aus bma 5/12

von Jörg „Jogi“ van Senden

Harley-Davidson Sportster 883Überall und immer öfter sprießen „Harley-Days“ aus dem Boden, sei es in Hamburg, Berlin, Plön oder Sylt. Weite Reisen braucht man für das Erlebnis „Harley-Manie“ als Norddeutscher Motorradfreund nicht mehr in Kauf zu nehmen, wo sich die Verrückten bei Country- und Westernmusik um das letzte T-Shirt mit Markenaufdruck drängeln und Chromteile und fragwürdige Auspufftüten zur Individualisierung erwerben, bis die individualisierten Chrom-Eimer wieder alle gleich aussehen. Und die Mehlmützen lauern schon mit gezückter Kelle direkt hinter dem Eventgelände. Wunderlich kostümierte Selbstdarsteller bereichern die Szene und poltern mit ihren Potenz­verstärkern durch die Menschenmassen, während im Hintergrund der Urenkel von Elvis das Jailhouse rockt. Irgendwie sind das befremdliche aber doch faszinierende Ver­an­­taltungen. Mir macht es Spaß. Außerdem geht es dort friedlicher zu als nach jedem St.Pauli Fußballspiel vor dem Stadion. Völlig besoffen von so viel Markenkult und Abgasen war mir klar: „ Du musst so’n Eisenschwein mal ausprobieren“.

Seit die amerikanische Marke Polaris nicht mehr nur Schneemobile und Quads aus Plastik zusammenpoppt, sondern auch unter dem Namen Victory dem Original aus den Staaten die Kunden räubert, bietet Harley großzügig auf zahlreichen Veranstaltungen Bikes zu Probefahrten an, um der aufkeimenden Konkurrenz Paroli zu bieten. Außer einem Führerschein und einem gültigen Personalausweis ist nichts weiter nötig. Also nix wie hin!

Harley-Davidson Sportster 883Gerade in schlechten wirtschaftlichen Zeiten ist es wichtig auch etwas für den schmaleren Geldbeutel anzubieten um die Kunden zu erreichen, die zurückhaltender mit ihren Mitteln haushalten müssen oder wollen. Das muss jedoch nicht unbedingt bedeuten, dass man damit nicht genauso viel Spaß haben kann. Um den frisch infizierten Besucher der „Harley-Days“ gleich etwas Individuelles für weniger Teuronen verkaufen zu können, bieten einige Harley-Dealer hauseigene Umbauten zum Listenpreis an. Meist handelt es sich dabei um Vorjahresmodelle, was durch den nicht gerade rasanten Innovationsdrang der „Companie“ jedoch kaum eine Rolle spielt.

So gerieten auch wir an unsere Sporty 883 Custom „Black-Edition“ für „nur“ 8900 Euro. Nicht, dass das kein Geld ist, aber bei Harley-Davidson denkt jeder sofort an den Gegenwert eines rollenden Kompaktwagens. Das muss nicht sein. Zugegeben, mit etwas Zusatzchrom, Ledertaschen und sinnlosem Zierrat sind wir inzwischen auch schon bei 11000 Euro angekommen. Aber es hätte nicht unbedingt sein müssen.

Harley-Davidson Sportster 883 TachoFür besagte 8900 Euro bekommt man ein fertiges, einfach ausgestattetes Motorrad ohne technisches Spielzeug, abgesehen von der inzwischen serienmäßigen Alarmanlage und den selbstständig abschaltenden Blinklichtern. Die Steuerung erfolgt über die Berechnung von Algorithmen aus Zeit, Geschwindigkeit und Schräglage. Ein schlichter Tacho ohne Drehzahlmesser und Mäusekino, eine Einscheibenbremse am Vorderrad, aber dafür einen echten Harley-V-Twin mit 883 ccm und ganze 53 PS. Diese Hochleistungsmaschine aus dem Jahre 1957, damals noch aus Grauguss und deshalb „Ironhead“ genannt, ist heute technisch mit Einspritzung und Katalysator aufgepimt und in Aluminium gefertigt und stemmt bei 3750 U/min ganze 70 Nm.

Wie? Nicht beeindruckt von dieser Maschinenmacht ? Das liegt nur daran, dass Du vermutlich noch nie auf so einem Eisenhaufen gesessen hast. Gefühlt wuppt der Motor nämlich ein Vielfaches. Einzig bei Überholvorgängen kommt der Treiber der kleinsten Harley wieder auf den Boden der Realität. Besser man überholt nicht, sondern widmet sich dem, was das kleine Eisenschwein am liebsten mag. Durch langgezogene Kurven cruisen, unrund im 315 bzw. 405 Grad-Versatz blubbernde Geräusche von sich geben und dabei möglichst sinnlos ca. 4,5 Liter Super auf hundert Kilometern abfackeln. Dazu gibt es dann noch „Good Vibrations“ und stressfreies Fahren außerhalb jeder Konkurrenz. Bitte vor der Eisdiele nicht vergessen die Sonnenbrille aufzusetzen um gaaanz cool zu wirken. Sei Dir Deines Auftrittes bewusst. Alles muss locker und lässig sein. Übe vorher wie Du mit einem Tritt den Mädchenständer heraus kicken kannst. Nix ist ungeiler als blödes Herumfüßeln. In der Ruhe liegt die Kraft.

Harley-Davidson Sportster 883 ZündschlossNaja…Ruhe? Die Original Auspufftüten lassen einen nicht unbedingt unauffällig vorfahren. Gut so. So wollen wir das haben. Vom nächsten Weihnachtsgeld kaufen wir uns noch die Original-Harley-Jacken, damit man auch noch am hinten liegenden Tresen der Eisdiele erkennen kann, zu wem dieser schweinegeile Eisenhaufen gehört. Alles in allem bekommt man eine ehrliche Maschine ohne böse Tücken. Sie lässt sich spielerisch und einfach handeln und überfordert ihren Besitzer in keinster Weise, weder auf der Straße noch mit der Versicherungs­- prämie. Wer leistungsorientiert unterwegs ist wird mit der 883er Sporty nicht glücklich. Der Motor langt zum Cruisen und man kann gut im Verkehr mithalten. Die wohlwollend als ausreichend bissig zu bezeichnenden Bremsen erfordern einen defensiven und vorausschauenden Fahrstil, sonst geht der Spaß auf Dauer nicht gut.

Das Gesamtkonzept ist für eine ruhige und genussreiche Fahrt mit ordentlichem aber nicht übertriebenem Komfort ausgelegt. Seit 1957 ein Erfolg. Gut gepflegte Exemplare sind kaum unter 4000 Euro zu bekommen. Das Baujahr spielt dabei keine Rolle. Die Fortbewegung mit diesem Motorrad ist eine Einstellungssache. Mehr echtes „Harley-Feeling“ kann man für den Neupreis nicht bekommen, auch kein unechtes „Harley-Feeling“, wenn man sich in ein asiatisches Plagiat verguckt hat, welches sich beim Wiederverkauf nach drei Jahren nahezu als Totalverlust zu erkennen gibt. Auch ist die Sporty keinesfalls ein „Mädchenmotorrad“. Wir haben die Maschine zwar für meine Frau angeschafft, aber manchmal, wenn ich darf und ich gerade keine Lust habe auf den eigenen schweren Hobel zu steigen, fahre ich sie mit Begeisterung – logo – zur Eisdiele. Für die meisten ist ihre Serien-Harley der Anfang einer großen Freundschaft die mit später folgender Individualisierung ein langes Leben hat. Zubehörsammelsurien können manchmal den Preis der eigentlichen Maschine übersteigen. Der Zubehörkatalog ist dick wie ein Telefonbuch. Es muss jedoch nicht sein. Schon bei knapp über 8000 Euro geht es mit den Sportster-Modellen los. Denk mal drüber nach.