aus bma 06/96

von Klaus Herder

Über was unterhielten sich Harley-Fahrer beim gemütlichen Biker-Plausch? Vermutlich über ihr Golf-Handicap oder über die cleversten Kapitalanlagen. Seit diesem Jahr gibt es vielleicht noch ein anderes Thema: Fahrwerksabstimmung.
Harley-Davidson 1200 Sport Wie bitte – amerikanische Eisenhaufen und Gespräche vom Schlage „Vier Klicks offen…”? Jawoll, denn mit der Sportster 1200 Sport gibt’s endlich ein Gerät, daß den Spieltrieb engagierter Amateur-Tuner befriedigen kann. Die 39 mm Telegabel (Showa/Japan) und die beiden Rucksack-Federbeine lassen sich nicht nur in der Federvorspannung, sondern auch in der Zug- und Druckstufendämpfung einstellen. Und da man gerade so schön dabei war, das Fahrwerk auf Vordermann zu bringen, spendierten die Techniker und Kaufleute dem verkappten Sportler gleich noch eine Doppelscheibenbremse mit schwimmend gelagerten Bremsscheiben. Womit wir bereits bei der erfreulichsten Harley-Neuigkeit für 1996 wären: Die Sportster 1200 Sport bremst! Und wie sie das tut. Gut dosierbar, mit akzeptabler Handkraft, aber vor allem äußerst wirkungsvoll. Eigentlich hatten wir die Hoffnung schon aufgegeben, aber mit dieser Serienbremse gehört alles Genöle über untaugliche Harley-Stopper der Vergangenheit an.

 

Harley-Davidson 1200 Sport Neuigkeiten also, wohin man blickt. Doch bevor die Puristen sich Sorgen machen, daß in Milwaukee womöglich langweilige und leistungsstarke Motoren verbaut werden, werfen wir einen Blick auf den Motor und stellen fest, daß sich nichts grundlegendes getan hat. Der 1200er V-Twin wird immer noch von einem Vergaser (Keihin/Japan) befeuert, es kümmern sich immer noch vier untenliegende Nockenwellen über ellenlange Stoßstangen und Kipphebel um die je zwei Ventile pro Zylinder, und die Nennleistung liegt mit 58 PS immer noch auf dem Niveau einer handelsüblichen 500er. Die Anlaß-Prozedur ist ebenfalls hinlänglich bekannt: Zündschloß am Lenkkopf oben rechts betätigen, Choke neben der Hupe unten links ziehen, Druck aufs Knöpfchen und bereits beim zweiten Versuch springt der Motor polternd an.
Sofortiges Losfahren verbietet sich, denn das Urgestein möchte noch gerne einen Moment vor sich hingrummeln, bevor es Anstalten macht, auf Bewegungen des wurstdicken Handgriffes mit etwas anderem als Arbeitsverweigerung zu reagieren. Die Sportster benötigt eine gepflegte Warmlaufphase.
Zeit genug, um sich häuslich einzurichten. Die gute Nachricht zuerst: Der Lenker liegt goldrichtig und ist perfekt gekröpft. Die schlechte Nachricht: Die Fußrasten sind immer noch zu weit vorne montiert und was an dem zu stark gestuften „Sport-Sitz” (Harley-Pressemappe) sportlich sein soll, bleibt ein ewiges Rätsel. Bevor es losgeht, darf der Fahrer entscheiden, ob er er lieber die Tages- oder die Gesamtkilometer angezeigt bekommen möchte. Beides geht nicht, denn der Digital-Kilometerzähler kann nur eins zur Zeit. Klarer Fall von Fortschritt in die falsche Richtung.
Harley-Davidson 1200 Sport Die Kontrolleuchten stören nicht weiter, da sie eh kaum zu erkennen sind. Das macht aber auch nichts, denn die Blinkerrückstellung funtioniert automatisch. Meist allerdings deutlich zu früh, nämlich noch vor dem eigentlichen Abbiegen.
Wer den Leerlauf im Ausrollen sucht, wird fast immer auf Anhieb fündig. Wer es im Stand versucht, hat fast immer verwachst. Das Getriebe benimmt sich ansonsten aber mustergültig. Und das ist neben der Bremsen-Überraschung die zweite fast schon revolutionäre Neuigkeit. Jawoll, die fünf Gänge lassen sich exakt und geräuscharm schalten. Die Kupplung verlangt zwar immer noch nach einem etwas beherzteren Zugriff, aber über was unterhalten wir uns hier – über eine Schlitzi-Feile oder über ein Stück amerikanischen Maschinenbaus? Na also.
Das Bremsen macht Spaß, das Schalten macht Spaß – wie sieht’s mit dem Gasgeben aus? Nun ja – 235 Kilogramm Kampfgewicht sind für Harley-Verhältnisse ziemlich leicht, aber 58 PS bleiben nun mal 58 PS, auch wenn sie aus den Staaten kommen. Um es auf den Punkt zu bringen: Spätestens in Anbetracht der Leistungsentfaltung wirkt das Doppel-Sport in der Typenbezeichnung doch etwas peinlich. Für den Sprint von 0 auf 100 braucht die 1200er knapp sieben Sekunden, in der Spitze sind’s dann rund 165 km/h. Gutgehende 34-PS-Maschinen sind nicht unbedingt wesentlich langsamer.
Harley-Davidson 1200 Sport Doch darum geht’s gar nicht, auch eine Turnschuh-Harley ist zuerst einmal fürs Genießen gedacht. Und das spielt sich im Fall der Sportster im Bereich von 80 bis 120 km/h und damit auf Landstraßen ab. Die 120 km/h sind Vmax für alles, was länger als zwei Minuten dauern soll, das höchste der Gefühle, denn dieses Tempo entspricht rund 3.500 U/min. Was sich drehzahlmäßig oberhalb dieses Wertes abspielt grenzt an Körperverletzung. Die Vibrationen in den Handgriffen sind auch von ganz harten Burschen nur kurzzeitig auszuhalten. Bleiben wir also auf der Landstraße. Was dort gebraucht wird, ist kräftiger Durchzug. Davon hat die Sportster eine ordentliche Portion zu bieten. Irgendeinen Vorteil müssen die 1200 ccm ja schließlich auch haben. Wer die bisherigen Serien-Harleys gewöhnt war, muß gewaltig umdenken, denn plötzlich machen Kurven Spaß. Sogar die schnellen, denn Spätbremsen und tiefes Abwinkeln sind mit der Sportster 1200 Sport kein Problem mehr. Auch wer etwas flotter zur Sache geht, wird mit der Harley keine ernsthaften Probleme haben. Das Fahrverhalten ist zwar nicht gerade tänzerisch leicht, bleibt aber stets gut berechenbar und weitgehend neutral. Wie von Harley gewohnt, gibt’s beim „Drumherum” im Alltagsbetrieb nur Extreme. Entweder absolut gelungene Detaillösungen oder richtig ärgerliche Kleinscheiße. Fangen wir also mit den erfreulichen Dingen an: Das Ventilspiel braucht dank Hydrostäßeln nie korrigiert werden, der Zahnriemen zum Hinterrad ist wartungsarm, der Seitenständer ziemlich ausladend und standfest und das Licht sehr gut.
Die ärgerlichen Dinge: Daß an einem 18.975 Mark teuren Motorrad immer noch ein fummeliges Neimann-Lenkschloß verbaut wird und sich der Tankverschluß nicht abschließen läßt, ist eine Frechheit. Der Choke-Hebel ist wahrscheinlich das billigste Plastikteil, das aufzutreiben war, und daß die Soziusrasten direkt an der Schwinge verschraubt sind, ist schwer zu verstehen. Daß es immer noch das teure Superbenzin im 12,5 Liter-Tank sein muß, ist genauso unverständlich. Tröstlich nur, daß sich der Verbrauch mit fünf bis sechs Litern halbwegs in Grenzen hält. Die Verarbeitung ist durchschnittlich bis gut, nach einigen Wochen Winterbetrieb hatte der Gilb aber bereits an einigen Schrauben und auf den Felgen zugeschlagen.
Bleibt nur noch die Frage nach der Fahrwerksabstimmung. Die kann mit einem klaren „völlig egal” beantwortet werden, denn unabhängig davon, wie stark man an den Federelementen herumspielt, bleibt die Sportster 1200 Sport unverändert straff, verwöhnte Chopper-Schlaffis würden es „unkomfortabel” nennen, wir nennen es „sportlich”.
Die „Sportster 1200 Sport” ist natürlich kein Sportler, aber sie ist die sportlichste Serien-Harley die es je gab. Was bedeutet, daß sich mit ihr auch Leute anfreunden können, die mit Golf-Handicaps und Kapitalanlage gar nichts am Hut haben.