aus bma 08/05

von Gunther Niemann
Tarn-Schlucht (F)
Champagner muß es schon sein, denn jetzt sind wir tatsächlich im Ursprungsdorf des Champagners, in Haute – Villiers bei Epernay, schlürfen Champagner und blicken auf die Weinberge von Veuve-Cliquot, Pommery, Grand Mercier und wie sie alle heißen.
Nun aber weiter, die Schönwetterstunden sind bald vorbei, wie dunkel aufziehende Wolken ankündigen. Schnell noch an die Tanke und on the road again. Eigentlich ist es schön, nur Landstraßen zu fahren und so einen Eindruck von den durchaus charmanten kleinen Ortschaften zu bekommen, dort mittags die „plat du jour” nebst Wein (10-12 Euro) zu probieren – wenn nicht fast jedes Kuhdorf seine Ampel hätte. Die steht natürlich auf Rot und verursacht gleich einen Stau. Warten ist meine Sache nicht!
Schon wieder fängt es an zu tröpfeln. Hatte ich das Gespann eigentlich vorher geputzt? Egal! Wichtiger ist – wo gibt es jetzt ein „chambre d`hôte”, die französische Variante des englischen „Bed&Breakfast”?
Ah, da ist ein Schild mitten im Ort. Angehalten und gefragt, aber: „Nous sommes complet”, heißt es. Unser Glück, denn das nächste ist ein toller Wurf: Ein kleines, altes Schloß, und das Zimmer kostet auch nur die üblichen ca. 40 Euro für Gaby und mich. Am Abend gibt´s wirklich ein Menü vom Feinsten: Salat mit warmem Ziegenkäse, anschließend Hase aus dem Tontopf mit Gemüse, dann eine Auswahl von fünf verschiedenen Ziegenkäsen aus eigener Herstellung, der vierzigfach auf einer Korbplatte gereicht wird. Zum Abschluß müssen noch Tartes (Kuchen) mit Johannisbeeren untergebracht werden. Pappsatt sind wir, und es war oberlecker!

 

Am nächsten Tag schwingt unser Boxer-Gespann durch die Kurven des Zentralmassivs auf ca. 1000 m Höhe, leider wieder begleitet von dunklen Wolken, niedrigen Temperaturen und leichtem Regen. Das Zentralmassiv ist der große Buckel Frankreichs, das Wasserreservoir, von dem aus die Flüsse in alle Richtungen abgehen. Von der Auvergne kommen wir ins Perigord, wo es sich ebenfalls an schönen Plätzchen des Flusses Dordogne lohnen würde zu bleiben.
So erreichen wir am Mittag des nächsten Tages, bei strahlendem Sonnenschein, Arcachon und die mit 115 m höchste Sanddüne Europas, Pyla. Auf dem Weg haben wir noch Käse, Schinken, Oliven, Baguette und Wein auf einem Markt eingekauft. Das Tunnelzelt ist in wenigen Minuten aufgebaut, und wir sitzen unterm Schatten spendenden Tarp und schlemmen mit Meerblick. Mmmh! Gabys Tip, noch schnell an den Strand zu gehen und das gute Wetter auszunutzen, war goldrichtig. Zwei Stunden Sonne, plantschen in den hier sehr zahmen Atlantikwellen – und das war es auch schon mit dem schönen Wetter. Noch einmal erklimmen wir – bei dunklen Wolken und Nieselregen – die große Düne. Als dieser in strömenden Regen übergeht, beschließen wir, am nächsten Tag weiterzufahren. Irgendwo muß doch die Sonne scheinen!
Zwischenmahlzeit im Gebiet der Tarnschlucht In St. Jean de Luz verdrücken wir unsere Sardinen tatsächlich im Sonnenschein, fahren dann durch die hübschen baskischen Dörfer in den Ausläufern der Pyrenäen. Kurven, Kurven und viel Spaß, wenn sich beim Gasgeben auch bergauf noch richtig „was tut”, der 1000er RT-Motor ordentlich arbeitet, und man durch die Kurven schwingen kann, ohne dauernd hinterm Auspuff eines LKW´s zu hängen. Über 180.000 km haben wir mit dem Gespann nun schon abgeritten.
Ich liebe die Berge. Der würzige Duft von frischem Heu, die Blumenwiesen, die majestätischen Felsen. Wer Lust hat, kann zum 900 m hohen La Rhune mit einer alten Zahnradbahn mit Holzwaggons aus den zwanziger Jahren hinauffahren.
Wir brummen weiter und fangen an, nach einem Hostal oder einem „casa rural” (Landhaus) zu suchen. Für eine Nacht wollen wir kein Zelt mehr aufbauen. Wir kurven in Richtung Pamplona auf kleinsten Gebirgssträßchen. Es wird Abend bis wir endlich einem Schild folgend auf ein alleinstehendes altes baskisches Landhaus stoßen. Mit Pferden auf der Koppel, Hühnern vorm Haus und schönem Blick in die Berge. Das ist’s!
Da das spanische Essen am Abend immer erst spät auf den Tisch kommt – in den Bergen so gegen 21.00 Uhr, an der Küste sogar noch eine Stunde später, haben wir gerade Zeit, uns vom Straßenstaub zu befreien. Und noch einmal ins Lexikon zu schauen. „Tienes una camarera?”, frage ich anfangs nach einem Zimmer. Heißt nach Lexikon: Haben Sie ein Zimmermädchen? Als Einstiegsfrage nicht so geeignet. „Habitacion” heißt es richtig.
Überhaupt ist es schwierig, sich in den baskischen Provinzen Spaniens zurechtzufinden – die baskische Sprache „Euskera” ist mit keiner anderen Sprache Europas, wahrscheinlich sogar der Welt, verwandt – entsprechend kann man sich aus baskischen Schildern und Bezeichnungen rein gar nichts zusammenreimen.
Aber wir sitzen mittlerweile im Speiseraum. Der Kamin flackert romantisch und wärmt vor allem, denn es ist ganz schön kühl geworden hier auf 800 m Höhe. Eine Literflasche Rotwein steht auf dem Tisch, frisches Landbrot – und wir dürfen wählen zwischen Trucha (Forelle), die hier mit Speck ummantelt wird, oder Fleisch aus dem Tontopf. Danach noch Käse oder „Flan” – der leckere Karamelpudding – und das alles für 12 Euro. Der Hausherr fragt uns, ob wir denn auch zur Fiesta nach Pamplona wollen. Klar, wenn wir schon mal in der Nähe sind.
Strand bei Sopelana Die knapp 30 Kilometer bis Pamplona sind schnell gefahren und haben sich gelohnt! Das Stadtzentrum ist voll von in rot-weiß und mit rotem Halstuch gekleideten Spaniern und ein paar wenigen Touristen. In jeder Straße gibt´s Musik und alle fünf Meter eine Kneipe mit vino und cerveza (Bier) und sogenannten „pinchos” (Tapas). Eine Woche geht das Spektakel. Bekannt ist die Fiesta vor allem wegen der Stierkämpfe und dem Stier- und „Volkslauf” (encierro) durch die Gassen. „Ja”, erklärt mir der Polizist, „das ist morgens um 8.00 Uhr. Kommen Sie mañana, aber rechtzeitig!”
Gaby sieht es nicht ein, für ein paar Stiere um 5.00 Uhr aufzustehen, aber nachdem ich darüber bei Hemingway gelesen habe, muß ich einfach hin. Um sechs sind die Gassen voll.
Als gegen 6.30 Uhr die hölzernen doppelten Barrieren aufgebaut werden, und die Massen sich ihre Plätze suchen, sitze ich auch schon dichtgedrängt zwischen jungen Spaniern auf einem Holzbalken. Hat jemand schon mal eineinhalb Stunden auf einem ca. 15×15 Kantholz sitzend verbracht? Seit einer Stunde waren Hilfskräfte, Männer und Frauen, dabei, die kopfsteingepflasterten Gassen penibelst zu säubern. In Abständen gibt es große Tore in den Barrieren, die im Notfall als Auslauf für die um ihr Leben rennenden Männer dienten – nicht für die Stiere! Helfer vom Roten Kreuz stehen bereit, Fernsehkameras sind an Fenstern und auf einem Kran montiert, letzte Interviews werden von den Helden der Gasse eingefordert. Hektische Nervosität macht sich breit, ich stelle meine Kamera ein – Punkt 8.00 Uhr ein Donnerschlag und Schreien, jubelndes Brüllen von den Zuschauern – und da, da rauscht etwas vorbei wie eine rot-weiße Welle – die Männer – und dunkel, aggressiv aussehende Flecken – die Stiere. Wusch – und vorbei. Was, denke ich? Da, noch eine Welle, zwei weitere Stiere, Männer die sich zur Seite werfen, Schreien, Klatschen, die Sirene eines Unfallwagens – vorbei. Aus. Nach gerade mal zehn Minuten ist dieses weltberühmt-berüchtigte Spektakel vorbei.
Wütend bin ich, als ich zum Gespann zurückkomme und sehe: Die Persenning vom Beiwagen ist an einer Seite aufgeknüpft – immerhin nicht aufgeschnitten – und meine BMW-Motorradhose ist schlicht geklaut. Das letzte Mal, daß mir etwas vom Motorrad gestohlen wurde, ist über 25 Jahre her; war damals vor dem Kloster Melk in Österreich und nicht etwa in Asien oder Afrika.
Beim Frühstück komme ich auf andere Gedanken. Wir wollen nach Bilbao, am Strand in der Nähe zelten, und in der Stadt die Tochter besuchen, die dort studiert und gemeinsam das Guggenheim Museum besuchen – und nun auch eine neue Motorradhose kaufen.
Wir freuen uns nach einigen Stunden bergiger Fahrt bei immer besser werdendem Wetter über einen tollen Strand in Sopolane, 30 Minuten entfernt von Bilbao. Traumhafter Sand und hohe Atlantikwellen, in die wir uns wie die Kinder mit Begeisterung immer wieder hineinwerfen.
Das Guggenheim Museum wurde 1997 eröffnet, erbaut vom Stararchitekten Frank O. Gehry, der hier ein monumentales, beeindruckendes Gebäude aus mit glänzendem Titan überzogenen Stein geschaffen hat, wie ein Schiff in der Brandung des Lebens dieser Stadt, oder vielleicht eher noch ein gerade gelandetes Raumschiff. Drinnen kann man wechselnde Ausstellungen besuchen.
Auch die Altstadt und die Markthalle von Bilbao laden zum Verweilen ein. Aber von der Autobahn aus sieht man sie, die häßlichen Hochhäuser und die noch häßlicheren, qualmenden Industrieareale, die heute wohl jede Großstadt auf der Welt verschandeln.
Bilbao: Die häßliche Seite spanischer Großstädte Nur etwa drei Fahrstunden von Bilbao entfernt locken die Picos d’Èuropa. Ein Gebirge, das bei uns kaum bekannt ist, aber dessen Spitzen (Picos) immerhin über 2600 m in den Himmel ragen. Nur 30 Minuten Fahrt sind es vom kleinen Fischerdorf San Vicente zu fahren. Auf der Karte ist bei zwei Seen ein Campingplatz eingezeichnet. Das wär´s doch, oder? Bis Cangas sind es nur noch 60 km, und dann noch mal schlappe 12 km zu den Seen. Noch schnell einen Kaffee geschlürft und los! Aber es ist dann doch schon später Nachmittag in Cangas und früher Abend, bis wir die 12 km Kurve an Kurve sich in die Höhe schraubende Straße geschafft haben. Es ist kühl geworden hier oben, friedlich und türkis schimmernd empfängt uns der Lago Enol – nur den in der Karte eingezeichneten Campingplatz gibt es nicht! Trotzdem fahren wir noch zum zweiten See, dem Lago de la Ercina, hinauf – sind nun auf etwa 1200 m Höhe. Wunderschön ist es auch hier, um dieses Zeit kaum noch Leute; auf der Straße ein paar Kühe und Schafe. Kein Campingplatz weit und breit, auch in Cangas nichts zu finden. Zurück fahren will ich nicht, irgendwas muß doch bald kommen, ob Camping oder hostal. 19 Uhr, 20 Uhr, touristische Infrastuktur hier an der Westseite der Picos ist quasi nicht vorhanden. Das Kurvenfahren macht zwar Spaß, aber es reicht nun auch. Vor allem kriecht mir allmählich die Kälte unangenehm unter die Motorradjacke und -hose, und Gaby kuschelt sich im Beiwagen schon in die Wolldecke ein. Endlich kommen wir an einen riesigen Stausee und die Ortschaft Riano. Wir folgen der Beschreibung des Tankwarts, finden ein hostal und sitzen wieder zur richtigen Uhrzeit gegen 21.30 Uhr beim reichlichen Menu und Vino tinto. Günstiger ist es eigentlich mittags zu essen: Das „Menu del dia” bietet meist drei Gänge und Wein/ Wasser inklusive für 7,50 – 9 Euro.
Am nächsten Morgen fahren wir nach 30 km ab von der Haupstraße, rein in die Berge und finden einen traumhaft gelegenen Campingplatz oberhalb eine Baches mit Blick auf die Picos. Piksaubere Sanitäranlagen runden das Bild ab – wer hin möchte, einfach Richtung Santa Marina fahren, 1 km vom Dorf entfernt liegt der Campingplatz.
Das Zelt steht in wenigen Minuten, wir stehen in den Wanderschuhen und Abmarsch. Durch Blumenwiesen, vorbei an dichten, sattgelben Ginsterbüschen; kein Mensch weit und breit. Eine einzige Pracht. Fast vier Stunden laufen wir. Das tut gut nach der vielen Fahrerei – und dem guten Essen.
Spanien ist eben nicht nur Costa del Sol oder Costa Brava. Und endlich treffen wir auf dem Rückweg zur Hauptstraße mal ein deutsches Gespann aus Erfurt. Die beiden sind ebenso begeistert wie wir!
Noch einmal machen wir auf dem Weg zur spanischen Grenze am Atlantik Station, in der Nähe von Deba. Zum Baden fahren wir zur sehr schönen großen Strandbucht bei Deba. Dann aber geht es nach Einkauf von Vino, spanischer Chorizo (Paprikawurst) und Serrano-Schinken gen Frankreich und zum zügigen Fortkommen bis Albi auf die Autobahn.
Für einen nächsten Urlaub haben wir uns die Schluchten der Tarn und Jonte vorgemerkt. So wie die kleinen Straßen Kurvenspaß satt bieten, imponiert die felsige Landschaft und bieten die Flüsse Bade- und Kanuspaß!
Zwei wirklich verfressene Tage verbringen wir noch in den fast kitschig hübschen Dörfchen im Elsass. Das Essen und der Wein sind zwar teuer, aber so gut, daß man kaum länger als zwei Tage bleiben kann oder riskiert, nicht mehr in die Motorradkombi zu passen.
5600 Kilometer haben wir insgesamt abgespult, dabei viel Fahrspaß ohne Panne gehabt und drei erlebnisreiche Wochen verbracht! Nun aber schnell die zugenommenen drei Kilo wieder runterkriegen!