aus bma 12/99

von Konstantin Winkler

Mit einer Harley-Davidson Electra Glide auf der Route 66 cruisen. Der Traum eines jeden Bikers. Wenn der Kontoauszug aber rote statt schwarze Zahlen schreibt, heißt es kleinere Brötchen backen. Dann muss zum Cruisen die deutsche Route Sixty-six, sprich Bundesstraße 66, herhalten. Bielefeld statt Los Angeles. Und auch die Harley darf gerne eine Nummer kleiner ausfallen: Sportster statt E-Glide. Aber auch ein Liter Hubraum reicht zum Choppern, wenn er so attraktiv ver- und eingepackt ist wie bei der XLH 1000. Dagegen wirkt die Elektra Glide wie mit der Axt geschnitzt und trutzig wie eine Schrankwand beim Möbel-Discount.
Harley-Davidson XLH 1000Von der feinen Art, Alumotoren zu bauen, hielt man in Milwaukee Anfang der 80er Jahre noch nicht viel. Grauguß, soweit das Auge reicht. Deshalb auch der inoffizielle Name „Iron Sportster” im Gegensatz zur modernen „Evolution Engine”. Seit 1952 wird die Sportster gebaut. Wohlklingende Typenbezeichnungen wie Café-Racer, Sportster Custom, Roadster oder Sportster Deluxe können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie stets im Schatten der größeren Modelle standen und stehen. Auch der Name Sportster ist eine Farce. Zwar drehen die Blockmotoren williger hoch als die hubraumstärkeren Pendants mit getrennter Motor-/Getriebeeinheit, doch ändert das nur wenig an der Tatsache, dass es wohl die unsportlichsten Sportmotorräder auf dem Markt sind. Trotzdem – solo sind laut Tacho fast 165 km/h drin. Der langhubige 45°-Vau-Zwo (81 mm Bohrung und 96,8 mm Hub, ergeben auf die beiden Zylinder verteilt exakt 996 ccm Hubraum) dreht dabei selbstmörderische 6000 U/min und schüttelt dem Fahrer alle anderthalb Kilometer die Füße von den vorverlegten Rasten. Völlig übertrieben ist das Gerücht, daß Zahnärzte auf Harleys stehen. Warum? Weil die Good Vibrations ihren Fahrern die Plomben aus den Zähnen vibrieren und anschließend nicht nur die Beißerchen, sondern auch Doktors Kasse gefüllt wird.

 

Gewaltig die mechanische Geräuschkulisse des antiquierten Stoßstangenmotors. Nicht gerade ge- räuschmindernd wirkt dabei die Zubehör-Auspuffanlage – bestehend aus zwei Sidepipes. Völlig unbefriedigend ist der Sound der fast doppelt so schweren Original-Anlage, durch die das Auspuffgeräusch eher nach Kirchenchor als nach Outlaw klingt.
Einen Drehzahlmesser gibt es auch, der ist aber überflüssig wie ein Kropf. Sobald im zitternden Rückspiegel das Bild verwackelt, schaltet man einen Gang höher. So einfach ist das. Die Stärke der Sportster sind beschauliche Sightseeing-Touren nach dem Motto: ab 40 km/h den vierten Gang einlegen und das Getriebe vergessen.
Harley-Davidson XLH 1000Das Fahrwerk, bestehend aus Doppelrohrrahmen, Telegabel und Rohrschwinge mit zwei Federbeinen würde Aufstiege in höhere Geschwindigkeitsbereiche wohl durchaus mitmachen, ohne dem Fahrer mit wilden Schaukeleien Schwitzkuren zu bescheren. Die Sitzposition (mit den Händen am breiten und hohen Buckhornlenker sowie den Füßen auf den vorverlegten Rasten sitzt man wie in Opas Schaukelstuhl), beschränkte Haftfähigkeit der serienmäßigen Goodyear-Reifen und die harte Abstimmung der Hinterradfederung raten zu einem moderaten Umgang mit dem Gasgriff. Auch in die Schräglage sollte man sich vorsichtig begeben, die vorverlegten Fußrasten kratzen nicht nur am Asphalt, sondern auch am eigenen Selbstbewußtsein, also genießt man am besten senkrecht das Easy Rider-Feeling. Das Auge erfreut sich dabei am reichlich vorhandenen Chrom. Zwar fehlt das Radio der E-Glide, doch dafür kann man im verchromten Lampentopf unterwegs den aktuellen Wetterbericht vom Himmel ablesen. Die schönste Musik macht ohnehin der Vau-Zwo, besonders im Leerlauf, wenn man die Arbeitstakte mitzählen kann – noch ein Argument, das den Drehzahlmesser überflüssig erscheinen läßt.
Der Kaltstart wirft keinerlei Probleme auf. Der sich neben dem Zündschloss befindliche Choke, beides links unterm Tank postiert, muß bei sommerlichen Temperaturen nur halb gezogen werden, und schon auf den ersten Knopfdruck poltert der Motor los. Die Warmlaufphase hält sich in erfreulich engen Grenzen, so dass eine lange Choke-Unterstützung nicht von Nöten ist. Was die Benzinaufbereitung betrifft: ein einsamer und zuverlässig arbeitender Vergaser führt den beiden Brennräumen das notwendige Futter zu. Wirtschaftlich ist der Verbrauch mit rund fünf Litern Superbenzin pro 100 Kilometer. Trotzdem sind keine 200 Kilometer am Stück drin, denn die Beule von Tank mit ihren knapp 9 1/2 Litern Inhalt ist ein Witz.
Auch von einer anderen Seite zeigt sich die Harley sparsam, nämlich mit ihrem Cockpitinstrumentarium. Ganz im Gegensatz zum Lichtermeer mancher Mäusekinos fernöstlicher Instrumententafeln befriedigen nur Ge- schwindigkeit, Drehzahl, Öldruck-, Leerlauf-, Fernlicht- und Blinker-Kontrollleuchte das Informationsbedürfnis des Bikers. Etwas anspruchs- voller wird die Sportster beim Thema Öl. Im Sommer soll es 50er Einbereichsöl sein, im Winter 40er. Aber wer fährt schon im Winter Harley? Einen viertel Liter SAE 50 auf 1000 Kilometer mußte ich im Durchschnitt nachfüllen. Dünneres oder Mehrbereichsöl dagegen läuft durch wie Wasser.
Was links zwischen den Zylindern wie eine Kuhglocke baumelt, und auch so klingt, ist die Hupe – oder das Horn, wie die Amis zu sagen pflegen. Auf der gegenüberliegenden Seite hat des Fahrers Knie Feindberührung mit dem, was wie eine überdimensionale Brotdose aussieht: dem Luftfilter.
Nicht unbedingt ein Quell der Freude ist die Mehrscheiben-Ölbadkupplung. Sie erfordert eine derart hohe Handkraft, daß ein Besuch im Fitnessstudio überflüssig erscheint. Das klauengeschaltete Vierganggetriebe läßt sich exakt schalten, obwohl das Gestänge umständlich außen um den Motorblock herumgeführt wird. Mit der Zeit werden die Gelenke sicher ausschlagen.
Nun zu den Bremsen: es erfordert einen beherzten Zug am Handbremshebel, um die Geschwindigkeit wirksam zu verringern. Die zweite Brems- scheibe – im breit dimensionierten Hinterrad befindlich – ist so gerade eben in der Lage, die mangelnden Talente der vorderen zu kompensieren. Nicht von schlechten Eltern dagegen ist die ebenso wirksame dritte vorhandene Bremse, die Motorbremse. Die beiden je einen halben Liter großen „Hauptbremszylinder” verrichten beim Gaswegnehmen zuverlässig ihre Arbeit.
In drei Jahren Testbetrieb erwies sich die Sporty als auffällig unauffällig. Bei gemächlicher Behandlung versieht sie klaglos ihren Dienst: kein Ölverlust und keine losvibrierten Schrauben.
Auch kleinere Urlaubstouren sind drin. Zwar fehlt ein vernünftiges Gepäcksystem, und einen Tankrucksack zu befestigen scheint fast unmöglich – wie sieht das auch aus! Doch in der Chopper-obligatorischen Lederrolle zwischen Gabel und Lampe haben wenigstens Zahnbürste und Kreditkarte Platz. Easy Rider, was willst Du mehr?
Die Sozia bleibt besser zu Hause, es sei denn, sie ist hart gegen sich selbst. Das hintere Bankteil ist so „üppig” dimensioniert, daß abwechselnd die rechte und die linke Pobacke dort Platz finden. Auch die Knie sind in ständiger Bewegung, da die Soziusfußrasten intelligenterweise an der Schwinge befestigt sind.
Abschließend ist zu bemerken, dass sich die XLH 1000 im Alltagsbetrieb als unkompliziert erwiesen hat und man sie daher in der Kategorie „Bauernmotorrad” einreihen könnte – wäre sie nicht ein so teures und exklusives Fahrzeug. Wer einmal mit einer Harley Freundschaft geschlossen hat, dem können die Softchopper moderner Machart und fernöstlicher Bauart kaum als Alternative dienen. Irgendwann, nach vielen Meilen, versteht man die alte Harley-Philosophie: „Entweder Du liebst sie, oder Du haßt sie”.