aus Kradblatt 5/18
von Marie Mattiza, Foto Marco Warmuth

Vom Leben und vom Sterben – Gedanken zum Saisonstart

Marie - Foto Marco Warmuth

Das erste wirklich warme Wochenende liegt hinter uns und wie seit Jahren gewohnt, finden sich die ersten Unfallberichte in den Medien. Soll man das Thema in einer spaßorientierten Motorradzeitschrift ausblenden oder sollten auch wir zum Nachdenken anregen? Als Redaktion haben wir uns für das Zweite entschieden und „Motorradmieze“ Marie hat ihre Gedanken für Euch aufgeschrieben.

Lange Zeit hatte ich eine klare Meinung zum Thema Sterben bei einem Motorradunfall. Denn so merkwürdig es klingt: ich war der festen Überzeugung, dass ich einzig und allein die Sorge habe, dass ich mir lebenseinschränkende Verletzungen bei einem Unfall mit meinem Motorrad zuziehen könnte. Angst vorm Sterben hatte ich nicht, da ich das „vorbei sein“ schließlich nicht miterleben würde.

Mein Denken hat sich dazu in den letzten Wochen allerdings sehr verändert. Denn auch wenn ich den Tod noch nie herausfordert habe, sprich ich keine extrem risikofreudige Motorradfahrerin bin, habe ich einfach den Gedanken verdrängt, was es denn tatsächlich bedeuten würde, wenn ich eines Tages keinen Schutzengel mehr an meiner Seite hätte. Nicht für mich, sondern für andere.

Gedanklich ist das für mich kein leichter Schritt; auch nicht, diesen Beitrag zu schreiben. Denn der Tod ist ein extrem heikles Thema und mit meinen Gedanken baue ich die Steine meiner ursprünglichen Schutzmauer – dass mein Tod mich selbst nicht tangieren würde – Stück für Stück zurück.

Da bin dann nur noch ich. Die, die sich bewusst wird, dass Leben und Tod nur einen kurzen Moment voneinander entfernt sind. Nicht nur für alle anderen, sondern auch für sich selbst. Und die, die sich bewusst wird, dass es egoistisch ist zu denken: nach mir die Sintflut. Mein eigener Tod geht mich nichts an.

So schwer es mir also fällt, mit diesem Thema muss und will ich mich auseinander setzen. Das bedeutet nun nicht, dass ich Angst vorm Motorradfahren bekomme und mir deswegen die Freude nehmen lasse. Es bedeutet lediglich, dass ich mir möglicher Konsequenzen meines Handelns noch bewusster werde. Ganz nüchtern. Für mich selbst. Nicht nur für alle anderen zu denen ich stets sage: fahr besonnen und komm gesund wieder nach Hause!

Das erfordert Mut. Mut zum Leben und Mut zu sagen: ich habe dennoch Spaß daran. Denn nichts im Leben ist ohne Risiko. Du gehst zur Schule und plötzlich wirst du erschossen. Du steigst in ein Flugzeug und es stützt ab. Du befindest dich auf der Autobahn und ein LKW-Fahrer übersieht das Stauende. Du gehst zum Arzt und bekommst die alles vernichtende Diagnose. Ein Schiff ist im Hafen sicher, aber dafür wurde es nicht gebaut.

Unbesonnen und extrem risikofreudig werde ich also nie unterwegs sein. Dafür liebe ich mein Leben, so wie ich es derzeit führen kann, viel zu sehr. Dass ich aufrecht gehen kann, keine starken Medikamente brauche, alle Gliedmaßen habe, hören, sehen und atmen kann – all das ist nicht selbstverständlich. Nicht alles ist deswegen perfekt in meinem Leben, aber perfekter als für die meisten anderen Menschen auf unserem Planeten.

Genau das halte ich mir immer wieder vor Augen. Denn zu Beginn der vergangenen Saison hatten wir ein Erlebnis, welches mir zeigte, wie sehr man um einen geliebten Menschen Angst haben kann.

Während einer Ausfahrt verließen wir einen Kreisverkehr und hatten einen älteren Herrn im Auto vor uns. Dieser blinkte rechts und wollte somit scheinbar seinen Wagen am Straßenrand abstellen. Als er sein Auto aber plötzlich nach links zog, durchquerte er direkt unsere Fahrspur. Da mein Freund ein sehr guter und reaktionsstarker Motorradfahrer ist, konnte er rechtzeitig bremsen und legte unversehrt einen Stoppie hin. Er kam nur wenige Schritte vor dem Wagen zu stehen.

Mein Herz sank mir direkt in die Hose, als ich den Beinaheunfall mit ansah und gleichzeitig ebenso schnell reagieren musste. Das Adrenalin schoss mir durch die Adern und ich wusste nicht, was ich zuerst denken sollte. Aber schließlich war ich einfach nur froh, dass nichts weiter passiert ist.

Situationen wie diese haben wohl die meisten von uns schon erlebt und sie gehören einfach dazu. Auch das macht mir keine Angst oder beeinflusst mich negativ in meinem Fahren. Dennoch gehen sie jedes Mal durch Mark und Bein und holen einen direkt auf den Boden der Tatsachen zurück.

Einige Monate später dachte ich wieder über die Situation nach und tauschte gedanklich die Rollen meines Freundes und mir. Wie würde es ihm ergehen, wenn es mir in einer ähnlichen Situation nicht gelingen würde, einen Unfall zu vermeiden? Vielleicht sogar dabei sterbe? Emotional kann ich dieses Gefühl fast nicht verarbeiten. Aber mir wurde ein weiteres Mal klar: solange es in meiner Macht steht, möchte ich das weder ihm, noch jemand anderem aus meinem Umfeld antun.

Genau das versuche ich mir klar zu machen, wenn die Pferde doch mal mit mir durchgehen. Wenn ich vielleicht doch mal einen Tick zu schnell fahre, viel zu schnell. Einen Tick zu unkonzentriert bin, einen Tick zu kurz den Verkehr gecheckt habe. Denn soll toll das Motorradfahren ist – ein Leben voller Trauer, Sehnsucht und Schmerz der Hinterbliebenen ist eine übertrieben große Leichtsinnigkeit nicht wert. Wir haben so unheimlich viel selbst in der Hand. Davon war und bin ich stets überzeugt.

Natürlich gibt es Situationen im Leben, in denen man zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Da machen andere Fehler auf Kosten deiner Gesundheit oder deines Lebens. Oder du machst selbst einen Fehler. Genau das passiert, wenn Menschen agieren. Tagtäglich. Und dieses Risiko gehen wir jedes Mal ein, wenn wir auf unsere Bikes steigen und den Motor starten. Und wir gehen es sogar gerne ein. Jeder Motorradfahrer wird genau diesen Satz nur allzu gut verstehen können.

Aber ich möchte Euch um eines bitten: schaltet den Kopf niemals komplett aus. Weder als Motorrad- noch als Autofahrer. Nehmt Rücksicht, seid konzentriert, rechnet mit den Fehlern anderer, denkt mit. Denkt an die, die zu Hause auf euch warten. Die Euch brauchen und lieben. Die ihr braucht und liebt. Denkt an Euch! Außerdem bitte ich Euch Schutzkleidung zu tragen. Ich wiederhole mich wahrscheinlich zum hundertsten Mal: ich weiß, dass diese im Zweifelsfall Eurer Leben nicht retten wird. Aber sie wird eine Menge dazu beitragen. Sie garantiert nichts, aber welches Gefühl haben Eure Hinterbliebenen, wenn ihr bei einem Unfall mit mangelnder Schutzkleidung sterbt? Werden sie sich vielleicht ihr Leben lang die Schuld dafür geben, weil sie Euch nicht dazu gezwungen haben, welche zu tragen?

Ich wünsche Euch für die kommende Saison von Herzen alles Gute. Die letzte war – was die Unfall- und Todesfallstatistiken betrifft – eine harte Saison. Zu viele mussten ihr Leben geben und dort sollt Ihr Euch bitte nicht einreihen. Fahrt. Habt Spaß. Lasst es Euch gut gehen! Genießt die Freiheit und dieses einzigartige Lebensgefühl. Und schließt danach Eure Lieben überglücklich in die Arme.

Ich freue mich wahnsinnig auf die Saison und mein Motorrad!
Nichts kann mir im Moment den Spaß daran nehmen. Und das soll auch lange so bleiben.

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