aus bma 06/01

von Klaus Herder

Harley Davidson Dyna Super Glide T-Sport„Mamaaa, warum kratzt sich der Onkel am Popo?” Es bedarf einiger mütterlicher Mühe, dem Kind verständlich zu machen, dass der Onkel nicht an seinem Allerwertesten herumfummelt. Der Onkel ist Motorradfahrer und bemüht sich redlich, die Wegfahrsperre seiner brandneuen Harley-Davidson Dyna Super Glide T-Sport zu deaktivieren. Was nicht weiter ein Problem wäre, wenn denn der Sender nicht im Schlüsselanhänger stecken und das Zündschloss nicht unterm Fahrersitz zwischen Batterie und rechter Federbeinaufnahme untergebracht wäre.
Kind, Mutter und Biker sind wohlauf, der 1449 ccm große V-Motor läuft endlich und lässt im Leerlauf das bekannte „Potatopotatopotato” erklingen. Die Warmlaufphase lässt sich nutzen, um ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema Logik im Allgemeinen und Harley im Besonderen zu verschwenden. Nehmen wir doch mal den folgenden Satz aus der Harley-Pressemappe, Modelljahr 2001: „Dem neuen Modell liegt die Idee zugrunde, eine leichte Harley-Davidson als Tourer anzubieten.” Soweit die Seite 10. Der neugierige Schreiberling blättert in Anbetracht des Wortes „leicht” zügig auf Seite 42: Technische Daten Typ FXD, Modell FXDXT: Leergewicht 310 kg, Tankinhalt 18,6 l. Und nun wächst folgende Erkenntnis: Es ist nicht unbedingt logisch, im Zusammenhang mit einem fahrfertig 330 Kilogramm wiegenden Motorrad den Begriff „leicht” zu gebrauchen. Die Harley-Logik erschließt sich aber sofort, wenn man die entsprechenden Daten des Modells FLHTCUI (Sie wissen nicht, was das ist? Bitteschön: DER Harley-Tourer schlechthin, die Electra Glide Ultra Classic) betrachtet: Leergewicht 385 kg, Tankinhalt 18,9 Liter.

 

Harley Davidson Dyna Super Glide T-SportSo gesehen ist die T-Sport durchaus ein leichter Harley-Tourer. Punkt. Und dieses Leichtgewicht wird vom 1998 präsentierten Twin Cam 88-Motor angetrieben (Twin Cam = zwei untenliegende Nockenwellen, zuvor gab’s beim großen Harley-Motor nur eine davon; 88 = Hubraum in cubic inch). Dieser Motor hat keine Ausgleichswellen und ist über vibrationsdämpfende Silentblöcke (Gummipuffer) mit dem Rahmen verbunden. Alle Dyna Glide- und Touring-Modelle im Harley-Programm sind mit diesem Motor ausgestattet.
Nun gibt es aber auch noch den in der Softail-Baureihe verbauten Twin Cam 88B-Motor. Das B steht für „balancer”, für zwei Ausgleichswellen, ansonsten ist’s praktisch der gleiche Motor. Und da dieser Motor dank der Ausgleichswellen von Haus aus ein ruhigerer Geselle ist, wird er zur Abwechslung starr mit dem Rahmen verschraubt. Ob Silentblöcke oder nicht, ob Ausgleichswellen oder nicht – das Ergebnis ist immer gleich: es kommen spürbare Vibrationen durch. Zwei Konzepte mit einem Ergebnis. Das ist Harley-Logik. Eine sehr er-folgreiche sogar, denn die Amis schaffen es immer wieder, aus ihrem Stabilbaukasten interessante „Neuheiten” zu zaubern.
Wirklich neu an der Neuheit Dyna Glide T-Sport sind eigentlich nur die lenkerfeste Verkleidung, die fette Tourensitzbank und die serienmäßigen Packtaschen, im Harley-Sprachgebrauch „Softbags”. Ansonsten basiert das einfarbig 30.550 Mark teure Gerät weitgehend auf der 1999 präsentierten Dyna Super Glide Sport. Die war ist so etwas wie der Big Twin im Trainingsanzug und überraschte mit einer für Harley-Verhältnisse ungewöhnlich hohen Fahrdynamik. Die T-Sport soll es ihr gleichtun und zusätzlich noch etwas mehr Langstreckenqualität bieten.
So, der 68 PS starke Twin hat Temperatur, der Fahrer hat sich häuslich eingerichtet. Oder besser gesagt: den Harley-Gegebenheiten angepasst. Einstellbare Handhebel? Braucht niemand, das Gerät ist für Männerpranken und nicht für Klavierspielerhände gemacht. Hydraulische Kupplungsbetätigung? Fehlanzeige. Und übrigens: ABS, ESP und Außentem- peraturanzeige gibt’s auch nicht. Und dass Lenker und Fußrasten für Sporttourer-Verhältnisse etwas zu hoch montiert sind, sei hier nur ganz am Rande erwähnt. Stört ja auch nicht wirklich. Bei einer Sache sind die Machos in der Harley-Entwicklungsabteilung dann aber doch weich geworden: Das Rühren im Fünfganggetriebe klappt tatsächlich völlig problemlos, nämlich ziemlich exakt, ausgesprochen leise und mit wenig Kraftaufwand. Der Leerlauf ist immer, überall und ohne Tricks leicht zu finden. Das Getriebe-Leckerli gab’s allerdings schon zum Modelljahr 2000.
Ein fetter 40er-Gleichdruckvergaser muss reichen, um die beiden Pötte mit zündfähigem Gemisch zu versorgen. Das erledigt die Gasfabrik ganz hervorragend, der luftgekühlte 45-Grad-V-Twin reagiert spontan auf jede Bewegung der Gashand. Kein Wunder, die Vergasermarke heißt Keihin und kommt aus Japan. Allzu heftig muss aber gar nicht an der Kordel gezogen werden, damit der T-Sport-Treiber in grenzdebiles Dauergrinsen verfällt. Bereits bei 2900 U/min liegt das maximale Drehmoment von 106 Nm an. Die Höchstleistung gibt’s bei 5500 Touren, dazwischen geht alles, wirklich alles im letzten Gang. Über das für die maximal 170 km/h schnelle Fortbewegung verantwortliche Motorenkonzept herrscht zu keinem Zeitpunkt Unklarheit. Oder kurz gesagt: Das Ding schüttelt. Soll es ja auch: „Good Vibrations”, „Feeling”, „Emotions” – Harley-Textbaustein Nummer 27, blablabla. Das Übliche eben. Glücklicherweise. Sonst könnten wir ja auch gleich Intruder fahren (ACHTUNG: Diese Bemerkung ist leserbriefverdächtig).
Aber mal im Ernst: Alles das, was man an Dampfmaschinen-Auftritt von einer Harley erwartet, wird hier geboten. Der Sound legaler Harleys war vor ein paar Jahren schon mal deutlich mieser, die T-Sport kann sich durchaus hören lassen. Zumindest die ersten zwei, drei Monate, bis die bestellte US-Tüten endlich beim Händler liegen.
Doch fürs frühpubertäre Balzgehabe ist die T-Sport ja eigentlich gar nicht gedacht, dafür gibt’s im Harley-Programm geeignetere Stühle (Gruß an alle Fat Boy-Poser).
Mit der FXDXT sollen Kilometer gemacht werden. Langstrecke ist angesagt. Da wird etwas Windschutz immer gern genommen. Die T-Sport verdient sich in dieser Disziplin ein „befriedigend bis gut”. Befriedigend, weil die Verkleidung sehr schmal ausfällt, der Lenker dafür um so breiter und beides zusammen nur für eine teilweise Entlastung des Oberkörpers sorgt. Gut ist die getönte Windschutzscheibe, denn die lässt sich über einen Drehknopf im Cockpit in Höhe und Anstellwinkel verstellen. Das funktioniert prima und sorgt bis gut 140 km/h für Ruhe im Kopfbereich.
Harley Davidson Dyna Super Glide T-SportDoch nicht nur die Scheibe lässt sich verstellen, die Federelemente bieten ebenfalls die Möglichkeit, den bikertypischen Spieltrieb voll auszuleben. Die mit 155 Millimetern Federweg gesegnete Telegabel kann in der Federbasis und – man lese und staune – auch in der Zug- und Druckstufendämpfung verstellt werden. Die beiden Federbeine (125 mm Federweg) lassen immerhin das Fummeln an der Federbasis und der Zugstufendämpfung zu. Vor unserem geistigen Auge sehen wir schon Fransenjackenträger, die sich mit den Worten „Vier Klicks offen!” begrüßen. Eine völlig neue Harley-Welt tut sich auf. Die Grundabstimmung ist für Harley-Verhältnisse eher straff. Wer mehr als 60 Kilo auf die Waage bringt, wird die ganze Angelegenheit aber garantiert als ausreichend komfortabel empfinden. Ein paar Kilo mehr auf dem Sozius stören die T-Sport übrigens nicht die Bohne. Der Beifahrerplatz ist ausreichend groß, die Fußrasten sitzen goldrichtig – trauter Zweisamkeit steht nichts im Wege. Noch nicht einmal das Gepäckraumangebot. Zwei sehr gut verarbeitete Packtaschen aus Polyamidgewebe sind nämlich inklusive. Deren Volumen lässt sich durch umlaufende Reißverschlüsse variieren, die Halter sind integriert. Mit wenigen Handgriffen sind Taschen und Halter abgenommen, zurück bleiben nur je drei völlig unauffällige Haltezapfen. Wasserdichte Innentaschen sind ebenfalls dabei, und um ganz auf Nummer Sicher zu gehen, spendierte Harley auch noch zusätzliche Regenüberzieher.
Die Fuhre ist also mit Macker, Mutti und Gepäck beladen, wiegt komplett rund eine halbe Tonne und knallt dank mächtig Drehmoment, überraschend guter Handlichkeit und ziemlich heftiger Schräglagenfreiheit (für Harley-Verhältnisse – ist klar, ne?) flott durch den Harz oder über die Alpen. Womöglich sogar bergab. Da war doch was? Richtig, die legendären Harley-Bremsen. Die konnte man vor gar nicht so langer Zeit noch ruhigen Gewissens mit dem vorsichtig formulierten Urteil „absolute Drecksteile” versehen, doch mittlerweile hat der Vierkolben-Festsattel auch den Weg nach Milwaukee gefunden. Und das sogar im Doppelpack fürs Vorderrad. Das überraschende Ergebnis: Es bremst! So richtig wirkungsvoll und gut dosierbar. Die Stopper lassen die Dunlop-Gummis, auf denen jetzt Harley-Davidson steht, ganz schön pfeifen. 100/90-19 vorn und 130/90-16 hinten sind ja auch keine übertrieben üppigen Dimensionen, für sichere Verzögerung passt aber alles gut zusammen. Etwas mehr Handkraft als bei handelsüblichen Japo-Brennern muss bei der T-Sport schon aufgebracht werden, aber das muss so sein und trainiert die Handmuskeln. Der rechte Fuß hat dagegen trainingsfrei, denn der muss nur sanft zucken, um die hintere Scheibenbremse zu ordentlicher Mitarbeit zu überreden.
Unterm Strich ist die Dyna Super Glide T-Sport ein ziemlich angenehmer Reisepartner. Wer auf die ganz große Harley-Show verzichten kann, bekommt einen gut ausgestatteten und ordentlich verarbeiteten Tourer, der nicht an jeder Ecke steht, flottere Gangart gut verkraftet und trotzdem das gute Gefühl des Harley-Besitzens vermittelt. Der Motor schüttelt, im Fahrwerk rührt nichts, das „Sport” im Namen sollte man aber trotzdem nicht allzu wörtlich nehmen.