aus bma 3/12 – Lesererfahrung
von Hartmuth Weyhe
Na geht doch – Harley kann ja doch Motorräder bauen! So oder vom Tenor könnte ich das Fazit meiner Erfahrungen von 10.000 km in vier Monaten vorweg nehmen.
Irgendwie war mir die wunderschöne Triumph Bonneville einfach zu lahm geworden und es musste ein ähnliches Bike mit mehr Power her. Luftgekühlt und zwei Zylinder sollten es bleiben, etwas mehr PS und keine Kette – Wunschkandidat war die 1200er Boxer BMW, aber weit über 10.000 Euro Einstiegspreis sind nun mal nicht drin. Mit einer Guzzi hätte es klappen können, aber mit einem erreichbaren Händler eher weniger. Und wenn einem dann für knapp 8.000 Euro ein Vorführer von Harley mit wenig Kilometern in die Hände fällt, warum dann nicht? Der Preis war heiß und die Leistung mit 91 PS sicherlich ausreichend, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Den langen und weißen Winter versuchte ich durch den Anbau einiger Touring-Zubehörteile, wie Tankrucksack, Hecktasche und Windschild zu verkürzen. Wie bei Harley üblich gibt es alles in rustikaler, passender Ausrüstung und zu stolzen Preisen. Ein wenig aus Trotz rückte ich einem Grundübel fast aller Harleys nicht zu Leibe, nämlich die Spiegel an viel zu kurzen Auslegern. Eine wirklich nervige, immer währende Angelegenheit, aber allein bei dem angebotenen Verlängerungs-Kit liegt man schon bei 50 Euro. Nicht für Ami- oder Schwedenstahl, nein, nein, sondern profane Ware aus Fernost. Wie gesagt aus Trotz: Nein! Das war im späteren Betrieb dann doch kein so großes Übel, denn so viel Verkehr von hinten kommt mit dieser Sportster gar nicht. Schließlich hatte der Frühling ja doch ein Einsehen und es konnte losgehen.
Immer wieder imponierend ist der polternde Leerlauf der luftgekühlten V-Twins aus Milwaukee, der das ganze Motorrad in Bewegung versetzt. Und kaum ist man in Fahrt, zeigt sich die Fuhre von der kultivierten Sorte. Nach dem ersten Proberitt auf der Hausstrecke durch die Lauenburgische Seenplatte bleibt die Faszination eindeutig Herr der Lage, aber beim Bierchen auf der Garagenbank stelle ich mir die banalen Fragen: Warum gibt es keine Lichthupe? Wieso haben die Fußrasten keine Federn und bleiben da, wo sie hingehören? Ist der geringe Lenkeinschlag beim Wenden nur Schikane vom Werk oder tatsächlich technisch notwendig? Ist ein Tankdeckel ohne Schloss und ohne Halter am Tank wirklich eine ausgefeilte Lösung? Und dazu die Knebelbefestigungen des Tankrucksacks: Okay, sehr einfach und unverwüstlich, aber fummelig bis dorthinaus! Aber alles gut und geschenkt – ist ja eine Harley. Nur ein Manko gleich zu Beginn ließ sich nicht abtun: Zuweilen fällt man beim Runterschalten vom zweiten in den ersten Gang in den Leerlauf und das kann im Straßenverkehr oder in Kehren ausgesprochen unangenehme Folgen haben. Gerade dann, wenn man keine Gelegenheit hat, auf die grüne Kontrollleuchte zu schauen, ist die Situation, ohne Kraftschluss da zu stehen, für einen selbst oder einen anderen Verkehrsteilnehmer nicht immer beglückend. Der Mangel war durch den Harley-Händler des Vertrauens nicht zu beheben. Es ist nach mehreren Gesprächen mit Werkstätten und anderen XR-Fahrern kein Einzelfall, aber auch nicht bei allen Fahrzeugen die Regel.
Die Masse der Kilometer spulte ich auf diversen Touren ab. Der Motor macht Spaß, aber der Fahrer hat sich nach seinen Qualitäten zu richten und nicht umgekehrt. Bei 120 km/h im fünften und höchsten Gang fühlt sich die 1200er richtig wohl – gleich drei Radarkontrollen waren mein, aber ich bin ja gerne Sponsor der öffentlichen Hand. Hingegen haben sich die Fahrten in Dänemark bei vorgegebenen 80 km/h als sehr nervig herausgestellt; fünfter Gang zu hoch, vierter nervt auf die Dauer auch. Und auf der Autobahn hatte ich den Eindruck, dass ab 160 km/h sich nicht mehr viel bewegt; da hätte ich doch etwas mehr erwartet. Zumal das kleine, schnell zu demontierende Windschild hervorragend entlastet und bei meinem Mittelmaß von 1,75 Metern keinerlei Windgeräusche oder Sog verursacht – Urteil: Unbedingt empfehlenswert, selbst für den horrenden Preis von über 350 Euro! Zudem merkt man bei den höheren Autobahntempi mangelnde Entwicklungsfeinarbeit. Nein, nicht am Fahrwerk, Länge läuft, aber am Klettverschluss des Tankrucksacks, der dann beginnt aufzugehen. Ohne Windschild hebt der Klarsichtteil wohl schon bei 120 km/h ab und mit ihm die Karte oder ausgewählte Route, die man darunter geklemmt hat.
Aber halt, wir waren ja noch beim Motor: Er ist optisch wie leistungsmäßig ein besonders schönes Teil der Verbrennungskultur. Im Schnitt begnügt er sich mit 5,3 Litern Super auf 100 km. Da fängt dann die Reserveleuchte für den Vorrat im 13 Liter fassenden Benzinnapf nach knapp 200 km an zu leuchten und die Freude auf den fummeligen Tankrucksackverschluss und den losen Tankdeckel kommt auf. Diese währt aber nicht zu lange, denn bei nur 2 Liter Reserve sollte mit der Länge der Vorfreude nicht allzu üppig umgegangen werden.
Über den Auspuff bzw. Geschmack wollen wir hier nicht streiten, die Szene bietet eine Fülle von legalen und illegalen Alternativen. Die Begleitfahrer freuen sich jedoch auch beim Originalteil über den sonoren Sound, der Fahrer selbst hört wenig und ärgert sich über die Rostnarben an den nach oben gerichteten Auspuffenden.
Das Ölnachfüllen und Prüfen erfolgt über einen gut handhabbaren Peilstab auf Sitzbankhöhe. Leider aus Plastik mag man denken, aber dafür verbrennt man sich nicht die Finger. Auf 6.000 km schüttete ich insgesamt einen Liter Öl nach, ich denke bei der gebotenen Leistung geht das in Ordnung. Der Motor selbst ist also sehr robust und genügsam, was die Inspektionskosten alle 8.000 km auch sehr gering hält. Um es in Zahlen auszudrücken: Unter 200 Euro ist doch ein fairer Preis, oder? Dazu trägt auch der unauffällige Zahnriemen seinen Teil bei, wirklich eine hervorragende Antriebslösung. Kein Geschmiere mit dem Kettenfett, keine Kontrolle und kein Spiel im Antriebsstrang – tolle Lösung.
Bremsen und Fahrwerk sind natürlich nur aus dem Blickwinkel des jeweiligen Nutzers zu beurteilen. Nach den Testberichten einschlägiger Motorradzeitungen fürchtete ich das Schlimmste: Überbremsen der giftigen Bremsanlage und Aufsetzen und Aushebeln bei Rechtskurven über die Auspuffanlage. Nun denn, kann passieren, muss aber nicht. Einmal auf einer abgesperrten Strecke unter den Augen eines erfahrenen Instrukteurs die Leistungsgrenzen erfahren und anschließend hat man es drauf. Allerdings muss ich zugeben, dass ich die Harley nie unter Extembedingungen (Rennen oder Sauwetter) bewegt habe.
Die montierten Dunlop Qualifier D 209 haben mir sehr gut gefallen und stets mit gutem Grip überzeugt. Trotz meiner eher ruhigen Fahrweise war der Hinterradreifen nach 5.000 km völlig am Ende. Die anschließend aufgezogenen Pirelli Diablo Strada waren da nicht ganz so gefällig, aber deutlich günstiger und langlebiger.
Die Instrumentierung wird von einem Drehzahlmesser mit weißem Zifferblatt beherrscht. Und der Zeiger ist mit einer roten Spitze versehen, ansonsten auch weiß. Nicht logisch, aber dennoch erstaunlich gut abzulesen. Die Geschwindigkeit wird auf dem kleinen angeflanschten Tachometer angezeigt. Dies wird mittlerweile im modischen Digitaldesign aufbereitet, aber für das zentrale Zünd- und Lenkschloss fehlt dann wohl doch noch der Ingenieur. Die üblichen Kontrollleuchten und ein Digitaldisplay mit Kilometerstand, Tageskilometerzähler und Uhr ergänzen das Angebot – mir reicht es völlig. Allerdings sind die Infos nicht mit einer Lenkertaste abzurufen und der Verstellknopf ist bei der Montage des Windschilds auch nicht während der Fahrt zu erreichen. Ärgerlicher ist es da schon, dass die Zifferblätter nach kalten Nächten im Freien beschlagen. Wunderschönes Detail am Rande ist für mich der Schriftzug „Sportster„ auf dem rechten Motordeckel – ellenlang und klassisch.
Für Touren ist das Fahrwerk komfortabel genug ausgelegt und die Sitzposition zudem angenehm. Das spartanische hinten ist nicht der Hit, aber 200 km bis zum nächsten Tankstopp sind ja zügig abgeritten. Und mehrere Touren über 600 km am Tag habe ich ohne Verformungen des Allerwertesten gut überstanden. Zum Touren gehört auch Gepäck, wobei die kleinen Köfferchen eine ziemlich abwegige Lösung sind, schon Zahnbürste und Scheckkarte beulen die schalen Teile aus. So müssen die Hecktasche und der Tankrucksack alles für ein langes Wochenende schlucken. Dies gelingt allerdings nur dem Soloreiter, denn für eine Sozia ist das Krad vermutlich eher Folter denn Vergnügen. Alle Gepäckstücke sind jedoch formstabil, hübsch angepasst und sollten wasserdicht sein.
Landstraßen erster und zweiter Ordnung kommen dieser Sportster hervorragend entegegen. Die Fahrten an der Mosel und am Rhein werden mir unvergessen bleiben. Fantastisches Wetter, tolle Sicht auf den Strom und die Weinberge und wunderschön langgezogene Kurven sind ein echter Genuss. Dies gilt auch für die gut ausgebauten Strecken im Westharz, wo die Harley so richtig in ihrem Element ist. Geht es in den Ostharz oder aber in die Hänge der Mosel hinauf, ist Einsatz und Arbeit angesagt; Entspannung ist dann schlagartig vorbei.
Gern hätte ich die Harley weiter bewegt, aber beruflich musste ich leider auf ein lackiertes Kofferschalentier umsteigen. Nun geht alles viel windschnittiger und durchdachter vonstatten, aber wenn es um die Umsetzung des Themas „Motor-Rad” geht, ist diese Harley-Davidson XR 1200 Sportster verdammt nah dran. Empfehlung: Unbedingt probieren!
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Kommentare
Ein Kommentar zu “Harley-Davidson XR 1200”
Auf 6000km. ein Liter Öl ? Das spricht also für die Robustheit und Genügsamkeit des Motors ?