aus bma 03/02

von Regina S. Hartwig
Fotos: Regina S. Hartwig/Rosemarie Weiß

Die amerikanische Traditionsmarke Harley-Davidson bringt für das Modelljahr 2002 die kleine Sportster XL 883R auf den Markt. Wenn Harley allerdings mit dem Namenszusatz „R“ wie „Racing“ wirbt, so wird es sich dabei nicht um ein extremes Rennsportmotorrad handeln. Die XL 883R soll den Geist eines Flat-Track-Racers in straßenzugelassenem Outfit versprühen.

Harley-Davidson XL 883 RRennen auf Ovalkursen haben in den USA eine lange Tradition. Sie reicht zurück bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, als der Motorradsport begann. Zuerst wurden die Flat-Track-Races noch auf künstlichen Bahnen mit Holzboden ausgetragen. Doch der Bau und die Unterhaltung der Bahnen erwiesen sich auf Dauer als zu kostspielig. So wurden zahlreiche Pferdebahnen von den Rennveranstaltern ab den zwanziger Jahren in Beschlag genommen. Links herum und immer schön im Drift ging es dann um das Oval. Die Motorräder hatten keine Bremsen. Die kamen erst in den frühen Siebzigern an das Hinterrad, als die XR 750 zwischen 70 und 90 PS auf die Bahn legte, und auf den Geraden eines Meilen-Ovals über 200 km/h fuhr.
Sich auf diese Tradition besinnend, schickt Harley-Davidson die kleine Sporty in das Rennen um eine junge und sportliche Zielgruppe, die eine ebenso selbstbewusst wie zeitlos klassisch gestaltete Maschine sucht. Die Tanklackierung wurde in Anlehnung an die XR 750 gewählt. Racing Orange heißt der Farbton, der kombiniert mit einem neu entworfenen Tanklogo den sportlichen Charakter unterstreichen soll.

 

Harley-Davidson XL 883 R>> Eye-Catcher
Der erste Augenblick auf die XL 883R macht Lust sie eingehender zu betrachten. Dem Kenner fällt sofort die zweite Bremsscheibe am Vorderrad auf. Bisher tat die nur an der XL 1200 Sport ihren Dienst. Dafür wurde aus der Zwei-in-Zwei-Auspuffanlage ein einziges Endrohr. Wie der flache und breite Dirt-Track-Lenker sind zahlreiche Fahrzeugbereiche in dezentem Schwarz gehalten, das mit der orangefarbenen Lackierung und den silbrig glänzenden Teilen kontrastiert. Der Motor ist schwarz pulverbeschichtet. Verchromte Stößelstangengehäuse, die verchromten Bullet- Blinker, das silberfarbene Timecover und die silberfarbenen Ventildeckel mit schwarzen Längsstreifen blitzen auffällig hervor. Auch der Luftfilterkasten fügt sich farbharmonisch in das Gesamtbild ein. Keine Frage, der optische Auftritt der XL 883R ist als gelungen zu bezeichnen.

>> Sit in
Die erste Sitzprobe lässt mich angenehm in das Polster der neu gestalteten Sportsitzbank gleiten. Ja, glei- ten! Es gibt gar keine andere Möglichkeit als in der Mulde zu sitzen, denn vorn und hinten ist das Polster hochgezogen. Zusammen mit der niedrigen Sitzhöhe von 711 Millimetern wirkt die kleine Sporty schon im Stand viel leichter als die 245 kg Leergewicht vermuten lassen. Da wird sich auch jeder Anfänger auf Anhieb wohl fühlen. Der breite Dirt-Track-Lenker liegt sehr gut in den Händen, das Rangieren wird zum Kinderspiel.
Harley-Davidson XL 883 RTrotz der strengen Geräuschvorschriften ist Harley-Davidson bemüht den charakteristischen V2-Sound weiterleben zu lassen. Die Sound-Designer von Porsche in Weissach verstehen etwas von ihrem Tonwerk. Sie arbeiten schon seit 1979 mit ihren Klangköpfen für die Amerikaner. Wunder kann man aber doch nicht erwarten, wenn der 2002er Evolution-Motor sein Leben beginnt. Die Zwei-in-Eins-Auspuffanlage versucht zwar mit tiefer Stimme zu singen, doch das geliebte Pöttern darf sie nur gedämpft von sich geben.
Dafür kann sie mit mehr Drehmoment als die Abgasanlage der Standard-XL 883 auftrumpfen. Bei 4000 U/min drückt das Triebwerk 68 Nm raus. In der Praxis ist der Unterschied zur normalen 883 kaum merkbar. Da müssten schon andere Tuningmaßnahmen ran, um aus der nominell 53 PS starken Maschine einen Racer zu machen. Die Frage ist, ob Harley mit der R überhaupt die Absicht hatte, einen giftigen Flitzer auf die Straße zu bringen. Dies kann ganz klar verneint werden. Die amerikanische Motorradmarke setzt mehr auf den Spirit, der ihre Bikes beseelt. Mythos ist alles, denn Mythos nährt die Seele. Eine Nahrung also, die beflügelt.

>> Let it drift
Und so ist auch der Fahreindruck mit der XL 883R immer gepaart mit dem Flair eines Ovalkurses. Es ist beflügelnd, dem V-Twin die Sporen zu geben. Nicht nur dank des Lenkers ist die Orangene schwungvoll in die Kurven zu werfen. Gerade das straffe und handliche Fahrwerk kann hier seine Qualitäten voll zur Geltung bringen. Der Kurvenhatz ist lange keine Grenze gesetzt. So lange, bis die Originalbereifung mit dem Profil Schluss macht, dann wird es ein bisschen slippy. Rechtsseitig kratzt dann aber auch der Endtopf über den Asphalt. Im normalen Fahralltag kommt diese Situation wohl selten vor. Wer seine XL 883R nun aber doch eher zügig bewegen möchte, wird Spaß an der vorderen Doppelscheibenbremse finden. Richtig Laune macht es den Motor hochzudrehen, mit Speed auf die nächste Kurve zuzufahren, die ganze Fuhre beherzt einzubremsen, zwei Gänge runterzuschalten, sich in die Schräglage fallen zu lassen und dann wieder Gas zu geben. Der Motor ist überraschend drehfreudig. Doch Vorsicht, ohne Drehzahlmesser als Kontrollinstrument dreht die Gashand schnell übers Ziel hinaus.
Die flotte Fahrweise hat bei 168 km/h ihr Geschwindigkeitslimit erreicht. Spätestens bis zu dieser Tachomarke weiß der Rider, dass der Flat-Track-Racer nicht für den Nürburgring mit seinen Hochgeschwindigkeitsgeraden geschaffen wurde. Der Winddruck sorgt bei schnellen Fahrten alsbald für verspannte Schultern. Das Fahrwerk jedenfalls verkraftet sowohl den Highspeed als auch das brachiale Zusammenbremsen des Motorrades ohne eine wackelige Schwäche zu zeigen. Einzig das knochig zu schaltende Getriebe nervt. Da das Testmotorrad aber gerade mal 160 Kilometer auf der Kupplung hatte, setzt sich diese im Laufe der Einfahrstrecke noch, so dass die geräuschvollen Gangwechsel leiser werden.
Auch die Sportsitzbank drückt nach einiger Zeit das Sitzfleisch etwas. Wegen der Mulde ist eine andere Position des Allerwertesten nicht möglich. Für eine mitfahrende Person reicht der Soziusplatz gerade mal für eine kurze Ausfahrt. Die Sitzfläche ist eher als Notbehelf zu sehen. Optisch jedoch passt sie sehr gut zum Gesamtbild des Bikes. Technisch ist die Sporty voll ausgereift. Die Mär vom vielen Schrauben an einer Harley gehört in andere Motorengenerationen der Marke.
Der Evolution-Motor wurde seinerzeit auch schon von Porsche mitentwickelt. Er ist sehr wartungsfreundlich, da das Ventilspiel über Hydrostößel gesteuert wird. Der Riemenantrieb versieht seinen Dienst auch ganz unspektakulär. Einmal richtig eingestellt, braucht man sich viele tausend Kilometer nicht drum zu kümmern. Auch sämtliche Bedienelemente, die wartungsfreie Batterie und viele andere Details runden den Eindruck ab, dass die Sportster XL 883R ein unkompliziertes Motorrad ist.

>> Fazit
Die XL 883R ist ein Motorrad, das sich dank seines handlichen Fahrwerks und der ausgewogenen Leistungsentfaltung des Motors hervorragend für Anfänger eignet. Aber auch alte Hasen werden mit der Harley auf ihre Spaßkosten kommen. Zu beachten ist, dass die Sportster XL 883R nur in geringer Stückzahl und exklusiv für die Saison 2002 zur Verfügung steht. Der Preis liegt bei 8000 Euro.