aus Kradblatt 9/19, von Michael Praschak, www.asphalt-süchtig.de

Hondas Mittelklasse-Bike CB 650 R – Mehr als ein Lückenfüller

Fahrbericht - Honda CB650R, Modell 2019

Das Jahr 2018 war für Fans der Marke Honda von großen Veränderungen geprägt. Zehn Jahre nach der Ankunft der ersten CB1000R wurde nicht nur der Nachfolger des japanischen Kassenschlagers vorgestellt, das neue Modell läutete gleich eine neue Ära ein. Honda kehrte dem klassischen Naked Bike den Rücken und schuf mit der Neo Sports Café Philosophie nicht nur ein völlig neues Konzept, sondern stellte mit der CB1000R, der CB125R und der CB300R gleich eine ganze Modellreihe auf die Räder. Alle drei Motorräder folgten der neuen Designsprache und polarisierten als Neuankömmlinge im jeweiligen Hubraumsegment. Im hart umkämpften Mittelklassemarkt blieb aber eine Lücke. Zur Saison 2019 schlossen die Japaner eben diese und brachten mit der neuen CB650R nun das Modell, das auch im Segment der A-Führerschein-Neulinge und der Wiedereinsteiger um die Gunst der Kunden buhlen soll.

Cockpit - Honda CB650R, Modell 2019 Alles NEO: Eines muss man Honda dabei lassen – konsequent sind sie. Nachdem die Neo Sports Café Serie und hier allen voran die CB1000R vor allem aufgrund des Designs von Kundenseite viel Kritik einstecken musste, war zur Saison 2019 mit der CB650F ein weiterer Topseller fällig und wurde – nun ebenfalls mit der neuen Design-DNA geimpft – als CB650R neu aufgelegt. Aber die Japaner sind natürlich lernfähig.  

Auf den ersten Blick fügt sich der Neuankömmling perfekt in die Neo Sports Café Serie ein. Wie alle Modelle trägt sie die typische Kombination aus dem sehr kurz bauenden LED-Scheinwerfer und den recht schicken Blinkern, eine Upside-down-Gabel, den Blenden links und rechts des Tanks sowie die schmale und puristisch anmutende Sitzbank. Die neu designte Front der CB1000R hat im vergangenen Jahr nicht nur Freunde gefunden, größter Kritikpunkt bei der großen Schwester waren aber der futuristische und vor allem voluminöse Auspuff sowie der an der Schwinge montierte Kennzeichenhalter. Und genau hier unterscheidet sich die 2019er Mittelklasse CB von ihren Schwestern. Im Gegensatz zur Tausender wird das Nummernschild hier klassisch an einem Kunststoffausleger am Heck befestigt. Ob das die bessere Lösung ist, darüber lässt sich streiten. 

Original Kennzeichenhalter - Honda CB650R, Modell 2019Dass muss man bei der Auspuffanlage der 650 R ganz sicher nicht. Die Kurze Under-Engine-Lösung mit Aluminium Abdeckung erinnert an die der Vorgängerin und fällt nicht nur deutlich kleiner aus als die Endtöpfe der CB1000 und CB300R, sie wirkt, besonders in Kombination mit dem, wie bei der Vorgängerin in dunklen Farben lackierten Motor und den schicken Edelstahlkrümmern, sogar äußerst wertig. 

Das trifft so auch auf die gesamte Front der CB650R zu, die mit der neuen, bronze­farbenen USD-Gabel und den radial verschraubten Bremssätteln aus dem Hause Nissin deutlich sportlicher und erwachsener wirkt. Abgerundet wird der optische Ersteindruck durch die neuen Felgen, die sich mit ihrer bronzefarbenen Lackierung sehr gut ins Gesamtbild einfügen. 

Feinarbeit: Aber nicht nur optisch hat sich einiges getan. Motor und Rahmen basieren zwar noch auf der Vorgängerin, blieben fürs Modell-Update aber nicht unangetastet. 

Der Blick ins Datenblatt verrät, dass die C650R mit 95 PS jetzt nicht nur 4 PS mehr Leistung generiert, sondern auch ganze zwölf Pfund Gewicht abgespeckt hat und nun 202 Kilo auf die Waage bringt. Während sich für den angegebenen Leistungszuwachs hauptsächlich Feinarbeiten wie eine Anpassung der Steuerzeiten, eine Erhöhung der Verdichtung (nun 11,6:1) und eine Optimierung der Luftzufuhr der Airbox verantwortlich zeichnen, musste für die Gewichtsersparnis ein Teil des Rahmens neu entworfen werden. Hier wurden allein durch die Neugestaltung im Bereich der Schwingenaufnahme knapp 2 Kilogramm Gewicht gespart. Im Zuge der Überarbeitung wurde auch die Steifigkeit des Rahmens optimiert, was für ein ausgewogeneres Fahrverhalten und besseres Feedback sorgen soll. Mehr Feedback, besseres Fahrverhalten, weniger Gewicht – alles Dinge, die man sprichwörtlich erfahren muss. Also nichts wie rein in die Motorradklamotten und ab aufs Bike.

Fahrbericht - Honda CB650R, Modell 2019 Wohlfühlfaktor: Schon beim ersten Platznehmen stellt sich auf der CB650R das typische Honda-Gefühl ein. Das Sitzpolster empfängt den Piloten mit seinen 810 Millimeter eher auf als im Motorrad, ohne dabei für kleine Fahrer zu hoch zu sein. Der Knieschluss des neu designten, nun auch etwas leichteren Tanks ist angenehm schmal und die Position der Rasten, die im Vergleich zur Vorgängerin die Winzigkeit von drei Millimeter nach hinten und 6 Millimeter nach oben gewandert sind, sorgt für einen angenehm sportlichen, aber nicht zu engen Kniewinkel. Hier gibt es wirklich nichts zu beanstanden. Manchmal liegen zwischen gut und „optimal“ wohl tatsächlich nur Millimeter. 

Honda CB650R, Modell 2019Etwas deutlicher fallen da schon die Änderungen an der Lenkstange aus. Die Lenkerenden sitzen nun nicht nur 8 Millimeter tiefer, sondern auch 1,3 Zentimeter weiter vorne und liegen so ziemlich perfekt zur Hand. Die Sitzprobe besteht die CB650R also mit Bravour. Aber wie fühlt sich das Ganze im Fahrbetrieb an?

Schon auf den ersten Metern der Jungfernfahrt musste sich das neue Mitglied in der Neo Sports Café Familie einer echten Härteprüfung stellen. An einem späten Nachmittag im Herzen Münchens in Empfang genommen, hieß es auf dem Weg Richtung Motorradrevier, sich durch die Innenstadt und die Blechlawinen des Feierabendverkehrs zu schlängeln. Und schon unter diesen Bedingungen wusste die CB zu begeistern. Die „Kleine“ ist zwar mit ihren 202 Kilogramm kein Leichtgewicht, dank der sehr gelungenen Ergonomie und des breiten Lenkers hat man aber nicht nur sofort vollstes Vertrauen und viel Gefühl fürs Motorrad, man wuselt damit auch absolut spielerisch durch den Verkehr und schlüpft auch durch kleine Lücken, durch die man sich mit einem unbekannten Motorrad normalerweise eher nicht getraut hätte.

Zum Glück hat auch die schlimmste Rush Hour irgendwann ein Ende. Bleibt nach der Arbeit aber nur wenig Zeit zum Motorradfahren und will man die verlorene Zeit wieder gut machen, legt man auf dem Weg ins Kurvenparadies auch mal eine schnelle Autobahnetappe ein, statt sich über die zwar eigentlich schönere, aber geschwindigkeitsbeschränkte Landstraße der Hausstrecke zu nähern. Auch hier gibt sich die CB keine Blöße. Der Windschutz ist erwartungsgemäß natürlich bescheiden, macht man sich auf der flachen Sitzbank aber lang, peitscht man die CB jedoch überraschend zügig an die 200 km/h Schallmauer. Mehr geht hier nicht und mehr will man auf der CB650R eigentlich auch nicht. 

Honda CB650R, Modell 2019 Quirliger Landstraßenfeger. Nach wenigen Kilometern kommt endlich die erlösende Abfahrt. Also Blinker gesetzt, um endlich die kleinen Landstraßen in Richtung Voralpen unter die Räder zu nehmen. Und schon der erste, zügig genommene Kreisverkehr nach der Autobahn setzt endlich Glückshormone frei. Die CB wuselt hier schon so flink hindurch, dass man die ersten winkeligen Sträßchen kaum noch erwarten kann. Schnell noch das letzte Dorf hinter sicher gelassen und dann heißt es endlich „Feuer frei“. 

Kurzer Nummernschildhalter - Honda CB650R, Modell 2019Bereits nach den ersten Kurven gehen die Mundwinkel nach oben. Die Kleine verlässt spielerisch die Mittellage, fällt dann förmlich in Schräglage, erlaubt im Kurvengewirr kinderleicht Richtungswechsel und sorgt so für jede Menge Fahrspaß. Doch was bereitet noch mehr Freude als die Kurvenhatz? Genau, die Kurvenhatz zu zweit. Glücklicherweise findet sich schnell ein Spielgefährte auf einem sportlichen Vierzylinder-Naked-Bike bajuwarischer Bauart. Auch der BMW-Fahrer ist zum Spielen aufgelegt und erhöht beim Anblick des LED-Scheinwerfers der CB im Rückspiegel das Tempo. Will man mit so einer Bayern-Rakete aber auch nur ansatzweise mithalten, muss man bei der CB ganz schön am konventionellen, aber leichtgängigen Gasgriff drehen. 

Zwar zeigt sich das 649 Kubikzentimeter große Honda-Triebwerk extrem agil und dreht willig bis zum roten Bereich, der seit diesem Jahr erst tausend Touren später bei 12.000 Umdrehungen ansteht, die hier wartenden 95 Ponys müssen aber konsequent abgerufen werden, um auch nur den Hauch eine Chance gegen ein 1000er Aggregat zu haben – zugegeben, ein etwas unfairer Vergleich. Und so stellt man die Brause ständig so schnell wie möglich auf Anschlag, um irgendwie am Heck des Kraftprotzes dran zu bleiben. 

Das nötige Vertrauen für frühes Vollgas in Schräglage schafft dabei die Traktionskontrolle, die die Japaner dem CB-Triebwerk für das Modelljahr 2019 spendierten. Ebenfalls neu: eine Anti-Hopping-Kupplung. Da die Gänge des enggestuften Getriebes während der Verfolgungsjagd aber nicht nur runter, sondern in beide Richtungen fleißig bedient werden wollen, sehnt man als Pilot, trotz des sehr leichtgängigen Getriebes, alsbald auch einen Schaltassistenten herbei. Den gibt es im Honda-Zubehör. Zwar ohne Blipper-Funktion (kupplungslos runterschalten), hoch funktioniert er aber super. Das Sportpaket mit dem Quick­shifter, Bugspoiler, Soziussitzabdeckung und Tankschutz kostet nur 599 € extra.

Optionaler Quickshifter - Honda CB650R, Modell 2019 Und noch etwas wäre vor allem bei flotter Gangart auf schlechtem Belag wünschenswert – ein sensibleres Fahrwerk. Wie die sehr ordentlich verzögernde Bremsanlage mit den 310 Millimeter messenden Scheiben und den radial verschraubten Nissin-Blöcken wurden auch die Federelemente der CB sportlicher ausgelegt, die Abstimmung des nur in der Vorspannung des Federbeins einstellbaren Showa-Fahrwerks hätte gern einen Tick softer ausfallen dürfen. Das spürt man vor allem dann, wenn man mit Sozius oder Sozia unterwegs ist. Im Zwei-Personen-Betrieb funktioniert das Fahrwerk nämlich tadellos. Doch während ich noch über die optimale Dämpfung für die CB sinniere, fängt es langsam an zu tröpfeln und es wird Zeit, den Rückweg anzutreten. 

Übrigens: Wer sich beim harten Ankern über die Aktivierung der Warnblinkanlage wundert – it’s not a bug, it’s a feature. Den Notbremssignalassistenten kennt man bisher eher vom Auto. 

Die Gefällige: Auf der Heimfahrt lasse ich noch einmal die gesammelten Eindrücke Revue passieren und eins wird dabei ganz schnell klar: Die neue CB650R ist alles andere als ein Lückenfüller und für 7990 € ein interessantes Angebot. Mit dem nun ausgereiften Design ist sie jetzt optisch nicht nur das gefälligste Modell der Neo Sports Café Serie, dank der Upside-Down-Gabel und der neuen Felgen wirkt sie auch deutlich edler als die Vorgängerin CB650F. Hierzu tragen auch die geänderte Sitzbank und das neue Design des Hecks bei.

Aber auch sonst ist das Paket sehr stimmig. Der drehfreudige Motor sorgt mit seinen 95 PS für ordentlichen Vortrieb, auch wenn hierfür das Getriebe fleißig bedient werden will. Aufgrund der Leichtgängigkeit und der nun verbauten Anti-Hopping-Kupplung ist das aber überhaupt kein Problem. Besonders erfreulich ist an der CB aber die Ergonomie, die Honda-typisch keine Wünsche offenlässt und sowohl unter allen Bedingungen, als auch vermutlich für fast jeden Fahrer nahezu perfekt funktionieren sollte. Hätte sie jetzt noch ein etwas sensibleres Fahrwerk und eine etwas weichere Sitzbank, wäre sie zweifelsohne das beste Motorrad der Neo Sports Café Serie. In diesen Bereichen kann man aber bei Bedarf über Zubehör bzw. den Sattler seines Vertrauens leicht Abhilfe schaffen. 

Info aufgrund der vielen Nachfragen:
Der Heckumbau mit dem geänderten Kennzeichenhalter wurde von der Firma Motorradhaus Schreiber in 27404 Zeven durchgeführt. Alle Infos zu Kosten und Umbaumöglichkeiten gibts dort 🙂

Datenblatt:

MOTOR

  • Typ: Flüssigkeitsgekühlter DOHC Reihenvierzylinder, 16 Ventile, Viertakt
  • Hubraum: 649 cm3
  • Bohrung x Hub: 67 mm x 46 mm
  • Verdichtung: 11,6 : 1
  • Nennleistung: 70 kW bei 12.000/min
  • Max. Drehmoment: 64 Nm bei 8.500/min

KRAFTSTOFFSYSTEM

  • Tankinhalt: 15,4 Liter (inkl. Reserve)
  • Verbrauch (WMTC): 4,9 Ltr/100 km

ANTRIEB

  • Getriebe: 6-Gang
  • Endantrieb: O-Ring-Kette

ABMESSUNGEN

  • Radstand: 1.450 mm
  • Sitzhöhe: 810 mm
  • Bodenfreiheit: 150 mm
  • Gewicht vollgetankt: 202 kg

RÄDER + BREMSEN

  • Felgen: Aluminiumguss, 6 Speichen
  • Reifen vorne: 120/70ZR – 17 M/C
  • Reifen hinten: 180/55ZR – 17 MC
  • Bremse v.: Doppelscheibe, 310 mm
  • Bremse h.: 1 Bremsscheibe, 240 mm

PREIS: 7.990 € inkl. Überführung