aus bma 06/08

von Pabi

Honda CB 1000 R (Mod. 2008)Honda weiß, daß die FKK-Welle mittlerweile zu einem ernstzunehmenden Tsunami angewachsen ist und droht, ganz Mitteleuropa zu überschwemmen. In den letzten Jahren hat der Markt der Nackten – und zwar der großen Nackten – reichlich zugelegt. Natürlich will die Happyness-Factory dabei ganz vorne mitschwimmen. Doch bisher fehlte der erfolgreichen 600er Hornet der große Bruder.
Gaben die Entscheidungsträger in Fernost sich in der Vergangenheit ein wenig beratungsresistent gegen das Wunschkonzert der europäischen Verkaufsstrategen, so hat sich das seit dem großen Einschlag der 2007er Hornet nachhaltig verändert. Und so ist es konsequent, daß die CB 1000 R nicht nur exklusiv für, sondern auch von den Europäern in Italien desig-ned wurde. Das Preconcept stammt von Daniele Lucchesi, Honda R&D Europe PP and Research und wurde dann in Teamarbeit mit japanischen Ingenieuren um Projektleiter Kobayashi und Testfahrer Tetsuya Kudo auf die spektakulären Räder gestellt.
Selten trafen wir bei der Präsentation eines Bikes auf so euphorische japanische Entwickler wie hier in Mailand, die nicht nur bereitwillig in bestem Englisch Auskunft über alle Details und Geschichten rund um das Motorrad gaben, sondern geradezu versessen darauf waren, uns auf die Bikes und raus auf die Straße zu treiben, um „ihr” Bike und somit das Ergebnis ihrer Entwicklung zu erfahren.

 

Bei der vorgestellten CB 1000 R handelt es sich jedoch keinesfalls um eine große Hornet, sondern um ein ganz eigenständiges und völlig neu entwickeltes Bike, bei dem die Zentralisierung der Massen und die Fahrbarkeit genau so wichtig sind wie das aggressive Design. Test-Leader Tetsuya Kudo, bekennender RC 30 Fan und seit 23 Jahren mit der Entwicklung sportlicher Honda-Motorräder befaßt, ließ das Fahrwerk konsequent in Richtung Agilität, Dynamik und Aggressivität bauen. Vorne gibt es mit der Upside-down Gabel der aktuellen Fireblade Testsieger-Hardware vom Feinsten. Radial montierte Monoblock-Bremsen beißen mit einteiligen Belägen auf 10 Millimeter kleinere Bremsscheiben als an der Blade. Doch die echte Show findet hinten statt. Die Einarmschwinge macht an und bringt die Designfelge richtig gut zur Geltung. Eine Augenweide, die von der kurzen Auspuffanlage noch unterstützt wird. Mit dem extra kurzen Heck erinnert die CB an die Moto-GP-Renner von Pedrosa und Hayden.
Honda CB 1000 R (Mod. 2008)Doch nicht nur im Stand macht Hondas neue Nackte richtig an. Schon beim ersten Aufsitzen wird deutlich, daß die viel gedroschenen Schlagwörter von Handlichkeit und Zentralisierung der Massen keine bloßen Marketinghülsen sind. Extrem leicht, kurz, kompakt und agil fühlt sich die CB an. Die Sitzposition geht dabei fast in Richtung Moto-Cross. Das liegt an der mit über 82 Zentimetern sehr hohen Sitzbank, dem kurzen Tank und den nah an den Fahrer gerückten Instrumenten samt futuristischer Gasmasken-Lampenverkleidung. Trotzdem können auch mittelgroße Zeitgenossen locker mit den Füßen den Boden erreichen, was sie dann der ultraschmalen Taille der 1000er verdanken. Der Lenkeinschlag ist ausreichend groß, so daß auch im Stand ohne Probleme auf engstem Raum rangiert werden kann. Daß sich der Schwerpunkt der gesamten Fuhre knapp hinter der Zylinderbank, auf Höhe der Airbox befindet, trägt zum guten Standgefühl bei. Wer groß genug ist, kann, fast wie bei einem nicht ganz ernst zu nehmenden 400er Einsteigermopped, die Honda von einem Schenkel zum anderen kippen lassen. Dabei ist sie laut Papierform nicht wirklich ein Ultraleichtgewicht. 217 fahrfertige Kilo heben sie deutlich über das Gewichtslimit der Supersportfraktion. Extrem smooth fühlt sich die Fahrwerksabstimmung an. Wippt man die CB im Stand mit gezogener Vorderradbremse hin und her, gefällt sie mit leichtem Ansprechverhalten und verhaltenem Rebound, wie ein exzellent ausbalanciertes Renngerät. Die Hebelei liegt, genau wie der Lenker, gut in der Hand. Die Komponenten sind hochwertig verarbeitet und das Dashboard schmiegt sich elegant um das mittig angebrachte Zündschloß mit elektronischer Wegfahrsperre. Nur die Spiegel sind schon im Stand eine Katastrophe. Unterarme, nichts als die Unterarme sind zu sehen. Da hätte man einfach ein paar längere Ausleger nehmen sollen. Hoffentlich wird das bis zum Serienstart noch geändert, sonst wird der gute Berni Klumpjan wohl bald aus seinem Spiegelverlängerungskeller gar nicht mehr rauskommen.
Endlich hat auch der letzte meiner 16 Testkollegen seinen Helm übergestülpt und die Handschuhe angezogen. Der ortskundige Guide besteigt seine Hornet und wir drücken auf das Knöpfchen. Sofort schnurrt der volle eingespritzte Liter mit leicht erhobenem Standgas los. Schon beim ersten Abbiegen stellt sich ein selten da gewesenes Wohlgefühl ein. Alles paßt. Geometrie, Reifen, Fahrwerk und die seidenweiche Gaßannahme. Ich kann das Sprinttempo des Einheimischen aus der Mailänder City zwischen all den Sonntagsausflüglern hindurch ganz locker mitgehen. Auch beim engen Abwinkeln an den Ampeln kommt kein Zweifel am Vorderradgrip auf. Volles Vertrauen von der ersten Sekunde an. Das vermitteln nicht viele Naked-Bikes. Meist dauert es auch bei erfahrenen Testern, die ständig Moppeds wechseln, einige Kilometer und Kurven, bis man sich auf das Bike eingeschossen hat, weiß, wie weit die Fuhre beim Gaszudrehen einnickt, ob sie noch ein bißchen übers Vorderrad nachschieben will, bei zu geringer Geschwindigkeit zur Kurveninnenseite kippelt, oder der Reifen mit ansteigender Temperatur erst noch etwas mehr Grip aufbauen muß.
Cockpit Honda CB 1000 R (Mod. 2008) Bei der CB ist das alles kein Thema. Sie schmeichelt dem Fahrer vom ersten Meter an derart mit Feedback und exakter Umsetzung aller Gashandbefehle, daß ich fast glaube, noch immer im feudalen Mailänder Hotelbett zu liegen und nur von der perfekten Testfahrt zu träumen. Doch spätestens bei den folgenden Manövern des Gaskranken da vorne wäre ich wohl hoch geschreckt. Der Mann hat es eilig. Sein Auftrag lautet schließlich, die Kohorte von 16 neuen CBs so schnell wie möglich aus dem dichten Stadtverkehr in das kurvenreiche Umland zu führen. Deshalb steuert er auf der Stadtautobahn auch unbeirrt mit 180 und steigend auf die knapp einen Meter breite Lücke zwischen zwei uns voraus eilenden PKWs zu. Oberstes Gebot bei solchen Fahrten ist es freilich, den Guide nicht aus den Augen zu verlieren. Also ziehen wir durch und gehen mit der CB sechzehnfach wie das heiße Messer durch die Butter zwischen den beiden Bürgerkäfigen durch. Mit italienischen Autofahrern kann man das wohl machen. Die zucken nicht einmal. Wundern sich nur, daß die Moppeds alle gleich aussehen. Déjà vu!
Schnell wird mir klar, daß das Konglomerat aus dem 2007er Fire-blade Rumpfmotor mit CBF 1000 Zylinderkopf, nebst neu gestrickten Nockenwellen und unglaublich exakt programmierter Einspritzanlage, das neue Maß aller Dinge in der Liga der Nackten ist. Ab Standgasniveau setzt der Reihenvierer jeden Zehntelmillimeter aufgerollten Gaszug in energischen Schub um. Im Einser und Zweier sind Powerwheelies ohne den Einsatz der Kupplung absolut einfach einzuleiten.
Honda CB 1000 R (Mod. 2008)Das geht so leicht, daß man schnell übermütig wird, fast aus jeder kleinen Kehre mit hoch erhobenem Vorderrad herausschießen will. Nach einigem hin und her am ersten Fotospot wird es dann selbst den italienischen Autofahrern zu bunt und sie zeigen uns endlich „DOOF”. Danke, aber es geht noch ärger. Die nächste Disziplin heißt Tracking. Und das geht so: Der Fotograf liegt im Kofferraum eines vorausfahrenden Autos, und der Tester fährt artig hinterher. Da der Knipskünstler das gern mit Weitwinkel macht, darf man den Anschluß an die Stoßstange nicht verlieren. Wir reden hier von Abständen unter einem Meter. Das Honda-Triebwerk funktioniert so exakt, daß es selbst auf diesem engen Spielraum überhaupt kein Problem ist, das Vorderrad in die Luft zu zaubern und es völlig zielgenau nach dem Linsenklick wieder zehn Zentimeter hinter der Stoßstange abzusetzen. Aber auch mit mehr Auslauf glänzt die CB. Das Fahrwerk liegt satt saugend und schmatzend auf der Straße, bügelt alle Bodenwellen, Löcher und Längsrillen über, als wären sie gar nicht vorhanden. Die Bremserei ist absolut ausreichend griffig, ohne bei leichten Korrekturbremsungen in Schräglage gleich zu bissig einzugreifen, oder ein überraschendes Aufstellmoment zu erzeugen. Einstellmöglichkeiten und Potenzial findet der glückliche Besitzer an der Firebladegabel ohnehin reichlich um Korrekturen nach dem eigenen Gusto vorzunehmen. Über die Endgeschwindigkeit brauchen wir bei einer Nackten mit solch einem potenten Triebwerk nicht viel zu sagen. Nur soviel: Es geht schneller, als der Fahrer auszuhalten vermag. Denn der Windschutz ist nicht gerade üppig. Doch wie sollte er auch!

Fahrzit:
Das aggressive Potenzial dieses Bikes ist ebenso ausgeprägt wie seine kinderleichte Beherrschbarkeit. Eine Kombination, die wir in dieser Perfektion noch nie erleben durften. 125 PS hauen in der Stammtischrunde zwar erstmal niemanden vom Hocker. In Verbindung mit so einem messerscharfen Handling wird Hondas neue Nackte allerdings mit einem Schlag zum Klassenprimus. Allerdings gibt es außer den Spiegeln bei der CB 1000 noch etwas zu bemängeln. Die Lampenmaske sieht ultrascharf aus. Ihr Designkonzept beruht allerdings darauf, das gesamte Cockpit näher an den Fahrer heranzubringen um die Dynamik zu erhöhen. Das ist zweifellos gelungen. Jedoch sind die Instrumente damit so nah am Fahrer, daß man schon sehr nach unten schielen muß, um die gerade anliegende Geschwindigkeit im Auge zu behalten. Wem das alles noch nicht genug des Designs ist, für den hält Honda eine ganze Serie von Zubehör-Styling-Artikeln parat. Mit 10.090 Euro plus optionalem CBS-ABS für 600 Euro ist die CB 1000 R auch im Preis ein echter Knüller.