aus bma 05/07

von Hartmuth Weyhe

Harley-Davidson XLH 883Ich habe keine Ahnung, wie es euch geht, aber die vielen Messen zum Winterausklang und die vielen Eröffnungspartys befeuern einen einfachen Charakter doch mit sehr vielen Neuheiten, Modellpflegemaßnahmen und, und, und. Als kleiner Verbraucher am Ende der Wirtschaftsschleife, der nur noch eines zu machen braucht – nämlich zu zahlen – fühle ich mich wie ein Nichtschwimmer, der mitten im Pazifik seinen Freischwimmer ablegen soll. Irgendwie klammere ich mich bei so einer Informationsvielfalt, der Psychologe würde es wohl Reizüberflutung nennen, an das bekannte aus einer Welt, die noch überschaubar und händelbar war.
Und nun kommen wir zur Überschrift: back to the roots – was für ein strapazierter Spruch! Aber ich denke im folgenden Falle stimmt es, denn der Spruch gilt ja auch mehr dem Verfasser als der Motorradmarke. Die Motorradmarke hat sich nämlich kaum geändert, der Betrachter aber sehr wohl. Aber lest doch bitte selbst über ein Motorrad, das vor über 45 Jahren erschaffen wurde, mir heute aktueller denn je erscheint und auch morgen noch begeistern wird.

 

Was braucht man eigentlich wirklich zum Motorradfahren? Im Grunde gibt es das Wort doch schon vor. Einen Motor und Räder; dann noch einen Rahmen der beides zusammenfügt und die durch die Straßenverkehrsordnung erzwungenen Anhängsel wie Blinker, Licht, Tachometer. Mit so etwas habe ich viele Jahre verbracht. Angefangen hat es mit einer Yamaha RS 100 DX, eine Maico MD 250 war ebenso dabei wie eine Yamaha SR 500 oder eine BMW R 100. Und dann öffnete sich plötzlich eine neue Welt nach dem Motto: „Jetzt willst Du kein Biker mehr sein, denn ab heute muß es ein Fulldresser sein!” Nun gut, 330.000 Kilometer sprechen für sich, aber irgendwie sind die Sinne nun betäubt mit Dingen, die zur bequemen „drei Zimmer, Küche, Bad und WC” – Mentalität gehören. Also will ich: „Back to the roots!” Und nun begeben wir uns auf die Suche unter den zahllosen Motorradherstellern nach einem ganz normalen Motorrad.
Harley-Davidson XLH 883Heute sind es die sogenannten Naked- oder Retrobikes. Und man wird auch in größerem Umfang fündig. Denn auch diese Modelle sollen ja, wenn es nach den Herstellern geht, ein großes Stück von dem Kuchen, der da Motorradzulassungen heißt, abschneiden. Von solchen zweifelsohne guten Krädern stehen auf Messen, an Motorradtreffpunkten und sonst wo etliche herum. Aber gibt es da nicht auch etwas wirklich Echtes? Mit dem Namen von damals, der auch heute noch unverändert einen guten Klang hat. Mit dem Know-how von gestern, das wie heute ganz einfach nur funktioniert? Mit einem Aussehen, das seit Jahrzehnten Bestand hat und nach wie vor zeitlos gefällt? Na, wie viele Motorräder fallen Euch dabei ein? Ich will jetzt gar keine Diskussion anzetteln, denn ein jeder entscheidet, wofür er seine „Teuros” ausgibt. Mir sind im Grunde fünf Motorräder im oben genannten Sinne aufgefallen: Royal Enfield – ja, echt klassisch und ehrlich alt – aber für den heutigen Straßenverkehr ein wenig schwachbrüstig. Triumph T 100 Bonneville – klasse Name, super Optik – aber die Firma war zwischendurch schon mal ziemlich tot. Moto Guzzi Breva – bella Italia, gut zu beherrschen – aber irgendwie fehlt mir die Nähe zum Händler. Kawasaki W 650 – tolle Technik, nostalgisches Aussehen – aber sich mit so einem Gestühl in die Reihe der vierzylindrigen Sportfreaks einzureihen macht mich nicht froh. Harley-Davidson Sportster – ja, war klar, wieder so ein Mythos-Freak, denken einige jetzt. Okay, aber Ihr braucht ja nicht weiter zu lesen.
Immerhin wird der Eisenhocker seit über 45 Jahren ununterbrochen gebaut und seit 1986 mit 883 ccm angeboten. Und so evolutioniert, dank Evolution- Motor, die XLH 883 im 19. Jahr ihres Bestehens dahin: Ein weiterer Gang hat sich angefunden (nun sind es fünf), ein digitaler Kilometerzähler hat Einzug gehalten und seit der jüngsten Renovierung gibt es einen in Gummi aufgehängten Motor, der 55 PS abdrückt. Erfreulicherweise hat die Preisgestaltung weder mit der kapitalistischen Entwicklung noch mit der prozentualen Preissteigerung mitgehalten. Knapp 14.000 der guten, alten Deutschmark waren damals vom Konto abzuheben, heute sind es 7.500 Euro.
Nun sollte aber der Theorie genug sein. Aufsteigen und Abfahren: Einfacher gesagt als getan, denn nach alter Väter Sitte besorgt ein Vergaser das Befüttern des Motors. Der Knopf ist gut, weil groß und derb unter dem Tank zwischen den beiden Zylindern in V-Form zu erreichen. Aber wie so oft bei diesem Patent funktioniert es nach dem Prinzip ganz oder gar nicht. Will heißen, entweder rotiert der kalte Motor bei reichlich Umdrehungen, oder er muß mit viel Gefühl per Hand am Laufen gehalten werden. Der empfindliche Kaltlauf ist für die Ungeübten eben nervig, für den Könner eben Kunst. Nun aber los. Geht auch simpel, denn die Kupplung funktioniert für Harley Manier sehr leicht, trennt sauber und der erste Gang fällt mit einem satten Klong in das vorherbestimmte Zahnradpaar. Allerdings braucht es eine Weile, um aus dem ersten Gang wieder raus zu kommen, da er sehr lang übersetzt ist. Gerade bei kaltem Motor hat das so seine Tücken, wenn man zu früh in den zweiten Gang schaltet und noch um eine Ecke muß: Plopp und der Motor ist abgestorben, der Lenker eingeschlagen und 260 Kilo (Werksangabe) streben zu Boden. Aber Dank des niedrigen Schwerpunktes und des breiten Lenkers ist der Bodenkontakt noch zu vermeiden.
Harley-Davidson XLH 883Ja, und dann läuft die Sportster leicht und locker von der Hand. Eine aufrechte Sitzposition, entspannte Schultern, lockere Arme und rechtwinklige Knie ergeben eine relaxte Haltung, die freches Fahren wie genüßliches Abhängen zuläßt. Allerdings ermöglicht der kleine Peanut-Tank von gut 12 Litern keinen Knieschluß. Die Federung ist durchaus brauchbar, jedoch auf keinen Fall kommod zu nennen, und kommt nur bei starkem Bremseinsatz an ihre Grenzen. Mit der Doppelscheibenbremse vorn und einer Bremsscheibe im Hinterrad läßt es sich sehr gut leben, schließlich werkelt die Bremsanlage auch in den deutlich schwereren Modellen dieser Motorradmarke. Der V-Twin mit knapp 900 ccm gehört nicht gerade in die Unterhaltungsbranche und schon gar nicht in das Genre „Action”. Die einen mögen ihn langweilig finden, die anderen entspannend. Wie auch immer, der Karren ist mit gut 170 km/h ausreichend schnell, um im fließenden Verkehr mitzuschwimmen. Angeblich zerren 55 PS am Zahnriemen, die einen gänzlich unspektakulär, dafür aber sparsam (4,2 Liter Normalbenzin pro 100 Kilometer) von A nach B bringen.
Wenn man nicht auf den Tacho schaut, pendelt sich der Vortrieb um die 90 km/h ein. Mit dem Sound hat Harley-Davidson in Deutschland so seine Probleme. Da hilft es auch wenig, daß sich die Sportster aus der gesamten Modellpalette noch am kräftigsten anhört. Für das akustische Tuning führt kein Weg am Händler des Vertrauens vorbei – und hoffentlich kennt er einen großzügigen Plakettenkleber. Die Handhabung der ganzen Fuhre ist problemlos, der Fahrer kann sich ohne Ablenkung auf das Fahren konzentrieren. Ich bin wirklich immer wieder überrascht, wie relaxt das Motorradfahren sein kann ohne ständig mit 100%-Konzentration auf Leistung, Schaltblitze, Radio-Bedienungsknöpfe, giftige Bremsen und was weiß ich noch zu achten.
Wie beim Starten des kalten Motorrades, so trübt auch das Abstellen der kleinsten Harley ein wenig das Gemüt. Die Suche nach dem Seitenständer ist wirklich fummelig, aber sicherlich baut die Motor Company darauf, daß man die verchromte Zubehörverlängerung für 73 Euro gleich dazukauft. Und die Kontrolle des Ölstandes ist zwar optisch sehr nett anzusehen und mit einem Druckmechanismus technisch originell gelöst, aber eben doch mit einer unnötigen Friemelei verbunden. Aber das typisch Knistern des sich abkühlenden Motors und das wirklich gelungene Finish der Maschine entschädigt dafür nachhaltig. Etwas mehr Leistung und ein Gabelstabilisator sowie Stahlflex- Bremsleitungen wären bei 55 PS zwar nicht nötig, aber für eine stimmige Optik doch ganz angebracht. Fazit: Eigentlich müßte das Tankdekor von einer stilisierten Zielflagge in einen Schaukelstuhl oder Hängematte geändert werden, denn für mich steht das R im Modellnamen auf keinen Fall für Racing, sondern für Relax. Das trifft die Philosophie des Motorrades weit besser!