aus bma 3/13
von Andreas Warnken

Gilera 150 Strada Cafè RacerVor sechs Jahren musste ich mir krankheitsbedingt ein leichtes Motorrad anschaffen. Eigentlich wollte ich schon längere Zeit nebenher eine kleine Italienerin fahren. Nun wurde ich quasi dazu gezwungen.

Mit Blick auf die kleinen MV Agustas, Motobis, Benellis und in meine Brieftasche machte sich Ernüchterung breit. Die Motorräder waren zu teuer und die Geldbörse zu leer. Beim Stöbern im Internet fand ich dann eine Gilera Strada zu einem günstigen Preis. Schon auf der Rückfahrt vom Verkäufer plante ich, sie zu einem kleinen Rennerle umzubauen. Tourenlenker und Sitzbank waren nicht so mein Ding.

Als die Gilera dann vom Hänger in den Garten geschoben wurde traf auch schon ein Verwandter ein und fing an zu lästern. Ob man denn damit fahren kann, alles ein bisschen klein geraten, irgendwie kein richtiges Motorrad und blabla… Wenig später habe ich dann mit dem Umbauen begonnen. Als erstes wurden ein Ducati-Rennhöcker, Stummellenker und Alu-Blinker angebaut.

Gilera 150 Strada Cafè RacerDie erste Ausfahrt (70 km) war eine Katastrophe. Trotz vernünftiger Vorarbeit des letzten Besitzers (der sechste) hat sich beim Überholen auf der Autobahn auf der linken Spur der Gaszug ausgehängt. Beim Abbremsen auf der Standspur blockierte der Nocken der Vorderradbremse. Na toll. Beides konnte ich auf dem Standstreifen reparieren. Gut, dass man mit dem Fett der Tachoschnecke den Nocken fetten konnte. Es wunderte mich, dass die vorbeirasenden Autofahrer meinen linken Stummellenker drangelassen haben. Nach erfolgreicher Reparatur hatte ich dann einige Kilometer weiter einen Elektrik-Totalausfall. (Gut, dass in der Wachsjacke immer ein paar Sicherungen in den Taschen rumliegen). Und zu guter letzt hat sich an einer Deichstraße der Kupplungskorb verkantet. Also Tank abgebaut, Gilera schräg an den Deich gelegt, Gehäusedeckel der Kupplungsseite aufgeschraubt (wirklich, es ist kein Motoröl ins Gras gelaufen…), die Kupplung zerlegt und die gelöste Kupplungskorbmutter nachgezogen, alles zusammengebaut und weitergefahren.

Gilera-150-Strada rechtsSehr gewöhnungsbedürftig ist die Rechtsschaltung mit umgedrehtem Schaltbild. Der erste Gang ist oben und der Rest wird nach unten getreten. Die Sitzposition ist bei meiner Größe ziemlich verkrampft. Bei manchen Touren bis 450 km am Tag ist man(n) dann doch fertig. Vor allem, wenn man jedes einzelne der 14,25 PS aktivieren muss. Man lernt sehr schnell, wie früher zu Mopedzeiten, Schwung auszunutzen und spät zu bremsen. Und wenn man zu heftig bremst, bricht das Hinterrad aus. Sie ist aber auch dank ihrer nur 108 kg Gewicht im Slide beherrschbar. Der Kraftstoffverbrauch je 100 km liegt bei 3,8 bis 4 Liter und 10 ml Rizinusöl. Ich benutze das Zeug als sogenanntes „Obenöl“. Ich habe die Hoffnung, dass die verschleißfreudigen Ventilführungen etwas länger halten. Da sie kein Händler mehr liegen hat, musste ich welche anfertigen lassen. Das gleiche gilt für die Kipphebelwellen. Sie laufen gerne ein. Radlager und alle Motorlager sind Normteile und leicht zu beschaffen.

Einiges passt aber auch von anderen Fahrzeugen. Der außenliegende Ölfilter (genial) passt vom Citroen 2 CV oder von Ducati Monster. Ansonsten wird die Ersatzteilversorgung für die Gilera immer schwieriger. Hier wird man im Internet meistens noch fündig: www.motorrad-klassiker-ersatzteile.de oder www.hahne-power.de Tipps und Hilfe bei technischen Fragen bekommt man häufig im Forum Vintage/Oldtimer auf www.gileraclub.de und in unserer Interessengemeinschaft IG Gilera. Eine Reparaturanleitung oder Ersatzteilliste findet man z.T. auf Oldtimer-Teilemärkten oder auch im Internet. Für eine vernünftige Motorüberholung benötigt man trotz des einfachen Motoraufbaus Spezialwerkzeug.

Gilera 150 Strada Originalzustand beim KaufBisher hatte ich immer Reifen mit klassischen Profil gefahren. Gute Erfahrungen habe ich mit Heidenau K33 + K45 gemacht. Sie hatten auch bei Nässe und Minus-Graden eine sehr gute Haftung. Allerdings war der Hinterreifen nach 5000 km abgefahren. Aktuell habe ich erstmalig moderne Reifen aufgezogen. Der Conti Go von Continental in der Dimension 2.75-18 und 3.00-18 kommt aber nicht an die guten Eigenschaften der Heidenau-Reifen heran. Dafür ist der Verschleiß geringer.

Mit so einem kleinen Klassiker, der ganzjährig genutzt wird, muss man sich aber auch ständig Sprücheklopfern gegenüber wehren. „Wie hast du denn die Fliegen an den Scheinwerfer bekommen, gibt es da schon ein Spray dafür“? „Nee, guck mal genau hin, die Fliegen sind auf meinem Nummernschild“. Oder mein zynischer Yamaha R1 fahrender Kollege: „Sag mal, wo fängt denn bei dir überhaupt ein Motorrad an?“ „Bei 18 Zoll Rädern“.

Fazit: Ich habe viel Spaß mit dem kleinen Café Racer, sogar viel mehr als mit allen anderen Motorrädern, die ich in den vielen Jahren gehabt habe. Und mittlerweile ist sie auch zuverlässig. (Ja, Ulf, ich leg da einen anderen Maßstab an). Ein gut bestückter Tankrucksack mit allen erforderlichen Werkzeugen und gängigen Ersatzteilen sollte jedoch immer mit dabei sein. Eine tolerante Einstellung zur italienischen Technik halte ich für unverzichtbar.