aus bma 04/06
Text: Pabi
Fotos: Franz I. / Pabi
Harley Davidson FLSTSCI Softail Springer Classic. Ein Name, den man sich auf der Zunge erst zurechtlegen muss, bevor man ihn sich dort, am besten bei gleichzeitigem Anblick des bezeichneten Gerätes, zergehen lassen kann. Und wenn man es von vorn bis hinten betrachtet, hat man viel Zeit dazu, denn dieses Motorrad ist richtig schön lang. Lang und flach!
Retro-Look in Reinkultur verspricht Harley. Und tatsächlich. Als ich den Apparat in Mörfelden abholen will, laufe ich in der Auslieferungshalle erst mal daran vorbei, weil die Front mit der schwarzen Springergabel so echt alt aussieht, dass ich keinesfalls ein Motorrad der aktuellen H-D Modellpalette dahinter vermuten würde.
Ja, ein echt schickes Bike. Völlig simpel in der Handhabung. Einfach den Drehschalter auf dem Dashboard einen Klick nach rechts drehen und dann auf den Startknopf drücken. Schon bollert der Twin Cam 88B los. Naja, „bollert“ ist vielleicht ein wenig übertrieben. „Erbärmlich leise“ nennt ein Harley-Treiber der alten Garde diese Geräuschemission. Und da hat er Recht. Doch daran soll`s nicht scheitern. Schließlich gibt`s genug Auspuffanlagen bei diversen Customizern und nicht zuletzt bei Harley selbst, die der Softail Springer Classic zu wesentlich mehr Gehör verhelfen können. Dafür passt die Optik bestens. Nachdem ich mit der mächtigen Schaltwippe den ersten Gang reingedroschen habe und gemütlich vom Hof gesäuselt bin, verursache ich beinahe schon den ersten Auffahrunfall. Drei redliche Handwerker in ihrer VW-Doka-Pritsche starren so gebannt auf das gute Stück, dass erst ein Hinweis von mir sie davor bewahrt, ihren Feierabend im Kofferraum der vor ihnen bremsenden S-Klasse zu beginnen. Mit rauchenden Rädern kommen sie rechtzeitig zum Stehen und grüßen noch mal freundlich, als ich, diesmal hinten auf die Wippe tretend, einen Gang hochschalte, die Drosselklappe nachdrücklich öffne und unter den landenden Jumbos gen Frankfurt davon huste.
Die trocken 335 Kilogramm schwere Fuhre nimmt dabei ordentlich Fahrt auf und gibt sich überraschend drehfreudig. Erst, als das Schäppern der Stößelstangen sich deutlich in den Vordergrund drängt, trete ich erneut in aller Ruhe auf die Wippe und wieder schiebt’s mich ordentlich voran. Bis 160 km/h kann man das Spiel treiben. Dann hat der Twin Cam zwar immer noch Luft, aber der Winddruck auf den Oberkörper wird allmählich zu stark. Schließlich sitzt der Pilot aufrecht, leicht rücklings gebeugt, im bequemen Sattel und klammert sich verzweifelt an die beiden ordentlich dicken Griffe des Beach-Style-Lenkers. Das hält man nicht lange durch. Muss ja auch nicht. Die Bestimmung der Softail Springer Classic ist nämlich das entspannte dahingleiten auf möglichst geraden, vielleicht etwas geschwungenen, aber keinesfalls kurvenreichen Straßen.
Denn das mit den Kurven, kann schnell nach hinten losgehen. Hier muss dem Retro-Look Tribut gezollt werden. Die Trittbretter sind zwar sehr bequem und tragen zur gelungenen Optik in Sachen „breit und tief“ nicht unwesentlich bei, doch sie machen sich schnell, sehr schnell durch lautes Kreischen auf dem Asphalt bemerkbar. Schon in der ersten Autobahnauffahrt geht’s damit los. Solange die Bretter dabei einklappen – und ja, das können sie – ist das alles kein Problem. Doch schon etwas später auf einem schönen kurvigen Straßenabschnitt durch den Spessart, lerne ich die Grenzen kennen. Nicht wirklich schnell, aber doch zügig folge ich dem Asphaltband durch den Wald, kratze mich mal links mal rechts entspannt durch die Kurven. Hebe mal den linken, mal den rechten Fuß, damit die Fußklappe klappen kann. Doch dann zieht die eine Kurve leicht zu. Ich lege den Trumm noch etwas weiter um und – hoppla – die Trittbretthalterung bestimmt ab jetzt den Kurvenradius.
Ich lande im Endeffekt auf der Gegenfahrbahn. Zum Glück, ganz ohne Gegenverkehr. Ab jetzt heißt es: Langsam, sehr langsam in die Kurve einbiegen, wenn ihr Ausgang nicht zu sehen ist.
Abgesehen von der Kurvenperformance ist das Fahrwerk mit Starrahmenoptik, unter dem Motor gelegenen Dämpfern und der Springer Gabel allerdings über jeden Zweifel erhaben. Die „geschobene Schwinge“ in der altehrwürdigen Form der Springer Gabel an der Front bügelt alle Unebenheiten auf beeindruckende Weise glatt. Eine Arbeit, die der Pilot übrigens bestens im Blick hat, denn die Feder und Dämpferanordnung liegt oben direkt vor der schönen kleinen Chromlampe. Um den Popo-Komfort von Fahrer und Sozia kümmert sich der Weichschwanz-, oder besser Softail-Rahmen erfolgreich. Manchmal sind Anglizismen eben doch durch nichts zu ersetzen.
Solange man die 1449 ccm nicht allzu sehr fordert, geht die „Dicke“ ziemlich sparsam mit dem Sprit um. Der Verbrauch liegt deutlich unter 7 Litern auf 100 Kilometern. Was bedeutet, dass die Reservelampe erst bei über 200 Kilometern aufleuchtet. Und dann ist immer noch reichlich von dem kostbaren Saft im Spritfass, um gemächlich nach der nächsten Tanke Ausschau zu halten. Überhaupt wird es dem, wenn auch nur vorrübergehenden, Harley-Treiber nie langweilig. Eigentlich ist es egal, in welchem der vier Gänge man gerade umher schippert. Der starr mit dem Rahmen verschraubte Hubraumriese hängt immer gut am Gas. Hauptsache, das Gefährt ist irgendwie in Bewegung. Viertelgas reicht immer, um zügig von der Stelle zu kommen und die Blinkerschalteranordnung ist genauso komisch, wie bei den BMWs. Man schaut sich halt die Landschaft an, während man umhergondelt und beschäftigt sich konzentriert mit der Blinkerbetätigung. Mal geht er von alleine aus, mal muss man ihn mit dem gleichen Knopf, mit dem man ihn anschaltete, wieder ausschalten. Und so weiter und so fort. Autofahrer, Passanten und vor allem ältere Männer verdrehen sich die Hälse nach dem Teil, bilden Rudel, wenn das Motorrad irgendwo länger als drei Minuten steht und junge Mädchen strecken den erhobenen Daumen am Straßenrand entgegen, um mitgenommen zu werden. „Ein tolles Motorrad!“, denke ich noch beim Abbiegen zum Autobahnzubringer. Doch plötzlich sitze ich auf der Straße daneben und gucke dumm aus der Wäsche. Was ist hier los, was ist passiert?
Ich bog bei leichtem Nieselregen und feuchter Straße mit ungefähr 20 km/h rechts ab. Innen hatte der Straßenbelag einen kleinen Buckel, auf dem das Dickschiff auf Grund lief, während der Hinterreifen unter Gas ausgehoben wurde und so den Mörderdrift einleitete, den ich dankbar annahm. Doch diese Rechnung hatte ich wiederum ohne die Trittbretthalterung gemacht. Erneut setzte sie auf – und mich ab. Naja, nix passiert, denn richtig umfallen kann die Harley ja nicht. Also wieder aufgestanden, abgeklopft und aufgesessen. Die Volvofahrerin hinter mir, die vorher noch so nett grüßte, konstatiert wahrheitsgemäß: „Alles klar? Sieht so aus! Dann fahr ich weiter!“. Jau, ich auch. Rodeo gehört eben irgendwie zu Milwaukee.
Die Softail Springer Classic FLSTSCI gibt’s im Jahrgang 2006 in folgenden Farben: Vivid Black, Black Pearl, Black Cherry Pearl und Rich Sunglo Blue. Außerdem sind die Two-Tone-Versionen Chopper Blue Pearl & Brilliant Silver Pearl, sowie, wie in unserem Fall Fire Red Pearl & Vivid Black erhältlich. Preis: ab 19.140 Euro für die Uni-Lack Version und 19.835 im schicken Zweifarbkleid.
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