aus bma 12/03

von Jens Rademaker

Harley-Davidson XL 1200 C Custom„Es begann vor 100 Jahren. Ein Motorrad. Eine Philosophie. Ein rollendes Zeugnis wahrer Werte.” so beginnt der Modellkatalog für das Jahr 2003 von Harley-Davidson. Um keine andere Motorradmarke ranken soviele Mythen. So soll das Fahren auf einem V-Twin eine eigene Form von Motorradfahren sein. Bevor ich tatsächlich in Besitz des Führerscheins kam, war der Traum natürlich irgendwann einmal so ein Kult-Eisen aus Milwaukee mein Eigen zu nennen, doch es hat sich im Laufe der Zeit ergeben, dass ich mich für eher sportliche Maschinen begeistert habe.
Doch wenn man für die Motorradpresse arbeitet, hat man die einzigartige Möglichkeit solche frühen Träume kurzzeitig doch noch auszuleben. Also, hin zum Harley Container in der Europaallee in Bremen und schnell eine Harley-Davidson für einen Fahrbericht sichern. Es sollte eine Sportster sein, und wenn schon denn schon die XL 1200 C Custom. Hey, für die Tour und die begleitende Fotosession hab ich mich sogar extra in Chopper-Schale geschmissen.
Das typische Blubbern eines V-Twin stellte sich jedoch nicht so richtig ein, naja es ist ja auch ein OHV V2 Evolution-Motor kombiniert mit einer Serien Dual Anlage und kein Panhead mit Supertrap. Der Rest der Sporty passt schon ins Bild einer Harley-Davidson. Als erstes fällt mir das für meine Bedürfnisse recht karge Cockpit auf. So hat man sich wie bei vielen Modellen für die notwendigsten Anzeigen entschieden: Tacho, Kilometer- und Tageskilometerzähler und kleine Birnen für die Kontroll- und Warnanzeigen. Ich hätte mir noch einen Drehzahlmesser und eine Tankanzeige gewünscht, aber was weiß ich schon. Dafür gibt es an der Sporty eine Feinheit, die mir an vielen anderen Maschinen fehlt: ein automatischer Blinker-Abschalter. Wenn nach dem Abbiegen beschleunigt wird schaltet sich der Blinker selbstständig aus. Vorraussetzung dafür ist allerdings dass sich das Motorrad in die Schräglage begeben muss.

 

Harley-Davidson XL 1200 C CustomDas Einlegen der Gänge wird von lautem Klacken begleitet, das mich bei jeder anderen Maschine wahrscheinlich auf die Palme gebracht hätte, doch bei der XL stört es kein bisschen. Genaugenommen würde etwas fehlen wenn man keine Schaltgeräusche hätte. Es macht schon enorm Spaß an der Ampel leise blubbernd zu stehen und dann „Klack”-Gang rein und losbrummen. Das Durchschalten aller fünf Gänge wird von diesem netten Geräusch begleitet.
Zwei Kleinigkeiten stießen mir allerdings auf. Als Käufer einer Legende erwarte ich auf jeden Fall einen abschließbaren Tankdeckel, so etwas sollte bei dem Preis der Harley schon drin sein. Zweitens kann man den Ölmessstab leicht mit einem Flaschenverschluss verwechseln, denn er ist nur ein Gummipfropfen mit Peilnase.
Schon das Äußere der XL vermittelt das Bedürfnis zum Cruisen, wie es ja neudeutsch heißt. Viele chromglänzende Teile blitzen an dem sonst mattschwarz beschichteten Motor und die Fußrasten sind nach Choppermanier schon ein gutes Stück weiter vorn angebracht. Als Kontaktfläche zur Fahrbahn dient vorn ein MH 90-21 auf einer 21” Drahtspeichenfelge und hinten ein 130/90 auf einer 16” Scheibenfelge. In den Kurven des Weserberglandes entfachte die Harley ein echtes Feuerwerk an Fahrspaß. Das Gewicht von 245 Kilogramm plus 12,5 Litern Benzin merkte man kaum, man hatte eher das Gefühl eine wesentlich leichtere Maschine zwischen den Beinen zu haben, so flink und agil ging sie durch die Kurven.
CockpitDie Sitzhöhe von 700 mm ist entspannend, obwohl es meist so aussieht, als ob der Fahrer wie ein gespannter Bogen auf dem Motorrad sitzt, was vermutlich an dem Verhältnis zwischen Sitzhöhe, Fußrasten und Dragbar-Lenker liegen mag. Schon nach den ersten Kilometern war ich überzeugt, dass man die Beine ausstrecken und die Hacken dann auf die Fußrasten legen müsste, was ich dann natürlich auch tat. Es ist zwar ziemlich unbequem für die Fersen, aber es sieht gleich eine ganze Ecke cooler aus und man fühlt sich auch so.
Beim Abbremsen sollte man auch die Hinterradbremse nutzen. Zwar greift vorne eine 292 mm große Scheibenbremse, allerdings braucht man beim schnellen Anhalten oder Verzögern die ebenfalls 292 mm messende Scheibenbremse am Hinterrad. Es zeigt sich dann doch noch das Gewicht der Maschine.
Der Motor entwickelt ein Drehmoment von 87 NM bei 3900 U/min, was zum Dahingleiten völlig ausreichend ist. Die Kraftübertragung erfolgt dabei durch eine Triplexkette als Primäantrieb und einen Zahnriemen als Sekundärantrieb. Wer mehr Druck haben will sollte dann doch eher die Sportvariante wählen. Beim Beschleunigen sieht man leider nicht mehr was hinter dem Motorrad passiert, da bei dem Geschüttel des V-Twins auch die Spiegel das Vibrieren anfangen. Die neuen Modelle für das Jahr 2004 sind jedoch mit einem neuen, gummigelagerten Motor ausgestattet, was die Schwingungen deutlich abbauen soll. Mal ehrlich, wer will schon bei einer Harley-Davidson auf dezentes Geschüttel verzichten. Für diejenigen denen das verschwimmende Hinterland auf die Nerven geht, hier ein Tipp: der Teilehandel kann bestimmt Abhilfe schaffen, schließlich sieht man kaum eine Harley-Davidson mit den Originalspiegeln am Lenker.
Ölstand-KontrolleDie Mär von dem ewig schraubenden Harley-Fahrer hält sich offensichtlich immer noch in der Motorradgemeinde, doch diese Zeiten sind längst vorbei. Die Technik bei Harley-Davidson ist auf dem neuesten Stand und der Fahrer einer Sporster 1200 wird nicht alle 50 Kilometer seine Werkzeugtasche hervorholen, um Schrauben nachzuziehen oder den kompletten Motor zu zerlegen. Das trifft natürlich auch auf die anderen Modelle zu. Auf unserer Tour mussten wir tatsächlich doch einen Schrauberstopp einlegen, allerdings ist nicht, wie man erwarten könnte, die Harley liegengeblieben, sondern das begleitende Trike von Marcus.
Wer also Harley fahren will, für den ist die XL 1200 Custom eine doch erschwingliche Möglichkeit am Mythos teilzunehmen. Die hier getestete Variante in der Farbe Luxury Rich Red Pearl kostet den Interessierten 10.555 Euro. Alternative Farben wären Luxury Blue Pearl oder White Pearl, zumindest zu dem Preis. Die Varianten in Vivid Black, Gunmetall Pearl oder Sterling Silver & Vivid Black Two Tone kosten ein wenig mehr. Der Kaufpreis beinhaltet auch 1 Jahr Mitgliedschaft in der H.O.G. (Harley Owner Group) und das H.O.G. „Welcome-Package”, bestehend aus H.-D.-Rucksack, 100th Anniversary Pin, H.-D.-Kugelschreiber, Kataloge und das H.O.G.-Magazin.
Die Modelle zum hundertsten Geburtstag von Harley-Davidson glänzen zudem noch an einigen Stellen mit dem 100th Anniversary-Emblem.
Fazit: Die Sportster 1200 Custom ist im Großen und Ganzen ein ausgewogener Cruiser für den normalen Geldbeutel. Nach kleinen Schönheitsoperationen wie kleine Blinker, andere Spiegel, lauterer Auspuff, und Sissybar… nee, ist ein Scherz, wäre es auch für mich eine Überlegung wert, ob so ein Gefährt als Zweitmaschine in meine Garage passen könnte. Es soll ja tatsächlich Tage geben, an denen man nicht rasen sondern reisen will, und wer wollte, wenn er mal ganz ehrlich ist, nicht doch mal eine Harley-Davidson haben.