aus bma 7/12
von Jörg „Jogi“ van Senden
Wer nur nach Daten und Fakten urteilt, hat den „Spirit” einer Harley offensichtlich nicht verstanden. Ich befürchte, dass bereits nach diesem ersten Satz einige Leser die Augen verdrehen, denn man sollte eigentlich auch bei einer Harley nach den gleichen Kriterien vorgehen, die man bei anderen Maschinen als Maßstab für eine Beurteilung anlegt. Aber wie kann man also einen halbwegs objektiven Bericht über ein Motorrad abliefern, das speziell dafür gebaut wurde Emotionen zu wecken? Unmöglich, oder!?
Schon die Unternehmensphilosophie der Marke zielt darauf ab, den emotionalen Bereich des Kunden zu erreichen. Ca. 10.000 Menschen arbeiten bei Harley-Davidson in Milwaukee (Wisconsin/USA) jeden Tag daran, den Mythos der Marke zu pflegen und die Kundenwünsche zu erfüllen. Harley verkauft ein Stück Lifestyle. Das Motorrad gibt es gratis dazu. In unserem Fall kostete das Lebensgefühl 15.745 Euro zuzüglich 378 Euro Überführungskosten. Gratis dazu bekommt man eine Dyna Fat Bob. Mit noch einmal knapp 3000 Euro für das erweiterte Lebensgefühl bekommt der fette Bob noch etwas Ausstattung spendiert. Hier sind es ein Satz abschließbare Koffer, einige Chromblenden, ein LED-Rücklicht, ein Bug-Spoiler und ein abschließbarer Tankdeckel, den es für rund 16.000 Euro serienmäßig nicht gibt.
Kaum eine Harley bleibt so nackt, wie sie als Basismodell einst verkauft wurde. Das gesamte Konzept der Marke basiert darauf, dem Kunden relativ einfach ein individuell zugeschnittenes Motorrad aus dem Baukasten zu ermöglichen, vorausgesetzt das Portemonnaie ist gut gefüllt. Der Zubehör- und Teilekatalog hat die Dicke eines Telefonbuches und bietet spezielle Teile für die jeweilige Baureihe, sowie ein „Multifit-Programm”, dessen Teile an alle Maschinen der Marke passen. Der Schwerpunkt liegt dabei im individuellen Umbau.
Wer sich so viel Mühe mit der Herstellung von exakt passendem Zubehör in Erstausrüster-Qualität macht, der kann natürlich nicht im japanischen Modellwechselzyklus arbeiten. Das machen sich auch die Fremdanbieter zu nutze und bieten reichlich leicht zu verschraubendes Zubehör an. Der TÜV hat seine helle Freude daran. Für die Überprüfung einer Harley nimmt sich der Graukittel vom TÜV gerne etwas mehr Zeit und schaut genauer hin.
Rein äußerlich sehen auch die aktuellen Harleys wie Motorräder vergangener Tage aus, verbergen aber geschickt viel zeitgemäße Technik. Kurzlebige modische Erscheinungen werden von der Marke selbstbewusst ignoriert.
Der fette Bob wirkt auf den ersten Blick massig, niedrig, kraftvoll und gestreckt. Der Doppelscheinwerfer und diverse Anbauteile im mattschwarzen „Dark Custom Style” geben der Maschine alles mit, was für ein Bad Boy und Macho-Bike-Image benötigt wird. Die massiven, geschlitzten Scheibenräder mit jeweils 16 Zoll Durchmesser tragen ihren Teil dazu bei. Der 180er Hinterreifen und der 130er Vorderreifen unterstreichen die fette Erscheinung und lassen unverkennbar einen Erben der Bopper-Familie durchblicken. Die lässige Sitzhaltung im Cruising-Style mit vorverlegten Fußrasten und Dragbar-Lenker, der übrigens aus Edelstahl gefertigt ist und eine Kabel-Innenverlegung für eine saubere Optik aufweist, garantieren einen coolen Auftritt vor jedem Café.
Das Herz der Fat Bob ist der Twin Cam 96 V2-Motor, der in der gesamten Dyna und Touring-Baureihe seit 2007 bei Harley-Davidson verbaut wird. Der Motor ist eine Weiterentwicklung des Twin Cam 88 und erfüllte als erster Big Twin die Anforderungen der Euro 3 Norm. Um die Norm zu erfüllen, wird eine drehzahlabhängige und variable Ansaug- und Auspuffsteuerung verbaut. Die Tommy-Gun Auspuffanlage beinhaltet einen geregelten Katalysator mit Lambdasonde und klingt so wie ein Auspuff klingen soll, nur leider etwas zu leise, weil es die Lärm-Emissionsvorschriften der Paragraphenreiter heute so fordern. Das Design ist eine Reminiszenz an die erste Fat Bob aus dem Jahre 1979.
Durch ihre geschlitzte Ummantelung behält sie dauerhaft ihre schöne, chromglänzende Oberfläche und läuft nicht durch die Hitze der Abgase bläulich oder gar hässlich bräunlich an. Die Einspritzung des Kraftstoffes wird von einem elektronischen Motormanagement gesteuert, das auch die Zündzeitpunkte festlegt (ESPFI). Ein Klopfsensor hilft das Klingeln des Motors bei einer zu niedriger Oktanzahl des Kraftstoffes zu vermeiden. Die Erweiterung des Hubraumes auf 1584 ccm, neue und standfestere Nockenwellen, geänderte Antriebsketten und Rollenlager sind die gravierendsten Weiterentwicklungen des nun auf 78 PS erstarkten Motors, der ganze 127 Nm zu stemmen vermag. Der Twin Cam 96 arbeitet ohne Ausgleichswellen. Das beschert Good Vibrations in ihrer ursprünglichsten Form, macht aber eine schwingungsentkoppelte Rahmenmontage in Silent-Blöcken notwendig, sonst wäre es wohl doch etwas zu viel des Guten. Der Twin Cam 96 ist luft/ölgekühlt und mit mächtigen Kühlrippen ausgestattet. Der Zündversatz beträgt 315, bzw. 405 Grad. Lautmalerisch entsteht dadurch das „Potatoe-Potatoe“-Laufgeräusch des Big Twin. Im unteren Drehzahlbereich glaubt man jeden Kolbenschlag einzeln zu spüren und fühlt förmlich die Rotation der Kurbelwelle. Wer diesem Motorsound nichts abgewinnen kann, muss entweder schon tot oder Japaner sein. Es liegt sofort ein hohes Drehmoment an, so dass auf höhere Drehzahlen getrost verzichtet werden kann, auch wenn 5200 U/min möglich wären. Ein Drehzahlmesser ist deshalb auch überflüssig; was nicht heißt, dass es ihn im Zubehörkatalog nicht geben würde.
Bedingt durch die zur Erfüllung der Euro 3 Abgasnormen zwangsweise notwendige Gemischabmagerung, kommt es leider auch bei der Fat Bob ab und zu zum inzwischen gut bekannten Problem des Teillast-Ruckelns bei konstantem Tempo, besonders spürbar in den unteren Gängen. Man kann damit leben, aber schöner wäre es ohne. Ab 2007 wurden mit der Einführung des Twin Cam 96 alle Maschinen mit diesem Motor zeitgleich mit dem neuen 6 Gang Cruise-Drive-Getriebe ausgestattet. Es lässt sich sauber und präzise schalten. Vergleichbar mit den leicht zu schaltenden Getrieben der Japaner, ist es jedoch nicht. Ich würde es aber eher als Charakter bezeichnen, als es mit schwergängig zu titulieren. Die Neutralstellung des Getriebes ist oft nur nach dem Herunterschalten bis in den ersten Gang zu finden. Wenn die Betriebstemperatur erreicht ist geht es allerdings leichter. Der sechste Gang ist als Overdrive ausgelegt und dient ausschließlich der Drehzahlsenkung. Das reduziert den Verbrauch auf durchschnittlich 4,8 Liter/100 km. Das ergibt mit dem 19,3 Liter fassenden Spritfass eine reisetaugliche Reichweite von etwa 400 Kilometern.
Elektronisch hat der fette Bob mehr zu bieten als man auf den ersten Blick erwartet. So sind die Blinker mit einer selbstständig arbeitenden Rückstellung ausgerüstet, die intelligent den richtigen Zeitpunkt zum Abstellen berechnet. Dazu werden Algorithmen aus Geschwindigkeit, Fahrstrecke und Schräglagenwinkel zur Berechnung herangezogen. Präzise und zuverlässig. Eine Alarmanlage mit elektronischer Wegfahrsperre und funkgesteuertem Transponder gehören inzwischen zur Serie und erschweren Langfingern die Arbeit. Gespeist wird die Elektrik aus einer hochwertigen Gel-Batterie. Eine Bordsteckdose gibt es leider nicht.
Der fette Bob muss, im Gegensatz zu den Softail und Touring Modellen, vorerst leider noch auf eine ABS Bremse verzichten (Anmerk. d. Redaktion: Jörg fährt das alte Modell. Die 2012er Fat Bob ist serienmäßig mit ABS ausgestattet und kostet 15.785 Euro zzgl. 490,- NK). Die Doppelscheibenbremse vorne und die Singlescheibenbremse hinten lassen bei der Fat Bob trotzdem akzeptable Bremsergebnisse zu. Der Fahrstil sollte aber unbedingt an die etwas stumpfe Bremswirkung angepasst werden.
In Kombination mit dicken Ballonreifen bügelt eine Telegabel vorne und eine lange klassische Schwinge hinten und im Full Metal Jacket-Design verkleidete Stereofederbeine nahezu alles weg, was man auf Asphalt an Unebenheiten vorfindet. Der Riemenantrieb lässt Lastwechsel weich und elastisch ausfallen und läuft zusätzlich wunderbar leise und wartungsfrei bis zu 50.000 km.
Die Motorleistung von 78 PS ist gut an Bobs 320 kg Lebendgewicht und das komfortable Fahrwerk angepasst und auch in der Versicherungsklasse sinnvoll und gut bezahlbar platziert. Bis zum Tempo von 140 km/h ist es möglich recht zügig zu beschleunigen und auch zu überholen, danach wird alles etwas zäh. Der gefühlte Schwerpunkt der Maschine liegt tief unter dem Asphalt. Das Handling ist unproblematisch. Der fette Bob macht jedoch kein Geheimnis daraus, dass er kein Freund von hektischen Manövern ist. Er möchte nicht um enge Kurven gerissen werden, obwohl ausreichende Schräglagenfreiheit bei sachgemäßer Handhabung durchaus gegeben ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass ab 120 km/h der Winddruck wie bei allen nackten Maschinen lästig wird. Man kann mit dem fetten Bob sogar die ungemütliche Geschwindigkeit von 185 km/h erreichen. Aber wer will das schon? Das Revier von Bob ist die Landstraße. Genussvolles Cruisen mit niedrigen Drehzahlen und V2-Bass in den Tüten. Ein kurzer Stopp an der Eisdiele -aber bitte mit Sahne. Danach weiter sanft schwingend durch langgezogene Kurven fahren mit allen Sinnen genießen und in den Sonnenuntergang gleiten. Jetzt zählt nur noch das Lebensgefühl für das die Marke Harley garantiert. Wer diesen entspannten Blickwinkel nicht teilen kann, der wird auf dem fetten Bob vermutlich auch nicht glücklich.
Besonders glücklich dürfte auch die Sozia nicht werden, da die serienmäßige Sitzbank wirklich nur einen Notsitz für den zweiten Fahrgast bietet. Aber auch da hilft wieder der Zubehörkatalog weiter…
„Dafür bekomme ich ja zwei Motorräder!“ höre ich es immer wieder aus dem Lager der Japan-Cruiser. Das ist wohl richtig. Die höheren Anschaffungskosten für eine Harley relativieren sich jedoch bei genauerer Betrachtung. Die Verarbeitung stimmt. Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Statt mit billig verchromten Plastikteilen zu blenden, ist am fetten Bob noch alles echt. Mit echt meine ich auch, dass der Tank ein Tank ist und nicht eine Ablage für Rucksäcke und Sonnenbrillen. Der Luftfilter ist ein Luftfilter und nicht der Deckel einer elektronischen Steuereinheit. Das Getriebegehäuse beinhaltet das Getriebe und nicht die Werkzeugrolle. Hochwertig verchromte Messing- und Edelstahlteile versprechen eine lange Lebenserwartung bei ästhetischer Optik und wenig Korrosion. Eine gute Versorgung mit Original-Ersatzteilen und lange Modellbauzyklen garantieren dafür, dass es über Jahrzehnte problemlos möglich sein wird, sein Motorrad zu erhalten. Das kann man von den auf den ersten Blick wesentlich preisgünstiger erscheinenden Motorrädern aus Fernost selten behaupten. Deren Gebrauchtpreise ähneln oft schon nach wenigen Jahren einem Totalverlust.
Wohl jeder von uns hat schon irgendwo eine nicht anspringende Harley mit Vergaserhusten gesehen und hat sich dabei vielleicht ein hämisches Grinsen nicht verkneifen können. An der Optik des liegen gebliebenen Fahrzeuges ist das Baujahr jedoch nicht leicht zu erkennen, wenn man sich nicht vorher ein wenig mit der Modellgeschichte der Marke befasst hat. Und diese beginnt schon 1903 in einem kleinen Schuppen in Milwaukee. Ich will nun aber nicht mit der schon oft geschriebenen Historie der Company langweilen, sondern darauf hinaus, dass das hämische Grinsen ohne es zu ahnen einer 20 bis 40 Jahre alten Maschine gegolten haben könnte. Und wer würde einem Oldtimer nicht ab und zu mal einen Streik verzeihen? Seit Einführung des Evolution-Motors 1984 gelten die Big Twins als vollgasfest und zuverlässig. Wie auch später beim Revolution-Motor für die VRSC V-Rod, mit stattlichen 120 PS, hatte Harley bei der Entwicklung des Evolution-Motors Unterstützung aus dem Hause Porsche in Weissach. Nun hat sich sogar schon ein Lada Samara mit dem prestigeträchtigen Namen Porsche bei der Entwicklung geschmückt und wir erkennen daran, dass das alleine nichts bedeuten muss, jedoch war der Evo der erste vollständig aus Leichtmetall gefertigte Motor der Marke und konnte darüber hinaus werkstofftechnisch, sowie von der Konstruktion her, als zeitgemäß bezeichnet werden. Seit 1948, erstmals im Panhead-Motor verbaut, regulieren die Big-Twins ihr Ventilspiel wartungsfrei über Hydrostößel. Harleys sind tatsächlich zuverlässiger und fortschrittlicher als ihr Ruf. Das musste trotz aller Unkenrufe sogar die Redaktion der Zeitschrift Motorrad feststellen, die im Dauertest 50.000 km mit einer Road King zurücklegte. Die Maschine, wie der fette Bob mit dem Twin Cam 96 Motor bestückt, absolvierte ihren Einsatz bei jedem Wetter ohne Pannen und Mängel. Am Ende des Marathons vergaben die Testpiloten 85 von 100 möglichen Punkten. Das ist die höchste bisher vergebene Punktzahl für ein Motorrad im Langzeittest. Die Maschine sah hinterher immer noch wie aus dem Ei gepellt aus und, so schrieben einige Fahrer liebevoll in das Bordbuch, sie fühlte sich auch noch so an. Korrosion, Ölverlust oder Leistungsreduzierung waren nicht zu verzeichnen. Verschleiß und Wertverlust wurde als geringfügig eingestuft.
Sollte man sich irgendwann von seiner Harley trennen wollen, werden die etwas höheren Anschaffungskosten vom entsprechend hohen Wiederverkaufswert in der Regel kompensiert. Eine Harley ist etwas teurer, aber man bekommt dafür auch etwas mehr. Wer den Anschaffungspreis wuppt, hat sein Geld in ein ehrliches Motorrad investiert. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt, dass die Freude über einen niedrigen Preis nur kurz vorhält, der Ärger über die billige Qualität einer Anschaffung jedoch ziemlich lange währt. Dem ist nichts hinzu zu fügen. Harleyluja!
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