieren den darunterliegenden Sitzträger. Sind alle Schrauben gelöst, muss man sich für 770, 785 oder 800 Millimeter Sitzhöhe entscheiden. Bei der Gelegenheit wandert der Sitz auch noch in der Waagerechten um je 10 mm vor oder zurück. Ich wähle die höchste und damit hinterste Einstellung, was sich im Nachhinein als goldrichtig erweist. Die ganze Aktion hat knapp fünf Minuten gedauert.

 

Honda CBF 600 S Wer jetzt noch Nerv auf weitere Anpassungsarbeiten hat, darf an Lenker und Windschutzscheibe weiterschrauben. Nach dem Abbau des Stahlrohrlenkers lassen sich dessen Aufnahmeböcke um 180 Grad drehen, was den Lenker um 10 mm Richtung Fahrer kommen lässt. Vier Kreuzschlitzschrauben sind zu lösen, damit das Windschild in Langlöchern um satte 50 mm höher gesetzt werden kann. Das hört sich vielleicht nach viel Schrauberarbeit an, ist in der Praxis aber halb so schlimm – macht man ja auch nicht jeden Tag. Ich belasse es in Sachen Lenker und Verkleidung bei den Standard-Einstellungen. Der perfekt gekröpfte Lenker liegt auch so bestens zur Hand. Die Griffweite des Bremshebels lässt sich verstellen, direkt daneben befindet sich der Schalter der serienmäßigen Warnblinkanlage. Um den Chokehebel zu ziehen, ist allerdings etwas Untergrundarbeit gefragt, denn der sitzt direkt an der Vergaserbatterie.
Vergaser? Richtig, denn der wassergekühlte CBF-Reihenvierzylinder basiert auf dem Motor der 1998 präsentierten Hornet 600. Deren Motor stammte wiederum aus der CBR 600 F, Jahrgang 1995. Und damals waren halt noch Gleichdruckvergaser angesagt. Der CBF-Motor ist trotzdem kein verkappter CBR-Motor. Ganz im Gegenteil. Ging’s bei Hondas Universalsportler CBR (und eigentlich auch bei der 94/97 PS starken Hornet) immer um viel Spitzenleistung, für die keine Drehzahl zu hoch sein konnte, lauteten die Entwicklungsziele bei der CBF „geschmeidiger Leistungseinsatz”, „ein breiteres Leistungsband” und vor allem „mehr Leistung im unteren und mittleren Leistungsband”. Die anfangs erwähnten Zielgruppen sollten schließlich nicht überfordert werden, für Fortgeschrittene musste trotzdem noch genug Spaß-Potenzial übrig bleiben. Der CBR/Hornet-Motor bekam also überarbeitete Einlasskanäle sowie zahmere Steuerzeiten spendiert und atmet nun über eine leistungshemmendere Edelstahl-Vier-in-zwei-in-eins-Auspuffanlage aus. Heraus kamen versicherungsmäßig passende 78 PS, die bei 10.500 U/min anliegen. Das maximale Drehmoment von 58 Nm stemmt die CBF bei vergleichsweise bescheidenen 8000 Touren. Die 600er-Hornet braucht für ihre 63 Nm 1500 Umdrehungen mehr, und die direkte, ebenfalls 78 PS starke Konkurrentin Suzuki Bandit 600 muss für ihre 54 Nm immerhin 9500 Umdrehungen und damit auch deutlich höher drehen.
Wo waren wir? Richtig: Choke gezogen, Druck aufs Knöpfchen, Motor läuft. Und er grummelt. Das klingt durchaus kernig und ebenfalls so ganz und gar nicht nach Anfängermotorrad. Die Kupplungsbetätigung geht wunderbar leicht, zum Anfahren muss das Standgas nur minimal erhöht werden. Die Starthilfe wird nur kurz gebraucht, dann nimmt der Vierventiler spontan und ruckfrei Gas an. Das Sechsganggetriebe lässt sich nicht ganz so butterweich wie die weichsten der weichen Honda-Schaltboxen betätigen, besser als der Durchschnitt ist’s aber allemal und für etwas grobmotorische Anfänger-Füße vielleicht goldrichtig. Die CBF lässt sich für eine 600er extrem schaltfaul bewegen. Mit Tempo 50 im sechsten Gang zu bummeln und dann das Gas einfach digital aufzumachen, klappt mit ihr ganz wunderbar. Den nervösen Blick zum Drehzahlmesser kann man sich auf der CBF schenken, die Fuhre nimmt einfach immer und überall sauber Gas an. Kein Ruckeln, kein Verschlucken, kein Durchhänger – diese 600er ist kinderleicht zu fahren. So ganz kann sie ihre relativ bescheidene Leistung aber natürlich nicht verhehlen. Im unteren Drehzahlbereich geht’s mit der CBF zwar erstaunlich zügig voran, doch obenrum fehlt dann verständlicherweise der von der Hornet und anderen Hochleistungs-600ern gewohnte Kick. Um 8000 U/min herum blitzt bei der CBF zwar noch etwas Extra-Temperament auf – kein Wunder, liegt doch exakt bei dieser Drehzahl das höchste Drehmoment an – doch Adrenalin-Schübe verursacht die CBF-Leistungsentfaltung nicht gerade. Die absoluten Fahrleistungen sind dabei gar nicht so schlecht. In knapp über vier Sekunden geht’s von 0 auf 100, als Höchstgeschwindigkeit gibt Honda 210 km/h an.
ABS-Bremse Dafür, dass man mit der CBF auch unterm Strich verflucht schnell unterwegs sein kann, sorgen aber eher ein paar andere Eigenschaften. Zum Beispiel die gute Berechenbarkeit des relativ straff abgestimmten und selbst grobe Fahrfehler verzeihenden Fahrwerks. Außer der siebenfach verstellbaren Federvorspannung des Zentralfederbeins bieten die Federelemente keine Variationsmöglichkeiten – und das ist vielleicht auch ganz gut so, denn die Grundabstimmung passt, übereifrige Schrauber haben keine Chance zum Verschlimmbessern.
Mit der CBF können auch Anfänger nach kurzer Zeit recht zügig ums Eck stechen. Die auf unerschütterlichen Geradeauslauf getrimmte Honda kippt nicht von allein in die Kurve; sie braucht schon klare Kommandos, aber gerade dadurch, dass sie nur genau das macht, was ihr Fahrer tatsächlich will, fasst man zu ihr sehr schnell absolutes Vertrauen. Alles Nervöse geht der CBF völlig ab, ihre überraschend große Schräglagenfreiheit sorgt dafür, dass auch sehr kurvige Kurven keine Probleme bereiten. Die CBF ist die Gutmütigkeit auf zwei Rädern. Einen großen Anteil an der tollen Fahrbarkeit hat sicher auch die mit Bedacht gewählte Bereifung. Die Michelin Pilot Road haften brillant, kündigen ihren Grenzbereich rechtzeitig an und zeigen auch nach verschärfter Gangart nur wenig Verschleiß. Mit üblichen 120/70 ZR 17 vorn und „nur” 160/60 ZR 17 hinten fallen die Reifengrößen außerdem sehr handlingfreundlich aus, und beim Reifenwechsel wird’s nicht ganz so teuer.
Tragende Funktion hat bei der CBF der bereits aus der Hornet bekannte „Mono-Backbone-Rahmen”. Die Bezeichnung für den günstig zu produzierenden und nicht gerade hübschen Zentralrohrrahmen aus einem Stahlrohrprofil mit 75 x 45 mm Querschnitt klingt ziemlich wichtig. Das Teil erledigt klaglos seinen Job und ist glücklicherweise von außen nicht zu sehen. Was will man mehr? Das aus zwei verstrebten Rundrohren gefertigte CBF-Rahmenheck unterscheidet sich von dem der Hornet, denn unterm Sitz musste Platz für ein wichtiges Bauteil geschaffen werden: Stichwort „ABS-Druckmodulator”.
Honda CBF 600 S Womit wir beim besten Teil des CBF-Fahrwerks wären, der famosen Bremsanlage. Bereits die serienmäßigen Stopper sind besser als der Klassendurchschnitt, doch mit denen sollte es eigentlich kein CBF-Käufer bewenden lassen. Für nur 600 Euro Aufpreis gibt’s für die CBF nämlich ein ABS-System, das sein Geld doppelt und dreifach wert ist. Ursprünglich wurde Hondas modernstes Antiblockiersystem für den 600er-Über-Roller Silver Wing entwickelt, doch auch in der CBF macht das ABS einen tollen Job. Bis zu fünf Mal pro Sekunde verringert, hält oder erhöht das System den Bremsdruck und verhindert damit das Blockieren der Räder. Der Fahrer spürt allenfalls ein leichtes Pulsieren in den Bremshebeln. Wer sich erst einmal überwunden hat richtig reinzulangen, kann selbst als Einsteiger und Wenigfahrer die meisten Alten Hasen gnadenlos ausbremsen. Das ABS (erkennbar an gold statt schwarz lackierten Bremssätteln) hebt die physikalischen Grenzen natürlich nicht auf, aber es ermöglicht gefahrlos, das Leistungsvermögen einer modernen Bremsanlage und moderner Reifen wirklich zu nutzen. Wer das ABS für die CBF nicht mitbestellt, macht jedenfalls einen großen Fehler. Die Mehrkosten lassen sich durch den relativ geringen Verbrauch (um fünf Liter, 19 Liter Tankinhalt) und die dank langer Wartungsintervalle (alle 12.000 Kilometer) geringen Servicekosten schnell wieder einspielen. Die unverkleidete CBF 600 kostet 6190 Euro, die ordentlich schützende Verkleidung (dafür steht das S in der Typenbezeichnung) gibt’s für 300 Euro und das ABS für 600 Euro. Im ABS-Aufpreis ist übrigens ein Hauptständer enthalten. Der kostet ohne ABS 150 Euro. Wer mitgerechnet hat, kommt auf 7090 Euro für die Honda CBF 600 S mit ABS. Dafür bekommt man ein gut verarbeitetes Motorrad, das zwei bequeme Sitzplätze bietet, sich kinderleicht bedienen lässt, ordentliche Fahrleistungen ermöglicht und mit dem nicht nur Ein- und Wiedereinsteiger oder Fahrschüler viel Spaß haben können.
Die CBF passt auch und gerade für Fortgeschrittene, die ein völlig problemloses und bezahlbares Motorrad für alle Tage haben wollen und auf Show-Wert und Prestige-Punkte verzichten können. Die CBF hat Laune gemacht, und so gesehen hat mich das Honda-Pressematerial angenehm enttäuscht.