aus Kradblatt 4/22, von Gerhard Raudonat

Mit Sidecar One Beiwagen von Iwan-Bikes

Harley Davidson XL 1200 S Gespann

Begonnen hatte alles mit einer Kniearthrose und beginnender Standunsicherheit im Umgang mit meiner Solo Harley-Davidson Sportster. Mit fast 70 Jahren, getrieben von der Sorge, bald nicht mehr mit dem geliebten 45°-V2 unterwegs sein zu können, liebäugelte ich mehr und mehr mit einem Umbau zum Gespann. Es fällt ganz einfach nicht um, war mein Gedanke.

Harley Davidson XL 1200 S Gespann
Sidecar One: auch als Lastenboot mit Deckel

Neben der Recherche bei Gespannbauern schaute ich natürlich in Verkaufsanzeigen. Dabei entdeckte ich ein Harley-Davidson XL-Gespann im präferierten sportlichen BritStyle-Classic-Mix. Auch meine Solo XL darf nie als Cruiser erscheinen, zurückverlegte Rastenanlage und anständige Bremsen sind ein Muss.

 Es dauerte nicht lange bis zum Kauf, dem Anblick der Alu-Komponenten zusammen mit dem flachen „Sidecar One“-Boot konnte ich nicht widerstehen. Nicht einmal der Weg mit dem Trailer aus OWL bis an die Schweizer Grenze hinderte mich. Zu einem Metzgermeister, erwähnenswert wegen der Ballastidee: 25 kg Pökelsalz, die Schrauben im Boot waren entsprechend korrodiert.

Gebaut wurde das Gespann 2010 von Iwan-Bikes in Pfaffenhofen. Als Zugmaschine diente eine Harley-Davidson XL1200 S aus dem Baujahr 1996 mit inzwischen gut 20.000 km – angesichts des Zustands plausibel. Die Sporty war bereits modifiziert, von einem damals schon älteren, aber sportlich ambitionierten Herrn, der offensichtlich gern im „Genuine Motor Parts“-Katalog blätterte. Eine verräterische Prägung zeigt, dass von Buell adaptierte Zubehörköpfe  verbaut sind, vermutlich auch schärfere Nockenwellen. 

Lenkungsdämpfer bringt Ruhe
Lenkungsdämpfer bringt Ruhe

Wichtiger waren die übrigen Modifikationen: Eine dicke 43 mm Ceriani Gabel mit ebenso schönen Brücken, die es bei Zodiac nicht mehr gibt, nur Simmerringe konnte ich noch ergattern. Dazu Nissin-Bremszangen von der alten Suzuki GSX-R, Lenker und zurückverlegte Rasten von LSL, dann noch – statt Peanut – ein opulenter Alutank. Ein Sporty-Freund meint, er habe die Grazie eines Kuhfladens kurz nach dem Aufprall, ich dagegen finde ihn schön. Vor allem aber die legendäre Alu-Schwinge von JMC, deren britischer Hersteller im Netz nicht mehr auffindbar ist – dafür Forenbeiträge geschädigter Kunden. Kommentar: „Aber schweißen konnte er.“  Schließlich noch rundum Akront-Felgenringe im 18″- Format, hinten 4.25″ breit. 

Der Beiwagenrahmen ist ein Eigenbau von Iwan-Bikes, obwohl angesichts der Ural-Trommel anderes von mir vermutet wurde. Der Gespannbauer reagierte darauf etwas empört. Das Boot ist ein BEKA „Sidecar One“, als flaches Transportboot konzipiert, es sind aber auch Sitz und zweiter Deckel mit Scheibe vorhanden. Diskret Adipöse passen gerade noch hinein, andere nicht.

Harley kann auch sportlich
Harley kann auch sportlich

Das Fahren war für mich völlig neu und richtig abenteuerlich, weil man gewohnt ist, sich mit Schräglage gegen Fliehkräfte zu stemmen statt aufrecht mit Stützrad um Kurven zu gondeln. Ich bin immer noch mit gehörigem Respekt unterwegs. Die Lenkkräfte sind wegen gespannungünstigem Frontend und schmalem Lenker enorm. Ein Lenkungsdämpfer, verräterischerweise bereits eingetragen, wurde bald montiert, worauf das heftige Lenkerwackeln auf buckligem Belag Vergangenheit war. Der Geradeauslauf auf ebener Straße war vorher schon top, deshalb machen lange Strecken besonders viel Spaß. Am Gasgriff den „Tempomat für Arme“ aktivieren, gemütlich – gern mit einer Hand am Lenker – auf die Zugmaschine fläzen und mit 90–100 km/h entspannt dahinbollern, herrlich!

Harley Davidson XL 1200 S Gespann mit Sidecar One
Harley Davidson XL 1200 S Gespann mit Sidecar One

Ein eigenhändig gespeichtes und zentriertes Ersatzhinterrad hilft mir, gelassener mit Speichenbruch umzugehen, den nicht nur Seitenkräfte begünstigen, sondern auch Alufelgen und suboptimale Speichenkröpfung an H-D-Naben. 

Es war natürlich nicht die einzige Überraschung, ein Gebrauchtkrad ist immer eine Wundertüte – für mich aber eine positive Herausforderung. Ich mag das Gespann umso mehr, meine Frau, auch schon 67 Jahre alt, übrigens weniger, seitdem sie ein einziges Mal mitgefahren ist. Zu laut, zu hart, unter heftigem Zittern des Bootes fast auf der Straße sitzend und dabei ein infernalisches Bollern direkt am Ohr. 

Erstaunlich ist das Interesse ohne jeglichen Neidfaktor, das so ein Gespann erregt. Es fördert soziale Kontakte. Bei jeder Kaffeepause in der Stadt werde ich von wildfremden Leuten angesprochen, sowohl von jüngeren als auch älteren, die der Anblick an früher erinnert. Und das mit dem „Nicht-mehr-umfallen-können“ klappt auch ausgezeichnet.