aus bma 10/04
von Jens Rademaker
Ein schwarz pulverbeschichteter Motor mit Chromdeckeln, eine wuchtige Gabel mit breitem Lenker, ein großer Chromscheinwerfer auf verchromter Gabelverkleidung, massige Scheibenräder und der mächtige V-Twin 88B, das ist das Bild was sich einem bietet, wenn man vor einem der Flaggschiffe des Harley-Davidson-Imperiums steht. Der Anblick an sich kündet von Kraft und Dynamik um die Freiheit der Straßen zu genießen.
Ein Anruf beim Harley Container in Bremen und schon war die Fat Boy für eine viertägige Fahrberichts-Tour reserviert.
Also Halbschale auf, Zündschlüssel in das Schloß und Entriegeln, dann Schlüssel wieder abziehen (sieht eben einfach nicht gut aus, mit dem steckenden Zündschlüssel mitten auf den Chromarmaturen durch die Gegend zu cruisen), und in voller Erwartung auf den Starter drücken. Leider bleibt das kernige Blubbern, das den Harley-Twin kennzeichnen sollte, total aus. Den Shorty Duals entweicht die Luft mit leisem Säuseln. Meiner Meinung nach sollte allein die Geräuschkulisse jeden hören lassen, daß hier ein Motor aus Milwaukee angelaufen ist. Auch das Schütteln des Motors bleibt aus, denn Harley-Davidson hat hier mit den Ausgleichswellen ein vibrationsarmes Triebwerk geschaffen.
Doch nun soll die Fahrt beginnen, denn das Weserbergland ruft schon laut nach uns. Durch die Ausgleichswellen kann man jetzt endlich auch bei Geschwindigkeiten über 80 km/h in den Spiegeln erkennen, was sich hinter dem Fahrer tut, eine positive Überraschung. Die Füße des Fahrers finden auf den großen Trittbrettern mehr als ausreichend Platz und die Schaltwippe erleichtert das entspannte Schalten.
Wer eine Harley-Davidson Fat Boy bewegt, der sollte sich im Klaren sein, daß er ein Motorrad mit einem Lebendgewicht von 320 kg durch die Landschaft schaukelt. Die Bremsen liefern im Notfall genügend Griff um die Fuhre zum Stehen zu bekommen, allerdings sollte man nicht, wie ich (sonst japanische Sportmaschinen), mit zuviel Druck in die Vorderradbremse greifen, denn dann blockiert das Vorderrad und das ist eine ziemlich wackelige Angelegenheit.
In den ersten schärferen Kurven bekommt man den dezenten Hinweis, durch lautes Kratzen, daß diese Maschine über tiefliegende Trittbretter verfügt. Wenn man sich allerdings erstmal an die Kurventechnik- und Geschwindigkeit gewöhnt hat, macht das sogenannte Cruisen erst richtig Spaß. Als ungemein bequem erweist sich der Sattel, man fühlt sich fast wie daheim auf dem Ledersofa. Auch lange Ausritte machen dem Allerwertesten keine Probleme. Ehrlich gesagt hab ich auf noch keiner Maschine so gut gesessen. Die Sitzhöhe von 645 mm in Verbindung mit den nicht zu weit vorne angebrachten Trittbrettern tragen ihren Teil dazu bei.
Nun zur Technik: Die Blinkerbedienung kenne ich ja schon von der Sportster, am linken Lenkerende drücken für das Linksabbiegen, für rechts entsprechend das andere Lenkerende aufsuchen. Das Abschalten des Blinkers erübrigt sich in den meisten Fällen, da auch die Fat Boy über das Blinker-Rückstell-Systems verfügt, was nach der Schräglage des Motorrades dafür sorgt, daß sich der Blinker abschaltet. Der elektronische Tacho mit Kilometer- und Tageskilometerzähler liegt wunderbar auf der Tankmitte und ist natürlich, wie es sich gehört, in Chrom eingefaßt. Beim Tanken sollte man aufpassen nicht den falschen Deckel abzuschrauben, denn der linke „Tankdeckel” ist gar kein solcher, er beherbergt die Tankanzeige. Unter dem Tacho befindet sich das Zündschloß, mit ihm verbunden sind die Diebstahl-Warnanlage und die Wegfahrsperre. Zu den Deckeln kann ich nur wiederholen, was ich bereits im Dezember 2003 zur Sportster geschrieben hatte: Als Käufer einer Legende erwarte ich auf jeden Fall einen abschließbaren Tankdeckel, so etwas sollte bei dem Preis (besonders) dieser Harley schon drin sein. Außerdem kann man den Ölmeßstab leicht mit einem Flaschenverschluß verwechseln, denn er ist nur ein Gummipfropfen mit Peilnase.
Der 1449 ccm große Twin Cam 88B mit Einspritzanlage leistet 47 kW, was zum sinnigen Dahingleiten ganz und gar ausreicht, nur bei Überholmanövern wünscht man sich schon etwas mehr Power (Ja ich weiß: typisch Jogurtbecher-Fahrer). Wie schon in früheren Zeiten wird auch bei der Fat Boy die Kraft mittels eines Zahnriemens an das Hinterrad übertragen (warum Gutes verändern?). Jeder Schaltvorgang wird durch lautes Einrasten der Gänge bekannt gegeben, so wie es sich für eine anständige Harley-Davidson geziemt, und das Hochschalten mit dem Hacken auf der Schaltwippe macht schon irre Spaß.
Auf den kurvigen Straßen im Weserbergland entfacht die Fat Boy ein wahres Feuerwerk an Fahrspaß. Gas geben, Schalten, rein in die Kurve, KRATZ, langsamer werden, richtigen Winkel finden und genußvoll durchgleiten. Trotz des nicht zu verachtenden Gewichts, läßt sich die Harley leicht handhaben und folgt jeder Anweisung des Fahrers ohne zu „zicken“ und Lastwechsel sind kaum spürbar. Die 150er Reifen sorgen für ruhiges Fahrverhalten und selbst auf nasser Fahrbahn hat die Fat Boy immer genug Grip.
Optik, was will man mehr. Der ultimative Blickfang sind wohl beim ersten Ansehen die 16 Zoll Scheiben- felgen vorn, wie auch hinten. Der zweite Blick offenbart, wie viel Chrom an diesem Motorrad zur Veredelung dienen durfte: Gabelverkleidung, Lampe, Zylinder, Motordeckel, Pipes, Reling, Schalt- und Bremshebel…usw. Der bullige Tank und die wuchtige Gabel sorgen dafür, daß man die Fat Boy sofort erkennt, wenn sie auf einen zufährt. Aufgrund dieser fantastischen Details ist es auch kein Wunder, daß die Fat Boy zu einem der bestverkauften Motorrädern der Harley-Davidson-Flotte wurde.
Fat Boy fahren hat allerding auch seinen Preis, denn für dieses Erlebnis-Motorrad muß man mindestens 20.010 Euro auf den Ladentisch legen. Eine Metallic- oder gar Two Tone-Lackierung treibt den Preis dann noch in die Höhe.
Fazit: Wer das nötige Kleingeld hat, bekommt einen Cruiser den man sofort erkennt, auch wenn man kein Harley-Fan ist. Der Fahrspaß ist beeindruckend und nach ein paar Modifikationen sollte auch der eher „maue“ Klang und die aufsetzenden Trittbretter der Vergangenheit angehören. Die Harley-Davidson Fat Boy ist eines der wenigen Motorräder, die das Gefühl von Freiheit wirklich vermitteln können. Ich habe die Tour mit der Harley-Davidson sehr genossen und habe auch schon das nächste Modell für einen Fahrbericht ins Auge gefaßt: Electra Glide Classic. Ride free.
Technische Daten:
Länge 2,396 m; Lenkopfwinkel 32º; Radstand 1,63 m; Tankinhalt 18,9 Ltr.; Sitzhöhe 645 mm;
Motor Twin Cam 88B mit Ausgleichswellen; Hubraum 1449 ccm; Leistung 47 kW; Drehmoment 101 Nm bei 3800 U/Min; elektronische Kraftstoffeinspritzung; Verdichtung 8,8:1; U-Kat; Höchstgeschwindigkeit 180 km/h; Standgeräusch 90 dB; Fahrgeräusch 80 dB
Preise
Einfarb-Lack 20.010 Euro
Metallic-Lack 20.240 Euro
Two Tone-Lack 20.705 Euro
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