aus bma 06/98

von Klaus Herder

Laut Honda-Presse-Info ist die CB 600 F Hornet ein Streetfighter. Doch das ist die neue Nackte garantiert nicht. Streetfighter sind nämlich nicht die Böse-Buben-Bikes, wie ihre Besitzer es so gerne hätten, sondern aus der Not geborene Minimal-Lösungen, die irrtümlich zum Modetrend stilisiert wurden.
Honda CB 600 F HornetStreetfighter sind von Haus aus handelsübliche Supersportler. Der Dispo-Kredit ihrer Besitzer reichte manchmal gerade dafür, das Ding mit offener Leistung und offenem Brüllrohr vom Grauhändler abzuholen. Das Glück langte aber nicht, die ganze Saison schrottfrei zu überstehen, und so landete der Brenner irgendwann einmal mit zerschossener Plastikschale in der Garage. Da für sündhaft teure Sturzteile nicht genügend Barmittel mehr vorhanden waren, machten die Bruchpiloten aus der Not eine Tugend und schraubten auch noch den restlichen Plastikmüll ab und entfernten alles verbogene Metall. Vom letzten Geld wurde dann ein einfacher Rohrlenker, ein Winz-Scheinwerfer und ein Simpson-Helm gekauft. Das ganze sah schön fies aus und irgendjemand murmelte etwas von „Schdriehtfaita”. Ja, so ungefähr könnte es gewesen sein.
Und was macht Honda? Nein, die Japaner schlachteten keine CBR 600 in der erstbesten Showkurve, um aus den Resten einen Streetfighter zusammenzubraten. Die Designer langten von vornherein ins Ersatzteilregal und steckten mit bekannten Teilen etwas neues zusammen.
Für die Rahmenbedingungen der Honda CB 600 F Hornet sorgt das Chassis der CB 250, ein in Japan beliebter und hierzulande nicht angebotener Viertelliter-Renner. Das Stahlgerippe sieht zwar stark nach einem Bauteil aus dem Gas-/Wasser-/ Sanitär-Bereich aus, ist laut Honda aber eine „Mono-Backbone-Konstruktion”, was übersetzt nichts anderes als Zentralrohrrahmen bedeutet. Das aus rechteckigen Profilen zusammenge-schweißte Rückgrat verläuft ziemlich direkt vom Lenkkopf bis zum Ende des Motorgehäuses, wo es Motor und Schwingenaufnahme verbindet. Vorn hängt der Motor an zwei kurzen Stahlprofilen, die direkt vom Lenkkopf kommen. Der Motor hat dadurch eine mittragende Funktion.

 

Honda CB 600 F HornetBesagtes Triebwerk ist der CBR 600 F-Vierzylinder in seiner aktuellen Ausbaustufe (PC 31). Da Konstrukteure aber auch so etwas wie Ehrgeiz haben, beschränkten sich die Honda-Weißkittel nicht aufs bloße Zusammenstecken. Irgendetwas konnte doch sicher noch verbessert werden. Tatsächlich: Mehr Dampf bei niedrigen und mittleren Drehzahlen lautete das Entwicklungsziel, und so widmeten sich die Techniker intensiv den Beatmungsorganen. Die 36mm-Vergaser der CBR flogen raus, vier Gasfabriken mit 34 mm Durchlaß kamen rein. Der Luftfilterkasten bekam ebenfalls einen anders aussehenden Nachfolger, und das bereits in der Schweizer CBR-Version verbaute Sekundär-Luftsystem gehört bei der Hornet zur Serienausstattung. Heraus kamen 96 PS bei 12.000 U/min. Die Organspenderin CBR leistet bei gleicher Nenndrehzahl 98 PS. Doch Entwicklungsziel war ja nicht die Spitzenleistung, sondern eine ausgewogenere Leistungsabgabe – also viel Drehmoment bei wenig Drehzahl. 63 Nm sind’s bei der Hornet geworden. Und die stemmt der wassergekühlte Vierventiler bei 9.500 U/min. Das ist nun auch nicht unbedingt dampfmaschienenmäßig, aber immerhin besser als der CBR-Wert. Der ist zwar genauso hoch, liegt aber erst 1000 Touren später an.
Der 600er Motor hängt bei der Hornet im Gegensatz zur Sportler-Schwester völlig unverkleidet im Rahmen. Nur leider ist dieser Motor nicht besonders schön. Das Gewirr aus Deckeln, Schläuchen, Schellen und Schrauben ist sogar ziemlich häßlich und ähnelt mehr einem Waschmaschinenmotor als einem Motorrad-Triebwerk. Da sich das Ding aber nun mal nicht weiter verstecken ließ, machten die Honda-Marketingexperten das beste aus der Sache und verkauften die Häßlichkeit als böse. Böse ist gleich Macho, und Macho ist gleich Streetfighter. Damit das auch die letzte Torfnase merkt, steckten die Cleverles noch einen hochgelegten und damit ebenfalls gewöhnungsbedürftigen (also bösen) Edelstahlauspuff dran und stellten die ganze Fuhre auf die völlig überdimensionierten Gummis der Fireblade im Format 130/70-16 vorn und 180/55-17 hinten (CBR 600 F: 120/60-17 und 160/60-17). Die Sache mit dem Auspuff hat immerhin die Vorteile, daß es schön nah am Fahrerohr dröhnt und daß die Schräglagenfreiheit gegen Unendlich geht. Die Angelegenheit mit den Reifen bringt neben Spitzenwerten beim Eisdielen-Schaulaufen eigenlich nur Nachteile. Doch dazu später.
Honda CB 600 F HornetBei der ersten Sitzprobe ist von Macho nicht mehr viel zu spüren. Eher von Mädel, denn die schmale Sitzbank und die geringe Sitzhöhe von 790 mm machen die Hornet auch für kurze Menschen interessant. Der Lenker ist angenehm gekröpft und relativ breit. Der Abstand des Handbremshebels läßt sich einstellen und der Knieschluß zum eng taillierten 16 Liter-Tank ist tadellos. Doch dann passiert es doch noch: Selbst der harmloseste Hornet-Reiter wird zum kauernden Jäger. Die breitschulterige, vornübergebeugte Sitzhaltung mit den recht weit hinten liegenden Fußrasten macht’s. Also doch Streetfighter?
Na ja, beim Start müssen jedenfalls keine Kämpfe ausgefochten werden. Die Hornet springt jederzeit tadellos an. Was sofort auffällt, sind die im Vergleich zur CBR wesentlich deutlicher spürbaren Lebensäußerungen. Motor und Sechsganggetriebe sind praktisch die gleichen, doch in der Hornet wirkt beides etwas rauher und grobschlächtiger. Die CBR-Verschalung hält viel unter der Plastikdecke, doch vielleicht macht gerade die direktere Art den Charme der Hornet aus.
Honda CB 600 F HornetDie Leistungscharakteristik unterscheidet sich nur unwesentlich vom CBR-Auftritt. Ab 2.000 U/min verträgt der Gasgriff die Stellung „voll”, ab 4.000 U/min ist Druck spürbar, jenseits der 8.000 U/min brennt das Feuer lichterloh. Ein Durchzugswunder ist die Hornet nicht geworden, ein leicht zu bedienendes Feuerzeug ist sie aber allemal. Der Spaßfaktor liegt auf gut ausgebauten Landstraßen noch über dem der CBR. Der Grund dafür ist, daß die Hornet vollgetankt gerade mal 197 Kilogramm wiegt (CBR: 210 kg). Das Handling ist spielerisch leicht, die Hornet kippt praktisch von allein in Biegungen aller Art. Wer allerdings mehr als nötig am breiten Lenker zerrt, bringt ganz schnell Unruhe ins Gebälk. Bremsen in Schräglage richtet die Fuhre mehr als nötig auf, Fahrbahnflicken lassen die überdämpfte Hinterhand ein lockeres Eigenleben führen. Das Fahrverhalten wird zwar nie kritisch, doch das Lenkgefühl ist zumindest auf miesem Untergrund unnötig indirekt. Solange es potteben zugeht, ist die Hornet aber ein Kurvenräuber erster Güte. Schmalere Reifen und höherwertigere Federungselemente täten der Honda trotzdem sehr gut. Die Sache mit den Reifen ist keine Preisfrage, das Ding mit den Federelementen wohl schon eher. An der im großen und ganzen recht manierlichen Gabel läßt sich nichts verstellen, am eher bescheidenen Federbein nur die Federvorspannung.
Die Bremsanlage stammt aus vergangenen CBR-Tagen. Das ist gut. Weniger gut ist, daß Honda mit Rücksicht auf vermeintlich überbremsungsgefährdete Anfänger eine andere Belagmischung wählte. So muß kräftig am Bremshebel gewürgt werden, damit die Doppelscheibe möglichst viel Bewegungsenergie in Wärmeenergie umwandeln kann. Darunter leidet die Dosierbarkeit, die reine Bremswirkung ist aber ordentlich. Welcher Belag einen höheren Bedienungskomfort verspricht, werden findige Hornet-Besitzer ohnehin ganz schnell herausbekommen.
Zwei Dinge an der Hornet sind nicht nur gewöhnungsbedürftig, sondern ärgerlich. Zum einen ist es der zu hohe Benzinverbrauch. Es darf zwar das günstige Normal sein, doch daß bei flotter Gangart acht Liter und mehr durch die Vergaser gejagt werden, ist deutlich zuviel. Selbst wer nicht als Straßenkämpfer unterwegs ist, wird den Verbrauch kaum unter 5,5 Liter drücken können. Noch ärgerlicher ist, daß Honda den Hauptständer der CBR wegrationalisierte. Zum Trost darf der Hornet-Besitzer beim umständlichen Kettenschmieren immerhin auf eine Alu-Schwinge blicken.
Die Verarbeitsungsqualität ist glücklicherweise Honda-üblich: sehr hoch. 12.390 Mark kostet die CB 600 F Hornet. Dafür bekommt man zwar glücklicherweise keinen Streetfighter, dafür aber eine alltags- und sozius-taugliche Unverkleidete, die einen Hauch Unvernunft bietet und einfach anders aussieht als irgendwelche Banditen.