Alles – außer ganz nett!
aus Kradblatt 10/24 von Gregor Schinner, www-zweirad-online.de
Die Zweizylinder sind weiter auf dem Vormarsch. Während Reihen-Twins früher oft als biedere Arbeitsmaschinen galten und sportliche Motorräder durchweg mit Reihenvierer daherkamen, hat sich das Blatt inzwischen gewandelt. Gerade in der sportlichen Mittelklasse ist das Prinzip der zwei parallel angeordneten Zylinder – meist mit 270° Hubzapfenversatz – inzwischen weit verbreitet. Wohl auch, weil diese Motoren deutlich günstiger zu produzieren sind.
Und wenn jetzt sogar die bisher nur mit 600er und 900er Vierzylindermotoren ausgerüstete Hornet mit einem Twin auf die Jagd geschickt wird, dann darf man auch in Zukunft bei Honda noch schwer mit weiteren Zweizylindermodellen rechnen.
Die Hornet wird von Honda klar als sportliches Nakedbike positioniert. Optisch ein wenig in Richtung Streetfighter getrimmt. Aber nicht extrem, sondern Mainstream-kompatibel. Eine schlanke Taille, kantige Formen, die „Flügel“ am Tank und die Lampenmaske bringen nötige Hornissen-Schärfe. In unschuldigem Weiß wirkt die Hornet tatsächlich etwas unscheinbar, auch weil sie eher klein erscheint, was sie natürlich nicht ist. Mit einer Sitzhöhe von 795 Millimeter sollten Fahrer bis 1,85 Meter locker Platz finden.
Der Lenker ist für ein Nakedbike eher schmal gehalten, die Sitzposition vorderradorientiert und sportlich. Als Hornet-Fahrer lümmelt man nicht, man attackiert. Die Position der Fußrasten ist für meine ca. 1,82 Meter ok, deutlich größere Fahrer werden auf Dauer vielleicht mit den Knien Probleme bekommen. Dafür ist für den Straßenbetrieb mehr als ausreichend Schräglagenfreiheit vorhanden.
Kommen wir gleich zum Sahnestück: der 755 ccm große Twin, den Honda auch in der Transalp einsetzt, passt zur Hornet wie die Faust aufs Auge. Mit 92 PS bei 9.500 U/min drückt er ordentlich Leistung ab, doch es ist vielmehr die Leistungsentfaltung, die überzeugt. Meinen Eindruck über die Transalp könnt ihr übrigens online auf kradblatt.de bzw. in Ausgabe 9/23 noch mal nachlesen.
Schon knapp über 2.000 U/min nimmt der Motor sauber Gas an und liefert auch aus niedrigen Drehzahlen satten Schub. Mehr als 6.000 U/min braucht es selten, um zügig voranzukommen. Der vehemente Vortrieb reißt auch weiter oben nicht ab. Im Gegenteil, es fühlt sich eher so an, als gäbe es noch eine Schippe obendrauf. Sehr ordentlich, was Honda aus diesem Zweizylinder an Leistung und Drehmoment herauszaubert.
Etwas Aufmerksamkeit erfordert der Antrieb allerdings bei niedrigen Geschwindigkeiten und beim Anfahren. Der Ride-by-Wire Gasgriff reagiert sehr direkt und die Drehzahl schießt schnell in die Höhe, was vor allem beim Anfahren bzw. generell in der Stadt etwas lästig sein kann. Aber das urbane Umfeld ist ohnehin nicht das natürliche Habitat der Honda-Hornisse. Auch die automatische Kaltstarteinrichtung sorgte kurz für Verwirrung, denn statt mit der sonst guten Motorbremswirkung vor der Ampel zügig zu verzögern, rollte die Hornet mit rund 3000 U/min trotz komplett geschlossenem Gas weiter ungebremst voran, der Spuk endet jedoch nach rund 500 Metern, wenn der Motor halbwegs warm ist.
Erwähnenswert ist auch, dass die Hornet kein Leisetreter ist. Wer Leistung verlangt, der bekommt ordentlich was auf die Ohren; im Fall der Hornet passt das jedoch besser ins Konzept, als bei der touristischen Transalp. Der Sound ist per se auch nicht unangenehm, der Klangteppich aus Ansaug- und Auspuffgeräuschen bietet durchaus Suchtpotenzial.
Damit die Leistung auch sinnvoll eingesetzt werden kann, bietet die Hornet ein Füllhorn an Einstellmöglichkeiten. Über das 5 Zoll Farb-TFT-Display und die linke Lenkerarmatur kann der Fahrer aus vier verschiedenen Mappings (Standard, Sport, Rain, User) per leicht erreichbarem Knopf auch während der Fahrt wählen. In jedem Modus sind Leistungsentfaltung, Traktionskontrolle, Wheeliekontrolle sowie Motorbremsmoment definiert, im Modus User kann jedes dieser Parameter in drei Stufen eingestellt werden. Dass die Traktionskontrolle selbst auf niedrigster Stufe blitzschnell reagiert, machte das Anfahren auf einem Schotterparkplatz deutlich. Aus dem geplanten flotten Sprint, um schnell in den Verkehr einzufädeln, wurde ein kompletter Rohrkrepierer – das Hinterrad hatte sich gefühlt nicht einmal bewegt. Dafür bracht das Heck auf dem Schotter aber auch nicht unkrontrolliert aus – für Anfänger sicher die bessere Option.
Am Display selbst lässt sich alles anzeigen, was den Fahrer auch nur ansatzweise interessieren könnte. In der unteren Leiste gibt es vier Infofelder, die sich wiederum vier Mal weiterschalten lassen, somit also 16 Datenfelder, die in beliebiger Reihenfolge platziert werden dürfen. Vom Spritverbrauch über Tripzähler, Datum/Uhrzeit usw. ist alles dabei. Die Tacho- und Drehzahlmesseranzeige kann in vier Designs und drei Hintergrundfarben dargestellt werden, da ist sicher für jeden Geschmack etwas dabei. Allerdings ist es empfehlenswert, sich mal etwas Zeit für die Konfiguration zu nehmen, denn sehr intuitiv zu bedienen ist es nicht. In das Cockpit integriert ist außerdem das „Honda Smartphone Voice Control-System“, das via Smartphone-Anbindung die Nutzung von Telefon, Mails, Musik und Navigation ermöglicht – also auf neudeutsch „Connectivity“ bietet. Trägt man einen Helm mit Headset, lässt sich das Ganze lt. Honda über Sprachbefehle steuern. Ausprobiert habe ich es aber nicht.
Im Gegensatz zum digitalen Mäusekino gibt die Hornet in Sachen Bedienung keine Rätsel auf. Sehr ordentlich arbeitet die Bremsanlage von Nissin mit einer 295 mm Doppelscheibe am Vorderrad und einer 240 mm Solo-Scheibe hinten. Druckpunkt, Dosierung und Bremswirkung sind perfekt, da hat Nissin aber auch noch nie enttäuscht.
Dass beim Fahrwerk in dieser Preisklasse nicht die komplett edle Ware verbaut ist, dürfte klar ein. Die 41 mm Showa Upside-down Big Piston Vorderradgabel ist leider nicht einstellbar, funktioniert aber sehr gut, solange der Straßenbelag nicht zu derbe ist. Kommen zu viele, tiefere Verwerfungen, wird der Pilot einigermaßen durchgeschüttelt. Ist die Straße dagegen gut ausgebaut, liegt die Hornet sehr satt, gibt dem Fahrer ein gutes Feedback und schafft Vertrauen.
Am hinteren Federbein kann man für den Soziusbetrieb zwar die Vorspannung verändern, aber ein typisches Zwei-Personen Bike ist die Hornet ohnehin nicht. Auch die Fahrersitzbank verleidet eine längere Tour. Sie ist mir zu weich und etwas zu dünn, was dafür sorgt, dass vor allem das Hinterteil schneller ermüdet als andere Körperteile.
In Verbindung mit dem agilen Motor, der vorderradorientierten Sitzposition und der handlingfreundlichen Geometrie entwickelt sich die Hornet zum angriffslustigen Insekt. Sie reizt den Fahrer förmlich, immer noch ein wenig mehr Gas zu geben, noch etwas stärker abzuwinkeln, noch später zu bremsen.
Die Entscheidung, hinten statt eines fetten 180er Hinterreifens auf einen schmaleren 160er Pneu zu setzen, bringt zwar an der Eisdiele keine Punkte, macht sich aber im Winkelwerk bezahlt. Wieselflink geht die vollgetankt 190 kg leichte Hornet ums Eck und erfordert vom Fahrer auch wenig körperlichen Einsatz für sportliches Einlenken und Umlegen, so als wüsste sie schon, was der Fahrer im Schilde führt.
Dazu passt auch die narrensichere und mühelose Bedienung der Hornet. Die Kupplung mit „Assist-Slipper-Funktion“ ist leichtgängig, die Schaltung butterweich und präzise, einen Schaltassistenten gibt es bei Bedarf gegen Aufpreis. Wer nicht permanent im Angriffsmodus unterwegs ist, kommt mit der normalen Schaltung jedoch prima aus. Die Blinker stellen sich in Abhängigkeit zur Fahrsituation selbsttätig zurück und die „ESS-Notstoppsignal-Funktion“ warnt bei Vollbremsungen den nachfolgenden Verkehr über die Warnblinkanlage.
Während unseres Testzeitraumes pendelte sich der Verbrauch bei 4,3 bis 4,5 Liter je 100 km ein, was in Verbindung mit dem 15,2 Liter Tank immer für 300+X km reicht, spätestens dann macht auch der Fahrer gerne mal eine Pause.
In der Regel folgt einem eher euphorischen Fahrbericht ein düsteres letztes Kapitel, welches sich dem Thema Kosten widmet. Nicht so bei der Honda Hornet. Mit einem UVP von 8.190 € bleibt die quirlige Hornisse weit vom fünfstelligen Investment entfernt und liegt damit teilweise sogar deutlich unter den Preisen der direkten Mitbewerber, welche sie beim Thema Spitzenleistung zudem locker in die Tasche steckt.
Mit ihrem bärenstarken Motor, dem guten Fahrwerk und der soliden Ausstattung sammelt die Hornet schon in der Basisausstattung reichlich Punkte. Wer noch etwas Geld übrig hat, kann für Preise zwischen 675 € und 876 € in verschiedene Ausstattungspakete investieren, die den Komfort und die Tourentauglichkeit noch verbessern. Der angesprochene Schaltassistent ist für 299 € Aufpreis an Bord.
Alle Infos und Probefahrten gibt es bei den Honda Vertragshändlern. Eine 48 PS/35-kW-Variante für A2-Führerscheininhaber ist ebenfalls erhältlich.
Daten Honda Hornet 750
- Motor/Getriebe: Flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, 4 Ventile pro Zylinder, DOHC, 755 ccm Hubraum, 67,5 kW/92 PS bei 9500 U/min, 75 Nm bei 7250 U/min, Einspritzung, 6 Gänge, Kettenantrieb
- Fahrleistungen und Verbrauch:
Höchstgeschwindigkeit 205 km/h, Normverbrauch lt. EU5 4,3 l/100 km - Fahrwerk: Stahl-Brückenrahmen; vorne USD-Telegabel ø 41 mm, 130 mm Federweg, hinten Stahl-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein, Federweg 150 mm, Leichtmetallgussräder, Reifen vorne 120/70 ZR 17, hinten 160/60 ZR 17, 295 mm Doppelscheibenbremse vorne, 240 mm Einscheibenbremse
hinten - Assistenzsysteme: Zweikreis-ABS, Traktionskontrolle, 4 Motormappings
- Maße und Gewichte: Radstand 1420 mm, Sitzhöhe 795 mm, Gewicht fahrfertig 190 kg, Zuladung 180 kg, Tankinhalt 15,2 Liter
- Farben: Schwarz, Weiß, Grau, Gelb
- Preis: ab 8.190 €
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