aus bma 05/06

von Klaus Herder

Honda CBF 1000 Modell 2006 Das Besondere an der neuen CBF 1000 von Honda? Ihr Motor. Denn für Vortrieb sorgt bei der CBF 1000 der neue Fireblade-Motor. Richtig gelesen: Kein Vor-Vorgänger-Vierzylinder, sondern der brandneue 2006er-Motor. Ab Leerlauf bis knapp unter 8000 U/min – also genau da, wo sich das wirkliche Leben abseits der Rennstrecke abspielt – drückt der CBF-Fireblade-Motor immer, wirklich immer deutlich besser als der original Fireblade-Motor. Wenn das keine Ansage ist…

Seit mittlerweile viereinhalb Jahren leben wir mit der Gemeinschaftswährung, doch die Euro/Teuro-Maulerei hält immer noch an. Motorradfahren sei ja so teuer geworden, die Neupreise hätten so sehr angezogen – ich kann’s langsam nicht mehr hören. Den ganzen Jammerlappen möchte ich am liebsten zurufen: „Dann raucht gefälligst weniger, kauft euch nicht immer den neuesten MP3- oder DVD-Player-Mist und behaltet eure Handy-Rechnung im Auge – dann klappt’s auch mit der Kohle.” Meine ganz persönliche Euro-Bilanz sieht in Sachen Motorrad ganz anders aus: Noch nie war die Versicherung so günstig, meine 85-PS-Maschine kostet mich unter 50 Euro Haftpflicht im Jahr – ein Versicherungskennzeichen ist teurer. Seit Urzeiten kostet mein garantiert katfreier Zweitaktstinker umgerechnet 14,40 Mark Jahressteuer pro 100 Kubik – für meinen (Kat bestückten) Transporter zahle ich den doppelten Satz. Gute Lederkombis für umgerechnet 500 Mark? Kein Problem, bei Louis und Polo seit Jahren im Programm. Batterien, Bremsbeläge etc. – noch nie waren (Zubehör-)Verschleißteile so günstig.

Daß die Teuro-Jammerei bei Motorrädern ebenfalls voll daneben liegt, beweist Honda mit der wunderbaren CBF 1000. Die kostet 7990 Euro. Wer, wie vermutlich 90 Prozent aller Kunden, nicht auf ABS und Hauptständer (gibt’s nur im Paket) verzichten möchte, zahlt 700 Euro extra. Macht zusammen 8690 Euro, umgerechnet also 16997 Mark. Nun habe ich mir spaßeshalber mal den Motorrad-Katalog 1996 gegriffen und nachgeschaut, was man vor zehn Jahren fürs gleiche Geld bekommen konnte. Fangen wir beim vermeintlichen Billigheimer Suzuki an: GSX 1100 F, ein in Form und Funktion schon damals in die Jahre gekommener Sporttourer für 16790 Mark. ABS, Kat? 1996 bei Suzuki Fehlanzeige, dafür sackschwer und mit Uralt-Vergasermotor bestückt. Weiter geht’s mit Kawasaki: GPZ 1100, als abgespeckte Sparversion für 17490 Mark im Programm, als Kawasakis erstes serienmäßiges ABS-Modell für 18990 Mark in der Liste. Yamaha? GTS 1000 ABS, Listenpreis 23650 Mark, in der knallharten Rabattpraxis immer noch rund 20000 Mark teuer. Okay, die Erbsenzähler werden jetzt sagen „Das war ja auch ein Technologieträger, das kann man nicht vergleichen!” In Ordnung, dann nehmen wir die schon damals gut abgehangene Yamaha FJ 1200. Macht 16980 Mark. Und bei Honda? CBR 1000 F, immerhin mit CBS-Verbundbremssystem, aber ohne ABS. Listenpreis vor zehn Jahren: 19610 Mark.
Im Jahre 2006 gibt’s fürs gleiche oder sogar für sehr viel weniger Geld ein Motorrad, das alles – wirklich alles – deutlich besser kann, als die genannten Schätzchen des Jahrgangs 1996. Ich neige eher selten zur Euphorie, doch mit der Honda CBF 1000 ist den Japanern ein ganz großer Wurf gelungen, und es müßte schon sehr viel schief gehen, damit diese Maschine am Jahresende nicht ganz weit oben in der Zulassungshitparade steht. Und das absolut verdient.
Honda CBF 1000 Modell 2006 Ein äußerst cleveres Baukastensystem macht’s möglich, daß hier aktuelle Technik zum Discounttarif angeboten werden kann. Die CBF 1000 ist die große Schwester der erfolgreichen CBF 600 (die 2005 in Deutschland bestverkaufte Honda) und wird ebenfalls im italienischen Honda-Werk in Atessa montiert. Der simple, aber stabile und bewährte Brückenrahmen aus Stahl („Mono-Backbone-Frame”) brauchte nur etwas verstärkt und mit neuen Motorhalterungen sowie einer zusätzlichen Querverstrebung im Heck bestückt werden. Wo bei der kleinen CBF das Zentralfederbein direkt angelenkt ist, kommt bei der 1000er ein Pro-Link-System zum Einsatz. Das Rahmenlayout, die wichtigsten Abmessungen und die Reifengrößen (120/70 ZR 17 vorn, 160/60 ZR 17 hinten) blieben unverändert.
Für Vortrieb sorgt bei der CBF 1000 der neue Fireblade-Motor. Richtig gelesen: Kein Vor-Vorgänger-Vierzylinder, sondern der brandneue 2006er-Motor. Das ist zum einen marketingtechnisch durchaus clever, zum anderen aber wohl auch produktionstechnisch sehr sinnvoll. Warum soll man zum Beispiel zwei verschiedene Gehäuse fertigen? Eben. Doch wo der Supersportler 11250 Umdrehungen benötigt, um 171 PS zu leisten, und sein maximales Drehmoment von 115 Nm erst bei 10000 U/min erreicht, leistet die CBF 98 PS bei 8000 U/min und stemmt 93 Nm bei nur 6500 Touren. Oder anders gesagt: Ab Leerlauf bis knapp unter 8000 U/min – also genau da, wo sich das wirkliche Leben abseits der Rennstrecke abspielt – drückt der CBF-Fireblade-Motor immer, wirklich immer deutlich besser als der original Fireblade-Motor. Um im unteren und mittleren Drehzahlbereich für besagten Mehr-Schub zu sorgen, trieben die Honda-Techniker gepflegten Aufwand. Sie verengten die Einlaßkanäle von 44 auf 36 Millimeter und verbauten kleinere Drosselklappen, was für höhere Strömungsgeschwindigkeiten und damit für schnellere Füllung und ein früher anstehendes Maximaldrehmoment sorgt. Auf die zweite Reihe von Einspritzdüsen, die bei der Fireblade für zusätzlichen Schub im oberen Drehzahlbereich sorgt, konnte verzichtet werden, das Einspritzprogramm bekam natürlich eine neue Programmierung spendiert. Die Verdichtung wurde von 12,2 auf 11,0:1 zurückgenommen. Schwere Kolben, längerer Ventilhub und ein geringere Durchmesser der Edelstahlauspuffanlage führten neben ein paar weiteren Modifikationen ebenfalls zum gewünschten Druck aus den Tiefen des Drehzahlkellers. Aus dem leicht nervösen Windhund-Motor wurde so der Antrieb eines gewaltig durchziehenden Büffels
Honda CBF 1000 Modell 2006Der durchaus kernigen Vierzylindersound bietende und mit einem G-Kat bestückte Motor gehört zu einem Motorrad, das bereits bei der ersten Kontaktaufnahme für grenzenloses Vertrauen sorgt. Das soll eine 1000er sein? Die CBF wirkt unglaublich kompakt, fast schon zierlich – eben wie eine 600er. Das von Honda schwer beworbene „Just Fit”-Konzept mit seinen diversen Verstellmöglichkeiten sorgt dafür, daß praktisch alle Menschen ab 1,65 Meter lichter Höhe auf Anhieb mit dem Sporttourer klar kommen. Die Taille ist schmal geschnitten, die Sitzbank läßt sich in drei Höhen (780/795/810 mm) einstellen. Womit wir bei einem der wirklich ganz wenigen Kritikpunkte wären. Um den Fahrerplatz in eine andere Höhe zu bringen, müssen zuerst zwei Innensechskantschrauben des Sitzkissens und dann vier weitere Schrauben des Sitzbankrahmens gelöst werden. Das passende Werkzeug liegt dem Bordwerkzeugsatz pfiffigerweise nicht bei. Ganz bewußt, wie Honda behauptet, denn das wäre eine sicherheitsrelevante Schrauberaktion, die man gefälligst dem Händler überlassen sollte. Nun ja, die benötigten Inbusschlüssel lassen sich vermutlich in jeder mittelschwer sortierten Garage finden, und das Schrauben ist wirklich kein Akt. Die Überlegung: „Morgens fährt Mutti. Abends fährt Vati”, kann man sich aber abschminken. Schnelle Sitzhöhenverstellung geht anders, BMW zeigt, wie’s besser funktionieren kann. Die Verkleidungsscheibe der CBF läßt sich ebenfalls um 40 mm in der Höhe verstellen. Doch auch dafür benötigt man Werkzeug und etwas Zeit. Der flotte Wechsel zwischen Landstraßen- und Autobahnbetrieb fällt damit aus, was noch etwas ärgerlicher als die ebenfalls umständliche, aber seltener benötigte Sitzhöhenverstellung sein dürfte. Sehen wir es aber positiv: Schön, daß es überhaupt Verstellmöglichkeiten gibt. Übrigens auch für den Lenker. Durch Umdrehen der Klemmböcke kann das Rohr um 10 mm nach vorn versetzt werden.
Die grundsätzlich sehr gute Sitzposition läßt sich selbst durch böswillige Schrauberaktionen nicht wirklich verschlimmbessern. Knieschluß, Lenkerkröpfung und -breite, Sitzbankgröße und -polsterung sind hervorragend. Das komplett bestückte Cockpit mit den klar gezeichneten Instrumenten liegt perfekt im Blickfeld, die Rücksicht in den Spiegeln ist tadellos. Der Griff zur hydraulisch betätigten Kupplung geht leicht, aber nicht zu leicht, beide Handhebel lassen sich verstellen. Alle Schalter und Hebel strahlen die bewährte Honda-Solidität aus, nichts wirkt sparsam oder gar billig. Das Aufbocken geht kinderleicht, die Hebelübersetzung ist goldrichtig. Die Soziushaltegriffe gehören zur ganz stabilen Sorte, das Platzangebot für den Mitfahrer fällt sehr gut aus.
Honda CBF 1000 Modell 2006Der sehr angenehm brabbelnde Vierzylinder hängt absolut präzise am Gas, dreht seidenweich und gleichmäßig hoch und hat keinerlei Lust, irgendwelche störenden Vibrationen in Richtung Fahrer oder Sozius zu schicken. Die Gänge im Sechsganggetriebe flutschen auf kurzen Wegen, leicht und absolut exakt – besser geht’s nicht. Wer es darauf anlegt, kann Kupplungs- und Schalthebel aber auch praktisch arbeitslos machen, denn Ortsdurchfahrten mit knapp 2000 Touren im letzten Gang sind für die CBF 1000 eine der leichtesten Übungen. Und was noch viel schöner ist: Am Ortausgang kann man ohne irgendein Runterschalten kräftig am Quirl drehen, und die Fuhre schiebt ohne Ruckeln oder Zucken äußerst flott vorwärts. Bis 150, 160 km/h (natürlich nicht auf der Landstraße…) haben selbst gestandene Supersportler echte Schwierigkeiten dran zu bleiben. In Sachen Durchzug macht der CBF so schnell niemand etwas vor. Für den Sprint von 0 auf 100 benötigt die CBF 3,7 Sekunden, als Vmax verspricht Honda 228 km/h. Alles, was bei der CBF 1000 mit dem Antrieb zu tun hat, funktioniert einfach brillant. Es gibt rein gar nichts zu meckern, genau so muß eine 1000er für alle Tage funktionieren!
Wer jetzt glaubt, der Discountpreis räche sich spätestens beim Fahrwerk, muß schwer enttäuscht werden. Für die eher straff abgestimmten Federelemente und die Stabilität gilt das Gleiche wie für den Motor: Null Problemo. Die 252 Kilogramm Kampfgewicht (inklusive 19 Liter Normalbenzin) sind zwar jederzeit zu spüren, doch sie sind nie störend, weil perfekt ausbalanciert. Das Fahrwerk bügelt einfach alles glatt, was ihm unter die Räder kommt und läßt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Die aufrechte Sitzposition hinterm breiten Lenker vermittelt Souveränität, entsprechend leicht und locker läßt sich die erfreulich handliche CBF ums Eck schwenken. Otto Normalbiker fährt mit diesem Motorrad deutlich flotter und frecher, als er es mit einem noch so guten Supersportler jemals wagen würde. Und ist dabei viel sicherer unterwegs, denn das CBF-Fahrwerk verzeiht auch grobe Fahrfehler und Lenkkorrekturen. Beim Bremsen in etwas zu flott angegangenen Kurven gibt’s kein fieses Aufstellmoment, der Fahrer bleibt immer Chef im Ring.
Am guten Fahrgefühl haben auch die famosen Stopper einen gehörigen Anteil. In der Basisversion gibt’s vorn Doppelkolben- und hinten Einkolbensättel. Beim empfehlenswerteren ABS-Modell sorgen rundum Dreikolben-Schwimmsättel für vehemente Verzögerung. Mit dem ABS gibt’s die Kombibremse, das heißt, daß beim Betätigen der Fußbremse auch der mittlere von drei Kolben der vorderen rechten Bremsscheibe aktiv wird. Wer ausschließlich mit dem Fuß bremst, darf allerdings keine Wunder erwarten, die Mitarbeit der Vorderradbremse fällt dabei eher zurückhaltend aus. Wer allerdings vorn reinlangt, bekommt gute Dosierbarkeit, prima Rückmeldung und vehemente Wirkung geboten – trotz ABS. Der Blockierverhinderer ist übrigens von der eher einfachen Sorte und regelt bis zu fünf Mal pro Sekunde, vermeintlich modernere Systeme können das schneller. Aber vielleicht ist gerade das die Stärke des Honda-Systems, denn es funktioniert einfach narrensicher, ohne überflüssigen und anfälligen Bremskraftverstärker-Schnickschnack und vor allem nicht zu Lasten der normalen Bremsfunktion. Wenn ABS, dann genau so ein System.
Die in Silber, Schwarz, Blau, Grün und Orange lieferbare Honda CBF 1000 kombiniert die Handlichkeit eines 600er-Allrounders mit dem Komfort und der Ausstattung eines Tourers sowie dem Druck eines Supersportlers. Das alles gibt’s zum Mittelklasse-Discountpreis. Sie ist mit Sicherheit die überraschendste und sympathischste Neuheit 2006. Und sie ist der fahrende Beweis dafür, daß mit dem Euro wirklich nicht alles teurer geworden ist. Im Gegenteil.