aus bma 07/03

von Klaus Herder

KHonda CB 1300ennen Sie das Gefühl, wenn die Erkenntnis wächst, einen grandiosen Fehlkauf getätigt zu haben? Natürlich kennen Sie das. Zum Beispiel dann, wenn sich der im Urlaub gekaufte und dort doch so megacool aussehende Lederhut in der heimischen Fußgängerzone als die peinlichste aller peinlichen Kopfbedeckungen entpuppt. In Sachen Lederhut wird einem recht schnell klar, dass der Kauf ein klassischer Griff ins Klo war. In Sachen Cruiser braucht es oftmals Jahre, bis man sich das sehr persönliche Fehlverhalten im Beschaffungswesen eingesteht.
Natürlich macht es anfangs mächtig Spaß, von der neugierigen Nachbarschaft auf die vermeintliche Harley angesprochen zu werden. Stundenlanges Chromputzen und Zubehör-Anschrauben kann in der Frühphase des Cruiser-Besitzens ebenfalls ganz toll sein. Doch irgendwann stellt man fest, dass 65 PS für 350 Kilogramm Kampfgewicht doch eher wenig sind, Schräglagen eigentlich doch Spaß machen sollten und eine Fernsehsessel-Sitzposition nicht zwangsläufig bequem sein muss. In einer solchen Situation hat der gestandene Motorradfahrer der Altersklasse Ü35 genau zwei Möglichkeiten. Erstens: Er lässt das Chromgeschwür in der Garage stehen, fährt immer seltener bis gar nicht, gibt sich aber der Illusion hin, dass er immer noch Biker sei und ja eigentlich jederzeit fahren könnte, wenn es die viel zu knappe Freizeit und die vielen familiären Verpflichtungen nur zulassen würden. Die zweite und doch deutlich bessere Möglichkeit: Der selbstkritische Fehlkäufer hängt seine schwülstige VL, VN, VS, XV (oder wie der Eimer sonst noch heißen mag) für kleines Geld dem nächstbesten Arbeitskollegen oder Tennisvereins-Kameraden um, der immer schon davon schwafelte, „irgenwann mal wieder Motorrad fahren” zu wollen. Das schafft Platz in der Garage und sorgt für eine finanzielle Basis, um sich endlich das zu kaufen, was echte Männer mit leichtem Bauchansatz und mittelschwerem Haarausfall wirklich brauchen: ein Ü-95-PS-1200-Kubik-Naked-Bike. Also ein Gerät, mit dem das Motorradfahren auch älteren Herrschaften wieder richtig Spaß macht.

Honda CB 1300Yamaha machte mit der XJR 1200/1300 vor, wie so eine Maschine aussehen muss. Kawasaki legte mit der ZRX 1100/1200 nach, und auch Suzuki hat mit der 1200er-Bandit und der GSX 1400 passende Werkzeuge im Programm. Einzig Honda schwächelte bislang etwas und versuchte recht erfolglos, die übertechnisierte und unterdesignte X-Eleven an den Mann zu bringen. Doch ab sofort ist auch die Marke mit der Schwinge wieder voll dabei: Honda CB 1300 heißt der zweirädrige Viagra-Ersatz.
Das klassische Design kennen wir: CB 1000. Von 1993 bis 1996 im offiziellen Angebot und ein typischer Fall aus der Reihe „fanden alle toll, kaufte nur leider keiner”. Gerade mal 1100 Stück der hervorragend verarbeiteten und sehr handlichen, aber etwas teuren „Big One” fanden hierzulande einen Abnehmer. Das ließ Honda Deutschland anschließend etwas übervorsichtig agieren, die ab 1996 gebaute CB 1300 der ersten Generation fand leider nicht den Weg ins offizielle Deutschland-Programm. Doch was lange fährt, fährt endlich gut – allerdings als fast komplette Neukonstruktion.
Einen 1284 ccm großen flüssigkeitsgekühlten Vierzylinder-Reihenmotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen und je vier Ventilen pro Zylinder hatte zwar auch schon die nur als Grau-Import erhältliche CB 1300, doch damit hat es sich eigentlich auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Einfachstes Unterscheidungsmerkmal: Wo beim Grau-Import Kühlrippen eine Luftkühlung vorgaukelten, herrscht bei der offiziellen CB 1300 glattflächige Sachlichkeit. Und wo ursprünglich vier Krümmer in zwei Schalldämpfern endeten, ist nun eine Vier-in-eins-Anlage montiert. Die Keihin-Vergaser der ersten CB 1300 machten einer elektronischen Saugrohreinspritzung Platz, deren wesentlichen Bauteile aus der 900er-Hornet und der CBR 600 RR stammen. Die beiden Showa-Federbeine sind nun klassisch-direkt und nicht mehr über Umlenkhebel angelenkt. Die Besohlung änderte sich von überdimensionierten und unpraktischen 130/70 ZR 17 und 190/60 ZR 17 auf übliche und bewährte 120/70 ZR 17 und 180/55 ZR 17. Von ursprünglich 276 Kilogramm speckte die CB 1300 auf vollgetankt 255 Kilo ab.
CB 1300 CockpitDer Fahrer-Arbeitsplatz befindet sich dagegen unverändert in knapp 80 Zentimetern Höhe. Die Sitzbank ist schmal genug, um auch Menschen unter 1,80 Metern Länge sicheren und beidfüßigen Bodenkontakt zu ermöglichen. Lang genug für den Soziusbetrieb ist das straffe Polster ebenfalls, doch leider sind die Beifahrer-Fußrasten deutlich zu hoch montiert. Der Fahrer hat dafür keinen Grund zur Klage, sein Platz ist bestens gelungen und so ausgeformt, dass auch beim kräftigen Beschleunigen der Hintern Halt findet. Die Handhebel sind verstellbar, der breite Lenker kann dank drehbarer Aufnahmeböcke zwei Zentimeter in Längsrichtung versetzt werden.
Das Startverhalten der CB 1300 ist mustergültig und die Gasannahme auf Anhieb perfekt. Was da aus dem fetten Edelstahl-Endtopf entweicht, klingt ziemlich kernig und überaus basslastig. Die hydraulisch betätigte Kupplung überfordert selbst Klavierspieler-Hände nicht. Beim butterweich und auf kurzen Wegen zu schaltenden Fünfganggetriebe dürften es theoretisch auch die dünnen Tanzschühchen sein. Übermäßiges Rühren in der Schaltbox ist dabei gar nicht mal notwendig. Wer will, kann völlig entspannt mit 30 km/h bei Leerlaufdrehzahl im letzten Gang dahintrödeln und dann unvermittelt kräftig an der Kordel ziehen, ohne dass sich der 116 PS starke Vierzylinder auch nur ansatzweise verschluckt oder irgendwo durchhängt. Von 1000 bis 4500 U/min geht es völlig ruckfrei und fast schon turbinenartig voran, die nächsten 4000 Touren schwingt die Honda dann den richtig großen Durchzug-Hammer. Die 117 Nm maximales Drehmoment liegen goldrichtig im Drehzahl-Mittelfeld bei 6000 U/min an. Irgendwo um und bei 9000 Touren greift der Begrenzer ein, im unverändert letzten Gang stehen dann allerdings auch schon ausreichende 230 km/h auf der Uhr. Immer und überall hängt der Vierzylinder messerscharf am Gas.
Die Sound-Qualität wechselt zwischenzeitlich von böse auf sehr böse. Was nicht missverstanden werden soll: Die CB 1300 ist kein illegaler Krawallbruder, sie klingt nur eben mächtig kernig, ohne die Grenzwerte außer Acht zu lassen. Keine Ahnung, ob Honda extra Sound-Engineering-Experten beschäftigt. Wenn ja, haben sie ihren Job hervorragend erledigt. Apropos Grenzwerte: Dank U-Kat und Sekundärluftsystem erfüllen die Abgaswerte die Euro-2-Norm. Wer übrigens doch ein Freund der gepflegten Schaltarbeit ist, bringt die CB 1300 in etwas über drei Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und in knapp 13 Sekunden auf 200 km/h.
Egal, wie flott man mit der Wuchtbrumme unterwegs ist: Der Fahrer spürt immer, dass da unter ihm viele Bauteile kräftig rotieren. Honda entkoppelte den Reihenvierer nur teilweise vom konventionellen Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen. An zwei Punkten hängt der Motor starr im Gebälk, nur an einer Stelle gibt’s eine Gummilagerung. Die Honda-Verantwortlichen schätzen den typischen CB 1300-Piloten als gestandenen Motorradfahrer ein, der ganz bewusst mitbekommen und vielleicht sogar genießen möchte, was da unter ihm abgeht. Im Klartext: Vibrationen kommen durch – aber nur welche der angenehmen Sorte.
Honda CB 1300In Sachen Federelemente geht die CB 1300 als langstreckentauglicher Sporttourer durch, ist also ausreichend komfortabel mit einem Hauch sportlicher Straffheit. Ex-Cruiser-Fahrern mag die CB 1300 anfangs womöglich recht hart vorkommen – was man getrost als Kompliment werten darf. Unter den nackten Big Bikes gehört die CB 1300 jedenfalls zur eher sportlich orientierten Sorte. Gabel und Federbeine lassen sich in der Federbasis und der Zugstufendämpfung über einen recht weiten Bereich verstellen. Für Otto Normalbiker ist aber bereits die Grundabstimmung recht gut gelungen und passt bestens zur überraschend ausgeprägten Handlichkeit der CB 1300. Wenn die Fuhre rollt, werden aus den über fünf Zentnern Lebendgewicht gefühlte vier Zentner. Fast schon leichtfüßig schwenkt die CB 1300 ums Eck, ist dabei unglaublich spurstabil und jederzeit perfekt berechenbar. Irgendwelche fahrwerksseitigen Hinterfotzigkeiten gehen der Honda völlig ab. So imposant sie auch aussehen mag, so leicht und durchaus flott lässt sie sich auch von weniger routinierten Fahrern bewegen. Wie gesagt: Sie ist eine ziemlich sportliche Nackte. Und dazu passen auch die perfekt dosierbaren und äußerst wirkungsvollen Bremsen. Was aber auch nicht wirklich überrascht, stammen die Vierkolbenzangen der vorderen Doppelscheibenbremse doch aus der Fireblade. Für den Einsatz in der CB 1300 passten die Techniker die Stopper-Peripherie goldrichtig an. Besser geht’s nicht.
Überhaupt leisteten die Honda-Macher sehr viel liebevolle Detailarbeit. So ist das im rechten Gehäusedeckel untergebrachte Ölschauglas von innen mit einem kleinen Scheibenwischer bestückt, der mit Hilfe eines Schraubendrehers für korrekten Ein- und Durckblick sorgt. Unter der Sitzbank befindet sich ein relativ üppiges Staufach, eine Wegfahrsperre gibt es serienmäßig, und der zwischen den gut ablesbaren Instrumenten untergebrachte Bordcomputer verrät unter anderem die Umgebungs- und Kühlmitteltemperatur und bietet diverse Tripmaster-Funktionen. Die Verarbeitung ist wie zu besten Honda-Zeiten tadellos. Meckern lässt sich eigentlich nur über den fehlenden Hauptständer und über den etwas hohen Verbrauch. Bei flotter Gangart herrscht im 21-Liter-Tank oft schon nach knapp 250 Kilometern Ebbe.
Für angemessene 9990 Euro gibt es mit der Honda CB 1300 ein sehr erwachsenes Motorrad, mit dem noch erwachsenere Biker den Spaß am Motorradfahren wieder entdecken können. Sie zwingt niemandem eine sportliche Gangart auf, mit ihr muss man niemandem etwas beweisen. Mit ihr lässt sich sogar prima bummeln. Aber – und genau deshalb ist sie für Ex-Cruiser-Fahrer wie gemacht – mit ihr können auch nur mittelprächtig trainierte Ü35-Fahrer sehr flott und dabei äußerst entspannt und genussvoll unterwegs sein. Wer CB 1300 fährt, wird eventuelle Motorrad-Fehlkäufe jedenfalls ganz schnell vergessen…