aus Kradblatt 8/14
Text & Fotos: www.winni-scheibe.com
Vintage-Rennmaschinen: Harley-Davidson Boardtracker
Nach einer seltenen Rudge-Whitworth von 1926 war Andreas Wehrmanns nächster Traum eine Rennmaschine aus der Zeit vor 1920. Es sollte ein 1000er Racer mit V2-Motor sein. Die Wahl fiel auf eine Harley-Davidson Pocketvalves Board Tracker von 1918.
„Ehrlich gesagt, es waren zwei Träume, die sich erfüllten. Durch einen Zufall kam ich 1987 an Motorradteile eines klassischen Einzylinders. Recherchen in den Büchern von Erwin Tragatsch ergaben, dass es sich um eine äußerst seltene englische 500er Rudge-Whitworth Rudiment von 1926 handelte. Doch für dieses Vier-Ventil-Modell waren in der Zone partout keine Teile aufzutreiben“, beschreibt Andreas Wehrmann, Jahrgang 1958, seine damalige „Glück-im-Unglück-Situation“ in der DDR.
Dann kam die Wende und ab 1995 begann, nach Vorbild der legendären Brooklands-Bahnrenner, die Restauration. Pünktlich zum Oldtimer-GP 1999 auf dem Hockenheimring war der Racer fertig. „Bei dieser Gelegenheit habe ich die Board Track-Experten Stefan und Thomas Bund mit ihren außergewöhnlichen Rennern kennengelernt. Sofort wusste ich, so eine Maschine aus der Pionierzeit des amerikanischen Rennsports fehlt zu meiner wahren Motorrad-Glückseligkeit. Das nächste Traumbike stand im Geiste schon vor mir“, verrät der aus Thüringen stammende Oldtimerfan.
Motorrad- und Oldtimerfan, so lange Andreas Wehrmann denken kann: „Als 12-jähriger hat mich unser Nachbar auf seiner Vorkriegs-Zündapp KS 600 mitgenommen. Der Sound des kernigen Boxermotors übte eine unbeschreibliche Faszination auf mich aus“, erinnert sich der sympathische Maschinenbauingenieur. Ähnlich wie seine Artgenossen im Westen bastelte er an Mopeds herum. Bereits mit 17 begann er mit der Restauration einer NSU OSL 501 von 1935 und lässt wissen: „Inzwischen hatte ich das Abitur in einem Rutsch mit meiner Zerspanungsmechaniker-Lehre bei Zeiss in meiner Heimatstadt Jena bestanden. Mein Hobby brachte mich mit anderen Motorradverrückten zusammen, in dieser Zeit habe ich auch mein handwerkliches Rüstzeug gesammelt.
Apropos OSL, den toprestaurierten Dampfhammer besitze ich noch heute.“
Die Lebensplanung verlief in festen Bahnen. 1978 ging es für eineinhalb Jahre zum Grundwehrdienst, danach zum Maschinenbaustudium und anschließend zurück zu Zeiss als Ingenieur in die Qualitätskontrolle. Motorräder blieben auch weiterhin das Hobby. Alte Maschinen wurden aufgemöbelt, getauscht, verkauft und sogar per Postpaket gegen „harte“ West-Mark in den Westen verschickt. Zum Glück war der „Eiserne Vorhang“ nicht ganz so dicht, ab 1985 war er stolzer Besitzer einer BMW R75/5. Nach der Wiedervereinigung zog Familie Wehrmann 1991 von Jena nach Nordhessen. Eine neue berufliche Herausforderung fand der Maschinenbauingenieur in einer Automobil-Zulieferfirma in Witzenhausen.
Ein Board Tracker für die Glückseligkeit: Nach 1999 in Hockenheim wurde Fachliteratur gewälzt, weitere Kontakte zur Tracker-Szene geknüpft. 2005 stand ein 1000er Harley-Davidson Pocketvalves-Serienmotor von 1918 auf der Werkbank, womit sich der Racingfan auf eine gewaltige Herausforderung eingelassen hatte. „Um Funktionsweise, Aufbau und die fast 100 Jahre alte artgerechte Bewegung der Racer verstehen zu können, ist ein fundiertes Hintergrundwissen über diese Sportart unumgänglich“, referiert Andreas Wehrmann. Da beim Board Track fahrtechnisch, aber auch aus Gewichtsgründen auf Kupplung und Getriebe verzichtet wurde, galt das Augenmerk dem zeitgenössischen Frisieren des V2-Motors. Ein- und Auslasskanäle der i.o.e.-Steuerung wurden überarbeitet, die Pleuel erleichtert, die Kurbelwelle feingewuchtet, zwei Alu-Kolben eingebaut und der Vergaser optimiert.
Der spezielle ungefederte Keystoneframe für die Board Tracker konnte im Saarland organisiert werden. Andere Teile ließen sich dagegen nur aus den USA besorgen. Im Gegensatz zum Serienrohrrahmen war das Keystone-Chassis unten offen, der über Knotenbleche verschraubte Motor saß tiefer im Rahmen. Mit diesem Trick ließen sich, ohne dass der Motor ausgebaut werden musste, die Zylinder abmontieren. Ein weiterer Vorteil war der tiefere Schwerpunkt, der das Handling deutlich verbesserte. „In den 1910er Jahren hatten die Harleys noch Pedalen. Über diese Tretkurbeln wurde der Motor gestartet, die Hinterradbremse betätigt und falls der Motor mal streikte, ließ sich per Pedes nach Hause trampeln. Da im Board Track Bremsanlagen verboten waren, dienten die Pedalen als Fußrasten. Aus Sicherheitsgründen habe ich bei meinem Racer die Hinterradbremse beibehalten. Bei der Restauration legte ich aber sonst größten Wert auf Detailtreue und Funktion, was Ausdruck in Anerkennung durch Insider findet. Es war aber nicht nur allein die Technik, auch die Aura des Board Track-Racing sollte zu einer großen Leidenschaft werden“, betont Andreas Wehrmann.
Neck and Neck with Death: Ab 1900 schossen in Nordamerika die Motorradmanufakturen überall im Land wie Pilze aus dem Boden. Wer für Aufmerksamkeit sorgen wollte, beteiligte sich an Wettbewerben. Jack Prince erfand nach Vorbild der Velodroms das Board Track-Oval für Motorradrennen. Sein erstes ganz aus Holz gebautes Motordrome entstand 1909 in Los Angeles. Schon bald folgten quer durch die Staaten weitere Arenen mit jeweils zwei oft über 60 Grad geneigten Steilwandkurven. Das Reglement der „American Motordrome League“ hatte als Vorbild den US-Baseball-Sport. Es gab A und B Gruppen, Vorläufe, Ausscheidungsrennen, Einzel- und Teamwertung, Sprint- und Langstreckenrennen.
Die Maschinen wurden entweder mit Muskelkraft angeschoben oder von einem Serienmotorrad angezogen. Lief der Motor, ging es gleich in die Einführungsrunde, das Rennen begann mit einem fliegendem Start. Im Pulk donnerten die Akteure mit Vollgas über die Holzplanken, Windschattenrennen gehörten zur Tagesordnung. Wollte ein Fahrer das Tempo etwas reduzieren, drückte er kurz auf den Killschalter. Board Tracks waren mit Abstand die spektakulärsten, aber auch die gefährlichsten Motorradrennen in den USA. Immer wieder kam es durch waghalsige Fahrmanöver, technische Maschinendefekte oder ölverschmierte Bretterbahn zu Unfällen mit Schwerverletzten und Toten. Doch die Racing-Cracks, aber vor allem die Schlachtenbummler, liebten den Nervenkitzel in den „Murderdromes“.
Für die 1913 neu gegründete Rennabteilung bei Harley-Davidson heuerte man den von Thor abgeworbenen rennerfahrenen William „Bill“ Ottaway an. Schon bald gab es käufliche Pocketvalves Board Track-Rennmaschinen und ab 1916 schob das Harley-Team reinrassige 1000er Werksrennmaschinen mit Vier-Ventil-OHV-Technik an den Start. Tracker mit i.o.e.-Steuerung kamen auf 160 Spitze, die Vier-Ventil-Werksracer schafften 200 km/h, Dauergeschwindigkeit versteht sich! In der Saison 1921 gewannen die Harleys im Prinzip alles, was es damals zu gewinnen gab.
Back to the Roots: Dank der „German Wrecking Crew“ wurde die Board Track-Historie in den letzten Jahren bei uns immer bekannter. Bei Oldtimer-Veranstaltungen treten die Teams zu Präsentationsläufen an. „Im Vergleich zu früher, als es für die Fahrer um Ruhm und Ehre, vielfach aber auch um Kopf und Kragen ging, lassen wir es gemütlicher angehen“, erzählt Andreas Wehrmann. „Der Fahrspaß liegt in der Ursprünglichkeit. Kaum ein anderes Rennmotorrad ist so auf das Wesentliche, Motor, Rahmen und Räder, reduziert. Sollten doch mal mit mir die Pferde durchgehen, wird über die Ölhandpumpe am Tank der Motor zusätzlich mit Schmierstoff versorgt. Die fast 100 Jahre alte Mechanik will schließlich umsorgt sein.“
INFO – Tracker in Deutschland:
Die Board Track-Szene ist bei uns überschaubar. Im Kern besteht die „German Wrecking Crew“ aus drei Teams, Stefan und Thomas Bund, Thomas Trapp und Andreas Wehrmann. Ihr Fuhrpark ist erstklassig und kann sich sehen lassen. Je nach Veranstaltung parken im Fahrerlager ein Dutzend Tracker von Excelsior, Cleveland und Harley-Davidson mit Zwei-Ventil-Steuerung und Vier-Ventil-Werksmotoren aus den Jahren 1913 bis 1926. Zum Einsatz kommen die seltenen Racer bei Präsentationsläufen auf den Beton-Radrennbahnen in Solingen, Bielefeld, Darmstadt und je nach Terminlage auf den Kursen von Moutlhéry und Dijon. Ein Teil der seltenen Board Track Racer steht als Sonderausstellung in der Harley-Factory, Wächtersbacher-Str. 83 in Frankfurt/Main. Hier lassen sich auch die nächsten Termine erfragen.
Technische Daten Harley-Davidson „Pocketvalves“ Boardtracker von 1918
- Motor: Luftgekühlter 45-Grad V2-Viertakt-Motor (tuned stock ), i.o.e.-Steuerung (inlet over exhaust), eine untenliegende Nockenwelle, Bohrung x Hub 84 x 89 mm, 998 ccm (61 cui),
- Schebler-Vergaser Typ H,
- Magnetzündung Bosch-USA,
- ca. 20 PS, ohne Kupplung und Getriebe,
- Endantrieb über Kette.
- Fahrwerk: „Kyestoneframe“ HD-Rennrahmen unten offen, Motor mit Knotenblechen verschraubt, Gabel und Hinterrad ungefedert
- 28 Zoll-Speichenräder, 28 x 2″ Wulstreifen, Luftdruck 3 bar,
- Gewicht 100 kg,
- Dauergeschwindigkeit ca. 160 km/h.
Kontakt: Andreas Wehrman Blog:
murderdromecycles.blogspot.com
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