Unvergessliche Momente
aus Kradblatt 6/25 von Werner Kolb
Es gibt Reisen, die vergisst man nie. Sie brennen sich ein – in die Erinnerung, in die Seele. Meine Motorradreise durch Ladakh und Zanskar war genau so eine Reise. Ein Abenteuer auf zwei Rädern, das mich über die höchsten Pässe der Welt führte, mich in eine faszinierende Kultur eintauchen ließ und mir ein Gefühl von Freiheit schenkte, das ich so noch nie erlebt hatte. Ich war Teil einer Gruppe von sechs Bikern, die diese Reise bei dem Reiseveranstalter „Wheel of India“ gebucht hatten.

Die Reise begann mit dem Flug nach Delhi, der geschäftigen und pulsierenden Hauptstadt Indiens. Doch auf den Besuch Delhis haben wir verzichtet. Stattdessen brachte uns ein spektakulärer Flug nach Leh, der Hauptstadt Ladakhs.
Schon beim Anflug bot sich ein überwältigender Blick auf schneebedeckte Gipfel und die karge Schönheit dieser Hochgebirgswüste, während sich Leh wie eine Oase unter uns ausbreitete.
Nach der Landung hieß es erst einmal akklimatisieren: langsame Schritte, tiefe Atemzüge, viel Wasser. Die Luft ist dünn auf 3.500 m.
Die Stadt zeigte sich mir als eine Mischung aus uralten Klöstern, geschäftigen Märkten und entspannten Reisenden, die sich auf ihre Abenteuer vorbereiteten. Die meisten kommen zum Trecken, einige wenige zum Motorradfahren. Ein Spaziergang zur Shanti Stupa bot mir den ersten atemberaubenden Ausblick auf dieses raue, wunderschöne Land.
Dann kam der Moment, auf den wir alle voll Spannung gewartet hatten: die Übernahme unserer Bikes, Royal Enfield Classic und Royal Enfield Himalayan. Ich hatte mich für die Himalayan entschieden.

Die Himalayan ist wie gemacht für diese Region – mit ihrem robusten Rahmen, dem 411-ccm-Motor und der hohen Bodenfreiheit meisterte sie mühelos die herausfordernden Straßen und Pisten des Himalajas. Der Motor brummte kraftvoll, während ich die ersten Meter durch die Straßen von Leh rollte.

Die erste Tour führte uns zu den beeindruckendsten Klöstern Ladakhs. Das Thikse-Kloster thront majestätisch auf einem Hügel mit Blick auf das Indus-Tal. Es ist eines der größten und beeindruckendsten Klöster in Ladakh und erinnert mit seiner gestaffelten Bauweise an den berühmten Potala-Palast in Lhasa. Besonders beeindruckend ist die 15 Meter hohe Maitreya-Buddha-Statue, die größte ihrer Art in Ladakh.
Das Hemis-Kloster ist das größte und reichste Kloster in Ladakh. Es gehört zur Drukpa-Kagyü-Schule des tibetischen Buddhismus und wurde im 17. Jahrhundert von König Sengge Namgyal gegründet.
Der Stok-Palast ist die Residenz der ehemaligen Königsfamilie von Ladakh. Er wurde 1834 von König Tsepal Namgyal nach der Eroberung Ladakhs durch die Dogras erbaut und dient bis heute als Wohnsitz der Nachfahren der ladakhischen Könige.
Am nächsten Morgen ging es los. Wir brachen auf zur Fahrt nach Lamayuro.
Die gut ausgebaute Straße, der National Highway No. 1, schlängelte sich durch das Tal vorbei am Zusammenfluss von Indus und Zanskar, wo das Wasser in unterschiedlichen Brauntönen aufeinandertrifft – ein Naturschauspiel der besonderen Art. Bald darauf erreichten wir Lamayuru, das älteste Kloster Ladakhs, das im 11. Jahrhundert gegründet wurde und heute ein bedeutendes buddhistisches Zentrum ist. Von hier hat man einen fantastischen Blick auf das sogenannte Moonland. Die kargen, zerfurchten, in unterschiedlichen Gelb- und Brauntönen schimmernden Felsen schienen surreal, fast unwirklich.

Dann begann der anspruchsvollste Teil der Reise, die Strecke nach Padum, dem Herzen Zanskars. Unser Guide hatte uns darauf vorbereitet, dass wir von der neuen Straße von Lamayuro nach Padum nicht zu viel erwarten dürften, aber diese Etappe übertraf alles, was man sich vorstellen kann.
Die Straße, wenn man das überhaupt Straße nennen darf, wurde schmaler, die Abgründe tiefer. Sie bestand größtenteils aus unbefestigten Schotterpisten und losem Geröll. Besonders die Flussdurchquerungen forderten volle Konzentration. Staub bedeckte meine Kleidung, meine Haut, mein Motorrad.
Und natürlich musste es ausgerechnet hier passieren: Eines unserer Bikes hatte einen Platten. Doch dann zeigten sich die Vorteile einer gut organisierten Reise. Der Mechaniker, der im Gepäckfahrzeug die Tour begleitete, war in Windeseile auf dem Dach des Wagens und brachte ein fertig vorinstalliertes Hinterrad zum Vorschein. Nach 10 Minuten war das neue Rad eingebaut und wir konnten die Reise fortsetzen.

Im weiteren Verlauf überquerten wir unseren ersten hohen Pass, den Singe La (5.050 m). Es ist der höchste Punkt der Route und bietet atemberaubende Panoramablicke auf die schneebedeckten Himalaya-Gipfel. Die Anfahrt zum Pass war extrem steil und holprig, und ich war froh, mich für die Himalayan entschieden zu haben, obwohl die anderen mit der Classic auch erstaunlich gut zurechtkamen.
Nach dem Pass tauchten wir in eine völlig unberührte Welt ein, kein Verkehr, absolute Stille und unberührte Natur. Wir passierten die winzigen Dörfer Photoksar und Lingshed und bewunderten im Vorbeifahren das Lingshed-Kloster. Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, und tibetisch-buddhistische Kultur ist noch in ihrer ursprünglichen Form erhalten.

Nach Stunden auf der staubigen Strecke erreichten wir Padum, die kleine „Hauptstadt“ von Zanskar. Wir waren fertig. Jedem war die Anstrengung dieses Tages ins Gesicht geschrieben. Aber wer wollte dieses Erlebnis missen? Das sind doch die Abenteuer, wegen derer man eine solche Reise unternimmt.
In Padum ließen wir es gemächlich angehen. Wir schlenderten durch die engen Gässchen, machten uns aber dann doch auf zum nahegelegenen Karsha-Kloster, das größte Kloster Zanskars. Vom Dach des Klosters hatten wir einen überwältigenden Blick über das ganze Tal.
Die Rückfahrt nach Kargil bedeutete nicht nur eine geographische Veränderung, sondern auch einen kulturellen Wandel. Die buddhistischen Gebetsfahnen wichen Moscheen und Minaretten – ein faszinierender Kontrast. Kargil war einst ein wichtiger Handelsstützpunkt auf der Seidenstraße. Während des indisch-pakistanischen Kriegs war Kargil stark umkämpft, und erst langsam öffnet sich die Stadt wieder Besuchern.

Der Weg führt weiter ins abgelegene und kaum besuchte Dah-Hanu-Tal, die Heimat der Brokpa, eines uralten Volkes mit blauen Augen und blonden Haaren, die sich selbst als Nachfahren Alexanders des Großen bezeichnen. Ihre Kultur und Traditionen sind einzigartig und unterscheiden sich stark von denen der übrigen ladakhischen Bevölkerung. Diese Volksgruppe steht unter dem besonderen Schutz der indischen Regierung, und nur zwei Dörfer dürfen besucht werden, Dah und Hanu. Hotels gab es keine. Wir übernachteten in einem Camp mit großen komfortablen Zelten.
Weiter ging es nach Alchi, wo sich eines der ältesten Klöster Ladakhs befindet. Die Wandmalereien im Alchi-Kloster zählen zu den schönsten und bedeutendsten Kunstschätzen des Himalajas. Leider war das Fotografieren verboten. Aber Alchi ist ein entspannter Ort, und ein wenig Ruhe hat gutgetan. Fast den ganzen Nachmittag haben wir in der „German Bakery“ bei leckerem Kuchen und Kaffee verbracht.

Nach einer erholsamen Nacht in Alchi stand das nächste Highlight an: die Überquerung des Khardung La (5.359 m). Die Luft wurde dünner, der Himmel klarer. Die Straße war herausfordernd – Geröll, enge Serpentinen, Gegenverkehr von schwer beladenen LKWs. Doch der Moment, auf der Passhöhe zu stehen, umgeben von wehenden Gebetsfahnen, ließ alle Strapazen vergessen. Ich hatte es geschafft – ein Gefühl von Stolz und Euphorie durchströmte mich und meinen Mitreisenden ging es nicht anders. Gemeinsam genossen wir einen quietschsüßen Tee in der „Rinchen Cafeteria“, der höchsten Cafeteria der Welt.
Der Abstieg vom Pass führte ins grüne Nubra Valley. Plötzlich tauchten Sanddünen auf, und ich traute meinen Augen kaum: Zweihöckrige Kamele schritten gemächlich durch die Landschaft – ein Hauch von Zentralasien mitten im Himalaja! Das wollten wir uns nicht entgehen lassen! Kaum hatten wir im Hotel eingecheckt, trafen wir uns zu einer Kamel-Safari, was ein ziemlicher Spaß war.

Am nächsten Tag fuhren wir nach Panamik. Dieser Ort ist berühmt für seine heißen Quellen, aber das ist nichts für mich. Einige Kollegen genossen indes die wohltuende Wärme. Einer der schönsten Momente der Reise erwartete mich am Pangong Lake. Die Fahrt dorthin war abenteuerlich – steinige Pisten, Wasserdurchfahrten, enge Passagen. Doch dann: der See, endlos, in allen Schattierungen von Blau und Grün schimmernd, eingebettet zwischen gewaltigen Bergriesen.
Die Nacht verbrachten wir in einem Zeltcamp direkt am Ufer, unter einem Himmel, der so klar war, dass die Milchstraße zum Greifen nahe schien. Das war mit 4.200 m die höchste Übernachtung auf der Tour und auch in meinem Leben. So hoch habe ich noch nie geschlafen, und alle Schrecken, vor denen mich meine Freunde zuhause gewarnt hatten, sind ausgeblieben. Unseren Guide wunderte das nicht. „Ihr seid schon längst akklimatisiert“, erklärt er uns. Die Tour sei so angelegt, dass sich unsere Körper an die sauerstoffarme Luft gewöhnen können und wir diese Übernachtung locker wegstecken.
Auch die letzte große Etappe zurück nach Leh sollte nicht ohne Herausforderung ablaufen. Das Erreichen des Chang La erforderte noch mal unsere ganze Kraft. In einem wilden Ritt über eine Holperpiste ging es auf 5.360 Meter über dem Meeresspiegel. Doch uns konnte jetzt nichts mehr schrecken, und am Nachmittag erreichten wir unser Hotel in Leh.

Die Reise endete dort, wo sie begonnen hatte. Mit einem letzten gemeinsamen Abendessen verabschiedeten wir uns von Leh und Ladakh, und am nächsten Morgen brachte uns der Flieger zurück ins geschäftige Delhi. Doch bevor es endgültig nach Hause ging, entschied ich mich für einen letzten Höhepunkt: den Besuch des Taj Mahals. In den frühen Morgenstunden stand ich vor diesem Meisterwerk aus weißem Marmor, während die Sonne es in goldene Töne tauchte. Der perfekte Abschluss eines großartigen Erlebnisses!
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Info: Der Reiseveranstalter Wheel of India ist – wie der Name schon vermuten lässt – auf Reisen nach Indien (sowie Nepal und Oman) spezialisiert. Alle Infos zu den angebotenen Reisen findet man unter www.wheelofindia.de. Eine Teilnahme an der von Werner gefahrenen Ladakh-Zanskar-Tour können Kurzentschlossene noch für Juni und Juli 2025 buchen.
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