aus bma 05/01

von Klaus Herder

Honda Black WidowDieser Honda-Chopper hat ein Problem. Ein riesengroßes Problem sogar. Das Problem kostet 540 Mark weniger, hat 138 ccm mehr Hubraum, leistet acht PS mehr – und heißt Harley-Davidson Sportster 883 Custom 53.
Nun soll es aber auch Chopper- und Cruiserfans geben, die gar nicht laut und oft genug betonen können, dass sie überhaupt nicht auf Harley stehen. Die Hälfte dieser Schwüre fällt vermutlich unter die Rubrik Meineid. Wenn die vermeintlichen Harley-Hasser nämlich so dürften, wie sie heimlich wollen, stünde schon lange ein Ami-Oldie in der Garage. Aber Mutti/ Freundin/Kreditsachbearbeiter oder die Kumpels sind nun mal dagegen. Und etwas Angst vor der eigenen Courage hat man schließlich auch noch. Es bleibt aber immer noch eine nette Zahl von Trödel-Bikern, denen man partout keinen Vauzwo aus den Staaten umhängen kann. Ein paar dieser Typen mögen zwar die gemütliche Art des Motorradfahrens, brauchen dafür aber keine Trittbretter, keine fetten Kotflügel über dicken Gummiwalzen, keine vollverschalte Gabel und auch keine Windschutzscheibe. Für solche Biker war das Angebot in den letzten Jahren etwas dünn geworden. Alle Welt wollte Cruiser, die puristischen Chopper rollten aufs Abstellgleis.
Honda Black WidowDoch bekanntlich wiederholen sich alle Moden irgendwann einmal, und nach Einschätzung der wie immer sehr zeitgeistigen Honda-Marketingstrategen ist es nun soweit: Die Cruiser-Nachfrage sinkt, Chopper kommen wieder. Dieser Erkenntnis eine komplette Neukonstruktion folgen zu lassen, war nach Honda-Einschätzung aber nicht unbedingt notwendig. Die Kaufleute sprachen schließlich auch noch ein gehöriges Wörtchen mit, und so griffen die Techniker in den gut sortierten Motoren-Baukasten. Dort fanden sie einen flüssigkeitsgekühlten 52-Grad-V-Zweizylinder, der mit je einer obenliegenden Nockenwelle, je drei Ventilen und je zwei Zündkerzen pro Zylinder in ähnlicher Form bereits 1983 im Tourensportler VT 500, später in der Enduro Transalp und seit 1997 praktisch baugleich im Cruiser VT 750 C Shadow werkelte.
Eine imposante Spitzenleistung interessierte Chopper-Fans noch nie. So gesehen sind 45 PS, die bei 5500 U/min anliegen, völlig ausreichend. Beim Drehmoment darf es dagegen gern üppig zugehen. Ein Höchstwert von 63 Nm ist ordentlich – und der steht bereits bei erfreulich niedrigen 3000 Touren zur Verfügung. Wer die beiden 32-mm-Keihin-Gleichdruckvergaser mit Drosselklappenanschlägen bestückt, drosselt den Twin auf stufenführerscheintaugliche 34 PS und verliert beim maximalen Drehmoment gerade mal ein läppisches Newtonmeter. Ein Sekundärluftsystem ist in jedem Fall serienmäßig. Geschaltet wird über ein Fünfganggetriebe, den Endantrieb übernimmt eine mäßig abgedeckte O-Ring-Kette.

Die Honda-Techniker waren bei ihrer Entwicklungsarbeit motorenmäßig nicht gerade überlastet. So blieb genug Zeit, sich ausführlich dem Fahrwerk und der Verpackung der „Black Widow” („Schwarze Witwe”, eine giftige Spinnenart) zu widmen. Lang und flach musste das Ding werden. Ellenlanger Radstand, ein ebenso langer Nachlauf, flacher Lenkkopfwinkel, ein Sitzplatz in Kniehöhe, Fahrerfußrasten dort, wo normale Motorräder ihr Vorderrad haben, Federbeine mit Starrrahmen-Härte – die Vorgaben aus dem Lehrbuch „Der kleine Chopperbauer” wurden in Japan aufmerksam gelesen und konsequent umgesetzt. Und da wir zum Anfang dieser Geschichte den nicht ganz fairen Harley-Vergleich bemühten, machen wir an dieser Stelle weiter – nun allerdings zugunsten der Honda. Hier kommen sie, die technischen Daten rund ums Fahrwerk (Harley XL 53C in Klammern): Radstand 1640 mm (1523), Nachlauf 152 mm (117), Lenkkopfwinkel 56 Grad (60), Sitzhöhe 675 mm (710). Die Verbindung von Lenkkopf und hinterer Motoraufhängung übernimmt übrigens ein großes, rechteckiges Stahlprofil. Zwei Stahlrohr-Unterzüge kümmern sich um die Stabilität im vorderen und unteren Bereich.
Honda Black WidowZwerge, Frauen und andere Kleinwüchsige bekommen beim Blick auf den extrem geringen Sitzhöhen-Wert vermutlich glänzende Augen, Menschen über Einssiebzig beschleicht Platzangst-Panik, gut sitzen tun aber alle. Die Kurzen kommen mit ihren Plateausohlen auf den Boden, die Langen können Arme und Beine weit von sich strecken und sehen nicht peinlich aus. Das Feingefühl für Schalthebel und Fußbremse bleibt bei dieser Haltung zwar auf der Strecke, was aber nicht weiter stört. Das Getriebe ist Honda-typisch perfekt und bedarf dank kurzer, exakter Rastung keiner ausgeprägten Fußakrobatik. Die Trommel im Hinterrad leistet ausreichende Hilfsbremsdienste, ohne allzu sensibel betätigt werden zu müssen. Überbremsen ist damit praktisch unmöglich. Das gilt übrigens auch für die im Vorderrad verbaute 296-Millimeter-Einzelscheibe mit Doppelkolbensattel. Damit der Stopper ordentlich zubeißt, muss kräftig am nicht verstellbaren Handhebel gezerrt werden. Unterm Strich stimmt die Bremsleistung aber und reicht für choppergemäße Gangart völlig aus.
Der Motor ist ein netter Typ. Fast schon zu nett. Er springt jederzeit völlig problemlos, meist sogar ohne Chokehilfe an, erlaubt sich praktisch keine spürbaren Vibrationen, nimmt artig Gas an und zieht ab 2000 Touren oder auch 40 km/h im fünften Gang sauber und beschwerdefrei durch. Ausgeprägte Hoch- oder Tiefdruckgebiete gibt’s nicht, der Vauzwo ist ein grundsolider Fließbandarbeiter.
Die Doppelrohr-Auspuffanlage sieht gewaltig aus, ist in großen Teilen aber pures Blendwerk. Die beiden eher dünnen Auspuffrohre sind gut getarnt miteinander verbunden und in üppigen Chromblenden verpackt. Der Sound stimmt trotzdem, der Twin bollert kernig, vorausgesetzt, die Drehzahl steigt nicht über Gebühr an. Dann wird’s soundmäßig japanisch-schrill, doch in solchen Bereichen dürfte sich der Witwen-Treiber eher selten aufhalten. Theoretisch sind 160 km/h machbar. Bei 130 km/h Autobahn-Richtgeschwindigkeit ist aber aus Komfortgründen meist schon freiwillig Schluss. Bei diesem Tempo wackelt und rührt auch noch nichts.
Stichwort Komfort: Die beiden Hinterrad-Federbeine arbeiten mit bescheidenen 80 mm Federweg und lassen sich in der Federbasis fünffach verstellen. Einen spürbaren Effekt hat die Fummelei allerdings nicht, die Dinger sind bockhart und überdämpft. Aber vielleicht macht ja gerade das den Unterschied zwischen Cruiser und Chopper aus. Wir erinnern uns: Puristen stehen beim Langgabler auf Starrrahmen. Die Gabel gibt sich dafür alle Mühe, das schmale 19-Zoll-Vorderrad sauber zu führen und am Boden zu halten. Die Abstimmung geht okay, die 108 mm Federweg werden sinnvoll genutzt.
Unterm Strich ist die Black Widow ein erstaunlich fahraktiver Chopper. Wenn einen die Lust am flotteren Kurvenschwingen überkommt, spielt die vollgetankt 238 Kilogramm wiegende Honda erstaunlich lange mit. Zielgenau lässt sie sich einlenken, setzt nicht zu früh und dann nur mit den klappbaren Fußrasten auf, bleibt sauber auf Kurs und irritiert nicht durch irgendwelche Mätzchen. Gemütliches Bummeln macht mit der VT 750 natürlich ebenso Spaß, dem Durchzug sei Dank.
Die tiefe Sitzmulde nimmt den Fahrer anfangs komfortabel auf, gibt ihm aber kaum eine Chance, mit dem Allerwertesten hin und her zu rutschen. Nach spätestens zwei Stunden verlangt auch ein Nichtraucher nach einer Zigarettenpause. Die Honda könnte noch länger, denn bei knapp fünf Litern Normal als Durchschnittsverbrauch und 13 Litern Tankinhalt sind theoretisch 260 Kilometer am Stück drin. Wer öfter Pausen macht und in die Dunkelheit gerät, muss keine Angst vor der Finsternis haben, denn der formschöne Mini-Scheinwerfer leuchtet die Fahrbahn erstaunlich hell aus. Hauptständer und Drehzahlmesser gibt’s nicht, ernsthaft vermissen wird sie wohl auch keiner. Die Verarbeitung ist wie fast immer bei Honda: gut bis sehr gut. Etwas weniger verchromtes Plastik (zum Beispiel Blinker) wäre nett gewesen, aber der Zubehörmarkt muss ja schließlich auch eine Chance haben.
Die Honda VT 750 Black Widow ist ein bildschöner Chopper, ein ordentlich funktionierendes Motorrad und für 15.040 Mark ein durchaus faires Angebot. Wenn da nur nicht dieses anfangs erwähnte Problem wäre…